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Anforderungen an notarielles Nachlassverzeichnis

Komplexe Anforderungen an ein Notarielles Nachlassverzeichnis: Bausteine eines Pflichtanteilsanspruchs

In einem kürzlichen Urteil des Landgerichts Bielefeld (Az.: 3 O 21/20) wurde die Notwendigkeit eines detaillierten und sorgfältig erstellten notariellen Nachlassverzeichnisses hervorgehoben. Bei einem solchen Nachlassverzeichnis handelt es sich nicht nur um eine formale Aufstellung von Aktiva und Passiva, sondern es muss auch eine Menge spezifischer Informationen enthalten, die für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs eines Erben relevant sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 O 21/20 >>>

Die Bedeutung eines akkuraten Nachlassverzeichnisses

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung eines sorgfältigen und detaillierten Nachlassverzeichnisses im Kontext von Erbschaftsangelegenheiten. Nicht nur müssen alle vorhandenen Aktiva und Passiva aufgeführt werden, sondern auch bestimmte Geschenke oder Zuwendungen des Verstorbenen, die er oder sie an den Erben gemacht hat, oder die den Erben möglicherweise getätigt wurden, sind zu berücksichtigen. Ein sorgfältig erstelltes Nachlassverzeichnis ist daher ein entscheidender Baustein, um einen gültigen Pflichtteilsanspruch zu ermitteln.

Schlüsselinformationen in einem Nachlassverzeichnis

Zu den Schlüsselinformationen, die in einem notariellen Nachlassverzeichnis enthalten sein müssen, gehören der Zeitpunkt der Zuwendung und alle Schenkungen oder sonstigen unentgeltlichen Zuwendungen des Verstorbenen, insbesondere solche, die im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge gemacht wurden. Darüber hinaus muss der Güterstand, in dem der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Todes lebte, ebenso verzeichnet werden.

Das Gericht stellte klar, dass das Vorlegen eines unzureichenden oder unvollständigen Verzeichnisses dazu führen kann, dass der Erbe gezwungen wird, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass er oder sie den Nachlass und die darin enthaltenen Auskünfte nach bestem Wissen so vollständig wie möglich angegeben hat.

Konsequenzen bei ungenügenden Auskünften

In dem von LG Bielefeld behandelten Fall zeigte das Gericht auch, dass das Gericht das Vorlegen eines vollständigen notariellen Nachlassverzeichnisses verlangen kann, wenn die bereitgestellten Informationen nicht ausreichen. Die Klägerseite in diesem Fall hatte den Beklagten aufgefordert, ein solches Verzeichnis zu erstellen, und war mit einem Vergleichsvorschlag des Beklagten nicht einverstanden. Infolgedessen wurde die Beklagte dazu verurteilt, ein detailliertes notarielles Nachlassverzeichnis vorzulegen.

Zusammenfassend betont diese Entscheidung die Bedeutung eines sorgfältig erstellten und detaillierten notariellen Nachlassverzeichnisses. Der Fall unterstreicht die Notwendigkeit, umfassende und genaue Informationen über den Besitz des Verstorbenen bereitzustellen, wenn ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird. Der Gerichtsbeschluss stellt damit eine wichtige Orientierungshilfe sowohl für Erben als auch für Notare dar, die mit der Erstellung von Nachlassverzeichnissen beauftragt sind. […]


Das vorliegende Urteil

LG Bielefeld – Az.: 3 O 21/20 – Teilurteil vom 30.09.2020

Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses des am 26.10.2017 verstorbenen T. O. mit letzten gewöhnlichen Aufenthalt in A., und zwar durch Vorlage eines im Beisein des Klägers aufgenommenen notariellen Verzeichnisses, welches folgende Punkte umfasst:

  • alle beim Erbfall vorhandenen Aktiva,
  • alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten, sowie Erblasser- und Erbfallschulden (Passiva),
  • unter Angabe des Zuwendungszeitpunkts und ohne zeitliche Begrenzung sämtliche Zuwendungen des Erblassers, soweit der Erblasser sich Nutzungsrechte vorbehalten, Rückübertragungs- oder Widerrufsrechte vereinbart oder Zuwendungen an die Beklagte getätigt hat,
  • unter Angabe des Zuwendungszeitpunkts sämtliche sonstigen unentgeltlichen Zuwendungen des Erblassers, also insbesondere Schenkungen, gemischte Schenkungen und im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erfolgte Zuwendungen, innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall,
  • Güterstand, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes lebte.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 850,- EUR vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche.

Der Kläger ist der einzige Abkömmling des am 26.10.2017 verstorbenen Herrn T. O.. Die Beklagte ist die Ehefrau des Erblassers und dessen testamentarische Alleinerbin.

Nach Eintritt des Erbfalls forderte der Kläger die Beklagte mit vorgerichtlichem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 09.02.2018 auf, Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen und den Pflichtteilsbetrag zu zahlen. Daraufhin erklärte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben ihres damaligen Rechtsanwalts Herrn R. vom 21.03.2018 (Anlage K4, Bl. 33 f. GA), der Nachlass verfüge über die folgenden Aktiva:

– K.-Bank Kontonummer xxx

15.291,45 EUR

(gemeinschaftliches Konto der Eheleute)

– K.-Bank Kontonummer YYY

2.621,68 EUR

– K.-Bank Kontonummer ZZZ

165.465,60 EUR

183.378,73 EUR

Weiterhin bestünden in Form der Kosten für die Trauerfeier Passiva in Höhe von 4.458,52 EUR. Ergänzend teilte die Beklagte mit, der Erblasser habe im Jahr 2017 eine Immobilie für 250.000,- EUR veräußert. Vom Kaufpreis habe der Erblasser die Kosten für die Auflösung des alten Haushalts sowie die Kosten für Umzug und Instandsetzung, Renovierung und Einrichtung der neuen Wohnung bezahlt. Der noch verbleibende Restwert entspreche dem Guthaben auf dem Konto bei der K.-Bank Nr. ZZZ.

Diese Auskunft wies der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 11.04.2018 (Anlage K5, Bl. 43 f. GA) als unzureichend zurück und forderte von der Beklagten Ergänzung und Vervollständigung binnen zwei Wochen. Er bemängelte u.a. fehlende Angaben zum Hausrat und zum fiktiven Nachlass. Die Angaben zum Verkaufsvorgang der Immobilie seien zudem nicht spezifiziert genug. Aufgrund der bereits vorliegenden Angaben berechnete der Kläger einen Pflichtteilsanspruch von jedenfalls 44.730,05 EUR und forderte die Beklagte zur Zahlung auf.

Nachdem die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 24.04.2018 (Anlage K6, Bl. 45 GA) noch angekündigt hatte, die geforderten 44.730,05 EUR zu zahlen, korrigierte und ergänzte sie ihre bisherigen Angaben mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 07.05.2018 umfassend. Zu den Aktiva teilte sie mit, dass das Konto mit der Kontonummer ZZZ nicht dem Erblasser, sondern ihr gehöre. Es sei zudem noch ein Immobilienfonds zu ergänzen, dessen aktueller Wert aber noch ermittelt werden müsse. Der Hausrat bestehe im Wesentlich aus den üblichen Gebrauchsgegenständen, die im Falle einer Verwertung keinen nennenswerten Erlös bringen würden. Bezüglich des Verkaufs der Immobilie teilte sie mit, dass der Verkauf nicht wie zuvor angegeben im Jahr 2017 erfolgt sei, sondern schon am 23.12.2014; der Kaufpreis habe zudem 255.000,- EUR betragen. Der Kaufpreis sei zunächst auf ein Gemeinschaftskonto der Eheleute eingezahlt worden. Von dem Geld seien der Makler mit 9.100,- EUR, eine Küche mit 8.000,- EUR und der Umzug in die neue Wohnung mit 3.500,- EUR bezahlt worden. Eine Geldanlage bei der K.-Bank habe zu einem Verlust von 21.000,- EUR geführt. Weiterhin sei von dem Geld die laufende Miete der neuen Wohnung bezahlt worden, die sich auf 1.000,- EUR monatlich belaufe. Schließlich sei ein Restbetrag in Höhe von 165.000,- EUR auf das vorbenannte Konto der Klägerin mit der Nr. ZZZ überwiesen worden. Zu den Hintergründen der letztgenannten Überweisung führte sie aus, dass sie 34 Jahre lang gemeinsam mit ihrem Mann – dem Erblasser – einen Getränkehandel betrieben habe. Der Betrieb habe im Jahr 2008 wegen eines Schlaganfalls und einer Krebserkrankung ihres Mannes eingestellt werden müssen; seither habe sie ihn bis zu seinem Tod gepflegt. Da die Klägerin selbst nur eine monatliche Rente in Höhe von 438,- EUR beziehe, habe der ihr überwiesene  Restbetrag ihrer angemessenen Teilhabe an dem während d er Ehe erarbeiteten Familienvermögen sowie ihrer Alterssicherung dienen sollen. Dies sei so mit dem Erblasser abgestimmt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das in Ablichtung als Anlage K8 zur Akte gereichte Anwaltsschreiben vom 07.05.2018 (Bl. 47 ff. GA) Bezug genommen.

Nach weiterer anwaltlicher Korrespondenz forderte der Kläger die Beklagte schließlich mit Anwaltsschreiben vom 29.06.2018 zur Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auf; den anschließenden Vergleichsvorschlag der Beklagtenseite lehnte er ab und wiederholte mit Anwaltsschreiben vom 05.11.2018 seine Forderung nach einem notariellen Nachlassverzeichnis.

Die Beklagte beauftragte daraufhin noch im November 2018 den Notar Dr. U. mit Amtssitz in A. und zahlte an den Kläger vorab 5.200,- EUR als Abschlag auf dessen Pflichtteilsanspruch.

Die Parteien kamen in Absprache mit Notar Dr. U. überein, dass im Nachlassverzeichnis keine vollständige Aufnahme des Hausrats erforderlich sei, sondern der Urkunde lediglich Farbfotografien der Einrichtung beigefügt werden sollten. Mit Schreiben vom 18.12.2018 (Anlage B5, Bl. 240 f. GA) forderte Dr. U. die Beklagte auf, „alle erforderlichen Unterlagen zur Erstellung des Nachlassverzeichnisses“ einzureichen. Mit weiterem Schreiben vom 18.03.2019 (Anlage B7, Bl. 243 f. GA) bat er um die Anfertigung neuer Fotos der Wohnungseinrichtung, da die bislang übersandten völlig undeutlich seien und sicher nicht den Zustand der Wohnung kennzeichneten. Des Weiteren bat er um die Einreichung der ihm bis dato noch nicht vorliegenden Kontoauszüge des Kontos Nr. ZZZ zwecks Überprüfung der Angaben der Beteiligten, sowie um die Einreichung der Belege zu den Passiva und dem Immobilienfonds.

Dem kam die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 05.04.2019 nach,

Der Termin zur Aufnahme des Nachlassverzeichnisses fand schließlich am 07.10.2019 statt. Das Nachlassverzeichnis endete mit der Feststellung von Aktiva in Höhe von 30.355,63 EUR, Passiva in Höhe von 4.458,52 EUR und einem fiktiven Nachlass in Höhe von 0,00 EUR. Bezüglich des weiteren Inhalts des Nachlassverzeichnisses wird auf die in Ablichtung zur Akte gereichte notarielle Urkunde Nr. 99 der Urkundenrolle für das Jahr 2019 des Notars Dr. U. verwiesen (Anlage K 24, Bl. 81 ff. GA).

Die Beklagte berechnete aus den Angaben im Nachlassverzeichnis unter Abzug von Notarkosten in Höhe von 190,10 EUR, Taxikosten in Höhe von 15,00 EUR für den Transport der angeforderten Kontoauszüge zu ihrem Rechtsanwalt sowie Kosten in Höhe von 20,- EUR für die eigene Fahrt zum Notartermin einen Nachlasswert von 25.672,01 EUR und einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 6.418 EUR. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die diesbezügliche anwaltliche Email vom 29.10.2019, ausgedruckt als Anlage B12 (Bl. 250 GA), verwiesen.

Unter Anrechnung der bereits geleisteten 5.200,- EUR zahlte die Beklagte an den Kläger die verbleibenden 1.218,- EUR.

Der Kläger wies das notarielle Nachlassverzeichnis mit Anwaltsschreiben vom 15.11.2019 als unzureichend zurück, dies maßgeblich gestützt auf Versäumnisse des Notars bei der Nachlassermittlung (Anlage K25, Bl.118 f. GA).

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten holte hierzu eine Stellungnahme des Notars Dr. U. ein, der die Beanstandungen sämtlich zurückwies. Wegen der Einzelheiten wird auf dessen Schreiben vom 26.11.2019, in Kopie vorgelegt als Anlage B13 (Bl. 251 ff. GA), Bezug genommen.

Mit der am 22.01.2020 eingereichten und der Beklagten am 03.02.2020 zugestellten Stufenklage verfolgt der Kläger seine Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche weiter.

Er ist der Ansicht, sein Anspruch gemäß § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB auf Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses bestehe weiterhin, da das von Notar Dr. U. aufgenommene Verzeichnis nicht erfüllungstauglich sei. Dazu behauptet er, Herr Dr. U. habe den tatsächlichen und fiktiven Nachlass nicht selbst ermittelt, sondern lediglich die Erklärungen der Beklagten entgegengenommen und die von ihr vorgelegten Belege durchgesehen. Nach Auffassung des Klägers hätte der Notar indes konkrete eigene Feststellungen hinsichtlich der Einzelheiten der Verwendung der Kaufpreiszahlung aus dem Verkauf der Immobilie treffen müssen; in diesem Zusammenhang seien insbesondere auch Feststellungen zu der eigenen Erwerbstätigkeit der Beklagten und den damit verbundenen Rentenansprüchen angezeigt gewesen.

Der Kläger beantragt im Wege der Stufenklage, hier zunächst auf der 1. Stufe,

1.  die Beklagte zu verurteilen, Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses des am 26.10.2017 verstorbenen T. O. mit letzten gewöhnlichen Aufenthalt in A., und zwar durch Vorlage eines im Beisein des Klägers aufgenommenen notariellen Verzeichnisses, welches folgende Punkte umfasst:

  • alle beim Erbfall vorhandenen Aktiva,
  • alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten sowie Erblasser- und Erbfallschulden (Passiva),
  • unter Angabe des Zuwendungszeitpunkts und ohne zeitliche Begrenzung sämtliche Zuwendungen des Erblassers, soweit der Erblasser sich Nutzungsrechte vorbehalten, Rückübertragungs- oder Widerrufsrechte vereinbart oder Zuwendungen an die Beklagte getätigt hat,
  • unter Angabe des Zuwendungszeitpunkts sämtliche sonstigen unentgeltlichen Zuwendungen des Erblassers, also insbesondere Schenkungen, gemischte Schenkungen und im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erfolgte Zuwendungen, innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall,
  • Güterstand, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes lebte;

2.  die Beklagte zu verurteilen, den Wert der nach Erteilung der Auskünfte gem. Klageantrag zu 1. noch zu benennenden Gegenstände des Nachlasses zu ermitteln sowie Belege zu den nach Erteilung der Auskünfte gem. Klageantrag zu 1. noch zu benennenden Gegenstände vorzulegen;

3.  für den Fall, dass das Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt sein sollte, die Beklagte weiterhin zu verurteilen, zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass sie den Bestand des Nachlasses und die darin enthaltenen Auskünfte nach bestem Wissen so vollständig angegeben hat, als sie dazu imstande ist;

4.  die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in nach Auskunftserteilung und Wertermittlung zu bestimmender Höhe nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.03.2018 zu zahlen, abzüglich am 16.11.2018 gezahlter 5.200,- EUR sowie abzüglich weiterer am 05.11.2019 gezahlter 1.218,- EUR.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, es liege bei der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses im pflichtgemäßen Ermessen des Notars zu entscheiden, welche Ermittlungen im Einzelnen erforderlich seien. Der Notar habe nicht ohne konkrete Anhaltspunkte in alle Richtungen zu ermitteln. Im Streitfall hätten sich dem Notar keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen aufdrängen müssen. Hierzu behauptet die Beklagte, es handele sich um ein überschaubares Erbe, bei dem etwaige Schenkungen oder weitere Vermögensgegenstände nicht in Betracht gekommen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen.

Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 30.09.2020 (Bl. 300 ff. GA) verwiesen.

Die in nachgelassener Frist eingegangenen schriftsätzlichen Stellungnahmen beider Parteien gaben keinen Anlass zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und in der ersten Stufe begründet.

I.

Das Landgericht ist gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig. Es kann dahinstehen, ob sich der Zuständigkeitsstreitwert einer Stufenklage durch Addition der Gegenstandswerte aller mit der Stufenklage verfolgten Ansprüche oder einzig durch den Gegenstandswert des mit der dritten Stufe verfolgten Leistungsantrags bestimmt (vgl. KG, Beschluss v. 25.04.2019 – 2 AR 12/19, BeckRS 2019, 7542 mwN), da schon der Gegenstandswert des vom Kläger verfolgten Leistungsantrags 5.000,- EUR übersteigt. Der zum Zeitpunkt der Klageeinreichung noch nicht bezifferbare Gegenstandswert des mit der dritten Stufe verfolgten Leistungsantrags ist nach § 3 ZPO von dem Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen. Grundlage der Schätzung ist die (realistische) Erwartung des Klägers zu Beginn der Instanz (vgl. MüKo/Wöstmann, 6. Auflage 2020, § 3 ZPO Rn. 125). Der Kläger selbst hat den Streitwert mit 39.000,- EUR angegeben, was im Wesentlichen auf der klägerseitigen Einschätzung beruht, ggf. einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 BGB geltend machen zu können. Diese Erwartung erachtet das Gericht jedenfalls nicht als von vornherein unrealistisch.

Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bielefeld folgt aus den §§ 12, 13 ZPO.

II.

Der Kläger hat als pflichtteilsberechtigter Nicht-Erbe gegen die Beklagte als Alleinerbin gemäß § 2314 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses des am 26.10.2017 verstorbenen T. O. durch Vorlage eines im Beisein des Klägers aufgenommenen notariellen Nachlassverzeichnisses, das die im Klageantrag zu 1. näher bezeichneten Angaben enthält.

1.

Der Kläger ist der Sohn und einzige Abkömmling des Erblassers. Letzterer hat ihn testamentarisch von der Erbfolge ausgeschlossen, so dass der Kläger gemäß § 2303 Abs. 1 BGB pflichtteilsberechtigt ist. Die Beklagte ist testamentarisch eingesetzte Alleinerbin und daher gemäß § 2314 Abs. 1 BGB die richtige Anspruchsgegnerin. Der Anspruch des Klägers auf Hinzuziehung bei der Aufnahme des Verzeichnisses folgt aus § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB.

Das Nachlassverzeichnis hat auch sämtliche im Klageantrag zu 1. näher bezeichneten Angaben zu enthalten, weil diese für die Bemessung des klägerischen Pflichtteils abstrakt pflichtteilsrelevant sind (vgl. zum Auskunftsumfang MüKo/Lange, 8. Auflage 2020, § 2314 BGB Rn. 5).

2.

Der Auskunftsanspruch ist nicht durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Das von Notar Dr. U. am 07.10.2019 aufgenommene Nachlassverzeichnis (Nr. 99 der Urkundenrolle für das Jahr 2019) ist nicht erfüllungstauglich.

a)

Der Anspruch nach § 2314 BGB soll dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, sich die Kenntnisse zu verschaffen, die er für die Bemessung und Durchsetzung seines Pflichtteilsanspruchs benötigt. Dabei kann der Pflichtteilsberechtigte gemäß § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB verlangen, dass das Nachlassverzeichnis von einem Notar aufgenommen wird. Das notarielle Nachlassverzeichnis soll dabei eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das private Verzeichnis des Erben bieten. Dementsprechend muss der Notar den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen, dass er den Inhalt verantwortet. Zwar ist der Notar in der Ausgestaltung des Verfahrens weitgehend frei. Er muss zunächst von den Angaben des Auskunftspflichtigen ausgehen. Allerdings darf er sich hierauf nicht beschränken und insbesondere nicht lediglich eine Plausibilitätsprüfung durchführen. Vielmehr muss er den Nachlassbestand selbst ermitteln und feststellen. Dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – IV ZR 193/19, NJW 2020, 2187; BGH, Beschluss vom 19.09.2018 – I ZB 109/17, NJW 2019, 231).

Demzufolge ist eine Auskunft insbesondere dann nicht erfüllungsuntauglich, wenn sich der Notar auf die Wiedergabe der Bekundungen des Erben ohne eigene Ermittlungstätigkeiten beschränkt hat (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, aaO.; BVerfG, Beschluss vom 25.04.2016 – 1 BvR 2423/14, NJW 2016, 2943). Welche Ermittlungstätigkeiten ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers erwarten darf, richtet sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalls.

Das Gericht verkennt insoweit nicht, dass der Notar nur bedingt in der Lage ist, den Nachlass einer ihm fremden Person zu ermitteln; jedenfalls naheliegende Ermittlungstätigkeiten sind indes regelmäßig zu erwarten. Das Ergebnis dieser Ermittlungen muss der Notar in der Urkunde niederlegen und als eigene Erklärung zum Ausdruck bringen, dass nach diesen Ermittlungen weitere Nachlassgegenstände nicht vorhanden sind. Seine Verantwortung für die abgegebene Erklärung kann er dabei dadurch eingrenzen, dass er die von ihm vorgenommenen Ermittlungen offenlegt, sodass deutlich wird, in welchem Umfang er überhaupt eigene Feststellungen treffen konnte (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.03.2014 – 2 W 495/13, NJW 2014, 1972).

b)

Gemessen an den vorgenannten Anforderungen hat die Beklagte keine erfüllungstaugliche Auskunft erteilt, da sich aus der notariellen Urkunde keine Rückschlüsse darauf ergeben, dass der Notar hier überhaupt versucht hat, eine eigene Bestandsaufnahme vorzunehmen; sonstige Anhaltspunkte dafür, dass der Notar die erforderlichen eigenen Ermittlungen angestellt hätte, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich (dazu im Folgenden ausführlich). Die Angaben zum fiktiven Nachlass sind zudem erkennbar unvollständig (auch hierzu im Folgenden), gänzlich fehlt im Übrigen die zur Bemessung des Pflichtteils erforderliche Angabe des Güterstands des Erblassers zum Todeszeitpunkt.

So hat auch die Beklagte im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung anschaulich, wenngleich von dem Vorgang ersichtlich genervt, aber gerade auch deswegen für das Gericht glaubhaft und überzeugend geschildert, dass der Notar Dr. U. im Termin am 07.10.2019 mit ihr das Nachlassverzeichnis durchgegangen sei und sie auf die Nachfragen nur hätte nicken bzw. entsprechende Positionen verneinen müssen; der Kläger hat ihre Schilderung einschließlich der nicht erfolgten Nachfragen des Notars anschließend ausdrücklich bestätigt (vgl. Seite 2 des Sitzungsprotokolls vom 30.09.2020, Bl. 301 GA).

Zwanglos lässt sich dieser Ablauf auch den eigenen Angaben des Notars in seiner für den Beklagtenvertreter gefertigten Stellungnahme vom 26.11.2019 entnehmen (Anlage B13, Bl. 251 ff. GA), in welcher er erläutert, warum er seiner Auffassung nach das Verzeichnis auf Grundlage der Angaben der Beklagten und der Einsichtnahme in die von ihr mitgebrachten Unterlagen erstellen konnte und kein Anlass für weitere Ermittlungen/Auskunftsersuchen bestand.

Dieses Verständnis der eigenen Pflichten mag ggf. auch der Grund dafür sein, dass der Notar Dr. U. gegenüber der Beklagten mit Rechnung vom 15.10.2019 (Anlage B11, Bl. 249 GA) nur die 1,0-Gebühr für die „Mitwirkung als Urkundsperson bei der Aufnahme eines Vermögensverzeichnisses“ geltend gemacht hat (Nr. 23502 KV-GNotKG) und nicht – wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre – die 2,0-Gebühr nach Nr. 23400 KV-GNotKG für die (eigene) „Aufnahme eines Vermögensverzeichnisses“.

aa)

Hinsichtlich des Bestehens von Grundbesitz hat der Notar die Beklagte offenbar erstmals während des Termins zur Aufnahme des Nachlassverzeichnisses über das Vorhandensein von Immobilienbesitz befragt und ihre Angabe, dass solcher nicht vorhanden sei, schlicht in das Nachlassverzeichnis übernommen. Auch aus dem in der notariellen Urkunde unter I. 1. am Ende eingefügten Satz: „Der Notar hat keine Feststellungen treffen können, dass weiterer Immobilienbesitz vorhanden ist“, lässt sich nicht ableiten, dass im konkreten Fall die Tätigkeit des Notars über eine bloße Wiedergabe der Bekundungen der Beklagten hinausging, denn die Urkunde lässt an keiner Stelle Rückschlüsse darauf zu, dass der Notar versucht hat, etwaigen Grundbesitz selbstständig zu ermitteln. Gerichts- und sicherlich auch notarbekannt hätte er hier mittels Durchführung einer Eigentümerrecherche im Grundbuch unter Angabe des Namens des Erblassers und der Erbin ohne größeren Aufwand die Angaben der Beklagten verifizieren können.

bb)

Auch hinsichtlich des Bestehens von Bankkonten und Wertpapierdepots ist nicht ersichtlich, dass der Notar eigene Ermittlungen angestellt hat. Er hat lediglich aus der Erklärung der Beklagten, es habe außer den drei Konten bei der K.-Bank keine weiteren Konten gegeben, wie folgt geschlussfolgert: „Mithin ist festzustellen, dass das Kontoguthaben des Nachlasses insgesamt 17.913,13 EUR beträgt.“ (Nachlassverzeichnis Seite 7, Bl. 87 GA). Naheliegend und wenig aufwändig wäre es hier für den Notar gewesen, von der Hausbank des Erblassers, der K.-Bank, eine umfassende Dokumentation der Geschäftsbeziehung anzufordern, um die Angaben der Beklagten zu verifizieren (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss v. 28.01.2011 – 5 W 312/10, ZEV 2011, 373; LG Bonn, Urteil vom 03.07.2019 – 5 S 18/19, BeckRS 2019, 43718). Diese Ermittlungsmaßnahme drängte sich vorliegend jedenfalls auch deshalb auf, weil dem Notar aufgrund der ihm seitens des Beklagtenvertreters zur Verfügung gestellten vorgerichtlichen Anwaltskorrespondenz bekannt war, dass die Beklagte zunächst ein fehlerhaftes privates Nachlassverzeichnis vorgelegt hatte, was dem Notar Anlass zu der Annahme hätte geben können, dass sie selbst keinen hinreichenden Überblick über die eigenen Vermögensverhältnisse und diejenigen des Erblassers hatte. Hinzu kommt, dass die Beklagte selbst bekundet hat, der Erblasser habe zu Lebzeiten riskante Anlagegeschäfte getätigt, was zumindest die Vermutung zulässt, dass der Erblasser neben einfachen Girokonten auch ein Wertpapierdepot o.ä. geführt haben könnte. Gleiches gilt im Hinblick auf die mitgeteilte frühere gewerbliche Tätigkeit des Erblassers, die ebenfalls durchaus nicht unwahrscheinlich mit der Führung separater Konten o.ä. einhergegangen sein könnte.

Der Beklagten ist jedoch zuzustimmen, dass der Notar nicht grundsätzlich dazu verpflichtet, sich bei allen Banken in der Nähe des letzten Wohnorts des Erblassers nach Vermögen des Erblassers zu erkundigen. Der in diesem Zusammenhang vom Kläger angeführte Beschluss des OLG Koblenz vom 18.03.2014 (Az. 2 W 495/13, NJW 2014, 1972) bezeichnet dieses Vorgehen lediglich als eine „denkbare“ Ermittlungsmaßnahme. Ob diese vom Notar zu ergreifen ist, ist – wie auch das OLG Koblenz selbst betont – eine Frage des Einzelfalls. Der Notar ist nicht grundsätzlich verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte Nachforschungen ins Blaue hinein anzustellen (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 16.03.2020 – 5 W 19/20, ZEV 2020, 295; OLG Dresden, Beschluss v. – 17 W 666/16). Ausnahmen sind denkbar, wenn solche Nachforschungen ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde (vgl. OLG Hamm und Dresden, jeweils aaO; OLG Celle, Urteil vom 29.10.2020 – 6 U 34/20, BeckRS 2020, 28726). Dies ist, wie ausgeführt, vorliegend der Fall.

cc)

Ein objektiver Dritter durfte vorliegend zudem Ermittlungen zum angegebenen Gemeinschaftskonto erwarten. Ohne nähere Erläuterungen schlägt der Notar Dr. U. dem Erblasser hier einen Anteil von 50% zu. Zwar sind die Ehegatten bei einem Gemeinschaftskonto grundsätzlich Gesamtgläubiger nach § 428 BGB. Sie sind jedoch nach § 430 BGB im Verhältnis zueinander nur zu gleichen Anteilen berechtigt, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Woraus der Notar den Schluss zieht, dass etwas anderes nicht bestimmt war, ist nicht ersichtlich. Als mögliche Ermittlungsmaßnahme hätte hier eine qualifizierte Befragung der Beklagten nahe gelegen, die jedoch – wie bereits dargestellt – unterblieben ist.

Falls keine schriftliche oder mündliche Vereinbarung zwischen den Eheleuten bestand, wäre in den Blick zu nehmen, wie die Eheleute das Konto tatsächlich handhabten und hier insbesondere, wie sie die Mittel verwendeten, die sie nicht für die laufende Lebensführung benötigten (vgl. BFH, Urteil vom 23.11.2011 – II R 33/10, DStR 2012, 796).

dd)

Auch hinsichtlich etwaig bestehender Forderungen wurden einzig die Angaben der Beklagten aufgenommen, wonach es solche nicht gegeben habe. Es ist nicht dokumentiert, dass der Notar z.B. erfragt hat, welche Versicherungen der Erblasser überhaupt unterhalten hat. Hinsichtlich etwaiger Steuerrückerstattungen hätte sich der Notar den letzten Steuerbescheid geben lassen können oder ggf. unter Mitwirkung der Beklagten beim Finanzamt des Wohnorts des Erblassers nachfragen können (vgl. OLG Celle, Urteil vom 29.10.2020, aaO.).

ee)

Unzureichend ist auch die Auskunft zu den Nachlassverbindlichkeiten (Passiva). Der Notar hat offenbar lediglich die von der Beklagten eingereichten Belege zu den Bestattungskosten durchgesehen und aufgelistet. Auf eine Befragung, ob dem Grunde nach weitere Nachlassverbindlichkeiten bestanden haben könnten (z.B. zum Todeszeitpunkt noch offene Rechnungen), wurde offenbar verzichtet.

ff)

Als nicht erfüllungstauglich erweist sich schließlich die ebenfalls aus § 2314 BGB geschuldete Auskunft des Erben zum sog. fiktiven Nachlass, also insbesondere zu Schenkungen des Erblassers, die nach § 2325 BGB eine Ergänzung des Pflichtteils des Auskunftsberechtigten rechtfertigen würden.

(1)

Allgemein gilt, dass sobald gewisse Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Erblasser zu Lebzeiten unentgeltliche Zuwendungen getätigt hat, dem Pflichtteilsberechtigten die näheren Umstände der Zuwendung offenzulegen sind, damit dieser selbst prüfen kann, ob es sich dabei um eine Schenkung im Rechtssinne handelt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.09.2017, ErbR 2019, 772). Neben der Auskunft über Schenkungen, gemischte Schenkungen und unbenannte Zuwendungen ist daher auch Auskunft über Anstandsschenkungen zu erteilen, selbst wenn diese bei der Pflichtteilsergänzung nicht berücksichtigt werden, denn dem Auskunftspflichtigen soll nicht die Möglichkeit gegeben werden, durch eine weite Auslegung des Begriffs der Anstandsschenkung praktisch den Umfang der Auskunftspflicht selbst zu bestimmen (vgl. MüKo/Lange, § 2325 BGB Rn. 8).

(2)

Auch der fiktive Nachlass ist grundsätzlich Gegenstand der Ermittlungstätigkeit des Notars. Welcher Zeitraum von dem Notar zu untersuchen ist, ist eine Frage des Einzelfalls.

Im hier zu entscheidenden Fall bleibt nach dem Urkundeninhalt fraglich, ob der Notar Dr. U. diesbezüglich überhaupt eigene Ermittlungen angestellt hat. Der insoweit übereinstimmende Parteivortrag zur persönlichen Befragung der Beklagten im Beurkundungstermin spricht dagegen. In der Urkunde ist insoweit nur belegt, dass der Notar die Kontoauszüge des Gemeinschaftskontos von Dezember 2006 bis November 2017 eingesehen hat, wobei aber unklar bleibt, ob er diese auch auf mögliche Zuwendungen des Erblassers überprüft hat. Jedenfalls hat der Notar für den früheren Zeitraum keine Ermittlungen angestellt. Dies ist schon nicht aus dem Nachlassverzeichnis ersichtlich und wurde auch in der nachträglichen Stellungnahme des Notars vom 26.11.20190 nicht abweichend behauptet.

Vorliegend war indes insbesondere zu beachten, dass die Beklagte mit dem Erblasser verheiratet war und damit für den Kläger gemäß § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB sämtliche Zuwendungen des Erblassers an die Beklagte seit Schließung ihrer Ehe am 07.05.1969 abstrakt pflichtteilsrelevant sind (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2325 Rn. 29). Zu erwarten wäre daher aus Sicht eines objektiven Dritten, dass der Notar bei der Ermittlung des fiktiven Nachlasses nicht nur den 10-Jahreszeitraum vor dem Tod des Erblassers in den Blick nimmt, sondern auch den früheren Zeitraum, denn es ist sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht kein Grund ersichtlich, warum dieser anders zu behandeln wäre als der spätere. Als eine mögliche, hier gleichermaßen naheliegende Ermittlungsmaßnahme wäre insbesondere in Betracht gekommen, die weiteren Kontoauszüge der Konten des Erblassers auch für den früheren Zeitraum einzusehen, insbesondere die des Gemeinschaftskontos. Letzteres drängt sich vor allem deshalb auf, weil bei einem Gemeinschaftskonto unter gewissen Voraussetzungen schon die Einzahlungen des einen Ehegatten Zuwendungen an den anderen Ehegatten darstellen können (vgl. BFH, Urteil vom 23.11.2011, aaO.; BGH, Urteil v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, NJW 1992, 564).

(3)

Des Weiteren ist nicht erkennbar, dass die von der Beklagten bekundete Übereinkunft mit dem Erblasser, wonach ihr für ihre Altersvorsorge ein Betrag von 165.000 EUR zustehen solle, Gegenstand der Ermittlungstätigkeit des Notars war. Zwar erweisen sich die zu dieser Thematik im Nachlassverzeichnis festgehaltenen Bekundungen der Beklagten als ausführlich und widerspruchsfrei, doch darf sich der Notar gleichwohl nicht auf diese beschränken und sie insbesondere nicht lediglich einer Plausibilitätsprüfung unterziehen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – IV ZR 193/19, NJW 2020, 2187). So hätte der Notar z. B. versuchen können, nachzuvollziehen, ob die Beklagte im Geschäft des Beklagten sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und eine eigene Altersvorsorge aufbauen konnte. Die Feststellung auf Seite 6 des Nachlassverzeichnisses (Bl. 86 GA), dass dem Nachlass aus dem Bestand des persönlichen Kontos der Beklagten Nr. ZZZ „nach rechtlicher Einschätzung des Notars“ 0,00 EUR zuzurechnen seien, erweist sich vor diesem Hintergrund als unzureichend.

gg)

Das Nachlassverzeichnis ist zudem hinsichtlich des fiktiven Nachlasses offensichtlich unvollständig. Dem Kläger wären hier insbesondere die Umstände der Verwendung des Kaufpreises aus dem Immobilienverkauf vom 23.12.2014 näher mitzuteilen gewesen, denn schon der Umstand, dass der Kaufpreis auf das gemeinschaftliche Konto eingezahlt wurde, bietet einen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Zuwendung im Verhältnis zwischen Erblasser und Beklagter. Die in diesem Zusammenhang im Nachlassverzeichnis enthaltenen Feststellungen erweisen sich jedoch als ersichtlich unvollständig, denn die konkreten Zuwendungsbeziehungen bleiben völlig im Unklaren, sodass der Kläger nicht beurteilen kann, ob ihm ggf. ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zusteht. Das Gericht verkennt insoweit nicht, dass die vom Notar einzuholenden Informationen einen Sachverhalt nicht in jedem Fall vollständig aufklären können. Dies ändert indes nichts daran, dass er bei der beauftragten Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses eine eigene Ermittlungstätigkeit über die – für einen Juristen – ersichtlich relevanten Umstände zu entfalten hat, und sei es auch letztlich mit dem Ergebnis einer Nichtaufklärbarkeit; erst dann ist es Sache des Pflichtteilsberechtigten, über den weiteren (prozessualen) Umgang mit dieser Sachlage zu entscheiden.

(1)

So fehlt insbesondere die Angabe, wann genau die Beklagte mit dem Erblasser übereingekommen ist, dass ihr für ihre Altersvorsorge von dem Kaufpreis ein Betrag von 165.000,- EUR zustehen sollte. Sollte diese Abrede erst nach Einzahlung des Kaufpreises auf dem Gemeinschaftskonto getroffen worden sein, wird im Nachlassverzeichnis darzustellen sein, welche Übereinkunft hinsichtlich der Verwendung des Kaufpreises zwischen Erblasser und Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt bestand, denn der Kläger muss einschätzen können, ob der Erblasser der Beklagten schon durch die Einzahlung des Kaufpreises auf das gemeinsame Konto etwas zugewendet haben könnte.

(2)

Es fehlen zudem sämtliche Angaben zu der Geldanlage bei der K.-Bank, die zu einem Verlust in Höhe von 21.000,- EUR geführt haben soll. Damit der Kläger einschätzen kann, ob der Geldanlage eine Zuwendung des Erblassers an die Beklagte zugrunde liegt und diese sich dann ggf. – wie der Kläger meint – auch einen eigenen Verlust entgegenhalten lassen muss, werden mindestens Angaben dahingehend erforderlich sein, ob auch die Beklagte an dem Anlagegeschäft beteiligt war und von wem die finanziellen Mittel stammten, mit dem das Anlagegeschäft getätigt wurde.

(3)

Nach Abzug der von der Beklagten im Nachlassverzeichnis angegebenen Ausgaben vom Kaufpreis ergibt sich zudem ein Restbetrag von 48.400,- EUR, zu dessen Verbleib sich das Nachlassverzeichnis nicht verhält.

(4)

Im Grundsatz nicht zu beanstanden ist dagegen die durch die Beklagte erfolgte Schilderung des Grundes für die Überweisung der 165.000,- EUR, da diese eine Beurteilung erlaubt, ob hier ein Pflichtteilsergänzungsanspruchs in Betracht kommt. Dies gilt jedoch nur für den Fall, dass sich nach der hier angezeigten Ermittlungstätigkeit des Notars keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Schilderung unzutreffend ist (s.o.).

Wenn der Kläger insoweit (anschließend) den Wahrheitsgehalt der Schilderung anzweifelt und Grund zu der Annahme besteht, dass die Beklagte ihre Angaben nicht mit der erforderlichen Sorgfalt oder sogar vorsätzlich falsch gemacht hat, wäre sie zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verpflichtet. Hierüber ist im aktuellen Verfahrensstadium der auf Auskunft gerichteten ersten Stufe der Klage indes nicht zu entscheiden (vgl. Stufenklageantrag zu Ziff. 3).

3.

Da das Nachlassverzeichnis in den für die Bemessung des Pflichtteilsanspruchs entscheidenden Punkten unvollständig ist und darüber hinaus nicht ersichtlich ist, dass es in seiner Gesamtheit Ergebnis einer eigenen Bestandsaufnahme des Notars ist, ist die Beklagte auf der ersten Stufe zur Erteilung der Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnis und nicht lediglich zur Ergänzung des bereits von dem Notar Dr. U. aufgenommenen Verzeichnisses zu verurteilen (vgl. OLG Celle, Urteil vom 29.10.2020, aaO.).

III.

Die Kostenentscheidung ist dem Schlussurteil vorzubehalten.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO. Es handelt sich um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit. Die Höhe der Sicherheitsleistung richtet sich hier nach den voraussichtlich zu erwartenden Kosten und Aufwendungen für die Erstellung des Nachlassverzeichnisses, da nur insoweit ein materieller Schaden zu erwarten ist (vgl. Musielak/Voit/Lackmann, 17. Auflage 2020, § 709 ZPO Rn. 4). Das Gericht beziffert diese unter Zugrundelegung von Notarkosten nach einem geschätzten Geschäftswert in Höhe von 113.000 EUR (Mittelwert zwischen den divergierenden Erwartungen der Parteien an den Nachlasswert) bei einer 2,0-Gebühr gemäß Nr. 23500 KV-GNotKG zzgl. Umsatzsteuer und Auslagenpauschale und einem Sicherheitsaufschlag von  ca. 15% für ggf. sonstige mit der Erstellung des Verzeichnisses verbundene Aufwendungen mit 850,- EUR.

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