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Liegt ein Erbvertrag zwischen Ehegatten bei frei widerruflicher gegenseitiger Erbeinsetzung vor?

OLG Hamm – Az.: I-15 W 479/19 – Beschluss vom 01.04.2020

Unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde wird der Beschluss vom 18.10.2019 abgeändert.

Der Antrag der Beteiligten zu 1) vom 17.07.2019 wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Beteiligten zu 2) vom 30.07.2019 wird zurückgewiesen.

Die Tatsachen, die zur Begründung des hilfsweise gestellten Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 2) vom 5.02.2020 erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet.

Die Gerichtskosten erster Instanz tragen die Beteiligte zu 1) und der Beteiligte zu 2) jeweils gesondert für den von ihnen gestellten Erbscheinsantrag. Eine Erstattung der den Beteiligten in erster Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten wird nicht angeordnet.

Gerichtskosten werden für die Beschwerdeinstanz nicht erhoben. Eine Erstattung der den Beteiligten in der Beschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten wird nicht angeordnet.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1) ist die Ehefrau des Erblassers.

In der notariellen Urkunde vom 3.03.1967 (UR-Nr.##/1937 des Notars Dr. Dr. F in W) haben die Eheleute H neben ehevertraglichen Regelungen auch die folgenden letztwilligen Verfügungen getroffen.

§ 3

Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein, so dass der Letztlebende von uns der Alleinerbe des Erstversterbenden sein soll.

§ 4

Jeder von uns ist berechtigt, vorstehende letztwillige Verfügung zu Lebzeiten beider Eheleute allein und ohne dass ein besonderer Grund aufgetreten ist, nach Belieben zu ändern.

Am 23.07.2015 hat der Erblasser in einem formwirksam errichteten handschriftlichen Testament unter anderem die folgenden Verfügungen getroffen.

Unter Widerruf der vorgenannten letztwilligen Verfügung setzte der Erblasser zu seinem „alleinigen Erben“ die „I Stiftung Sonderfonds der Bürgerstiftung der Stadt W“ ein. Er ordnete Testamentsvollstreckung an und ernannte den Beteiligten zu 2) zu seinem Testamentsvollstrecker. Die Beteiligte zu 1) bedachte der Erblasser mit Vermächtnissen.

Der Beteiligte zu 2) hat sein Amt als Testamentsvollstrecker durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht vom 25.04.2019 angenommen (AG Ahaus 18 VI 200/19).

Am 17.07.2019 hat die Beteiligte zu 1) beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweist. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass es sich bei dem notariellen Vertrag vom 3.03.1967 um einen Erbvertrag handele, den der Erblasser mit seinem handschriftlich errichteten Testament vom 23.07.2015 nicht wirksam widerrufen habe.

Am 30.07.2019 hat der Beteiligte zu 2) beantragt, einen Erbschein zu erteilen, der die I Stiftung Sonderfonds der Bürgerstiftung der Stadt W als Alleinerbin und die Anordnung der Testamentsvollstreckung ausweist.

Mit Beschluss vom 18.10.2019 hat das Nachlassgericht die zur Begründung des von dem Beteiligten zu 2) gestellten Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 19.11.2019, der das Nachlassgericht mit Beschluss vom 25.11.2019 nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.

Nach dem rechtlichen Hinweis des Senats hat der Beteiligte zu 2) mit Schriftsatz vom 5.02.2020 mitgeteilt, dass es keine rechtsfähige Stiftung I Sonderfond gebe. Es gebe nur eine rechtsfähige Stiftung privaten Rechts „Bürgerstiftung W“ mit Sitz in W, die von der Bezirksregierung N am 12.08.2005 anerkannt worden sei. In der Bürgerstiftung W sei das Fondsvermögen I bilanztechnisch getrennt aufgeführt. Der Erblasser habe die Bürgerstiftung W zu seiner Alleinerbin ernennen wollen. Diese habe die Erbschaft angenommen.

Es werde daher hilfsweise der Antrag gestellt, einen Erbschein zu erteilen, der die Bürgerstiftung W als Alleinerbin und die Anordnung der Testamentsvollstreckung ausweise.

Der Senat hat diesen hilfsweise gestellten Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) und der Bürgerstiftung W zugeleitet.

II.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache teilweise begründet.

Sie führt in Abänderung des Beschlusses des Nachlassgerichts vom 18.10.2019 zur Zurückweisung des Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 2) vom 30.07.2019. Es hat allerdings auch bei der Zurückweisung des Erbscheinsantrags der Beteiligten zu 1) zu verbleiben.

Auf den hilfsweise gestellten Erbscheinsantrag vom 5.02.2020 war der aus dem Tenor ersichtliche Feststellungsbeschluss zu erlassen.

Den erst in der Beschwerdeinstanz hilfsweise gestellten Erbscheinsantrag erachtet der Senat in Fortführung seiner Rechtsprechung (Beschluss vom 9.11.2011 – 15 W 635/10 = FGPrax 2012, 321) für zulässig.

1.

Der Erblasser hat mit seiner letztwilligen Verfügung vom 23.07.2015 die gemeinschaftlich in dem notariellen Vertrag vom 3.03.1967 getroffene letztwillige Verfügung der Eheleute abgeändert.

Bei den notariell beurkundeten letztwilligen Verfügungen der Eheleute H vom 3.03.1967 handelt es sich nicht um einen Erbvertrag nach §§ 2274 ff. BGB. Zwar haben die Eheleute H in der Einleitung zu ihren Verfügungen erklärt, einen Ehe– und Erbvertrag beurkunden zu wollen. Sie haben unter den insoweit maßgeblichen §§ 3 und 4 der notariellen Urkunde allerdings keinen den Anforderungen der §§ 2274 ff. BGB genügenden Erbvertrag geschlossen. Ein Erbvertrag liegt nämlich nur dann vor, wenn in dem Vertrag zumindest eine vertragsmäßige Verfügung im Sinne des § 2278 Abs. 1 BGB enthalten ist (Palandt/Weidlich, BGB, 79. Auflage, § 2278 Rn.1). Zwar haben die Eheleute H mit der gegenseitigen Erbeinsetzung in § 3 eine Verfügung getroffen, die als vertragsmäßige Verfügung getroffen werden kann. Sie haben jedoch unter § 4 vereinbart, dass jeder Ehegatte zu Lebzeiten des anderen berechtigt sein sollte, diese Erbeinsetzung allein und ohne besonderen Grund abzuändern. Dieser bedingungslose Abänderungsvorbehalt ist mit einer vertragsmäßig getroffenen Verfügung nicht zu vereinbaren. Damit fehlt es an einer vertragsmäßigen Verfügung und somit an einem Erbvertrag.

Es entspricht dem in der Urkunde zum Ausdruck kommenden Willen beider Eheleute die getroffenen letztwilligen Verfügungen als Ehegattentestament nach §§ 2265 ff. BGB mit einem Abänderungsvorbehalt zu verstehen.

Anders als bei einem Erbvertrag können sich die Eheleute bei einem gemeinschaftlichen Testament nämlich vorbehalten, dass sie die dort getroffenen Verfügungen auch durch ein einseitiges Testament abändern können (vgl. Palandt/Weidlich, a. a. O., Rn.20-24). Dass die Eheleute H mit einer einseitigen Abänderungsbefugnis des jeweiligen Ehepartners gerade einverstanden waren, haben sie in § 4 der notariellen Vereinbarung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht („allein“ und „ohne besonderen Grund“). Angesichts der notariellen Hilfestellung, derer sich die Eheleute H bei der Errichtung ihrer letztwilligen Verfügung bedient haben, ist es auch fernliegend, in § 4 lediglich einen Rücktritts- oder Widerrufsvorbehalt nach §§ 2271, 2296 BGB zu sehen. Zum einen werden die dem Notar bekannten juristischen Fachbegriffe nicht verwendet. Stattdessen wird nicht nur das einseitige Außerkraftsetzen der gemeinsamen getroffenen Verfügung beschrieben, sondern bereits die diese ersetzende anderweitige Verfügung („ändern“).

Von der ihm eingeräumten Abänderungsbefugnis hat der Erblasser mit der Errichtung des Testaments vom 23.07.2015 Gebrauch gemacht.

2.

In dem Testament vom 23.07.2015 hat der Erblasser die Bürgerstiftung W als Alleinerbin eingesetzt.

Nach dem Wortlaut des Testaments hat der Erblasser die I Stiftung Sonderfond der Bürgerstiftung der Stadt W eingesetzt. Erbe kann jedoch nur eine rechtsfähige Person sein, so dass eine Erbenstellung des I Sonderfond bzw. I Stiftung Sonderfond nicht in Betracht kommt.

Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH NJW 1993, 256 m. w. N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (BGH FamRZ 1987, 475, 476; Palandt-Weidlich, BGB, a. a. O., § 2084 Rn.1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH NJW 1993, 256 m. w. N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Palandt-Weidlich, a. a. O., § 2084 BGB Rn.2 mit weiteren Nachweisen). Kann sich der Richter auch unter Auswertung aller Umstände von dem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen des Erblassers nicht überzeugen, muss er sich mit dem Sinn begnügen, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht (BGH NJW 1993, 256).

Aus dem Testament kommt der Wille des Erblassers zum Ausdruck, dass sein Vermögen – soweit er darüber nicht durch Aussetzung von Vermächtnissen anderweitig disponiert hat – dem I Sonderfond zugutekommen soll. Dieses Ziel kann der Erblasser nur erreichen, wenn die Bürgerstiftung W, innerhalb derer der I Sonderfond angelegt ist, sein Erbe wird.

Der Erblasser hat selbst an der Gründung der Bürgerstiftung W mitgewirkt. Er hat schon dabei Wert darauf gelegt, dass das von ihm lebzeitig zur Verfügung gestellte Vermögen bilanztechnisch gesondert erfasst wird. Rechtsinhaber des lebzeitig eingebrachten Vermögens ist aber auch insoweit bereits die Bürgerstiftung W geworden. Die vom Erblasser vorgenommene Erbeinsetzung kann daher nur so verstanden werden, dass Erbe die Bürgerstiftung W wird, verbunden mit der Auflage, auch das von Todes wegen erhaltene Vermögen bilanztechnisch gesondert für den I Sonderfond auszuweisen.

Darüber hinaus hat der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet.

3.

Die Gerichtskosten erster Instanz sind für den von der Beteiligten zu 1) und den von dem Beteiligten zu 2) gestellten Erbscheinsantrag jeweils separat zu erheben, da es sich um rechtlich selbständige Anträge handelt. Eine Verbindung der Verfahren im Beschlusswege ist auch nicht erfolgt und wäre auch untunlich gewesen. Vielmehr hätte nach dem Eingang des Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 2) ein gesondertes Verfahren angelegt werden müssen. In der Folgezeit wäre es angemessen gewesen, nur ein Verfahren im Beschlusswege abzuschließen und das andere bis zu dessen rechtskräftigen Abschluss auszusetzen, da die zu treffende Entscheidung für das andere Verfahren präjudiziell war.

Die Gerichtskosten sind nach § 22 GNotKG von dem jeweiligen Antragsteller zu erheben. Für eine anderweitige Anordnung besteht keine Veranlassung.

Die Anordnung der Erstattung der den Beteiligten entstandenen außergerichtlichen Kosten entspricht nicht billigem Ermessen (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Die Beteiligten haben ihren Anträgen jeweils diskutable rechtliche Überlegungen zugrunde gelegt.

Die Gerichtskosten der Beschwerdeinstanz sind nicht zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) hatte in Bezug auf den in erster Instanz gestellten Antrag des Beteiligten zu 2) Erfolg, so dass insoweit wegen § 84 FamFG keine Kosten angefallen wären. Soweit die Beteiligte zu 1) mit ihrer Beschwerde ihren eigenen Erbscheinsantrag weiter verfolgt hat, hatte die Beschwerde zwar keinen Erfolg. Es ist aber zu beachten, dass die Ursache für dieses Vorgehen das Nachlassgericht gesetzt hat, indem es über die gegenläufigen Anträge zeitgleich entschieden hat. Eine Gerichtskostenerhebung erscheint daher unangebracht.

Die Anordnung der Erstattung der den Beteiligten in der Beschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten entspricht nicht billigem Ermessen (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Letztlich hatten weder der von der Beteiligten zu 1) noch der von dem Beteiligten zu 2) erstinstanzlich gestellte Erbscheinsantrag Erfolg. Der Beteiligte zu 2) hatte erst mit einem in der Beschwerdeinstanz nach rechtlichem Hinweis abgeänderten Erbscheinsantrag Erfolg.

4.

Die Festsetzung eines Geschäftswerts ist derzeit mangels Angaben zum Nachlasswert nicht möglich. Sie erscheint angesichts der für die Beschwerdeinstanz getroffenen Kostenentscheidung auch entbehrlich.

5.

Die Voraussetzungen, unter denen eine Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen ist, liegen nicht vor.

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