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Ermessensfehlerhafte Ausübung gemeindliches Vorkaufsrechts

Gemeinde verliert Vorkaufsrecht für Seniorenresidenz

Das Thema der ermessenfehlerhaften Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts stellt eine wesentliche Fragestellung im öffentlichen Baurecht dar. Im Kern geht es um die Ausbalancierung zwischen den Interessen der Gemeinde, die aufgrund bestimmter städtebaulicher Ziele Grundstücke erwerben möchte, und den Rechten der Grundstückseigentümer. Die zentrale juristische Herausforderung liegt in der korrekten Anwendung und Auslegung des Ermessensspielraums, den das Baugesetzbuch (BauGB) den Gemeinden bei der Ausübung des Vorkaufsrechts einräumt.

Besonders relevant ist hierbei § 25 BauGB, der die Voraussetzungen für ein besonderes Vorkaufsrecht der Gemeinden regelt. Dieses Recht ermöglicht es Gemeinden, Grundstücke zu erwerben, um bestimmte städtebauliche Maßnahmen, wie beispielsweise die Errichtung einer Seniorenresidenz, zu realisieren. Die Ausübung dieses Rechts muss jedoch einer sorgfältigen Ermessensprüfung unterliegen, um sicherzustellen, dass sowohl die Interessen der Gemeinde als auch die der betroffenen Grundstückseigentümer angemessen berücksichtigt werden.

In der Praxis führt die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts häufig zu rechtlichen Auseinandersetzungen, in denen die Gerichte die Angemessenheit und Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung der Gemeinde überprüfen. Dabei spielen sowohl die spezifischen Umstände des Einzelfalls als auch die übergeordneten städtebaulichen Ziele eine Rolle. Das Verwaltungsgericht und in der Berufungsinstanz der Verwaltungsgerichtshof sind dabei gefordert, eine ausgewogene Entscheidung zu treffen, die den gesetzlichen Rahmenbedingungen und den individuellen Gegebenheiten des Falles gerecht wird.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 9 ZB 21.2818  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Urteil des VGH München (Az.: 9 ZB 21.2818) vom 13.09.2022 bestätigt die Aufhebung eines Bescheids, in dem ein gemeindliches Vorkaufsrecht ausgeübt wurde, aufgrund einer ermessensfehlerhaften Entscheidung der Gemeinde, die wesentliche Belange der Klägerin nicht berücksichtigte.

Zentrale Punkte des Urteils:

  1. Ermessensfehlerhafte Ausübung des Vorkaufsrechts: Die Gemeinde übte ihr Vorkaufsrecht für Grundstücke aus, die für eine Seniorenresidenz benötigt wurden, ohne wesentliche Belange der Klägerin zu berücksichtigen.
  2. Aufhebung des Bescheids durch das Verwaltungsgericht: Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt und hob den Bescheid aufgrund von rechtlichen Bedenken und Ermessensfehlern auf.
  3. Unzureichende Berücksichtigung wesentlicher Belange: Die Gemeinde berücksichtigte nicht, dass die Klägerin plant, auf den Grundstücken Wohnungen für sich und ihre Mutter zu errichten und bereits in Planung und Projektentwicklung investiert hatte.
  4. Fehlende Anhörung der Klägerin: Die Gemeinde unterließ es, die Klägerin anzuhören, was zu einem Informationsdefizit und einer unzureichenden Ermessensentscheidung führte.
  5. Keine nachträgliche Heilung des Ermessensdefizits: Die Gemeinde konnte das Ermessensdefizit nicht nachträglich heilen, da sie weiterhin von einem reinen Vermögensanlageinteresse der Klägerin ausging.
  6. Bestätigung durch den VGH München: Der VGH München bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und lehnte die Zulassung der Berufung ab, da keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestanden.
  7. Bedeutung individueller Vertragsgestaltungen: Das Urteil betont, dass individuelle Vertragsgestaltungen und spezifische Interessen der Beteiligten in Ermessensentscheidungen einzubeziehen sind.
  8. Keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit: Der VGH München sah keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen, da diese stets einzelfallabhängig zu beantworten sind.

Ermessensfehlerhafte Ausübung des Vorkaufsrechts: Ein Fall für das Verwaltungsgericht

Im Zentrum des vorliegenden Falles steht die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts durch den Beklagten, eine Gemeinde, gegenüber der Klägerin. Die Klägerin hatte zwei ihr gehörende Grundstücke durch einen notariellen „Kaufvertrag und Bauträgervertrag“ am 6. April 2020 verkauft. Der Beklagte machte daraufhin von seinem gesetzlich zustehenden Vorkaufsrecht Gebrauch, wie es in einem Bescheid vom 19. Juni 2020 festgehalten wurde. Dies begründete er mit der Notwendigkeit der Grundstücke für die Errichtung einer Seniorenresidenz, gestützt auf eine von ihm erlassene Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB.

Klage gegen die Gemeinde: Die Rolle des Verwaltungsgerichts

Die Klägerin erhob Klage gegen die Ausübungdieses Vorkaufsrechts, woraufhin das Verwaltungsgericht dem Anliegen stattgab und den Bescheid aufhob. Das Gericht äußerte Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit der Vorkaufsrechtssatzung des Beklagten und stellte in Frage, ob das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts tatsächlich rechtfertige. Zudem wurde die Ausübung des Vorkaufsrechts als ermessensfehlerhaft eingestuft, da wesentliche Belange der Klägerin nicht in die Entscheidung einbezogen wurden.

Berufung und Ermessensentscheidung: Der VGH München entscheidet

Der Beklagte legte gegen diese Entscheidung Berufung ein, indem er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vorbrachte und die besondere tatsächliche sowie rechtliche Schwierigkeit des Falles betonte. Die Klägerin verteidigte das Urteil der ersten Instanz.

Der Verwaltungsgerichtshof München wies jedoch den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Das Gericht bestätigte die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Beklagte wesentliche Belange der Klägerin nicht berücksichtigt hatte. Insbesondere wurde bemängelt, dass der Beklagte nicht erkannt hatte, dass die Klägerin nicht nur ein Interesse am Erhalt des Kaufpreises hatte, sondern auch beabsichtigte, auf den Grundstücken Wohnungen für sich und ihre Mutter zu errichten. Diese Pläne waren bereits fortgeschritten und durch Verträge und finanzielle Aufwendungen untermauert.

Zusammenfassung: Rechtswidrigkeit des Bescheids und Ermessensdefizit

Der VGH München stellte fest, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung zur Ausübung des Vorkaufsrechts ein Ermessensdefizit aufwies, da er wesentliche Belange der Klägerin nicht in seine Entscheidung einbezogen hatte. Dies führte zur Rechtswidrigkeit des Bescheids. Der Beklagte hatte argumentiert, dass er sich ausreichend mit den Belangen der Klägerin auseinandergesetzt hatte und dass das private Interesse der Klägerin das öffentliche Interesse nicht überwiegen könne. Der VGH München wies diese Argumentation zurück und betonte, dass die besonderen Umstände des Falles in die Ermessensentscheidung hätten einfließen müssen.

Zusammenfassend bestätigte der VGH München die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts im vorliegenden Fall ermessensfehlerhaft war. Der Beklagte hatte wesentliche Belange der Klägerin nicht berücksichtigt, was zu einem Ermessensdefizit und damit zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führte.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist das gemeindliche Vorkaufsrecht und in welchen Fällen kommt es zur Anwendung?

Das gemeindliche Vorkaufsrecht ist ein Recht, das es einer Gemeinde ermöglicht, in einen bereits abgeschlossenen Kaufvertrag für ein Grundstück einzutreten, anstelle des ursprünglichen Käufers. Dieses Recht ist in den §§ 24-28 des Baugesetzbuches (BauGB) geregelt und kommt nur zur Anwendung, wenn ein Verkauf geplant ist.

Das Vorkaufsrecht der Gemeinde kann in verschiedenen Fällen ausgeübt werden. Besonders relevant ist es im Zusammenhang mit förmlich festgelegten Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen sowie mit Erhaltungssatzungen nach § 172 BauGB. Diese dienen dem Erhalt des städtebaulichen Charakters eines Gebiets, dem Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung oder einer städtebaulichen Umstrukturierung.

Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden. So kann es in der Regel nur dort ausgeübt werden, wo ein rechtsverbindlicher Bebauungsplan existiert. Bei Verkäufen an nahe Verwandte oder an bestimmte öffentliche oder kirchliche Stellen kann das Vorkaufsrecht der Gemeinde ebenfalls entfallen (§ 26 BauGB). Bei Verkauf von Erbbaurechten oder von Eigentumswohnungen ist ein gemeindliches Vorkaufsrecht ausgeschlossen.

Die Gemeinde muss jedoch die finanziellen Mittel für den Erwerb haben, was die Ausübung des Vorkaufsrechts in der Praxis oft einschränkt. Daher wird das Vorkaufsrecht nur in einer begrenzten Zahl von Fällen ausgeübt, oft nur als Zwischenerwerb, da die Kommune das Geld aus den Verkäufen braucht, um die jeweils nächsten Käufe zu finanzieren.

Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom November 2021 hat die Anwendung des Vorkaufsrechts im Zusammenhang mit Erhaltungssatzungen weitgehend ausgehebelt. Die Entscheidung hat jedoch keinen Einfluss auf frühere Ausübungen des Vorkaufsrechts, wenn der Eigentumsübergang wirksam erfolgt ist.

Das gemeindliche Vorkaufsrecht ist ein bedeutendes Instrument der Bauleitplanung, da die Gemeinde durch den kommunalen Grunderwerb unmittelbar auf die von ihr festgelegten städtebaulichen Ziele Einfluss nehmen kann. Es dient dem Wohl der Allgemeinheit und ermöglicht es der Gemeinde, eine planmäßige Nutzung vorzubereiten und zu verwirklichen.

Die Ausübung des Vorkaufsrechts kann den Ablauf einer Immobilientransaktion empfindlich verzögern, da der Gemeinde jeder Grundstückskaufvertrag mitgeteilt werden muss. Erst wenn feststeht, dass ein Vorkaufsrecht nicht besteht oder nicht ausgeübt wird, darf das Grundbuchamt die Eigentumsumschreibung vornehmen.

Die Ausübung des Vorkaufsrechts darf generell nur erfolgen, wenn „das Wohl der Allgemeinheit“ dies rechtfertigt. Diese zusätzliche gesetzliche Anforderung dient dem grundrechtlichen Schutz des Eigentums und der Privatautonomie.

Was bedeutet „Ermessensfehlerhaftigkeit“ im Kontext der Ausübung des Vorkaufsrechts?

Die „Ermessensfehlerhaftigkeit“ im Kontext der Ausübung des Vorkaufsrechts bezieht sich auf Situationen, in denen eine Behörde ihr Ermessen nicht korrekt ausübt. Dies kann passieren, wenn die Behörde relevante Faktoren nicht berücksichtigt, unzulässige Faktoren berücksichtigt oder ihre Entscheidung nicht ausreichend begründet.

Im Kontext des Vorkaufsrechts kann eine ermessensfehlerhafte Ausübung beispielsweise dann vorliegen, wenn die Behörde bei der Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts wesentliche Gesichtspunkte übersieht oder unzureichend begründet. Ein Beispiel dafür wäre, wenn die Behörde bei der Ausübung des Vorkaufsrechts die gegenläufigen Interessen nicht ausreichend berücksichtigt.

Ein weiteres Beispiel für eine ermessensfehlerhafte Ausübung des Vorkaufsrechts könnte sein, wenn die Behörde irrig davon ausgeht, dass sie das fortbestehende Mietverhältnis später beenden kann.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Behörde nicht nur aufgrund der Ausführungen im Bescheid beurteilt werden kann. Ein Verstoß gegen die Begründungspflicht stellt allenfalls einen rein formellen Fehler dar.

Insgesamt ist es wichtig, dass die Behörde bei der Ausübung des Vorkaufsrechts alle relevanten Faktoren berücksichtigt und ihre Entscheidung ausreichend begründet, um eine ermessensfehlerhafte Ausübung des Vorkaufsrechts zu vermeiden.


Das vorliegende Urteil

VGH München – Az.: 9 ZB 21.2818 – Beschluss vom 13.09.2022

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000…. Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts durch den Beklagten. Sie hatte durch notariellen „Kaufvertrag und Bauträgervertrag“ vom 6. April 2020 zwei ihr gehörende Grundstücke verkauft. Mit Bescheid vom 19. Juni 2020 erklärte der Beklagte, anlässlich dieses Verkaufs sein ihm gesetzlich zustehendes Vorkaufsrecht auszuüben. Für die betroffenen Grundstücke gelte unter anderem die von ihm erlassene Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB; die Grundstücke würden für die Errichtung einer Seniorenresidenz benötigt.

Der dagegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und den streitgegenständlichen Bescheid aufgehoben. Es bestünden bereits rechtliche Bedenken im Hinblick auf die erlassene Vorkaufsrechtssatzung des Beklagten und die Frage, ob hier das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts tatsächlich rechtfertige. Jedenfalls aber sei die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Beklagten ermessensfehlerhaft erfolgt, weil er wesentliche Belange nicht in seine Ermessensentscheidung eingestellt und diesen Mangel auch nicht durch ein entsprechendes Nachschieben von Gründen geheilt habe.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend und ist der Auffassung, die Rechtssache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf und habe grundsätzliche Bedeutung. Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. In rechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, der angefochtene, streitgegenständliche Bescheid leide an einem Ermessensdefizit, weil der Beklagte wesentliche Belange der Klägerin (wie auch der Käuferin) nicht in seine Entscheidung eingestellt habe. Er sei infolgedessen aufzuheben. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen deshalb zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe unter 2.3.2. und 2.3.3. des angefochtenen Urteils (UA S. 20 ff.) und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen folgendes zu bemerken:

Der Beklagte hat die Ausübung des Vorkaufsrechts im vorliegenden Fall auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB sowie zwei von ihm erlassene Satzungen (Sanierungssatzung Ortskern Randersacker vom 8.4.2020 und Vorkaufsrechtssatzung vom 26.2.2020) gestützt. Die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB liegt dabei im Ermessen (Art. 40 BayVwVfG) der beklagten Gemeinde (BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 9 ZB 15.2027 – juris Rn. 10; B.v. 20.1.2015 – 2 ZB 14.887 – juris Rn. 3 m.w.N.). Ob die konkreten Ausübungsvoraussetzungen vorliegen, beurteilt sich nach den konkreten Erwägungen der Gemeinde im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts. Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt deswegen rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zu Recht sinngemäß festgestellt, es fehle an einer vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsermittlung seitens des Beklagten, der – nicht zuletzt aufgrund einer entgegen Art. 28 BayVwVfG unterlassenen Anhörung der Klägerin – nicht zur Kenntnis genommen oder berücksichtigt habe, dass diese vorliegend, anders als im typischen Fall eines Grundstücksverkaufs, nicht nur ein maßgebliches Interesse am Erhalt des vereinbarten Kaufpreises habe. Vielmehr beabsichtige sie, auf den beiden streitgegenständlichen, bislang unbebauten Grundstücken zwei der geplanten und im vorgelegten Vertrag bereits im Einzelnen bezeichneten und beschriebenen (Eigentums-)Wohneinheiten nebst drei Stellplätzen selbst zu nutzen und gemeinsam mit ihrer Mutter zu bewohnen. Sie sei auch zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, wenn dies von der Erwerberin nicht rechtzeitig ermöglicht werde. Außerdem hatte die Klägerin bereits vor dem Verkauf ein Architekturbüro mit entsprechenden Planungen und der Projektentwicklung im Wert von 60.000 € beauftragt und ihren Eigentumserwerbsanspruch dann notariell verankert. An die Grundzüge ihrer Planung bleibt die Erwerberin ausweislich des geschlossenen Vertrages weitgehend gebunden und hat für die Kosten der bereits erbrachten Planungsleistungen und Projektentwicklung aufzukommen. Mit dem Verwaltungsgericht ist auch der erkennende Senat der Auffassung, dass es sich hier um besondere vertragliche Umstände und wesentliche Belange handelt, die in die erforderliche Ermessensentscheidung des Beklagten einzustellen gewesen wären.

An dieser Einschätzung ändern die im Zulassungsverfahren vorgebrachten Einwände des Beklagten nichts. Dieser ist der Ansicht, er habe sich tatsächlich in ausreichendem Maße mit den Belangen der Klägerin auseinandergesetzt und das Verwaltungsgericht überspanne mit seiner Entscheidung die an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung zu stellenden Anforderungen. Im Übrigen bestehe keine Obliegenheit seinerseits, über den geschlossenen Kaufvertrag hinaus auch den Inhalt anderer Verträge (selbst wenn diese im gleichen Beurkundungstermin geschlossen wurden) zu berücksichtigen. Das – nicht dem Wohl der Allgemeinheit dienende – Interesse der Klägerin, sich auf den verkauften Grundstücken zwei Wohnungen für sich selbst sowie ihre Mutter vorzubehalten und privat nutzen zu wollen, könne das hier bestehende öffentliche Interesse keinesfalls überwiegen. Außerdem handele es sich um eine „intendierte Entscheidung“, bei welcher gar keine weiteren Ermessenserwägungen erforderlich seien. Und schließlich liege entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch der Fall einer nachträglichen Heilung eines (allerdings seiner Auffassung nach nicht bestehenden) Mangels bei der Ausübung des gemeindlichen Ermessens vor.

An dieser Argumentation ist richtig, dass der Beklagte – wie in dem streitgegenständlichen Bescheid zum Ausdruck kommt (S. 76 VA) – das ihm zustehende Ermessen gesehen und im Hinblick auf die Position der „Käuferin“ keine zu ihren Gunsten streitenden Gründe erkannt hat. Abgesehen davon, dass es sich bei der Klägerin nicht um die Käuferin handelt und ihre Belange als Adressatin des streitgegenständlichen Bescheids damit schon keinen sichtbaren Eingang in die Ermessenserwägungen gefunden haben, hat der Beklagte in diesem Zusammenhang ausdrücklich (und ausschließlich) festgestellt, „Gründe, die zugunsten der Käuferin gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts streiten und über das allgemeine Interesse an der Aufrechterhaltung des ursprünglich geschlossenen Kaufvertrages hinausgehen, sind weder der Gemeinde bekannt noch in sonstiger Weise ersichtlich oder vorgetragen“. Hätte der Beklagte – wie in Art. 28 BayVwVfG vorgesehen – die Klägerin vor dem Erlass seines Bescheides angehört, wären ihm – außer ihrer Position als Verkäuferin – auch die dargestellten besonderen Umstände des vorliegenden Falles nicht verborgen geblieben. Einer zusätzlichen Kenntnisnahme des Inhalts des ihm vorgelegten und in einer Urkunde zusammengefassten „Kaufvertrags und Bauträgervertrags“ (S. 21 ff. VA), in dem sowohl in der Überschrift als auch gleich eingangs diese besonderen Umstände ebenfalls zum Ausdruck kommen, hätte es dann gar nicht bedurft. Sowohl das ersichtliche Ermittlungsdefizit vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides als auch die unzureichende Berücksichtigung wesentlicher Belange der Klägerin rechtfertigen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Aufhebung dieses Bescheids. Auch der weitere Vortrag des Beklagten, ein privates Wohninteresse, das schließlich regelmäßig entweder auf Verkäufer- oder aber Käuferseite bestehe, könne das öffentliche Interesse nicht überwiegen und die Ausübung des Vorkaufsrechts „stets sperren“, führt entgegen dessen Ansicht hier zu keiner zulässigen Ermessensausübung. Insoweit wird ohne Ansehung der Umstände des Einzelfalls das Ergebnis der zu treffenden Ermessensentscheidung vorweggenommen und das Ermessen letztlich nicht gebraucht.

Soweit sich der Beklagte in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg (U.v. 25.8.2020 – W 4 K 19.1563 – juris) beruft, aus der hervorgehe, dass es in Fällen wie dem vorliegenden keiner weiteren Ermessenserwägungen bedürfe, lässt er außer Acht, dass es in dem dortigen Fall, anders als hier, um ein allgemeines Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB, d.h. um den Erwerb öffentlicher Flächen im Bereich eines Bebauungsplans, ging. Ein förmlicher Bebauungsplan ist hier aber nicht aufgestellt worden. Was den bereits in erster Instanz erhobenen und nun wiederholten Einwand des Beklagten betrifft, er habe jedenfalls Ermessenserwägungen gemäß § 114 VwGO erfolgreich nachgeschoben, teilt der erkennende Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine solche Ergänzung tatsächlich nicht stattgefunden hat. Der Beklagte hat vielmehr den Inhalt der Aussagen der Klägerin ausweislich seines Schriftsatzes vom 8.2.2021 ersichtlich weiterhin ausgeblendet, indem er von einem reinen Vermögensanlageinteresse der Klägerin ausging. Auf die Ausführungen des verwaltungsgerichtlichen Urteils (UA S. 25 f.) wird verwiesen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ergeben sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus den geäußerten Bedenken des Gerichts im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Vorkaufsrechtssatzung oder die Frage, ob das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts hier tatsächlich erfordere. Denn diese Bedenken haben das Ergebnis der Entscheidung nicht beeinflusst. Das Verwaltungsgericht hat die von ihm diesbezüglich aufgeworfenen Fragen vielmehr ausdrücklich offengelassen und entscheidungstragend ausschließlich auf das bestehende Ermessensdefizit abgestellt. Dementsprechend nimmt der erkennende Senat auf diese Ausführungen des angefochtenen Urteils auch nicht gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug.

2. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Der Sachverhalt des vorliegenden Falles ist geklärt und die rechtliche Beurteilung beschränkt sich auf die Frage, ob der Beklagte das ihm zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Letzteres ist, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ohne weiteres anhand der geltenden Rechtsvorschriften zu beantworten.

3. Schließlich hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 14 ZB 17.390 – juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer fristgemäß (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).

Der Beklagte hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob im Rahmen der Ausübung des Vorkaufsrechtes vor allem hinsichtlich der Abwägung und der Entscheidung zum Ermessen über den Kaufvertrag hinausgehende vertragliche Regelungen zu berücksichtigen sind“. Abgesehen davon, dass die Frage nach einer möglichen Berücksichtigung individueller Vertragsgestaltungen im Rahmen einer Ermessensentscheidung stets anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls, nicht jedoch fallübergreifend zu beantworten ist, ist die aufgeworfene Frage weder klärungsbedürftig noch entscheidungserheblich. Wie oben bereits ausgeführt, hätte der Beklagte in gleicher Weise wie durch das Lesen des vorgelegten Vertrags auch im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen, hier aber unterbliebenen Anhörung gemäß Art. 28 BayVwVfG Kenntnis von den in seine Ermessensentscheidung einzustellenden, wesentlichen Belangen der Klägerin erlangen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.6.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

 

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