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Öffentlicher Glaube des Grundbuchs – Anforderungen an Widerlegung der Eigentumsvermutung

OLG München: Verbot von Behauptungen über Nutzungsrechte in Seniorenresidenzen-Streitigkeiten

Das Urteil des OLG München (Az.: 7 U 509/15) befasst sich mit dem Unterlassungsanspruch im Kontext eines Streits um die Nutzung eines Grundstücks, welches für Seniorenresidenzen genutzt wird. Dabei spielt die Frage der Eigentumsvermutung und der Besitzrechte eine zentrale Rolle. Das Gericht bestätigt die einstweilige Verfügung, die es der Verfügungsbeklagten untersagt, Behauptungen über Nutzungsrechte der Seniorenresidenz zu verbreiten, da diese als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewertet wird.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung der einstweiligen Verfügung: Das Gericht bestätigt die einstweilige Verfügung gegen die Verfügungsbeklagte.
  2. Eigentumsvermutung: Die Eigentumsvermutung für die Verfügungsbeklagte am Grundstück bleibt bestehen.
  3. Unzulässige Behauptungen: Die Verfügungsbeklagte darf keine Behauptungen über Nutzungsrechte verbreiten.
  4. Eingriff in Gewerbebetrieb: Solche Behauptungen stellen einen unrechtmäßigen Eingriff in den Gewerbebetrieb dar.
  5. Schutz der Verfügungsklägerinnen: Der Schutz des Gewerbebetriebs der Verfügungsklägerinnen wird durch das Urteil gestärkt.
  6. Rechtliche Unsicherheit: Die rechtliche Position der Verfügungsbeklagten wird als unsicher angesehen.
  7. Abwägung der Interessen: Das Gericht nimmt eine Abwägung zwischen den Interessen der Parteien vor.
  8. Wichtigkeit der Meinungsäußerungsfreiheit: Die Meinungsäußerungsfreiheit der Verfügungsbeklagten wird berücksichtigt, aber in diesem Kontext als nachrangig eingestuft.

Öffentlicher Glaube des Grundbuchs: Die Herausforderungen der Eigentumsvermutung

Der öffentliche Glaube des Grundbuchs ist ein zentraler Grundsatz im deutschen Recht, der besagt, dass der Inhalt des Grundbuchs für jeden verbindlich ist, solange keine Kenntnis von dessen Unrichtigkeit besteht. Diese Vermutung der Richtigkeit kann jedoch widerlegt werden, wenn derjenige, der die Unrichtigkeit behauptet, die erforderlichen Nachweise erbringt. Die Anforderungen an die Widerlegung der Eigentumsvermutung sind in § 892 BGB festgelegt und beinhalten den Nachweis der tatsächlichen Umstände des Erwerbs der Sache sowie die Widerlegung der behaupteten Umstände.

Ein Beispiel für die Anwendung dieser Grundsätze findet sich in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 02.12.2005 (BGH, 02.12.2005 – V ZR 11/05), in der der BGH klarstellte, dass der Nachweis der Erbenstellung und die Widerlegung der behaupteten Umstände des Erwerbs der Sache erforderlich sind. Die Herausforderungen bei der Widerlegung der Eigentumsvermutung sind jedoch nicht zu unterschätzen, da derjenige, der die Unrichtigkeit behauptet, auch nachweisen muss, dass er bei dem Erwerb keine Kenntnis von der Unrichtigkeit hatte und keine Möglichkeit hatte, die Unrichtigkeit durch zumutbare Nachforschungen festzustellen.

Ein detaillierterer Einblick in ein konkretes Urteil zu diesem Thema kann dabei helfen, die rechtlichen Herausforderungen besser zu verstehen und die Bedeutung des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs für den Rechtsverkehr zu erkennen.

Der Streit um Eigentum und Nutzung von Seniorenresidenzen

Im Zentrum des juristischen Disputs, verhandelt vor dem Oberlandesgericht München, standen der Öffentliche Glaube des Grundbuchs und die Anforderungen an Widerlegung der Eigentumsvermutung. Ausgangspunkt war der Verkauf eines Grundstücks für Seniorenresidenzen durch die Verfügungsklägerin zu 1 an die Verfügungsbeklagte, welches anschließend zurückgemietet wurde. Die Verfügungsbeklagte wurde im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen, während zeitgleich strafrechtliche Ermittlungen gegen beteiligte Personen im Raum standen. Diese Ermittlungen berührten die Gültigkeit der Verträge und führten zur Anfechtung durch die Verfügungsklägerin zu 1 aufgrund arglistiger Täuschung.

Juristische Konflikte und der Schutz des Gewerbebetriebs

Die Verfügungsbeklagte kündigte den Mietvertrag fristlos und beanspruchte das Eigentum am Grundstück, woraus sich ein einstweiliges Verfügungsverfahren entwickelte. Das Landgericht München I erließ eine einstweilige Verfügung, die es der Verfügungsbeklagten untersagte, Behauptungen über die Nutzungsrechte der Seniorenresidenzbewohner zu verbreiten. Dabei standen der Besitzschutz und die Eigentumsrechte im Fokus. Das OLG München bestätigte diese einstweilige Verfügung und fokussierte auf den Aspekt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Verfügungsklägerinnen, was eine wesentliche Rolle in der Entscheidungsfindung spielte.

Bewertung der Rechtspositionen und Abwägung der Interessen

Im Kern der Entscheidung des OLG München lag eine Abwägung der Interessen und Rechte beider Parteien. Auf der einen Seite stand die Meinungsäußerungsfreiheit der Verfügungsbeklagten, auf der anderen das Recht der Verfügungsklägerinnen auf ungestörte Betriebsausübung. Das Gericht gewichtete die Unsicherheit der Rechtsposition der Verfügungsbeklagten und das Fehlen eines aktuellen wirtschaftlichen Interesses ihrerseits, gegen die Bewohner vorzugehen, als entscheidend. Diese Feststellungen führten dazu, dass das Gericht die einstweilige Verfügung aufrechterhielt und die Rechte der Verfügungsklägerinnen stärkte.

Das Urteil des OLG München und seine Bedeutung

Das Urteil vom 12.08.2015 des OLG München (Az.: 7 U 509/15) bestätigte, dass die Verfügungsbeklagte die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I zu beachten hat und ihr jegliche Behauptungen über Nutzungsrechte der Bewohner untersagt sind. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung des Schutzes von Gewerbebetrieben und die Notwendigkeit, im Rahmen von Verfügungsverfahren sorgfältig zwischen verschiedenen Rechten und Interessen abzuwägen. Das Gericht setzte damit einen wichtigen Akzent im Umgang mit Eigentums- und Besitzansprüchen im Kontext von Geschäftsbeziehungen.

Fazit: Das Urteil des OLG München stellt einen wesentlichen Beitrag zur Klärung der Rechte und Pflichten im Rahmen des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs und der Eigentumsvermutung dar, insbesondere im Kontext von Geschäftsbeziehungen und Gewerbebetrieben. Der vollständige Urteilstext kann für eine vertiefte Einsicht nachgelesen werden.

✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt

Was versteht man unter dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs im deutschen Recht?

Der öffentliche Glaube des Grundbuchs im deutschen Recht bezieht sich auf die Vermutung der Richtigkeit der im Grundbuch eingetragenen Informationen. Dies bedeutet, dass man davon ausgehen kann, dass die im Grundbuch dokumentierten Rechtsverhältnisse an Grundstücken korrekt sind, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Der öffentliche Glaube schützt insbesondere den gutgläubigen Erwerber eines Grundstücks. Wenn jemand ein Grundstück erwirbt und sich auf die Richtigkeit der im Grundbuch eingetragenen Informationen verlässt, genießt er besonderen Schutz. Dieser Schutz erstreckt sich auf alle eingetragenen und gelöschten Rechte und auf die Rechtsverhältnisse, von denen das eingetragene Recht abhängt.

Es ist jedoch zu beachten, dass der öffentliche Glaube nicht für alle Umstände gilt. Er erstreckt sich nicht auf Tatsacheneintragungen im Grundbuch, wie die Größe eines Grundstücks oder die Art seiner Bebauung und Bewirtschaftung. Ebenso ist der Erwerb eines Grundstücks durch Erbschaft nicht durch den öffentlichen Glauben geschützt.

Der öffentliche Glaube des Grundbuchs ist so stark, dass bei gutgläubigem Erwerb eines Dritten ein unrichtiges Recht geheilt wird. Fehler des Grundbuchamtes gegen bestimmte Vorschriften machen das Grundbuch nicht unrichtig, so dass kein Berichtigungsanspruch und keine Möglichkeit zum Amtswiderspruch besteht.

Der öffentliche Glaube dient der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs und ist ein wichtiger Aspekt des deutschen Grundbuchrechts.

Wie kann die Eigentumsvermutung im Kontext des Grundbuchrechts widerlegt werden?

Die Eigentumsvermutung im Kontext des Grundbuchrechts kann widerlegt werden, wenn der volle Beweis des Gegenteils erbracht wird. Es genügt nicht, die Vermutung lediglich zu erschüttern. Der zu erbringende Gegenbeweis muss sich auf jede sich aus dem Grundbuch ergebende oder sonstige relevante Information erstrecken.

Ein Beispiel für eine solche Widerlegung könnte sein, dass jemand die Eigentumsvermutung des § 891 BGB widerlegt und beweist, dass das Grundbuch unrichtig ist und er selbst der Eigentümer ist.

Es ist auch zu beachten, dass die gesetzliche Vermutung des § 891 BGB, die auch für das Grundbuchamt gilt, widerlegbar ist.

In einigen Fällen kann die sich aus dem Liegenschaftskataster ergebende Grenze bis zur Widerlegung der Eigentumsvermutung nach § 891 BGB als festgestellt und somit definiert angesehen werden.

Es ist jedoch zu beachten, dass die Widerlegung der Eigentumsvermutung eine komplexe rechtliche Angelegenheit ist, die in der Regel die Unterstützung eines Rechtsanwalts erfordert.


Das vorliegende Urteil

OLG München – Az.: 7 U 509/15 – Urteil vom 12.08.2015

1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 15.1.2015 (Az.: 12 HK O 21124/14) wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um einen Unterlassungsanspruch.

Die Verfügungsklägerin zu 1 ist zentraler Teil der A. Unternehmensgruppe, die unter anderem Trägerin von Seniorenresidenzen ist. Die Verfügungsklägerin zu 2 betreibt die Seniorenresidenzen (darunter auch die streitgegenständliche in A. mühle/Schleswig-Holstein) und hat die entsprechenden Baulichkeiten von der Verfügungsklägerin zu 1 angemietet.

Mit Verträgen vom 23.9.2011 verkaufte die Verfügungsklägerin zu 1 das gegenständliche Grundstück an die Verfügungsbeklagte und mietete es gleichzeitig zurück. Zur Finanzierung des Kaufpreises gewährte die Verfügungsklägerin zu 1 der Verfügungsbeklagten ein Darlehen. Nach Erklärung der Auflassung wurde die Verfügungsbeklagte als Eigentümerin des gegenständlichen Grundstücks ins Grundbuch eingetragen.

In der Folgezeit entstand der Verdacht, dass die vorgenannten Geschäfte durch mögliche Straftaten der Untreue bzw. des Betruges und der Bestechlichkeit seitens früherer Organe der Verfügungsklägerin zu 1 (Mitgeschäftsführer, Vorsitzender des Aufsichtsrats), der früheren bzw. aktuellen Geschäftsführer der Beklagten sowie eines in der Schweiz ansässigen Finanzvermittlers beeinflusst seien. Diesbezüglich läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens erging mindestens ein (mittlerweile außer Vollzug gesetzter) Haftbefehl und wurde das gegenständliche Grundstück gemäß § 111 c StPO beschlagnahmt, ein entsprechender Vermerk ist in das Grundbuch eingetragen.

Am 22.8.2014 erklärte die Verfügungsklägerin zu 1 die Anfechtung der vorgenannten Verträge (Kaufvertrag, Mietvertrag, Darlehensvertrag und Auflassung) wegen arglistiger Täuschung. Sie lässt vortragen, die genannten Rechtsgeschäfte seien ohnehin nach § 138 BGB nichtig. Die Mietzahlungen an die Verfügungsbeklagte stellte die Verfügungsklägerin zu 1 ein. Daraufhin kündigte die Verfügungsbeklagte am 3.11.2014 den Mietvertrag mit der Verfügungsklägerin zu 1 fristlos. Diesbezüglich ist eine Räumungsklage beim Landgericht Lübeck anhängig. Das Gericht hat dieses Verfahren im Hinblick auf das laufende Ermittlungsverfahren ausgesetzt; eine Beschwerde hiergegen hat das Oberlandesgericht Schleswig zurückgewiesen.

Im Schreiben der Verfügungsbeklagten vom 3.11.2014 an die Verfügungsklägerin zu 1 heißt es unter anderem:

Durch die Beendigung des Hauptmietvertrags sind Ihr Untermieter [= Verfügungsbeklagte zu 2; Anm. d. Senats] und dessen Untermieter [die Bewohner der Seniorenresidenz; Anm. d. Senats] uns gegenüber nicht weiter berechtigt, das Grundstück zu besitzen und zu nutzen. Diese Rechtslage ergibt sich aus § 546 Abs. 2 BGB. Wir haben daher die Collegium A. GmbH aufgefordert, die Räumung zu dulden. Dieselbe Rechtslage betrifft die Bewohner des Objekts, die als Unter-Untermieter uns gegenüber ebenfalls räumungspflichtig sind. Diese informieren wir mit gesondertem Schreiben.

Am 6.11.2014 untersagte das Landgericht München I auf Antrag der Klageparteien der Verfügungsbeklagten durch einstweilige Verfügung bei Meidung eines Ordnungsgeldes bzw. Ordnungshaft, gegenüber Dritten, insbesondere den Bewohnerinnen und Bewohnern des gegenständlichen Seniorenwohnstifts wörtlich oder sinngemäß zu behaupten,

– dass die Bewohnerinnen und Bewohner des zuvor genannten Seniorenwohnstifts nicht berechtigt sind, das zuvor genannte Seniorenwohnstift zu besitzen und zu nutzen;

– dass die Bewohnerinnen und Bewohner des zuvor genannten Seniorenwohnstifts A. mühle verpflichtet sind, das zuvor genannte Seniorenwohnstift, insbesondere die von den Bewohnerinnen und Bewohnern dort angemieteten Wohnungen und Räume an die Antragsgegnerin herauszugeben und zu räumen.

Die Verfügungsklägerinnen haben beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 6.11.2014 aufrechtzuerhalten.

Die Verfügungsbeklagte hat beantragt, die einstweilige Verfügung aufzuheben und die Verfügungsklage abzuweisen.

Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung aufrechterhalten. Es hat den gegenständlichen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Verfügungsklägerin zu 1 vor allem auf Eigentum (die Auflassung vom 23.9.2011 sei wirksam angefochten) und hinsichtlich der Verfügungsklägerin zu 2 auf Besitzschutz gestützt. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen.

Mit ihrer zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Verfügungsbeklagte ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Die Verfügungsklägerinnen beantragen die Zurückweisung der Berufung.

B.

Die Berufung erweist sich als unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die gegenständliche einstweilige Verfügung erlassen bzw. aufrechterhalten.

I.

Dabei kann letztlich dahinstehen, ob sich die zuerkannten Unterlassungsansprüche (Verfügungsanspruch) – wie das Landgericht annimmt – aus Eigentum bzw. Besitz ergeben. Denn jedenfalls folgen sie aus dem Recht der Verfügungsklägerinnen am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

1. Die Verfügungsbeklagte ist als Eigentümerin des streitgegenständlichen Grundstücks ins Grundbuch eingetragen. Damit streitet für sie die Eigentumsvermutung des § 891 BGB. Diese dürfte die Verfügungsklägerin zu 1 nicht widerlegt (§ 292 ZPO) haben. Hierfür genügt die Beschlagnahme des Grundstücks durch die Strafverfolgungsbehörden, welche nichts über das Eigentum besagt, sondern nur ein relatives Veräußerungsverbot begründet (§ 111 c Abs. 5 StPO), ebensowenig wie die Eintragung eines Widerspruchs, welcher nur den gutgläubigen Erwerb durch Dritte verhindern würde. Der Senat lässt die von den Parteien aufgeworfene Rechtsfrage, ob das nach § 891 BGB vermutete Eigentum auch im einstweiligen Verfügungsverfahren durch Vollbeweis widerlegt werden muss oder ob insoweit aufgrund der besonderen Verfahrensart eine Erschütterung der Vermutung durch Glaubhaftmachung (§§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO) genügen würde, ausdrücklich offen. Jedenfalls sind an die Entkräftung der Eigentumsvermutung auch im Verfügungsverfahren strenge Anforderungen zu stellen. Hiernach dürfte – gerade auch im Hinblick auf das schon lange andauernde Ermittlungsverfahren, dessen Ausgang nicht vorherzusehen ist – nach derzeitigem Verfahrensstand noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon auszugehen sein, dass die Verfügungsklägerin durch eine der Verfügungsbeklagten zuzurechnende arglistige Täuschung zur gegenständlichen Auflassung veranlasst wurde und diese daher wirksam angefochten hat.

2. Das von der Verfügungsbeklagten angekündigte Anschreiben an die Bewohner der streitgegenständlichen Seniorenresidenz würde den Besitz der Verfügungsklägerinnen, also die tatsächliche Sachherrschaft über die gegenständlichen Liegenschaften wohl nicht tangieren. Auf Besitzschutz könnten die gegenständlichen Unterlassungsanspruch daher kaum gestützt werden.

3. Das genannte, von der Verfügungsbeklagten offensichtlich beabsichtigte Anschreiben würde jedoch einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowohl der Verfügungsklägerin zu 2 als auch der Verfügungsklägerin zu 1 darstellen, welcher sich unter Gesamtabwägung aller relevanten Umstände auch als rechtswidrig erweist. Die Verfügungsbeklagte hat den Eingriff daher (einstweilen) zu unterlassen.

a) Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist als absolutes Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Eine Verletzung dieses Rechts kann daher nicht nur zu Schadensersatzansprüchen, sondern auch zu negatorischen Ansprüchen, also zu Unterlassungsansprüchen analog § 1004 BGB führen (vgl. MünchKomm/Wagner, BGB, 6. Aufl., vor § 823 Rz. 35; Palandt/Bassenge, BGB, 74. Aufl., § 1004 Rz. 4).

Allerdings ist das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein subsidiäres Auffangrecht, das dann nicht eingreift, wenn speziellere Regelungen, insbesondere § 824 BGB einschlägig sind (MünchKomm/Wagner, a.a.O., § 823 Rz. 260; Palandt/Sprau, a.a.O., § 823 Rz. 133). Vorliegend kommt § 824 BGB jedoch nicht zur Anwendung. Denn diese Vorschrift würde voraussetzen, dass die Untersagung von Tatsachenbehauptungen inmitten steht. Die der Verfügungsbeklagten vorliegend untersagte Äußerung, wonach die Zweitklägerin und deren Untermieter, also die Bewohner der gegenständlichen Seniorenresidenz, gegenüber der Verfügungsbeklagten kein Nutzungsrecht hätten und zur Räumung verpflichtet seien, ist jedoch keine Tatsachenbehauptung (auch nicht in Form einer „Rechtstatsache“), sondern eine Wertung und damit eine Meinungsäußerung, weil sie nicht dem Beweis zugänglich ist, sondern nur im Wege juristischer Subsumtion gewonnen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 6.2.2014 – I ZR 75/10, zitiert nach juris, dort Rz. 20 f.). Der Anwendungsbereich des Instituts des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist daher grundsätzlich eröffnet.

b) Eine Verletzung dieses Rechts liegt vor, wenn ein unmittelbarer Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis gegeben ist, der sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation richtet und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betrifft (vgl. BGH vom 6.2.2014, a.a.O., Rz. 12; MünchKomm/Wagner, a.a.O., § 823 Rz. 257; Palandt/Sprau, a.a.O., § 823 Rz. 135). Diese Voraussetzungen würde die der Verfügungsbeklagten untersagte Äußerung sowohl in Richtung gegen die Verfügungsklägerin zu 1 als auch in Richtung gegen die Verfügungsklägerin zu 2 erfüllen.

Die Verfügungsklägerin zu 2 betreibt die gegenständliche Seniorenresidenz und hat zu diesem Zweck Räume an die Bewohner vermietet, weshalb die Bewohner zumindest gegenüber der Verfügungsklägerin zu 2 zur Nutzung berechtigt sind. Die Behauptung der Verfügungsbeklagten, dass dieses Nutzungsrecht aus übergeordneten Gesichtspunkten, nämlich aufgrund der Rechtsbeziehungen zwischen der Verfügungsklägerin zu 1 und der Verfügungsbeklagten letztlich doch nicht rechtsbeständig bestehe, greift damit unmittelbar in den Geschäftsbetrieb der Verfügungsklägerin zu 2 ein; dabei ließe sich die aufgeworfene Frage eines Nutzungsrechts der Bewohner an den von ihnen angemieteten Räumlichkeiten gedanklich nicht vom Geschäftsbetrieb der Verfügungsklägerin zu 2 ablösen. Die Betriebsbezogenheit des angekündigten Eingriffs ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die Beklagtenseite weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 5.8.2015 der klägerischen Behauptung widersprochen hat, dass die beabsichtigte Maßnahme nur dazu diene, Druck auf die Klägerinnen im Zusammenhang mit den anderweitigen Rechtsstreitigkeiten mit den Parteien auszuüben.

Letztlich liegt damit auch ein betriebsbezogener Eingriff in das Erwerbsgeschäft der Verfügungsklägerin zu 1 vor. Der Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist nicht auf gewerbliche Tätigkeiten im handelsrechtlichen Sinne beschränkt; erfasst sind alle Arten erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit, etwa auch freiberufliche (vgl. MünchKomm/Wagner, a.a.O., § 823 Rz. 255; Palandt/Sprau, a.a.O., § 823 Rz. 134). Nichts anderes kann nach der Auffassung des Senats für das Geschäft der Verfügungsklägerin zu 1 gelten, welches in der Vermietung von Seniorenresidenzen an deren Betreiber besteht. Ein Eingriff in den Betrieb der Mieterin, also der Verfügungsklägerin zu 2, berührt auch den Betrieb der Vermieterin, also der Verfügungsklägerin zu 1, weil diese die Überlassung einer von Sach- und Rechtsmängeln freien Mietsache schuldet (vgl. § 536 BGB). Die Unmittelbarkeit bzw. Betriebsbezogenheit des Eingriffs ergibt sich wiederum vor allem auch daraus, dass hiermit nach den obigen Ausführungen Druck auf die Verfügungsklägerin zu 1 im Zusammenhang mit anderen Rechtsstreitigkeiten ausgeübt werden soll.

c) Anders als bei den geschriebenen Rechten des § 823 Abs. 1 BGB indiziert beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb die Rechtsgutsverletzung deren Rechtswidrigkeit nicht; vielmehr handelt es sich – ähnlich wie beim Nötigungstatbestand des StGB – um einen offenen Tatbestand, bei welchem sich das Rechtswidrigkeitsurteil erst aus einer Abwägung der wechselseitigen Interessen und Rechtsgüter der Beteiligten ergibt (vgl. BGH vom 6.2.2014, a.a.O., Rz. 15; MünchKomm/Wagner, a.a.O., § 823 Rz. 258). Vorliegend erachtet der Senat nach diesen Grundsätzen die von der Verfügungsbeklagten angekündigte Äußerung für (zur Zeit) widerrechtlich.

Vorauszuschicken ist, dass sich eine Rechtfertigung für das angekündigte Vorgehen der Beklagten entgegen deren Auffassung nicht schon aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ergibt. Zwar ist richtig, dass hiernach der Beklagten eine gerichtliche Geltendmachung des von ihr behaupteten Räumungsanspruchs gegen die Bewohner der gegenständlichen Seniorenresidenz auch dann nicht untersagt werden dürfte, wenn – wie nicht – bereits feststünde, dass solche Ansprüche nicht bestehen. Insoweit handelt es sich jedoch um ein rein prozessuales Privileg, das nichts über die Zulässigkeit entsprechender Anspruchsberühmung im außergerichtlichen Verkehr besagt (vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 15.7.2005 – GSZ 1/04, zitiert nach juris, dort Rz. 23, 24; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.1.2006 – I ZR 217/03, zitiert nach juris, dort Rz. 14). Der von Beklagtenseite angestellte Schluss a maiore ad minus, dass sie sich gegenüber den Bewohnern der Seniorenresidenz eines Räumungsanspruchs berühmen dürfe, weil sie ihn jedenfalls einklagen könnte, trägt somit nicht.

Dieser Befund ändert jedoch nichts daran, dass zugunsten der Verfügungsbeklagten die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) streitet, welcher ein hohes Gewicht zukommt, die aber nicht schrankenlos gewährleistet ist (Art. 5 Abs. 2 GG). Vorliegend ist eine Abwägung mit dem Recht der Verfügungsklägerinnen auf ungestörte Durchführung des gegenständlichen Heimbetriebs vorzunehmen, wobei zumindest mittelbar auch die Interessen der Bewohner einzufließen haben. In der Gesamtschau gewichtet der Senat die Interessen auf Seiten der Klägerinnen derzeit letztlich höher als das für sich gesehen nicht unberechtigte Interesse der Verfügungsbeklagten auf Darstellung ihres Rechtsstandpunktes.

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass sich der Rechtsstandpunkt der Beklagten nach derzeitigem Sachstand als zumindest höchst unsicher darstellt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, sondern erscheint aufgrund der dem Senat von den Parteien mitgeteilten Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren zumindest als möglich, dass dieses Verfahren Tatsachen zutage fördert, die den Rechtsstandpunkt der Beklagten in sich zusammenbrechen lassen, etwa die Anfechtbarkeit der Verträge zwischen den Parteien oder deren Nichtigkeit nach §§ 134, 138 BGB begründen. Immerhin sind Haftbefehle ergangen und wurde das gegenständliche Grundstück beschlagnahmt, was nach strafprozessualen Grundsätzen wesentlich mehr als nur einen Anfangsverdacht voraussetzt. Schon dieser Befund spricht dafür, dass der Verfügungsbeklagten einstweilen ein nur behutsames Vorgehen zugemutet werden kann.

Entscheidend ist aber, dass die Räumungsklage der Verfügungsbeklagten gegen die Verfügungsklägerin zu 1 bis zum (nicht absehbaren) Ende des gegenständlichen Strafverfahrens bestandskräftig ausgesetzt ist. Das bedeutet, dass die Verfügungsbeklagte einen Räumungsanspruch gegen ihre Hauptmieterin – unabhängig von seiner Begründetheit – auf absehbare Zeit nicht realisieren kann, was zumindest faktisch auch auf eventuelle Ansprüche gegen Unter- und Unter-Untermieter (konkret also die Bewohner), die ihre Rechte von der Hauptmieterin ableiten (vgl. auch § 546 Abs. 2 BGB), durchschlägt. Damit ist derzeit kein aktuelles wirtschaftliches Interesse der Verfügungsbeklagten ersichtlich, den von ihr behaupteten Räumungsanspruch gegenüber der Unter-Untermietern außergerichtlich geltend zu machen. Ihr unbezweifelbares Recht, sich solcher Ansprüche zu berühmen, muss daher einstweilen und vorläufig gegenüber dem Recht der Klägerinnen auf ungestörte Betriebsausübung zurücktreten.

Für nicht zielführend erachtet der Senat die Argumentation der Beklagten, durch die beabsichtigten Äußerungen könne der Heimfrieden nicht mehr gestört werden, weil den Bewohnern die Problematik durch zwischenzeitliche Presseveröffentlichungen ohnehin bekannt sei. Denn insoweit hat ein unmittelbares Herantreten an die Unter-Untermieter ein wesentlich qualifizierteres Störungspotential als allgemeine Berichte in den Medien.

Nicht gefolgt werden kann der Beklagten auch in der Behauptung, die untersagte Äußerung würde den Interessen der Bewohner der gegenständlichen Residenz sogar dienen, damit diese selbst entscheiden könnten, ob sie noch Miete an das A. bezahlen. Kraft Miet- bzw. Heimvertrages schulden die Bewohner nämlich die Miete der Verfügungsklägerin zu 2 und – auch auf der Basis des Rechtsstandpunktes der Verfügungsbeklagten – keinesfalls dieser. Sollte sich der Rechtsstandpunkt der Verfügungsbeklagten als zutreffend erweisen, hat der dann vorzunehmende Bereicherungsausgleich in den jeweiligen Leistungsverhältnissen zu erfolgen; die Verfügungsbeklagte hätte sich dann an die Verfügungsklägerin zu 1 als ihre Vertragspartnerin und nicht an die Verfügungsklägerin zu 2 oder gar an die Bewohner der Seniorenresidenz zu halten.

d) Auch die sich aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB ergebenden Anforderungen an einen Unterlassungsanspruch sind erfüllt. Zwar setzt die Vorschrift nach ihrem Wortlaut die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen (Wiederholungsgefahr) voraus, was einen erfolgten Erstverstoß implizieren würde. Der Rechtsgutsinhaber braucht jedoch die erstmalige Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter nicht abzuwarten, sondern kann Unterlassungsansprüche geltend machen, wenn begründete Anhaltspunkte für das Bevorstehen einer erstmaligen Rechtsgutsverletzung gegeben sind (vgl. MünchKomm/Baldus, a.a.O., § 1004 Rz. 289; Palandt/Sprau, a.a.O., vor § 823 Rz. 29). Diese Erstbegehungsgefahr entnimmt der Senat mit dem Landgericht aus der Tatsache, dass die Verfügungsbeklagte den Rechtsverstoß mit Schreiben vom 3.11.2014 angekündigt hat.

e) Ob der widerrechtliche Rechtseingriff der Beklagten auch schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig wäre, ist irrelevant. Unterlassungsansprüche wegen (drohender) rechtswidriger Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter setzen ein Verschulden des Störers nicht voraus (vgl. BGH, Urteil vom 8.3.1990 – III ZR 81/88, zitiert nach juris, dort Rz. 17).

II.

Der Verfügungsgrund ergibt sich – wie das Landgericht zu Recht annimmt – aus der Tatsache, dass die Verfügungsklägerinnen aufgrund des Schreibens der Verfügungsbeklagten vom 3.11.2014 damit rechnen mussten, dass die Verfügungsbeklagte alsbald an die Bewohner der streitgegenständlichen Seniorenresidenz herantritt. Damit erschien es geboten und nötig, dies der Verfügungsbeklagten vorläufig bis zur endgültigen Aufklärung der streitgegenständlichen Vorfälle zu untersagen.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Eine Entscheidung über die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 542 Abs. 2 ZPO).

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