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Rücknahme kombinierter Ehe- und Erbvertrag aus amtlicher Verwahrung

Rechtliche Implikationen der Rücknahme eines kombinierten Ehe- und Erbvertrags

Die rechtliche Dimension der Rücknahme kombinierter Ehe- und Erbvertrag aus amtlicher Verwahrung ist ein Thema von großer Bedeutung, das in jüngster Zeit durch ein Urteil des OLG Frankfurt beleuchtet wurde. Dieses Urteil, das unter dem Aktenzeichen 21 W 63/23 erlassen wurde, befasst sich mit der Frage, unter welchen Umständen eine solche Rücknahme zulässig ist und welche rechtlichen Hürden dabei zu überwinden sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 21 W 63/23 >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • OLG Frankfurt entschied über die Rücknahme eines kombinierten Ehe- und Erbvertrags aus amtlicher Verwahrung.
  • Beteiligte zu 1) und 2) wollten die notarielle Urkunde des Notar A aus der amtlichen Verwahrung zurückfordern.
  • Das Nachlassgericht lehnte die Herausgabe ab, da es die Urkunde als kombinierten Erb-/Ehevertrag interpretierte.
  • Beteiligte zu 1) und 2) stellten klar, dass sie die Herausgabe beider Verträge auch unabhängig voneinander verlangten.
  • Das OLG Frankfurt entschied, dass es sich nicht um einen kombinierten Erb- und Ehevertrag handelt, sondern um ein Testament.
  • Die Rückgabe an die Testierenden persönlich ist erforderlich, um die Widerrufswirkung zu erzielen.
  • Es wurde betont, dass die Entscheidung, einen kombinierten Erbvertrag in amtliche Verwahrung zu geben, auf einem Willensentschluss der Testierenden basiert.

Die Kernfrage des Falles

Im Zentrum des Falles stand die Frage, ob die Beteiligten zu 1) und 2) berechtigt waren, eine notarielle Urkunde aus der amtlichen Verwahrung zurückzufordern. Diese Urkunde, die von Notar A am 04.06.2018 erstellt wurde, wurde ursprünglich in die amtliche Verwahrung gegeben. Als die Beteiligten jedoch später die Änderung des Ehevertrags widerrufen wollten, entstand ein rechtlicher Konflikt. Sie begehrten die Entnahme der Urkunden aus der amtlichen Verwahrung, stießen jedoch auf Widerstand des Nachlassgerichts.

Die rechtlichen Herausforderungen

Das Nachlassgericht argumentierte, dass die beiden Verfügungen nur gemeinsam aus der amtlichen Verwahrung entnommen werden sollten. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass es sich bei der Verfügung vom 04.06.2018 um einen kombinierten Erb-/Ehevertrag handelte. Dieser Punkt war von zentraler Bedeutung, da die Beteiligten zu 1) und 2) die Herausgabe von Urkunden verlangten, die nach Rechtskraft der Entscheidung aufgehoben wurden. Das Gericht betonte, dass die Rückgabe an die Testierenden persönlich erfolgen müsse, um die Widerrufswirkung zu erzielen.

Die Tragweite des Urteils

Das Urteil des OLG Frankfurt hat weitreichende Auswirkungen auf die Praxis der amtlichen Verwahrung von Erbverträgen und Eheverträgen. Es wurde klargestellt, dass die Entscheidung, einen kombinierten Erbvertrag in amtliche Verwahrung zu geben, auf einem Willensentschluss der Testierenden basiert. Dies bedeutet, dass sie sich freiwillig der Möglichkeit begeben haben, diesen später gemäß § 2300 Abs. 2 BGB zurücknehmen zu können. Das Urteil betont auch, dass es keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gibt, wenn kombinierte Erbverträge anders behandelt werden als kombinierte notariell errichtete gemeinschaftliche Testamente.

Relevanz und Bedeutung für zukünftige Fälle

Das Urteil des OLG Frankfurt setzt einen wichtigen Präzedenzfall für zukünftige Fälle, in denen die Rücknahme von kombinierten Ehe– und Erbverträgen aus amtlicher Verwahrung in Frage gestellt wird. Es betont die Bedeutung des Willensentschlusses der Testierenden und die rechtlichen Rahmenbedingungen, die bei der Rücknahme solcher Verträge zu beachten sind. Das Urteil bietet auch eine klare Richtlinie für die Interpretation und Anwendung des § 2300 Abs. 2 BGB und anderer relevanter rechtlicher Bestimmungen in diesem Kontext.

Amtliche Verwahrung Ehe- und Erbvertrag – kurz erklärt


Ein Erbvertrag ermöglicht es, Verfügungen von Todes wegen festzulegen. Wenn dieser Erbvertrag jedoch mit einem Ehevertrag kombiniert wird, kann er nicht mehr aus der amtlichen Verwahrung herausverlangt werden, selbst wenn der kombinierte Vertrag später aufgehoben wurde. Die Verwahrung von notariellen Testamenten und Erbverträgen erfolgt in der Regel beim Nachlassgericht, in dessen Bezirk die Notarin oder der Notar ihren bzw. seinen Amtssitz hat. Es ist jedoch möglich, die Verwahrung bei einem anderen Nachlassgericht zu beantragen. Die besondere amtliche Verwahrung dient dazu, Testamente und Erbverträge vor Verlust und Verfälschung zu schützen und sicherzustellen, dass sie im Erbfall durch das Gericht eröffnet werden.


Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 21 W 63/23 – Beschluss vom 19.09.2023

Auf die befristete Beschwerde vom 14.04.2023 wird der Beschluss des Amtsgerichts Gelnhausen vom 22.03.2023 abgeändert.

Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Beteiligten zu 1) und 2) die notarielle Urkunde des Notar A vom 04.06.2018, UR-Nr. …, ZTR- Verwahrnummer … zurückzugeben.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte zu tragen. Im Übrigen werden außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erhoben.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1) und 2) begehren die Rückgabe zweier in amtliche Verwahrung gegebene Urkunden, die letztwillige Verfügungen enthalten.

Die Beteiligten zu 1) und 2) schlossen mit notarieller Urkunde vom 22.06.2011 des Notars … (UR- Nr. …) einen Vertrag. Mit diesem wurde zunächst gemäß Ziffer I ein Ehevertrag vom 09.06.1988 abgeändert. Unter Ziffer II errichteten die Ehegatten einen Erbvertrag. Wegen der Verfügungen im Einzelnen wird auf die Urkunde des Notars B – UR-Nr. … – (Bl. 20 ff d.A.) Bezug genommen. Die Urkunde wurde gemäß der dortigen Regelung in Ziff. II § 4 Nr. 2 in amtliche Verwahrung gegeben (Bl. 4,19 d.A.).

Mit notarieller Urkunde vom 04.06.2018 (Bl. 25 ff d.A.) errichteten die Beteiligten zu 1) und 2) ein gemeinschaftliches Testament. Darin erklärten sie u.a. den Widerruf von Ziffer II (Erbvertrag) der notariellen Urkunde UR-Nr. …, wobei es im Übrigen bei der Änderung des Ehevertrages gemäß Ziffer I verbleiben sollte. Auch dieses Testament wurde in amtliche Verwahrung gegeben (Bl. 6 d.A.).

Die Beteiligten zu 1) und 2) hatten am 03.07.2018 die Rückgabe der Urkunde Nr. … beantragt (Bl. 8 d.A.). Dabei wurden sie von dem zuständigen Rechtspfleger darauf hingewiesen, dass dies nicht möglich sei, da diese auch ehevertragliche Regelungen enthalte. Nachdem der beurkundende Notar sich nicht zu einer Rücknahme in die dortige Verwahrung geäußert hatte, wies das Nachlassgericht mit Beschluss vom 01.02.2019 den Antrag zurück.

Mit Schreiben vom 29.07.2019 teilten die Beteiligten zu 1) und 2) gegenüber dem Nachlassgericht sodann mit, dass sie die Änderung des Ehevertrages widerrufen würden und begehrten die Entnahme der beiden notariellen Urkunden aus der amtlichen Verwahrung (Bl. 15 d.A.). Am 14.08.2019 beantragten sie die Rückgabe beider Verfügungen vor dem Nachlassgericht und legten gegen den Beschluss vom 01.02.2019 Beschwerde ein. Das Nachlassgericht hatte mit Beschluss vom 15.08.2019 der Beschwerde nicht abgeholfen und den Antrag auf Herausgabe der weiteren letztwilligen Verfügung zurückgewiesen, da es sich bei diesem auch um einen Erbvertrag handele, der sich in § 1 Ziff. 5 auf den Ehevertrag beziehe. Der Senat hat die Beschwerde mit Beschluss vom 29.08.2019 wegen Verfristung als unzulässig verworfen (21 W 104/19, Bl. 31 d.A.). In einem Schreiben vom 26.08.2019 an das Nachlassgericht hatten die Beteiligten zu 1) und 2) nochmal Beschwerde gegen den Beschluss vom 15.08.2019 eingelegt (Bl. 38 d.A.). Mit Schreiben vom 12.10.2019 haben sie auf das eingelegte Rechtsmittel verzichtet (Bl. 45 d.A.).

Mit Schreiben vom 06.11.2019 wandten sich die Beteiligten zu 1) und 2) erneut an das Nachlassgericht mit dem Ersuchen auf Rückgabe beider Urkunden (Bl. 46 d.A.), welches mit Verfügung des Nachlassgerichts vom 12.11.2019 unter Hinweis auf die vorangegangene Korrespondenz abgelehnt wurde (Bl. 48 d.A.).

Die Beteiligten zu 1) und 2) erklärten mit notarieller Urkunde vom 20.12.2022 die Aufhebung der am 22.06.2011 und 04.06.2018 geschlossenen Verträge rückwirkend ab Vertragsschluss (Bl. 52 d.A.). Sodann beantragten sie mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigen vom 14.02.2023 die Rückgabe des Erbvertrages vom 22.06.20211 sowie die Rückgabe der Verfügung von Todes wegen vom 04.05.2018 (Bl. 54 d.A.). Sie sind der Auffassung, § 2300 Abs. 2 S.1 BGB stehe der Rückgabe nicht entgegen, da die Verträge rückwirkend ab Vertragsschluss aufgehoben worden seien. Es bedürfe keiner Aufhebungsfiktion, da die Aufhebung bereits erklärt worden sei, so dass der Sinn und Zweck der Vorschrift, Auslegungsprobleme und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, nicht berührt werde.

Das Nachlassgericht hat mit Verfügung vom 20.02.2023 darauf hingewiesen, dass es den Antrag dahingehend auslege, dass die beiden Verfügungen nur gemeinsam aus der amtlichen Verwahrung entnommen werden sollten und dass es sich auch bei der Verfügung vom 04.06.2018 um einen kombinierten Erb-/Ehevertrag handele (Bl. 58 ff d.A.). Eine Herausgabe sei daher nicht möglich, auch wenn sie zwischenzeitlich durch Aufhebungsvertrag aufgehoben worden seien.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben daraufhin klargestellt, dass die Herausgabe beider Verträge auch unabhängig voneinander verlangt werde und um Erlass einer rechtsmittelfähigen Entscheidung gebeten (Bl. 59 d.A.).

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 22.03.2023 die Anträge der Beteiligten zu 1) und 2) zurückgewiesen. Hinsichtlich der Rückgabe des Erbvertrages vom 22.06.2011 sei bereits eine rechtskräftige Entscheidung ergangen, der Aufhebungsvertrag stelle keine neue Ausgangslage für eine Rückgabe dar. Bezüglich der letztwilligen Verfügung vom 04.06.2018 werde auf den Beschluss des Nachlassgerichts vom 01.02.2019 Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss, der den Beteiligten zu 1) und 2) am 27.03.2023 zugestellt worden ist (Bl. 63 d.A.), haben diese am 14.04.2023 unter Wiederholung ihrer Rechtsauffassung Beschwerde eingelegt (Bl. 64,65 ff d.A.).

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 15.05.2023 nicht abgeholfen, sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 73 d.A.).

Nach einem Hinweis der Berichterstatterin vom 14.06.2023 zur Frage der Einordnung des gemeinschaftlichen Testaments als Erbvertrag sowie zur Vertretungsbefugnis beim Herausgabeverlangen – wegen des Inhalts im Übrigen auf Bl. 76 ff d.A. Bezug genommen wird – haben die Beteiligten zu 1) und 2) ergänzend vorgetragen.

II.

1. Die Beschwerde vom 14.04.2023 ist zulässig, insbesondere fristgerecht gemäß § 63 FamFG innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses bei dem Nachlassgericht eingegangen. Zudem sind die Beteiligten zu 1) und 2) als Antragsteller wegen der Zurückweisung ihrer Anträge beschwerdebefugt i.S.d. § 59 FamFG.

2. In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.

a) Einer Entscheidung über die Anträge vom 14.02.2023 steht die Zurückweisung des Antrags vom 03.07.2018 betreffend den Erbvertrag durch Beschluss vom 01.02.2019 sowie des Antrags vom 14.08.2019 betreffend das gemeinschaftliche Testament durch Beschluss vom 15.08.2019 nicht entgegen.

Zwar ist die Zurückweisung der Anträge jeweils in formelle Rechtskraft erwachsen, hinsichtlich des Antrags vom 03.07.2019 durch den Senatsbeschluss vom 29.08.2019, hinsichtlich des Antrags vom 14.08.2019 durch die als Rücknahme der Beschwerde auszulegende Erklärung vom 12.10.2019. Die Entscheidungen entfalten jedoch keine materielle Rechtskraft hinsichtlich der nunmehrigen Anträge. Diese beruhen bereits auf einem geänderten Sachverhalt, so dass der Verfahrensgegenstand nicht mehr identisch ist. Denn die Beteiligten zu 1) und 2) verlangen nunmehr die Herausgabe von nach Rechtskraft der Entscheidung aufgehobener Urkunden. Zudem erwächst die Entscheidung über den Herausgabeantrag nicht in materielle Rechtskraft. Dies ist nur dann der Fall, wenn mangels vergleichbarer Regelungen zu den §§ 322, 325 ZPO in FamFG-Verfahren es einer Analogie zum Ausgleich widerstreitender Interessen einer verbindlichen Klärung bedarf. Dies ist in den Verfahren der rein vorsorgenden Gerichtsbarkeit, so auch in Nachlassverfahren oder in nicht streitigen Antragsverfahren, regelmäßig nicht der Fall (Sternal/Jokisch, FamFG, 21. Aufl., § 45 RN. 28, 30; BeckOK FamFG/Obermann, Stand 01.08.2023, § 45 Rn. 2a). Einer wiederholten Antragsstellung – bei gleichbleibendem Sachverhalt – kann dann über das in der Regel fehlende Rechtsschutzbedürfnis Rechnung getragen werden.

b) Das Herausgabeverlangen ist hinsichtlich des gemeinschaftlichen Testaments vom 04.06.2018 begründet.

aa) Es handelt sich entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts schon nicht um einen Erbvertrag, jedenfalls nicht um einen kombinierten Erb- und Ehevertrag. Denn die ausdrücklich als Testament bezeichnete letztwillige Verfügung enthält – worauf auch die Beteiligten zu 1) und 2) zutreffend hingewiesen haben – keine ehevertraglichen Regelungen. In dem Testament wird lediglich in § 1 Ziff. 5 im Hinblick auf den Widerruf nur betreffend die unter Ziffer II der Urkunde vom 22.06.2011 als Erbvertrag geschlossenen Verfügungen informatorisch klargestellt, dass damit keine Änderung des Ehevertrages gemäß Ziffer I verbunden ist. Es handelt sich daher allein um eine informatorische Bezugnahme und nicht um eine – allenfalls relevante – echte Verweisung (vgl. hierzu Staudinger/Raff, BGB, 2022, § 2300 Rn. 10). Im Übrigen ist die Einschränkung des § 2300 Abs. 2 BGB auf gemeinschaftliche Testamente nicht anwendbar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.02.2022 – 14 W 6/22, juris Rn. 14).

bb) Das Herausgabeverlangen konnte auch wirksam durch die Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) und 2) gestellt werden. Denn das Gesetz sieht lediglich vor, dass aufgrund der Wirkung der Rücknahme die Rückgabe nur an den bzw. die Erblasser persönlich erfolgen kann (§ 2256 Abs. 2 S.2 BGB und entsprechend für den Erbvertrag § 2300 Abs. 2 S.2 BGB). Erst die Rückgabe an die Testierenden persönlich führt zum Eintritt der Widerrufswirkung und damit zu einer, einer Verfügung von Todes wegen vergleichbaren Wirkung, so dass die Rückgabe an einen Vertretungsbevollmächtigen ausgeschlossen ist (MüKoBGB/Sticherling, 9. Aufl. 2022, 3 2256 Rn. 8; Grüneberg/Weidlich, BGB, 2023, § 2256 Rn. 4).

Die teilweise in der Literatur letztlich auf einem Umkehrschluss beruhende Auffassung, dass aus der Höchstpersönlichkeit der Rücknahmehandlung auch bereits das Rückgabeverlangen ein höchstpersönliches Recht darstelle (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, aaO, Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 2300 Rn. 4; Kroiß/Horn, Erbrecht, 6. Aufl. 2022, § 2300 Rn. 9; Ermann/Kappler, BGB, 2020, § 2300 Rn.3, jeweils für den Erbvertrag), vermag nicht zu überzeugen. Das Gesetz regelt nur die Abwicklung der Rückgabe. Diesem geht regelmäßig ein Herausgabeverlangen, sei es durch einen schriftlichen Antrag oder durch eine Terminsvereinbarung, voraus. Ein sachlicher Grund dafür, dass hierbei eine Stellvertretung nicht möglich sein sollte, ist nicht ersichtlich. Die Frage, ob die Urkunde herauszugeben ist, kann ohne weiteres zunächst schriftlich und im Streitfall auch unter Hinzuziehung anwaltlicher Unterstützung geklärt werden. Durch die Erforderlichkeit der persönlichen Rückgabe wird zudem gewährleistet, dass der entsprechende Rücknahmewillen und insoweit ein persönliches Rücknahmeverlangen zum Zeitpunkt der Herausgabe weiterhin vorliegt (MüKoBGB/Sticherling, 9. Aufl. 2022, § 2256 Rn. 6; BeckOGK/Grziwotz, BGB, Stand, 01.04.2023, § 2256 Rn. 6; Burandt/Rojahn/Lauck, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 2256 Rn. 4; Kroiß/Horn, Erbrecht, 6. Aufl. 2022, § 2256 Rn. 6, Fn. 7).

Da die Herausgabe allein durch das Nachlassgericht und nur an die Beteiligten zu 1) und 2) persönlich erfolgen kann, war dieses entsprechend anzuweisen.

c) Zurecht hat das Nachlassgericht jedoch die Herausgabe der Urkunde vom 22.06.2011 (UR-Nr. …) abgelehnt. Denn es handelt sich um einen kombinierten Ehe- und Erbvertrag, der nicht nur Verfügungen von Todes wegen enthält. Damit ist die Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung nach der gesetzlichen Regelung des § 2300 Abs. 2 BGB ausgeschlossen.

Wie in dem Hinweis der Berichterstatterin vom 14.06.2023 bereits dargelegt, kommt die Rückgabe eines kombinierten Erbvertrages nicht in Betracht (BeckOGK/Müller/Engels, BGB, § 2300 Rn. 16; Grüneberg/Weidlich, aaO, Rn. 3; Kroiß/Horn, Erbrecht, 6. Aufl. 2022, § 2300 Rn. 6; Keim ZEV 2003,55,56; DNotI Report 2003,153). Der Reformgesetzgeber hat bei der Änderung von § 2300 BGB die Möglichkeit der Rückgabe ausdrücklich auf „reine“ Erbverträge beschränkt. Mit der Änderung sollte die Rechtslage nur hinsichtlich solcher Erbverträge, welche „lediglich Verfügungen von Todes wegen enthalten“, an die Rechtslage bei gemeinschaftlichen Testamenten angeglichen werden (BT. Drs. 14/9266, S.49). Ausgehend von dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung kommt eine Herausgabe daher nicht in Betracht.

Auf die Wirksamkeit des in amtliche Verwahrung gegebenen Erbvertrages kommt es dabei nicht an. Denn die Frage der Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung ist allein in einem späteren Erbscheinsverfahren – oder etwaigen Erbenfeststellungsverfahren – durch das Nachlassgericht bzw. das Prozessgericht zu prüfen (Grüneberg/Weidlich, aaO, § 2259 Rn.2; MüKoBGB/Sticherling, 9. Aufl. 2022, § 2259 BGB, Rn. 8). Dem Rechtspfleger obliegt keine Prüfung der etwaigen Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung im Rückgabeverfahren. Es handelt sich um ein formelles Verfahren, welches die Kehrseite der Annahme in die amtliche Verwahrung bildet. Auch bei dieser und ebenso bei der Eröffnung einer letztwilligen Verfügung ist die Wirksamkeit derselben durch den Rechtspfleger nicht zu prüfen, es genügt, dass die Dokumente äußerlich gesehen als letztwillige Verfügung in Betracht kommen (Sternal/Zimmermann, FamFG, 2023, § 346 Rn. 7; BeckOK FamFG/Schlögel, Stand 01.08.2023 § 346 Rn. 7; MüKoFamFG Muscheler, 3. Aufl., § 346 Rn. 7). Daher sind etwa auch offensichtlich unwirksame Testamente zu eröffnen, ebenso widerrufene Testamente und aufgehobene Erbverträge im Hinblick auf die spätere etwaige Rückgängigmachung (BeckOK FamFG/Schlögel, aaO). Dies korrespondiert etwa mit der Verpflichtung des Notars gemäß § 43a BNotO, auch aufgehobene Erbverträge nach dem Tod bei dem Nachlassgericht zur Eröffnung einzureichen (MüKoBGB/Sticherling, 9. Aufl. 2022, § 34a BeurkG, Rn. 25).

Soweit die Antragsteller die Auffassung vertreten, dass der Rückgabe der Urkunde vom 22.06.2011 kein nachvollziehbarer Grund entgegenstehe, so beruht die Entscheidung auf der gesetzlichen Regelung in § 2300 Abs. 2 BGB, an die das Nachlassgericht gebunden ist. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich dafür entschieden, die Anpassung an die für gemeinschaftliche Testamente geltende Regelung der Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung nur für reine Erbverträge vorzusehen. Es kommt daher weder eine Analogie zu § 2256 BGB, noch eine den Anwendungsbereich erweiternde teleologische Auslegung des § 2300 Abs. 2 BGB in Betracht. Die gesetzliche Regelung enthält nach der Gesetzesbegründung keine Regelungslücke. Der Sinn und Zweck der Regelung war die Gleichstellung mit gemeinschaftlichen Testamenten, soweit ein reiner Erbvertrag vorliegt.

Schließlich ist eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 2300 Abs. 2 BGB auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung veranlasst. Zwar liegt im Hinblick auf das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein Grundrechtseingriff vor. Denn die Testierenden haben nicht mehr die Möglichkeit, eine Eröffnung des Erbvertrages zu verhindern und müssen damit die Bekanntgabe auch eines mittlerweile geänderten Willens in Kauf nehmen.

Der Eingriff erweist sich jedoch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm als gerechtfertigt. Denn die Beschränkung der Rücknahmemöglichkeit bei kombinierten Erbverträgen dient dem Schutz der die ehevertraglichen Regelungen enthaltenen Original-Urkunde vor Verlust und damit der Rechtssicherheit. Ein Ehevertrag enthält typischerweise Regelungen, die – anders als letztwillige Verfügungen – zu Lebzeiten maßgeblich sind, etwa hinsichtlich des Güterstandes und sich daran anknüpfender Rechtsfolgen. Der Erhalt der Originalurkunde ist daher im Interesse der Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung.

Zudem beruht die Entscheidung, einen kombinierten Erbvertrag in amtliche Verwahrung zu geben auf einem Willensentschluss der Testierenden und ist insoweit Folge der freiwilligen Wahl dieses rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmittels (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.04.1989 – 1 BvR 33/89, juris). Anders als bei einem notariell beurkundeten gemeinschaftlichen Testament, welches gemäß § 34 Abs. 1 BeurkG in amtliche Verwahrung zu geben ist, ist bei Erbverträgen der Ausschluss der amtlichen Verwahrung nicht nur möglich, sondern bei kombinierten Erbverträgen als Regelfall vorgesehen (§ 34 Abs. 2 BeurkG). Indem die Beteiligten zu 1) und 2) den kombinierten Ehe- und Erbvertrag gleichwohl in die besondere amtliche Verwahrung gegeben haben, haben sie sich freiwillig der Möglichkeit begeben, diesen später gemäß § 2300 Abs. 2 BGB zurücknehmen zu können.

Zwar liegt damit im Ergebnis eine Ungleichbehandlung von kombinierten Erbverträgen gegenüber kombinierten notariell errichteten gemeinschaftlichen Testamenten vor, deren Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung weiterhin möglich ist (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2022 – 14 W 6/22). Hierin ist jedoch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen. Denn die hinsichtlich der Rückgabe bestehende Differenzierung zwischen beiden Formen der letztwilligen Verfügung ist jedenfalls nicht als willkürlich anzusehen. Nach den Erfahrungen des Senats sind in gemeinschaftlichen Testamenten ganz überwiegend nur letztwillige Verfügungen enthalten. Eine Kombination eines gemeinschaftlichen Testaments mit sonstigen vertraglichen Regelungen stellt insbesondere in privatschriftlich errichteten gemeinschaftlichen Testamenten eine Ausnahme dar. Gemeinschaftliche Testamente bedürfen anders als Erbverträge für deren Formwirksamkeit nicht der notariellen Beurkundung. Da der Erbvertrag notariell zu beurkunden ist, ist es hingegen näherliegend, dass mit diesem auch von den Testierenden ohnehin beabsichtigte, weitere notariell zu beurkundende Erklärungen abgegeben werden. Diesen Fall hat der Gesetzgeber auch als regelungsbedürftig angesehen, wie aus § 34 Abs. 2 BeurkG und nunmehr § 2300 Abs. 2 BGB hervorgeht. Für das gemeinschaftliche Testament hingegen ist eine Vielzahl von Fallgestaltungen denkbar, hinsichtlich deren bei einer etwaigen Regelung wiederum Differenzierungen veranlasst wären, etwa mit Blick auf privatschriftlich oder öffentlich errichtete gemeinschaftliche Testamente oder den Gegenstand der mit der letztwilligen Verfügung kombinierten sonstigen Regelung und deren etwaigen Beurkundungsbedürftigkeit. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber allein den typischen Fall des – zwingend notariell zu errichtenden – Erbvertrages, der nicht lediglich letztwillige Verfügungen enthält, hinsichtlich der Frage der Rückgabe einer besonderen Regelung unterworfen hat, ohne diese Einschränkung auf gemeinschaftliche Testamente zu erstrecken. Entsprechende Fallkonstellationen dürften zudem in der Zukunft noch seltener auftreten, da seit dem Inkrafttreten des GNotKG das Kostenprivileg der einheitlichen Beurkundung einer letztwilligen Verfügung mit einem Ehevertrag weggefallen ist und aus notarieller Sicht ein Grund für eine zusammenfassende Beurkundung nicht mehr besteht (vgl. § 111 Nr. 1 und 2 GNotKG; Litzenburger, Anmerkung zu OLG Karlsruhe, ZEV 2022,226,227).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Angesichts des teilweisen Erfolgs der Beschwerde entsprach es billigem Ermessen, dass die Beteiligten zu 1) die hälftigen Kosten zu tragen haben und im Übrigen von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen ist. (Rechtschreibfehler von der Redaktion korrigiert)

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist, soweit die Beschwerde zurückgewiesen wurde, nicht veranlasst. Zulassungsgründe i.S.d § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller vertretene Rechtsauffassung steht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung und wird soweit ersichtlich weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung vertreten. Abweichende oberlandesgerichtliche Entscheidungen liegen nicht vor. Folglich ist kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Senats gegeben.

Die Festsetzung eines Geschäftswertes war angesichts der im Beschwerdeverfahren anfallenden Festgebühr nicht veranlasst.

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