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Grundbuchberichtigung Erbfall – Widersprüchlichkeit von Testamenten

OLG München – Az.: 34 Wx 393/15 – Beschluss vom 22.03.2016

1. Die Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts München – Grundbuchamt – vom 29. September 2015 wird zurückgewiesen.

2. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Im Grundbuch ist A. P. als Eigentümerin zu 1/16 eines Grundstücks eingetragen. Sie war verheiratet mit Dr. F. P., der am 17.4.1988 verstorben ist. Im eigenhändigen gemeinschaftlichen Testament der Eheleute P. vom 15.9.1987 setzten sich diese gegenseitig zum alleinigen ausschließlichen Erben ein. Dort heißt es weiter:

1.) … Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen in gleicher Weise frei verfügen.

2.) Für den Fall des Todes des überlebenden Teils … bestimmen wir hiermit als unsere Schlusserben unsere beiden Kinder Dr. Helga Sp. (= die Beteiligte) und Helmuth P. zu gleichen Teilen …

Frau P. ist am 23.11.1994 verstorben. Sie hatte am 9./21.11.1994 ein notarielles Testament errichtet, in dem sie die Beteiligte, ihre Tochter, als ihre alleinige und ausschließliche Erbin einsetzte (Ziff.II.) und in Ziff. V. verfügte, dass das Testament vom 15.9.1987 insgesamt nicht mehr gelten solle. In Ziff. I. des notariellen Testaments ist zu den Vorstellungen der Erblasserin bei Errichtung des Ehegattentestaments – insbesondere zur Freiheit von Beschränkungen des Überlebenden – festgehalten:

Ich habe diese Formulierung seinerzeit so aufgefaßt, daß der überlebende Ehegatte hinsichtlich des geerbten Nachlasses und des eigenen Vermögens sowohl unter Lebenden, als auch von Todes wegen frei verfügen könne. Wir wollten namentlich hinsichtlich der Einsetzung des oder der Schlusserben frei sein, weil wir noch mit der Veränderung der Lebenssituation unserer Kinder rechnen mußten.

Ich bin vom amtierenden Notar darüber belehrt worden, daß die von mir vorgenommene Auslegung der Widerruflichkeit des Ehegattentestamentes vom 15. September 1987 einer gerichtlichen Überprüfung möglicherweise nicht standhalten wird. …

Die letztwilligen Verfügungen wurden am 1.8.1988, 13.12. und 28.12.1994 eröffnet. Ein Erbschein nach A. P. wurde bisher nicht beantragt.

Mit Schreiben vom 27.6.2015 beantragte die Beteiligte Grundbuchberichtigung durch ihre Eintragung als Eigentümerin zu 1/16. Die Erbfolge ergebe sich aus dem notariellen Testament vom 9.11.1994. Das Grundbuchamt hat nach vorherigem rechtlichen Hinweis gemäß Schreiben vom 23.7.2015 mit Beschluss vom 29.9.2015 den Antrag zurückgewiesen. Die Erbfolge könne nicht zweifelsfrei geklärt werden; dies sei nur im Erbscheinsverfahren möglich.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten. Das Grundbuchamt habe die in der notariellen Urkunde getroffenen Verfügungen von Todes wegen selbständig zu prüfen und auszulegen, auch unter Berücksichtigung von Auslegungsregeln und offenkundiger und allgemein bekannter Tatsachen. Rechtlich schwierige Fragen müsse es selbst beurteilen. Nach dem Ehegattentestament sei die Überlebende befugt gewesen, über das beiderseitige Vermögen in „jeder Weise“ frei zu verfügen. Dies spreche dafür, dass auch letztwillig verfügt werden durfte, Frau P. also so habe verfahren können.

Das Grundbuchamt hat nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde, welche sich gegen die Ablehnung eines Berichtigungsantrags wegen nachträglicher Grundbuchunrichtigkeit infolge Versterbens der eingetragenen Berechtigten richtet (§ 22 GBO), ist statthaft (§ 11 Abs. 1 RPflG, § 71 Abs. 1 GBO) und auch im Übrigen zulässig (§ 73 GBO; § 10 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Sie ist jedoch unbegründet.

1. Liegt neben der Eröffnungsniederschrift eine Verfügung von Todes wegen in formgültiger öffentlicher Urkunde vor, reicht dies grundsätzlich für den Nachweis der Erbfolge aus (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GBO; Demharter GBO 29. Aufl. § 35 Rn. 31; Böhringer ZEV 2001, 387; Senat vom 7.3.2016, 34 Wx 32/16, juris). Es steht auch bei schwieriger Rechtslage nicht im Belieben des Grundbuchamts, anstelle der öffentlichen Urkunde einen Erbschein zu verlangen (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 letzter Halbs. GBO; BayObLG Rpfleger 2000, 266; OLG Köln Rpfleger 2000, 157; Demharter § 35 Rn. 42). Vielmehr hat das Grundbuchamt – wie die Beteiligte durch ihren Verfahrensvertreter zutreffend anmerkt – selbständig zu prüfen und auszulegen (vgl. § 133 BGB), hat gesetzliche Auslegungsregeln, wenn auch das Nachlassgericht voraussichtlich darauf zurückgreifen würde, ferner allgemein bekannte und offenkundige Tatsachen zu berücksichtigen (Demharter § 35 Rn. 42 m. w. N.). All dies erlaubt aber die begehrte Berichtigung im gegebenen Fall nicht.

a) Sofern – wie hier – die Erbfolge, die in das Grundbuch eingetragen werden soll, auf einem notariellen Testament beruht und der Erblasser zusammen mit seinem vorverstorbenen Ehegatten ein gemeinschaftliches eigenhändiges – augenscheinlich formgültiges – Testament (§§ 2247, 2267 BGB) errichtet hat, so obliegt dem Grundbuchamt auch die Auslegung des früheren eigenhändigen Testaments zu der Frage, ob die Wirksamkeit der späteren Erbeinsetzung von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments berührt wird. Macht die Klärung dieser Frage weitere tatsächliche Ermittlungen über den Willen des Erblassers und seines Ehegatten erforderlich, so ist das Grundbuchamt berechtigt und verpflichtet, zum Nachweis der Erbfolge einen Erbschein zu verlangen (BayObLG Rpfleger 2000, 266; bereits KGJ 18, 332/334; Demharter § 35 Rn. 36).

b) Das gemeinschaftliche Testament vom 15.9.1987 ist im Hinblick darauf auslegungsbedürftig, ob nach dem Willen der Testierenden ihre Verfügungen zur Schlusserbeneinsetzung im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit (vgl. § 2270 BGB) zueinander stehen sollten. Wechselbezüglichkeit ist anzunehmen, wenn die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLGZ 1991, 173/176; OLG Hamm FGPrax 2001, 9/10), wobei der Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung maßgeblich ist. Die Wechselbezüglichkeit ist jeweils im Hinblick auf die einzelne letztwillige Verfügung zu prüfen, die die Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament getroffen haben (BGH NJW-RR 1987, 1410). Die Auslegungsbedürftigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass in der letztwilligen Verfügung keine ausdrückliche Regelung zur Wechselbezüglichkeit enthalten ist. Denn daraus allein kann nicht geschlossen werden, dass darin enthaltene Verfügungen nicht wechselbezüglich sein sollen (OLG Hamm FGPrax 2001, 9/10). Umgekehrt kann nicht schon aus dem Umstand allein, dass sich die Eheleute der Form eines gemeinschaftlichen Testaments bedient haben, auf eine Wechselbezüglichkeit der getroffenen Verfügungen geschlossen werden (BGH a. a. O.; BayObLG ZEV 1996, 188/189).

Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ist nur dann heranzuziehen, wenn der individuelle Wille der testierenden Ehegatten nicht zuverlässig festgestellt werden kann (BGH a. a. O.). Das bedeutet, dass die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments zur Ermittlung des wirklichen übereinstimmenden Willens der Ehegatten Vorrang hat. Greift die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ihrem Tatbestand nach nicht ein, besteht nicht etwa eine Vermutung gegen die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen der Ehegatten (Staudinger/Kanzleiter BGB Bearb. Juli 2013 § 2270 Rn. 22; Pfeiffer FamRZ 1993, 1266/1272).

c) Im vorliegenden Fall kommt zwar nicht schon eine Wechselbezüglichkeit im Verhältnis der Erbeinsetzungen in Betracht, die beide Ehegatten zugunsten der gemeinsamen Kinder getroffen haben. Denn regelmäßig setzt ein Ehegatte die gemeinsamen Kinder nicht deswegen ein, weil auch der andere Ehegatte so verfügt. Wechselbezüglichkeit nimmt die herrschende Rechtsprechung jedoch in der Regel an im Verhältnis der Einsetzung des Erblassers durch dessen erstverstorbenen Ehepartner zu dessen Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Schlusserben. Denn indem der eine den anderen Ehepartner zum Alleinerben eingesetzt hat, übergeht er und enterbt er seine eigenen Kinder; seine eigene Schlusserbeneinsetzung der Kinder wird im Fall seines Vorversterbens gegenstandslos. Wer sein Vermögen letzten Endes an die eigenen Kinder weitergeben will, sie aber trotzdem für den ersten eigenen Todesfall enterbt, macht dies im Bewusstwein und Vertrauen, dass wegen der Schlusserbeinsetzung des anderen Ehegatten das gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen wird (vgl. OLG München – 31. Zivilsenat – vom 1.12.2011, 31 Wx 249/210 = FGPrax 2012, 71/73; OLG Köln vom 9.8.2013, 2 Wx 198/13, juris Rn. 16; KG MittBayNot 2016, 154 mit krit. Anm. Braun).

d) Im konkreten Fall finden sich zwar gewisse Anhaltspunkte, die eine andere Auslegung grundsätzlich rechtfertigen können. Zum einen wollten sich die Eheleute offenbar weitgehende Verfügungsfreiheit einräumen. Das ergibt sich aus dem Zusatz, dass der überlebende Teil „in keiner Weise beschränkt oder beschwert“ werde und „über das beiderseitige Vermögen in gleicher Weise frei verfügen“ könne. Eine derartige Klausel kann auf fehlende Wechselbezüglichkeit hindeuten (BayObLGZ 1987, 23/28), indem sie nicht nur klarstellt, dass keine Bindungen entsprechend einer Vor- und Nacherbschaft bestehen sollten, sondern der überlebende Teil auch bindungsfrei neu über das dann einheitliche Vermögen solle verfügen können. Denkbar erscheint auch, den überlebenden Teil jedenfalls insoweit freizustellen, dass er unter den beiden Kindern abweichend testieren kann, also etwa das eine Kind unter Enterbung des anderen zum Alleinerben bestimmen darf. Umgekehrt drückt eine derartige, „in Laientestamenten häufig vorkommende“ Klausel (so OLG Köln juris Rn.16) oft nur den bekräftigten Willen aus, unter Lebenden frei verfügen zu können. Insoweit kann für die individuelle Auslegung auch die Stellung der Klausel im Testament eine Rolle spielen (OLG Köln a. a. O.).

Der Senat übersieht auch nicht, dass das öffentliche Testament vom 9.11.1994 eine authentische Erklärung der nachverstorbenen Erblasserin dazu enthält, wie sie die fragliche Passage verstanden gehabt haben will. Abgesehen davon, dass die festgehaltene Äußerung insoweit nicht völlig widerspruchsfrei erscheint, als sie zunächst das einseitige Verständnis der Testierenden wiedergibt (“Ich habe diese Formulierung seinerzeit so aufgefasst, …“), im Folgenden aber dazu eine Erklärung aus der Sicht beider Eheleute folgt (“Wir wollten … frei sein“), war offenbar auch der beurkundende Notar der Meinung, dass die getroffene Interpretation zunächst eine solche allein aus der Sicht des überlebenden Partners war.

Tatsächlich bedarf es aber einer umfassenderen Ermittlung, ob Wechselbezüglichkeit ausgeschlossen oder aber gewollt war. Hierbei kommt es nicht auf einen einseitig gebliebenen, sondern auf den gemeinsamen Willen der Eheleute bei Testamentserrichtung an (Palandt/Weidlich BGB 75. Aufl. § 2270 Rn. 4, Einf v § 2265 Rn. 9; vgl. BGHZ 112, 229/233). Objektiv können etwa die beiderseitigen Vermögensverhältnisse, die Beziehung zu den beiden Kindern wie der Kinder untereinander sowie deren damalige Lebenssituation mit oder ohne sich abzeichnende Veränderung ihrer Lebensverhältnisse eine Rolle spielen. Das Nachlassgericht hatte der Beteiligten insoweit bereits mit Schreiben vom 28.12.1994 anheim gestellt, eine ausführliche, substantiierte schriftliche Begründung dazu abzugeben, dass das Ehegattentestament auch eine Abänderungs- oder Aufhebungsbefugnis einräumte. Die Beteiligte hatte hierauf zwar geantwortet, sich aber ohne eigenständige Erklärung nur darauf berufen, dass „eine ausführliche Erklärung … in dem Testament vom 09.11.1994“ zu finden sei. Im Grundbuchverfahren ist die weitere Aufklärung – etwa durch Befragung der Abkömmlinge – im Hinblick auf die hier geltenden Beweismittelbeschränkungen nicht zu leisten.

2. Das Grundbuchamt konnte im gegebenen Fall ermessensfehlerfrei (vgl. Demharter § 18 Rn. 21 m. w. N.) von dem vorherigen Erlass einer förmlichen Zwischenverfügung nach § 18 GBO absehen. Denn nach dem erteilten Hinweis entsprechend § 139 ZPO unter Bezugnahme auf die seinerzeitige Mitteilung des Nachlassgerichts und die Beantwortung dahingehend, entweder dem Berichtigungsantrag zu entsprechen oder ihn durch rechtsmittelfähigen Bescheid zurückzuweisen, war unmissverständlich klargestellt, dass mit einer Beseitigung des Hindernisses im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen war (Senat vom 30.6.2010, 34 Wx 31/10, juris Rn. 16; Hügel/Zeiser GBO 3. Aufl. § 18 Rn. 15).

3. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil sich die Kostenfolge bereits aus dem Gesetz ergibt (vgl. § 22 GNotKG).

Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 79 Abs. 1 Satz 1 GNotKG. Die Bemessung richtet sich nach dem geschätzten Wert des Grundstücksanteils (§ 36 Abs. 1 GNotKG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 GBO) liegen nicht vor.

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