OLG Frankfurt – Az.: 1 UF 178/18 – Beschluss vom 24.06.2019
I. Auf die Beschwerde der Anzunehmenden und der Annehmenden gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Frankfurt am Main vom 7. September 2018 (Geschäftsnummer 470 F 16160/17 AD) wird dieser abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. A, geb. am XX.XX.1985 in Stadt1 (Geburtsregisternummer …/1985 des Standesamtes Stadt1), wohnhaft: Straße1, Stadt2
– Anzunehmende –
wird von B, geb. C, geb. am XX.XX.1969 in Stadt3 (Geburtsregisternummer …/1969 des Standesamtes III Stadt3), wohnhaft: Straße2, Stadt4
– Annehmende –
als Kind angenommen (§ 1767 BGB).
Die Wirkungen der Annahme richten sich nach den Vorschriften über die Annahme einer Minderjährigen.
Der Geburtsname der Anzunehmenden lautet:
„A“.
2. Die Annehmende und die Anzunehmende haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zur tragen.
3. Der Verfahrenswert wird auf 50.000,- Euro festgesetzt.
II. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Anzunehmende ist die Tochter des weiteren Beteiligten zu 2., des Ehemannes der Annehmenden, und ihrer leiblichen Mutter, der weiteren Beteiligten zu 3., der geschiedenen Ehefrau des weiteren Beteiligten zu 2. Die Anzunehmende ist unverheiratet und hat keine Kinder. Die Ehe ihrer Eltern, des weiteren Beteiligten zu 2. und der weiteren Beteiligten zu 3., wurde nach Angabe der weiteren Beteiligten zu 3. im Jahr 1991 geschieden. Die Anzunehmende verblieb nach der Trennung der Eltern zunächst zusammen mit ihrem jüngeren Bruder, D, geb. am XX.XX.1989, im Haushalt der Mutter und wechselte sodann in den Haushalt des Vaters, der zu dieser Zeit bereits einen gemeinsamen Haushalt mit seiner damaligen Lebensgefährtin und späteren Ehefrau, der Annehmenden, führte. Im Jahr 2002 wechselte auch D in den Haushalt des Vaters. Seit dem 8. Lebensjahr der Anzunehmenden bestand somit ein gemeinsamer Haushalt mit ihrem Vater und der Annehmenden. Die Annehmende und der Vater der Anzunehmenden haben am 18.8.1995 geheiratet. Aus dieser Ehe ist der Halbbruder der Anzunehmenden, der weitere Beteiligte zu 4., hervorgegangen.
In der Zeit von September 2002 bis Dezember 2004 leistete die leibliche Mutter Unterhalt für die Anzunehmende i.H.v. insgesamt 2.900 €. Weitere Unterhaltszahlungen erfolgten, auch nach Eintritt der Volljährigkeit und Aufnahme eines Studiums der Anzunehmenden nicht. Spätestens seit Dezember 2004 besteht kein Kontakt mehr zwischen der Anzunehmenden und ihrer leiblichen Mutter. Einem BAFöG-Antrag der Anzunehmenden aus dem Jahr 2005 wurde nicht entsprochen. Die leibliche Mutter, die weitere Beteiligte zu 3., hatte Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert.
Die Annehmende und die Anzunehmende haben mit notarieller Urkunde des Notars E mit dem Amtssitz in Stadt2 vom 4.12.2017 (Nummer … der Urkundenrolle 2017) beantragt, die Annahme als Kind auszusprechen. Zugleich wurde ein Antrag auf Ausspruch einer Volljährigenadoption mit den Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen gestellt. Der Vater der Anzunehmenden und Ehemann der Annehmenden, der weitere Beteiligte zu 2., stimmte der Adoption in der notariellen Urkunde zu. Das Amtsgericht hat die Annehmende und die Anzunehmende persönlich und die weiteren Beteiligten zu 3. und zu 4. schriftlich angehört.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die beantragte Adoption mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen einer Volljährigenadoption mit den Wirkungen einer Minderjährigenadoption (sog. Adoption mit starker Wirkung oder Volladoption) nicht gegeben seien, denn die Interessen der weiteren Beteiligten zu 3., der leiblichen Mutter der Anzunehmenden, an einem Unterbleiben der Volljährigenadoption mit starker Wirkung würden überwiegen. Ein solches Interesse sei hier vor allem in der Aufrechterhaltung der Unterhaltsverpflichtung der Anzunehmenden zu sehen. Auf die Interessenabwägung sei der Maßstab des § 1611 BGB anzuwenden, sodass eine Adoption mit starker Wirkung (Volladoption) im Ergebnis nur dann in Betracht komme, wenn die leibliche Mutter ihre Unterhaltspflicht gröblich vernachlässigt habe oder sonst eine vorsätzliche schwere Verfehlung in der Vergangenheit festzustellen sei. Hier habe die leibliche Mutter der Anzunehmenden dieser während der Minderjährigkeit und teilweise auch noch während der Volljährigkeit nicht unerheblich Unterhalt gezahlt. So habe die leibliche Mutter der Anzunehmenden in der Zeit bis zum Wechsel in den Haushalt des Vaters Naturalunterhalt geleistet. In den Jahren 2002 bis 2004 habe sie insgesamt 2.900 € Unterhalt geleistet. Ein Ausspruch der Adoption ohne starke Wirkung sei nicht beantragt worden und könne daher auch nicht ausgesprochen werden.
Gegen die erstinstanzliche Entscheidung wenden sich die Annehmende und die Anzunehmende mit ihrer Beschwerde. Sie machen geltend, die Interessen der leiblichen Mutter der Anzunehmenden einerseits und der Annehmenden und der Anzunehmenden andererseits seien nicht in ausreichendem Maße miteinander abgewogen worden. Neben der Verletzung ihrer Unterhaltspflichten habe die leibliche Mutter der Anzunehmenden dieser und dem Bruder der Anzunehmenden wiederholt körperliche Gewalt angetan. Sie habe mit Suizid und sogar mit einem erweiterten Suizid gedroht. Hierdurch habe sie auf die Anzunehmende und ihren Bruder eine erhebliche, auch psychische Gewalt ausgeübt, die zu schweren psychischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen geführt habe. Die äußerst konflikthafte familiäre Beziehung, die schlussendlich auch zu dem Kontaktabbruch geführt habe, habe die Anzunehmende im Kindheits- und Jugendalter bis in das Erwachsenenalter hinein schwer belastet.
Die weitere Beteiligte zu 3. hat, anwaltlich vertreten, im Beschwerdeverfahren schriftsätzlich Stellung genommen und mitgeteilt, dass sie mit der beabsichtigten Adoption weiterhin nicht einverstanden sei, wobei sie gegen eine Adoption mit sog. schwacher Wirkung nichts einzuwenden habe. Zur Zahlung von Kindesunterhalt sei sie insbesondere finanziell nicht in der Lage gewesen. Im Übrigen habe es sich bei den Vorkommnissen in der Vergangenheit im Wesentlichen um einen Konflikt auf der Elternebene gehandelt. Der weitere Beteiligte zu 2. sowie der Sohn der Annehmenden und Halbbruder der Anzunehmenden, der weitere Beteiligte zu 4., hatten auch im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.
Nach Übertragung des Verfahrens auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung wurden die Annehmende und die Anzunehmende noch einmal persönlich angehört.
Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen.
II.
Die gegen die Versagung der Adoption mit dem angefochtenen Beschluss vom 7.9.2018 eingelegte Beschwerde ist gem. §§ 58 ff. FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist begründet und führt zur Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung.
Es ist die Annahme als Kind auszusprechen, denn die Annahme als Kind ist vorliegend sittlich gerechtfertigt (§ 1767 BGB). Es ist zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden durch ein langjähriges tatsächliches Zusammenleben eine enge familiäre Beziehung im Sinne eines Eltern-Kind-Verhältnisses entstanden, was auch vom Amtsgericht nicht in Zweifel gezogen wird. Von einem solchen, bereits bestehenden Eltern-Kind-Verhältnis konnte sich der Senat auch in der persönlichen Anhörung der Beteiligten überzeugen.
Entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts kann die Adoption vorliegend auch mit den Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften der Minderjährigenadoption ausgesprochen werden (§ 1772 Abs. 1 S. 1 b und c, sog. Adoption mit starker Wirkung oder Volladoption). Mit der Vorschrift des § 1772 BGB hat der Gesetzgeber für Sondersituationen, in denen es sinnvoll und gerechtfertigt erscheint, auch einen Erwachsenen rechtlich vollständig aus seiner Ursprungsfamilie bzw. Ursprungselternbeziehung zu lösen und vollständig in eine neue Familie bzw. Elternbeziehung zu integrieren, die Möglichkeit der Volladoption geschaffen [Staudinger/Helms (2019) § 1772 Rn. 1]. Eine solche Sondersituation ist hier gegeben. Denn die Anzunehmende ist noch als Kind, damals ca. 7-jährig, in den Haushalt ihres Vaters und der Annehmenden, der damaligen Lebensgefährtin des Vaters und späteren Ehefrau, aufgenommen worden (lit. b) und die Annehmende will das Kind ihres Ehemannes annehmen (lit. c).
Anders, als vom Amtsgericht in erster Instanz angenommen, stehen mit Blick auf das Beschwerdevorbringen und die weiteren Erkenntnisse im Beschwerdeverfahren sowie nach dem in der persönlichen Anhörung gewonnen Eindruck des Senats von der Anzunehmenden und der Annehmenden überwiegende Interessen der leiblichen Mutter einer Volljährigenadoption mit den Wirkungen der Minderjährigenadoption (Volladoption) nicht entgegen.
Gem. § 1772 Abs. 1 S. 2 BGB kann eine Volladoption nicht ausgesprochen werden, wenn überwiegende Interessen der Eltern (oder eines Elternteils) des bzw. der Anzunehmenden entgegenstehen. Durch diese Vorschrift verdeutlicht der Gesetzgeber, dass die sittliche Rechtfertigung der Volladoption auch im Hinblick auf entgegenstehende Elterninteressen zu prüfen ist (Staudinger/Helms, a.a.O., Rn. 7). Es ist eine umfassende Abwägung der Interessen des oder der Anzunehmenden, des oder der Annehmenden und der leiblichen Eltern bzw. des leiblichen Elternteils vorzunehmen (OLG Brandenburg v. 27.1.2017 – 10 UF 48/16 = FamRZ 2017, 1762, juris Rn. 24). Entgegenstehende Elterninteressen können zum einen materieller Natur sein, insbesondere im Hinblick auf den Wegfall von Unterhaltsansprüchen (OLG Brandenburg, a.a.O., Rn. 28 m.w.N.); sie können aber auch immaterieller Natur sein, so z.B. dann, wenn noch eine gelebte soziale Beziehung zwischen Eltern(teil) und Kind besteht (Staudinger/Helms, a.a.O. Rn. 9; OLG Celle v. 19.6.2013 – 17 UF 3/13 = FamRZ 2014, 579).
Hier stehen immaterielle Interessen der leiblichen Mutter einer Volladoption jedoch nicht entgegen, nachdem zwischen der Anzunehmenden und ihr bereits spätestens seit dem Jahr 2004, d.h. seit nunmehr 15 Jahren, keinerlei Kontakt und Verbindung mehr besteht. Vielmehr sprechen die immateriellen Interessen, insbesondere der Anzunehmenden, für eine Adoption, die mit dem Abbruch der verwandtschaftlichen Beziehung zur leiblichen Mutter einhergeht. Die Anzunehmende hat insbesondere im Beschwerdeverfahren vorgetragen, in welch hohem Maße sie und ihr Bruder unter der Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter gelitten haben. Sie hat deutlich gemacht, dass die Belastung auch noch nach dem Wechsel in den väterlichen Haushalt angedauert hat, nicht zuletzt durch die massive Auferlegung von Schuldgefühlen durch die leibliche Mutter. In der persönlichen Anhörung konnte sich der Senat von der erheblichen psychischen Belastung der Anzunehmenden einen Eindruck verschaffen. Der Wunsch der Anzunehmenden, sich, auch rechtlich, vollständig aus der verwandtschaftlichen Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter zu lösen und auf der anderen Seite, wiederum auch in rechtlicher Hinsicht, vollständig in die neue verwandtschaftliche Beziehung zu ihrer sozialen Mutter zu integrieren, erscheint vor diesem Hintergrund gerechtfertigt.
Auch eventuelle wirtschaftliche Interessen der leiblichen Mutter stehen unter Heranziehung der Tatsachen, wie sie zuletzt im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zugrunde zu legen waren, einer Volladoption nicht entgegen. Nicht gefolgt werden kann der Auffassung des Amtsgerichts, dass die Grenze der Verwirkung gem. § 1611 BGB erreicht sein müsste, um auszuschließen, dass überwiegende Interessen des leiblichen Elternteils einer Volladoption entgegenstehen. Soweit sich das Amtsgericht diesbezüglich auf die Rechtsprechung des OLG Brandenburg beruft (a.a.O. Rn 31; sh. auch Beschluss v. 18.3.2019 – 13 UF 11/17 = NZFam 2019, 368 und Beschluss vom 12.3.2019 – 9 UF 190/17 = NZFam 2019, 507), sieht sich der Senat mit dieser Rechtsprechung nicht in einem Widerspruch, denn das OLG Brandenburg hat in diesen Entscheidungen lediglich zutreffend darauf hingewiesen, dass jedenfalls dann, wenn die Voraussetzungen der Verwirkung des Elternunterhaltsanspruches gem. § 1611 BGB gegeben seien, nicht von überwiegenden wirtschaftlichen Interessen des Elternteils im Sinne von § 1772 Abs. 1 S. 2 BGBG auszugehen sei. Dass andererseits die Erfüllung des Verwirkungstatbestandes nicht nur eine hinreichende, sondern eine notwendige Bedingung für die Annahme sei, das überwiegende Interessen des Elternteils einer Volladoption nicht entgegenstehen, kann den zitierten Entscheidungen und auch dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnommen werden. Vielmehr können auch Unterhaltspflichtverletzungen, die nicht die Grenze der Verwirkung erreichen, zusammen mit anderen Umständen im Rahmen einer Gesamtabwägung dazu führen, dass von überwiegenden Interessen des leiblichen Elternteils gegenüber einer Volladoption nicht auszugehen ist.
So liegt der Fall hier, und zwar unabhängig davon, ob man vorliegend von einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der leiblichen Mutter der Anzunehmenden gem. § 1611 BGB auszugehen hätte. Anders als das Amtsgericht geht der Senat nicht davon aus, dass im Falle einer Gewährung von Naturalunterhalt bis ca. zum 7. Lebensjahr und einer Gewährung von insgesamt 2.900 € Unterhalt in der Zeit danach bis zum Abschluss der akademischen Ausbildung der Anzunehmenden von einer erheblichen Unterhaltsleistung ausgehen wäre, die es unbillig erscheinen ließe, wenn die Unterhaltsverpflichtung der Anzunehmenden ihrerseits durch die Volljährigenadoption mit der Wirkung einer Minderjährigenadoption entfiele, zumal die Unterhaltszahlungen nach dem Wechsel der Anzunehmenden in den Haushalt des Vaters gerichtlich durchgesetzt und auch noch vollstreckt werden mussten. Soweit das Familiengericht sich insbesondere auch auf die oben bereits zitierten Entscheidungen des OLG Brandenburg und weiter auf die Entscheidungen des OLG Düsseldorf (v. 16.7.2014 – 7 UF 78/14 = FamRZ 2014, 1796) und OLG Celle (a.a.O.) bezieht, lag den Entscheidungen jeweils eine Fallkonstellation zu Grunde, in der Kindesunterhalt durch den leiblichen Elternteil über Jahre hinweg geleistet wurde. Vorliegend kommt im Rahmen der Gesamtabwägung hinzu, dass die weitere Beteiligte zu 3. durch die von ihr gegenüber dem Studentenwerk verweigerte Auskunft zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen die Ablehnung des BAFöG-Antrages der Anzunehmenden zumindest mitverursacht hat und es somit der Tochter noch zusätzlich erschwert hat, ihren Lebensunterhalt während ihres Studiums zu bestreiten. Unabhängig von der Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der weiteren Beteiligten zu 3. zur Zahlung von Kindes- bzw. Volljährigenunterhalt für ihre Tochter, hat sie jedenfalls durch dieses Verhalten die von ihr nunmehr eingeforderte Solidarität der Tochter selbst über Jahre hinweg nicht erbracht.
Die Namensführung entspricht vor dem Hintergrund der in der notariellen Urkunde erfolgten Namensbestimmung den gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 1767 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1757 BGB).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG und entspricht unter Einbeziehung des Umstandes, dass die Beschwerde Erfolg hatte, billigem Ermessen.
Der Festsetzung eines Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren bedurfte es im Hinblick auf die getroffene Kostenentscheidung nicht.