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Ausweisung von Anschluss- und Erschließungsbeiträgen im Grundstückskaufvertrag

VGH Baden-Württemberg – Az.: 2 S 762/22 – Beschluss vom 26.04.2022

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. März 2022 – 12 K 2601/21 – geändert.

Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig. Der Rechtsstreit wird an das Landgericht Heidelberg verwiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die weitere Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Erstattung von Erschließungskosten im Zusammenhang mit einem Grundstückskaufvertrag. Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob für den geltend gemachten Zahlungsanspruch der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.

Der Kläger erwarb von der Beklagten mit notariellem Kaufvertrag vom 30.03.2017 das Grundstück Flst.-Nr. …, E … weg … in S … . Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Große Mühllach II“, der im Januar 2016 in Kraft getreten ist. Zuvor galt für das Grundstück der im Jahr 1997 in Kraft getretene Bebauungsplan „Große Mühllach“. Das Grundstück ist bereits seit dem Jahr 1998 erschlossen und wurde gemäß § 8 Satz 1 des Kaufvertrags als „erschlossen“ veräußert. Der Kaufpreis für das Grundstück betrug nach § 3 Abs. 1 des Kaufvertrags 311.279,10 EUR. Hierin waren nach der vertraglichen Vereinbarung Kosten für die erstmalige Erschließung (Erschließungskosten, Klärbeitrag, Anschlusskosten an das Nahwärmenetz) in Höhe von 53.879,10 EUR enthalten (vgl. auch § 8 Satz 2 des Kaufvertrags).

Mit Schreiben vom 18.09.2017 forderte der Kläger die Beklagte auf, für das Grundstück die Erschließungskosten abzurechnen und den überzahlten Betrag zu erstatten. Zugrunde zu legen seien nicht die Erschließungskosten für das Baugebiet „Große Mühllach II“, das auf der Grundlage eines mit der … … … … GmbH geschlossenen Erschließungsvertrags vom 16.11.2015 erschlossen worden sei, sondern die bereits im Jahr 1998 entstandenen Erschließungskosten.

Der Kläger hat am 20.07.2021 Klage beim Verwaltungsgericht erhoben und macht geltend, ihm stehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 31.160,81 EUR zu, da die von ihm auf der Grundlage des notariellen Kaufvertrags gezahlten Erschließungskosten überhöht seien.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat gerügt, der Verwaltungsrechtsweg sei nicht eröffnet. Es gebe keine Rechtsgrundlage für den behaupteten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Denn der Kläger sei weder durch Bescheid zu Erschließungskosten herangezogen worden noch habe er sich durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag verpflichtet, Erschließungsbeiträge zu bezahlen. Zwischen den Beteiligten sei lediglich ein privatrechtlicher Grundstückskaufvertrag geschlossen worden und der Kläger begehre die Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises. Das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten sei deshalb privatrechtlicher Natur.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 09.03.2022 – 12 K 2601/21 – hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe vorab über die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs entschieden und diese bejaht.

Hiergegen richtet sich die Rechtswegbeschwerde der Beklagten.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Sie ist gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 146 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beschwerde ist auch begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO bejaht. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.

Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn – wie hier – eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Entscheidend ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt, und nicht, ob dieser sich auf eine zivilrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft (GmS-OGB, Beschluss vom 10.07.1989 – GmS-OGB 1/88 – BGHZ 108, 284). Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet. Für die Abgrenzung eines öffentlich-rechtlichen von einem privatrechtlichen Vertrag kommt es daher auf dessen Gegenstand und Zweck an. Die Rechtsnatur des Vertrages bestimmt sich danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzurechnen ist (GmS-OGB, Beschluss vom 10.04.1986 – GmS-OGB 1/85 – BVerwGE 74, 368; BVerwG, Beschluss vom 26.05.2010 – 6 A 5.09).

Nach diesen Grundsätzen liegt hier keine öffentlich-rechtliche, sondern eine privatrechtliche Streitigkeit vor, für die gemäß § 13 GVG der Zivilrechtsweg eröffnet ist. Der Kläger stützt seinen Anspruch der Sache nach nicht auf eine öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage, sondern auf einen privatrechtlichen Grundstückskaufvertrag. Er begehrt die Rückzahlung eines Teils des Grundstückskaufpreises.

Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, es handele sich bei dem notariellen Vertrag vom 30.03.2017 um einen typengemischten Vertrag, der neben kaufvertragsrechtlichen Regelungen auch – rechtlich unzulässige – Vertragsbestimmungen im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB bzw. des § 26 KAG enthalte, mit denen ein Erschließungsbeitrag abgelöst werden solle, oder jedenfalls Regelungen, mit denen sich die Beklagte Erschließungskosten als öffentlich-rechtliche Leistung habe versprechen lassen wollen.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist dem notariellen Vertrag nicht zu entnehmen, dass die Beklagte der Sache nach einen Erschließungsbeitrag im Sinne des § 20 Abs. 2 KAG geltend machen wollte. Die kaufvertragliche Regelung stellt auch keine Umgehung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen oder eine verdeckte Ablösungsvereinbarung dar. Mit dem notariellen Grundstückskaufvertrag haben die Beteiligten vielmehr eine rein privatrechtliche Vereinbarung abgeschlossen.

Nach § 24 i.V.m. § 16 Satz 1 KAG sind Anschluss- und Erschließungsbeiträge bei Grundstücken, die im Eigentum des Beitragsberechtigten (hier der Gemeinde) stehen, in der Höhe, wie sie bei einem Dritten entstehen würden, intern zu verrechnen, sobald die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen die Beitragsschuld bei einem Dritten entstehen würde. Die (sachliche) Beitragsschuld für solche Grundstücke gilt nach § 24 i.V.m. § 16 Satz 2 KAG in dem Zeitpunkt als entstanden (und zugleich als erloschen), in dem sie bei einem Dritten entstehen würde (vgl. Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 16). Damit hat Baden-Württemberg eine von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitrag nach dem Baugesetzbuch abweichende Regelung getroffen. Nach dieser Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.10.1983 – 8 C 29.82) kann für ein im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenes Grundstück, das noch im Eigentum der Gemeinde steht, zwar eine sachliche Beitragspflicht der Gemeinde nicht entstehen, da niemand sein eigener Schuldner sein kann; jedoch entsteht die sachliche Beitragspflicht, wenn die Gemeinde das Eigentum an dem Grundstück auf einen anderen überträgt.

Nach baden-württembergischem Landesrecht kann die Beitragsschuld nach dem Zeitpunkt, zu dem sie gemäß § 24 i.V.m. § 16 Satz 2 KAG als entstanden gilt, nicht nochmals zur Entstehung gelangen und damit auch nicht mehr nach § 26 KAG abgelöst werden (vgl. Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 24 Erl. 2.2; Miller, VBlBW 2007, 46 ). Denn Ablösungsvereinbarungen nach § 26 KAG dürfen nur vor der Entstehung der sachlichen Beitragsschuld abgeschlossen werden, wie sich aus § 26 Abs. 3 KAG ergibt, wonach die Ablösung beitragsbefreiende Wirkung hat (vgl. Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 26 Erl. 1).

Die landesrechtliche Regelung des § 24 KAG, die zum 01.05.2005 in Kraft getreten ist, findet hier Anwendung, obwohl das streitgegenständliche Grundstück bereits seit dem Jahr 1998 erschlossen ist. Denn nach der Überleitungsbestimmung des § 49 Abs. 7 Satz 2 KAG finden die Vorschriften des Baugesetzbuchs nur noch Anwendung, wenn für Grundstücke eine Beitragsschuld vor dem Inkrafttreten des landesrechtlichen Erschließungsbeitragsrechts am 01.10.2005 entstanden ist und der Erschließungsbeitrag noch erhoben werden kann. Da nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.10.1983 (aaO) für die gemeindeeigenen Grundstücke bis zum 01.10.2005 keine Beitragspflicht entstehen konnte, ist die Regelung des § 24 KAG auch für diese Grundstücke anzuwenden. Für das streitgegenständliche Grundstück gilt folglich mit dem Inkrafttreten der Neuregelung des § 24 KAG am 01.10.2005 die sachliche Beitragsschuld als entstanden und zugleich als erloschen (vgl. Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 24 Erl. 2.2; GPA-Mitteilung 5/2006).

Die Beklagte konnte das Grundstück im Jahr 2017 deshalb als „erschlossen“ zu einem entsprechenden Kaufpreis veräußern, ohne den Anteil der Erschließungskosten am Kaufpreis offenlegen zu müssen (vgl. hierzu auch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 24 KAG, LT-Drs. 13/3966, S. 53). Weist die Gemeinde – wie hier die Beklagte – im Kaufvertrag dennoch einen bestimmten Betrag als Erschließungskosten aus, so kann dies nicht, wie das Verwaltungsgericht meint, als (verdeckte) Ablösungsvereinbarung im Sinne des § 26 KAG verstanden werden; vielmehr hat die Ausweisung der Erschließungskosten in diesem Fall nur informatorischen Charakter (vgl. zum Ganzen Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 24 Erl. 2.2; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Rn. 1034, 1534; Miller, VBlBW 2007, 46 ; GPA-Mitteilung 4/2020; GPA-Mitteilung 5/2006).

Dass die Beklagte im vorliegenden Fall bei der Bemessung des Kaufpreises mit Blick auf den aktuellen Verkehrswert des Grundstücks (vgl. § 92 Abs. 1 Satz 2 GemO) nicht die tatsächlichen Erschließungskosten aus dem Jahr 1998 angesetzt hat, sondern einen Betrag, der den Erschließungskosten für die anderen im Baugebiet „Große Mühllach II“ gelegenen Grundstücke entspricht, die erst auf der Grundlage des Erschließungsvertrags vom 16.11.2015 erschlossen wurden, führt nicht – auch nicht teilweise – zum öffentlich-rechtlichen Rechtscharakter des privatrechtlichen Kaufvertrags.

Soweit das Verwaltungsgericht schließlich auf die vertragliche Regelung des § 8 Satz 3 des notariellen Kaufvertrags verweist, führt dies ebenfalls nicht weiter. Denn mit dieser Regelung wird lediglich klargestellt, dass die Beklagte trotz der mit dem Kaufpreis bezahlten Erschließungskosten berechtigt sein soll, Beiträge aufgrund anderer abgabenrechtlicher Vorschriften, d.h. für andere Kosten, zu erheben. Diese Vorschrift ist für die Rechtsnatur des notariellen Kaufvertrags und damit für die Rechtswegfrage ohne Belang. Denn die Erhebung anderer Beiträge müsste im Wege eines Bescheids erfolgen, gegen den sich der Kläger notfalls im Verwaltungsrechtsweg zur Wehr setzen könnte.

Nach alledem ist im vorliegenden Fall nicht der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sondern der Zivilrechtsweg nach § 13 GVG eröffnet. Sachlich und örtlich zuständig für den geltend gemachten Zahlungsanspruch in Höhe von 31.160,81 EUR ist das Landgericht Heidelberg (§ 23 Nr. 1 GVG, §§ 1, 12, 18 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Sie ist nicht wegen der Regelung in § 17b Abs. 2 GVG entbehrlich; vielmehr löst die Anfechtung der Entscheidung über die Verweisung ein selbständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Bestimmungen über die Kosten zu befinden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.09.2009 – 2 B 69.09 und Beschluss vom 28.09.1994 – 1 B 163.94; BGH, Beschluss vom 17.06.1993 – V ZB 31/92).

Ein Streitwert ist nicht festzusetzen, weil für die erfolgreiche Beschwerde nach dem Gerichtskostengesetz keine Gerichtskosten anfallen.

Gründe für eine Zulassung der weiteren Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 17a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

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