Erbvertrag und Grundbuch: Oberlandesgericht Saarbrücken klärt Streit um Eigentumswechsel
In einem komplexen Fall, der vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken verhandelt wurde, ging es um die Eintragung eines Eigentumswechsels im Grundbuch. Die Beteiligten, Kinder der verstorbenen Eheleute R. G. und M. E. G., hatten einen Erbvertrag ihrer Eltern und einen notariellen Auseinandersetzungs- und Übertragungsvertrag vorgelegt. Das Saarländische Grundbuchamt hatte jedoch die Vorlage eines Erbscheins nach der Mutter gefordert, da es der Ansicht war, der Erbvertrag regele nur die Erbfolge nach dem Vater. Das Hauptproblem lag in der Interpretation des Erbvertrags und der Frage, ob ein Erbschein für die Mutter erforderlich ist.
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Übersicht
Die Rolle des Erbvertrags
Der Erbvertrag der Eltern hatte eine Vor- und Nacherbfolge festgelegt. Der überlebende Ehepartner sollte Vorerbe sein, und die Kinder sollten als Nacherben eingesetzt werden. Nach dem Tod beider Eltern innerhalb kurzer Zeit wurde der Erbvertrag eröffnet. Das Grundbuchamt forderte jedoch einen Erbschein für die Mutter, da es der Ansicht war, der Erbvertrag decke nur die Erbfolge nach dem Vater ab.
Notarielle Auseinandersetzung und Beschwerde
Die Kinder schlossen einen notariellen Auseinandersetzungs- und Übertragungsvertrag und übertrugen die betreffenden Grundstücke auf eines der Kinder. Sie legten alle erforderlichen Dokumente beim Grundbuchamt vor, das jedoch auf dem Erbschein für die Mutter bestand. Daraufhin erhoben die Kinder, vertreten durch einen Notar, Beschwerde gegen die Zwischenverfügung des Grundbuchamts.
Grundbuchamt vs. Oberlandesgericht
Das Grundbuchamt legte die Beschwerde dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Das Gericht stellte fest, dass die Beschwerde begründet war. Es erklärte, dass das Grundbuchamt zu Unrecht die Vorlage eines Erbscheins für die Mutter verlangt hatte. Der Erbvertrag war ausreichend, um die Erbfolge nach beiden Elternteilen zu regeln.
Interpretation des Erbvertrags
Das Gericht wies darauf hin, dass der Erbvertrag nicht nur die Vor- und Nacherbfolge, sondern auch die Ersatzerbfolge regelte. Das bedeutet, dass die Kinder auch nach dem Tod der Mutter als Erben eingesetzt waren. Das Grundbuchamt hatte diese Klausel übersehen und daher fälschlicherweise einen Erbschein verlangt.
Das Urteil klärt wichtige Fragen zur Interpretation von Erbverträgen und zur Notwendigkeit von Erbscheinen im Kontext der Grundbucheintragung. Es stellt klar, dass ein gut formulierter Erbvertrag ausreichen kann, um die Erbfolge und damit den Eigentumswechsel von Grundstücken zu regeln, ohne dass ein zusätzlicher Erbschein erforderlich ist.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 W 62/19 – Beschluss vom 21.10.2019
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 wird die Zwischenverfügung des Saarländischen Grundbuchamts vom 19.08.2019 aufgehoben.
Gründe
I.
Die Beteiligten begehren die Eintragung eines Eigentumswechsels im Grundbuch.
Sie sind die Kinder der Eheleute R. G. und M. E. G.. Diese schlossen am 14.06.2004 einen Erbvertrag vor dem Notar … pp. (Urkundenrolle Nummer …/…, Bl. 14 d.A.), der unter Ziffer I. folgende Regelungen enthielt:
„Wir setzen uns gegenseitig, der Erstversterbende den Überlebenden zum Vorerben ein.
[…]
Zu Nacherben werden berufen – je zur Hälfte – unsere Kinder:
a) S. G., geboren am …,
b) D. G., geboren am …
[…]
Die Berufung zu Nacherben enthält gleichzeitig die Berufung zu Ersatzerben.
Der Nacherbfall tritt jeweils ein bei dem Tod des Vorerben. […]“
Die Eheleute waren Eigentümer bzw. jeweils hälftige Miteigentümer folgender Grundstücke: Grundbuch von Hüttigweiler, Blatt …, Flur … Nrn. …/…, …/… und …/…; Grundbuch von Marpingen, Blatt …, Flur …, Nrn. …/…, …/…, …/…, …/…, …/…; Grundbuch von Hüttigweiler, Blatt …, Flur … Nr. …/….
Der Vater der Beteiligten verstarb am 05.10.2018, die Mutter am 11.10.2018. Der Erbvertrag wurde am 31.10.2018 vom Amtsgericht St. Wendel eröffnet.
Am 12.12.2018 schlossen die beiden Beteiligten einen notariellen Auseinandersetzungs- und Übertragungsvertrag (Urkundenrolle Nr. …/… des Notars … pp.). Darin übertrugen sie die o.g. Grundstücke gegen Zahlung von 80.000 € auf den Beteiligten zu 2. Ferner erklärten sie die Auflassung und bevollmächtigten den Notar, die für den Vollzug der Urkunde erforderlichen Erklärungen zu fertigen und die Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch zu bewilligen.
Mit Schreiben vom 16.07.2019 hat der Notar beim Amtsgericht Saarbrücken – Saarländisches Grundbuchamt – eine Erklärung zur Akte gereicht, mit der er für die Beteiligten die Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch bewilligt und die Eintragung beantragt hat. Zugleich hat er beglaubigte Abschriften des notariellen Vertrags vom 12.12.2018 und der Niederschrift über die Eröffnung des Erbvertrags nach dem Tod beider Eheleute nebst der Erbvertragsurkunde vom 14.06.2004 zur Akte gereicht, außerdem eine Ausfertigung eines gemeinschaftlichen Erbscheins des Amtsgerichts St. Wendel vom 11.02.2019, der die beiden Beteiligten als Miterben zu je 1/2 nach dem Vater R. G. ausweist.
Mit Verfügung vom 24.07.2019 hat das Grundbuchamt den Notar gebeten, einen Erbschein nach der Mutter der Beteiligten zur Akte zu reichen, da der Erbvertrag keine Bestimmungen nach dem Längstlebenden treffe. Der Notar hat unter dem 01.08.2019 darauf aufmerksam gemacht, dass der vorgelegte Erbvertrag neben der Berufung der Beteiligten zu Nacherben gleichzeitig deren Berufung zu Ersatzerben enthalte und damit die Erbfolge auch nach dem Längstlebenden regele.
Unter dem 19.08.2019 hat das Grundbuchamt eine fristsetzende Zwischenverfügung erlassen, mit der es die Vorlage eines Erbscheins nach M. E. G. angefordert hat. Es ist bei seiner Einschätzung geblieben, der Erbvertrag regele lediglich die Erbfolge nach dem Erstversterbenden (hier des Vaters der Beteiligten).
Die beiden Beteiligten haben gegen die Zwischenverfügung, vertreten durch den Notar, Beschwerde erhoben. Sie meinen, durch den Erbvertrag sei die Erbfolge auch nach der Mutter nachgewiesen, und berufen sich auf die Ersatzerbenklausel.
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache mit Beschluss vom 12.09.2019 dem Saarländischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die im Namen der Beteiligten vom Urkundsnotar eingelegte Beschwerde ist nach den §§ 71, 73 GBO zulässig (zum Recht des Notars, Beschwerde für die Antragsberechtigten einzulegen, Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Auflage 2012, Teil I, Rdn. 189 und 499).
Die Beschwerde ist auch begründet.
1.
Das Grundbuchamt verlangt zu Unrecht die Vorlage eines Erbscheins nach M. E. G.. Dass die Beteiligten deren Rechtsnachfolger geworden sind, ergibt sich aus dem vom Amtsgericht St. Wendel am 31.10.2018 eröffneten Erbvertrag vom 14.06.2004.
a.
Der grundbuchmäßige Nachweis der Erbfolge kann nicht nur durch einen Erbschein geführt werden. Beruht die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, z.B. in einem notariellen Erbvertrag, so genügt es, wenn die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt werden. Nur wenn das Grundbuchamt die Erbfolge durch diese Urkunden nicht für nachgewiesen erachtet, kann es die Vorlage eines Erbscheins verlangen (§ 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GBO). Ob es das tut, steht nicht in seinem Belieben (OLG München, FamRZ 2016, 1400). Vielmehr ist es verpflichtet, die in einer öffentlichen Urkunde errichtete letztwillige Verfügung in eigener Verantwortung auszulegen, und zwar auch dann, wenn rechtlich schwierige Fragen zu beurteilen sind. Nur wenn Zweifel tatsächlicher Art auftreten, die weitere Ermittlungen gebieten würden, darf es auf der Vorlage eines Erbscheins bestehen, weil solche Ermittlungen nur dem Nachlassgericht möglich wären, dem Grundbuchamt wegen der Beschränkung des § 29 Abs. 1 GBO indessen untersagt sind (OLG Hamm, FamRZ 2014, 341; OLG München, FamRZ 2016, 1400; OLG Köln, FGPrax 2000, 89; Demharter, GBO, 31. Auflage 2018, § 35 Rdn. 39, 40, 43).
b.
Gemessen an diesen Grundsätzen hätte das Grundbuchamt einen Erbschein nach der Mutter der Beteiligten nicht anfordern dürfen.
Die der angefochtenen Zwischenverfügung zu Grunde liegende Annahme, der von den Beteiligten vorgelegte, ausweislich der Niederschrift des Amtsgerichts St. Wendel am 31.10.2008 eröffnete Erbvertrag belege die Erbenstellung der Beteiligten nach ihrer Mutter M. E. G. nicht, ist unrichtig. Der Erbvertrag enthält neben der Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge nach dem erstverstorbenen Ehegatten zugleich eine Schlusserbeneinsetzung der Kinder nach dem Letztverstorbenen.
(1)
Allerdings trifft die Annahme des Grundbuchamts zu, wonach unter Ziffer I. des Erbvertrags zunächst einmal nur die Einsetzung des jeweils überlebenden Ehegatten zum Vorerben und die sodann eintretende Nacherbfolge der gemeinsamen Kinder geregelt sind. Da der Vater R. G. zuerst verstorben ist, betrifft die Nacherbfolge nur seinen Nachlass, nicht aber den Nachlass der später verstorbenen M. E. G. Soweit diese im Erbvertrag ihren Ehemann zum Vorerben bestimmt hatte, lief diese Anordnung im Hinblick auf dessen Vorversterben ins Leere. Folgerichtig konnte, was den Nachlass der M. E. G. anbelangt, auch die Nacherbeneinsetzung der Beteiligten nicht mehr zum Tragen kommen.
(2)
Zu Unrecht hat das Grundbuchamt aber die ausdrückliche Regelung im vorletzten Absatz der Ziffer I. des Erbvertrags unbeachtet gelassen, wonach die Berufung zu Nacherben gleichzeitig die Berufung zu Ersatzerben enthalten solle. Seine Annahme, dieser Passus beziehe sich lediglich auf die Erbeinsetzung nach dem Erstversterbenden, geht fehl.
Der Erblasser kann für den Fall, dass ein Erbe vor oder nach dem Eintritt des Erbfalls wegfällt, einen Ersatzerben bestimmen (§ 2096 BGB). Das ist auch in einem Erbvertrag möglich (Rudy in: MünchKommBGB, 7. Auflage 2017, § 2096 Rdn. 4). Der Begriff des „Wegfalls“ im Sinne des § 2096 BGB erfasst jedes Ereignis vor oder nach dem Erbfall, das dazu führt, dass der zunächst Bedachte die ihm zugedachte erbrechtliche Position nicht einnehmen konnte. Als Wegfallgrund kommt insbesondere der Tod des Bedachten vor dem Erbfall in Betracht (§ 1923 Abs. 1 BGB; Gierl in: Cell/Krüger/Lorenz/Reimann, BGB, Stand: 01.09.2019, § 2096 Rdn. 27). Die Eltern der Beteiligten haben ihre Kinder im Erbvertrag, bei dessen Abschluss naturgemäß nicht feststand, welcher Erbfall zuerst eintreten würde, ausdrücklich nicht nur zu Nacherben berufen, sondern auch zu Ersatzerben. Da sie den Ersatzerbfall nicht näher spezifiziert haben, ist davon auszugehen, dass die Ersatzerbeneinsetzung für alle potenziellen Wegfallgründe gelten sollte (§ 2097 BGB; siehe dazu Gierl in: Cell/Krüger/Lorenz/Reimann, BGB, Stand: 01.09.2019, § 2096 Rdn. 29), mithin auch für den – praktisch bedeutsamsten, weil im Hinblick auf eine der Erbvertragsparteien zwangsläufig eintretenden – Fall des Vorversterbens des als Vorerben eingesetzten Ehegatten.
(3)
Zum selben Ergebnis würde man bei Anwendung der auch im grundbuchrechtlichen Eintragungsverfahren zu beachtenden gesetzlichen Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB gelangen (siehe dazu OLG Hamm, FamRZ 2014, 341; OLG Köln, FG Praxis 2000, 89; Demharter, GBO, 31. Auflage 2018, § 35 Rdn. 43). Danach ist im Zweifel anzunehmen, dass der Nacherbe für den Fall des Wegfalls des Vorerben zugleich als Ersatzerbe berufen ist. Eine solche Situation ist hier im Hinblick auf die im Erbvertrag enthaltene Erbfolgeregelung nach der zuletzt verstorbenen Mutter der Beteiligten gegeben. Die Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB beruht auf der Annahme, dass es in den Fällen der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft nach der Lebenserfahrung dem Willen des Erblassers entspricht, den Nachlass letztlich in jedem Fall dem Nacherben zukommen zu lassen und dessen Rechtserwerb mit Rücksicht auf den Vorerben lediglich zeitlich hinauszuschieben. Dieser Gedanke kommt insbesondere auch bei einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament oder einem Erbvertrag zum Tragen, in dem die Ehegatten sich gegenseitig zu Vorerben und die gemeinsamen Kinder zu Nacherben berufen haben, ohne die Erbfolge nach dem Letztversterbenden ausdrücklich zu regeln (OLG Hamm, FamRZ 2014, 341), und gerade dann, wenn – wie hier – der Tod des Vorerben als Nacherbfall bestimmt wurde, was nahelegt, dass die gewählte Konstruktion nur der Sicherung des Vorerben diente (vgl. Grunsky in: MünchKommBGB, 7. Auflage 2017, § 2102 Rdn. 3 und 4).
(4)
Nach alldem hätte das Grundbuchamt schon aus dem vorgelegten Erbvertrag und der zur Akte gereichten Niederschrift über seine Eröffnung (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GBO) den Schluss ziehen können, dass die vormals den Eheleuten G. gehörenden Grundstücke aufgrund der Nacherbfolge nach dem erstverstorbenen Ehemann und der Schlusserbfolge nach der letztverstorbenen Ehefrau in das Gesamthandseigentum der aus den beiden Beteiligten bestehenden Erbengemeinschaft fielen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation OLG Hamm, FamRZ 2014, 341). Von der Vorlage eines Erbscheins nach der M. E. G. durfte es die begehrte Eintragung nicht abhängig machen.
2.
Eine Kostenentscheidung und eine Geschäftswertfestsetzung sind nicht veranlasst (§ 25 Abs. 1 GNotKG).