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Erbscheinverfahren – Verkehrswert eines gebrauchten Einfamilienhauses

OLG Frankfurt, Az.: 21 W 15/15, Beschluss vom 09.03.2015

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird unter Zurückweisung im Übrigen der Nachlasswert auf 450.000 € festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1) beantragte vor dem Nachlassgericht einen gemeinschaftlichen Erbschein aufgrund gewillkürter Erbfolge, der sie und ihren Vater als Erben zu jeweils einem Halb ausweisen sollte (Bl. 10 f. d. A.). Dem Antrag wurde stattgegeben und ein entsprechender Erbschein erteilt (Bl. 28 d. A.).

Zum Nachlass gehören Barvermögen, Bankguthaben und Wertpapiere im Wert von 296.711,77 € sowie ein 668 m² großes Hausgrundstück in der Gemeinde … (Blatt …). Es handelt sich um ein Zweifamilienhaus mit Garage, das im Jahr 1959 erbaut wurde. Die Brandversicherungssumme 1914 beträgt laut Brandversicherungspolice 24.900 Mark (Bl. 17 d. A.). Den in den Nachlass fallenden Wert des Grundstücks berechnete das Nachlassgericht zunächst mit 224.113,13 € (Bl. 27 d. A.). Die Beerdigungskosten betrugen knapp 1.000,00 €. Das Nachlassgericht teilte der Beteiligten zu 1) mit Schreiben vom 18. September 2014 die Absicht mit, der Kostenrechnung einen Wert von 513.765,36 € zugrunde legen zu wollen.

Hiergegen erhob die Beteiligte zu 1) mit Schreiben vom 23. September 2014 (Bl. 31 d. A.) und vom 3. Oktober 2014 (Bl. 34 d. A.) Einwände und machte unter anderem geltend, der in den Nachlass fallende Wert des Grundstücks sei geringer zu bemessen. Nach Einholung einer Stellungnahme der Bezirksrevisorin wurde durch den angefochtenen Beschluss auf der Grundlage eines Gebäudewertes von 163.993 € und eines Grundstückswerts von 48.096 € der Nachlasswert unter teilweiser Abhilfe auf 508.800 € festgesetzt (Bl. 40 f. d. A.).

Erbscheinverfahren - Verkehrswert eines gebrauchten Einfamilienhauses
Symbolfoto: Von V J Matthew /Shutterstock.com

Mit Schreiben vom 17. November 2014 (Bl. 44 f. d. A.) hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde gegen den Beschluss vom 4. November 2014 erhoben. Zur Begründung hat die Beteiligte im Wesentlichen angeführt, der Gebäudewert sei falsch ermittelt worden. So sei zu Unrecht vom Nachlassgericht ein Altersabschlag von 0,8 % statt von 1 % veranschlagt worden. Ferner sei ein Sicherheitsabschlag von 20 % statt von lediglich 10 % vorzunehmen. Ergänzend hat die Beteiligte zu 1) im Laufe des Beschwerdeverfahrens zahlreiche, zusätzlich zu berücksichtigende Mängel der Immobilie angeführt und die Ansicht vertreten, diese Mängel rechtfertigten einen weiteren Abschlag von insgesamt 30 %. Aufgrund dessen sei der Wert des in den Nachlass fallenden Gebäudes mit lediglich 92.246 € zu veranschlagen.

Die Bezirksrevisorin hat mit Schriftsatz vom 8. Januar 2015 (Bl. 71 d.A.) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und zugleich auf eine nochmalige Vorlage der Akte verzichtet.

Das Nachlassgericht hat daraufhin dem Rechtsmittel der Beteiligten zu 1) nicht abgeholfen und das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 73 f. d. A.).

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die zur Akte gereichten Schreiben verwiesen.

Sodann hat der Senat mit Schreiben vom 25. Februar 2015 (Bl. 84 d. A.) die Beteiligten zu 1) um ergänzende Angaben gebeten, bezüglicher derer auf Bl. 88 ff. d. A. verwiesen wird.

II.

Die Beschwerde gegen den Kostenansatz, über die der Senat gemäß § 83Abs. 1 Satz 6 iVm § 81 Abs. 6 GNotKG durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden hat, ist gemäß § 83 Abs. 1 GNotKG zulässig. Insbesondere übersteigt der Beschwerdewert auch unter Berücksichtigung der Teilabhilfe durch das Amtsgericht den Betrag von 200,00 €.

Zudem hat das Rechtsmittel in der Sache teilweise Erfolg. Denn der Nachlasswert beträgt nur 450.000 € und nicht, wie das Amtsgericht veranschlagt hat, 508.800 €.

Der Geschäftswert für das Erbscheinsverfahren und für die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung bestimmt sich nach dem Wert des nach Abzug der vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten verbleibenden reinen Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls (§ 40 GNotKG). Er beträgt hier gerundet 450.000 € und errechnet sich wie folgt:

Bewegliches Vermögen der Erblasserin 296.711,00 €

Grundstückswert 48.096,00 €

Gebäudewert 105.000,00 €

Summe 449.807,00 €

Unstreitig belief sich der Wert des beweglichen Vermögens der Erblasserin im Zeitpunkt des Erbfalls auf 296.711,– €.

Bei der Bewertung der zum Nachlass gehörenden Immobilie ist hier auf den Verkehrswert abzustellen (§ 46 Abs. 1 GNotKG), wobei dieser nach den Vorschriften des § 46 Abs. 2 und 3 GNotKG zu bestimmen ist.

Anhaltspunkte für die Bestimmung des Verkehrswertes ergeben sich hier aus amtlich bekannten Tatsachen im Sinne von § 46 Abs. 2 Nr. 3 GNotKG, nämlich aus den Bodenrichtwerten des Gutachterausschusses für Immobilienwerte und dem Brandversicherungswert des auf dem Nachlassgrundstück befindlichen Gebäudes.

Der Wert des zum Nachlass gehörenden Grundstücks beträgt – wie sich aus dem entsprechenden Bodenrichtwert ergibt – 48.096 €. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit.

Die Ermittlung des Verkehrswertes des Gebäudes nach der vereinfachten  Sachwertmethode ist seit längerem anerkannt (vgl. etwa BayObLG, Rechtspfleger 1972, S. 464 ff.; OLG Frankfurt am Main, DNotZ 1978, 117; BayObLG 2005, S. 823 ff.; Assenmacher/Mathias, KostO, 16. Aufl., Stichwort „Grundbesitzwert“, Kap. 3.6.1; Korinthenberg/Lappe/Bengel/Tiedtke, KostO, 18. Auflage, 2010  § 19 KostO Rn 58a). Die Methode wird von beiden Beteiligten ihrer jeweiligen Auffassung zur Höhe des Gebäudewertes zugrunde gelegt, so dass auch der Senat vorliegend keine Veranlassung sieht, von der vereinfachten Sachwertmethode abzuweichen.

Nach dieser Methode ist zunächst der Brandversicherungswert 1914, der hier 24.900 Mark beträgt, zur Bestimmung des Wiederherstellungswertes im Zeitpunkt des Erbfalls mit dem vom Statistischen Bundesamt ermittelten Faktor für Februar 2014, der 25,558 beträgt, zu multiplizieren und in Euro umzurechnen. Der so errechnete fiktive Neuwert (Wiederherstellungswert) des Gebäudes im Zeitpunkt des Erbfalls in Höhe von 325.383,19 € (= 24.900 DM x 25,558 / 1,95583) ist um einen Sicherheitsabschlag zu vermindern, da es sich bei dem vom Statistischen Bundesamt ermittelten Faktor um eine Durchschnittsgröße handelt. Da hier zur Berechnung des fiktiven Neuwerts nicht die Richtzahl der Bayerischen Landesbrandversicherung verwendet wird, ist es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht erforderlich, einen höheren Sicherheitsabschlag als 10 % vorzunehmen (vgl. BayObLGZ 1976, 89, 93). Vermindert um den Sicherheitsabschlag ergibt sich ein fiktiver Neuwert (netto) in Höhe von 292.844,87 € (= 325.383,19 € – 32.538,32 €).

Da es sich nicht um einen Neubau handelt, muss der fiktive Neuwert unter Berücksichtigung des Verhältnisses der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer zur Restnutzungsdauer des Gebäudes gemindert werden (Alterswertminderung). Der danach verbleibende Gebäuderestwert soll regelmäßig 30% des Brandversicherungswertes nicht unterschreiten (vgl. BayObLG JurBüro 1984, 904). Die Alterswertminderung ist unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Restnutzungsdauer zu der bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung üblichen wirtschaftlichen Nutzungsdauer (Gesamtnutzungsdauer) der baulichen Anlagen zu ermitteln, wobei in der Regel eine gleichmäßige (lineare) Wertminderung zugrunde zu legen ist (vgl. § 23 der Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV – vom 19. Mai 2010, BGBl. I S. 639). Die lineare Alterswertminderung berechnet sich wie folgt: Alterswertminderung in % = (Gesamtnutzungsdauer minus Restnutzungsdauer) geteilt durch Gesamtnutzungsdauer mal 100.

Hier hat das Nachlassgericht ausgehend von dem Baujahr 1959 ein Alter des Gebäudes von 55 Jahren zum Zeitpunkt des Erbfalls zugrunde gelegt und bei einer jährlichen Alterswertminderung von 0,8% eine Alterswertminderung von insgesamt 44 % (55 x 0,8) angenommen. Demgegenüber hält die Beschwerdeführerin eine jährliche Alterswertminderung von 1 % für gerechtfertigt. Der Unterschied resultiert aus einer unterschiedlichen Gesamtnutzungsdauer. Während das Nachlassgericht eine Gesamtnutzungsdauer von 125 Jahren veranschlagt, hält die Beschwerdeführerin eine Gesamtnutzungsdauer von maximal 100 Jahren für zutreffend.

Wie der Senat bereits in seiner den Beteiligten bekannten Entscheidung vom 4. März 2013 (Az. 21 W 109/12) zum Ausdruck gebracht hat, erachtet er eine durchschnittliche wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer bei ordnungsgemäßer Instandhaltung ohne Modernisierung von etwa 100 Jahren für angemessen. Dies fußt nicht zuletzt auf der von der Beschwerdeführerin zitierten Wertermittlungsrichtlinie 1976, der zufolge freistehende Einfamilienhäuser entsprechend ihrer Qualität eine Nutzungsdauer von 60 bis 100 Jahre aufweisen. Diese Auffassung hat kürzlich ihre Bestätigung mit den Sachwertrichtlinien des Jahres 2012 gefunden, wonach die Gesamtnutzungsdauer je nach Situation auf dem Grundstücksmarkt 80 Jahre betrage. Dies schließt zwar eine im Einzelfall über oder unter 100 Jahre liegende Gesamtnutzungsdauer nicht aus. Anhaltspunkte dafür, eine besonders lange Nutzungsdauer bei der in Rede stehenden Immobilie zu unterstellen, sind aber nicht ersichtlich, weswegen es bei der auch von der Beschwerdeführerin befürworteten Dauer von 100 Jahren zu verbleiben hat.

Eine Gesamtnutzungsdauer von 100 Jahren zugrunde gelegt ergibt sich eine Alterswertminderung von 55 %, so dass der fiktive Neuwert (netto) zunächst um einen Betrag von ca. 161.000 € (292.844,87 € * 0,55) zu vermindern ist.

Weitere wertändernde Umstände, insbesondere Baumängel oder Bauschäden sind im Einzelfall zu berücksichtigen, wenn sie bekannt sind oder glaubhaft dargelegt werden (Korinthenberg/Lappe/Bengel/Tiedtke, KostO, 18. Auflage, 2010 § 19 KostO Rn 58a).

Die Beschwerdeführerin macht vorliegend zunächst Feuchtigkeitsschäden durch einen Rohrbruch im Keller aus dem Jahr 2007 geltend. Dieser Schaden ist jedoch den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin zufolge reguliert und zumindest insoweit behoben, als sichtbare Schäden nicht mehr erkennbar sind. Allein der hierdurch weiterhin verursachte „modrige“ Geruch rechtfertigt in Anbetracht des Alters des Hauses nach Ansicht des Senats keinen relevanten zusätzlichen Abschlag. Gleiches gilt für den ferner von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Planungsfehler, aufgrund dessen es bei Stark- und Dauerregen regelmäßig zu einem Überlauf des Abflusses auf der Gartenseite des Gebäudes kommt. Denn diesem Planungsfehler kann den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin zufolge durch den Einsatz einer elektrischen Pumpe begegnet werden, wobei der hierdurch verursachte zusätzliche Stromverbrauch mit lediglich 30 € pro Jahr veranschlagt wird. Die Berücksichtigung derartig geringer Beträge bei der Wertermittlung eines 55 Jahre alten Hauses suggeriert lediglich eine Scheingenauigkeit, deren aber die inhaltliche Berechtigung fehlt und die für den relevanten Verkehrswert des Gebäudes keine Rolle spielt.

Anders verhält sich bei der Bodenplatte des ungeschützten und nicht überdachten Balkons im Dachgeschoss. Diese ist – wie die von der Beschwerdeführerin eingereichten Fotos zeigen – sanierungsbedürftig. Ebenso bei dem durch Schwarz-Algen beschädigten Außenputz handelt es sich um einen wertrelevanten Mangel, wie sich aus einer weiteren zu den Akten gereichten Aufnahme ergibt.

Demgegenüber rechtfertigt die fehlende Wärmedämmung keinen weiteren Abschlag. Das Fehlen einer Wärmedämmung ist bereits bei der Wertermittlung berücksichtigt. Denn eine Wärmedämmung ist bei einem Haus aus dem Jahr 1959 nicht zu erwarten. Entsprechend enthält der anhand hypothetischer Wiederherstellungskosten berechnete Neupreis auch keine zusätzliche Isolierung des Hauses. Folglich ist das Fehlen der Wärmedämmung gegenüber dem Neuwert auch kein Mangel. Gleichzeitig ist die technische Wertminderung in dem vorgenommenen Abschlag vorliegend berücksichtigt. Soweit es die Lärmbelästigung durch Fahrzeugverkehr auf der Umgehungsstraße anbelangt, ist in Betracht zu ziehen, dass das Haus nicht unmittelbar an der Umgehungsstraße liegt.

Unter Berücksichtigung der genannten Mängel sowie der von der Beschwerdeführerin weiterhin im Schriftsatz vom 5. März 2015 erwähnten Modernisierungsmaßnahmen vorwiegend in den Jahren 1990 und 1995 hält der Senat einen mangelbedingten Abschlag in Höhe von 25.000 € für gerechtfertigt.

Der Zeitwert des Gebäudes beträgt danach näherungsweise 105.000 € (292.844 € – 161.000 € – 25.000 €).

Zuzüglich des beweglichen Vermögens der Erblasserin in Höhe von 296.711 € und eines Grundstückswertes von 48.096 € ergibt sich hieraus ein Wert in Höhe von 449.807 €, der um die Nachlassverbindlichkeiten zu vermindern ist.

Nachlassverbindlichkeiten sind allerdings nicht vorhanden. Die Beerdigungskosten sind, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 40 Abs. 1 Satz 2 GNotKG ergibt, demgegenüber als Erbfallschulden nicht in Abzug zu bringen, so dass sich insgesamt ein Geschäftswert von etwa 450.000 € ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 3 GNotKG.

 

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