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Ermessensfehlerhafte Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts

Gemeinde scheitert mit Ermessensentscheidung bei Vorkaufsrecht

Das Thema des vorliegenden Urteils dreht sich um die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts, ein rechtliches Instrument, das Gemeinden ermöglicht, bei Grundstücksverkäufen einzugreifen, um öffentliche Interessen zu wahren. Im Kern steht die Frage, ob und wie ein solches Recht korrekt ausgeübt werden kann, insbesondere unter Berücksichtigung der Ermessensausübung durch den Gemeinderat. Dies beinhaltet die Bewertung, ob die Entscheidung des Gemeinderats auf einer angemessenen Informationsgrundlage beruht und ob die erforderlichen Abwägungen zwischen öffentlichen und privaten Interessen stattgefunden haben.

Die rechtliche Auseinandersetzung in diesem Kontext befasst sich häufig mit der Einhaltung von Fristen, wie der Ausschlussfrist für die Ausübung des Vorkaufsrechts, und der korrekten Formulierung von Bescheiden. Dabei spielt auch die Rolle des Verwaltungsgerichts eine wichtige Rolle, da es die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Gemeinde überprüft.

Dieses Urteil bietet somit einen Einblick in die komplexen Abwägungsprozesse und rechtlichen Anforderungen, die bei der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts relevant sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 15 B 22.1762  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Urteil des VGH München (Az.: 15 B 22.1762) vom 30.03.2023 bestätigt, dass die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts durch die Beklagte aufgrund eines Ermessensfehlers rechtswidrig war, da der Gemeinderat bei seiner Entscheidung nicht alle relevanten Informationen berücksichtigte und somit keine angemessene Abwägung der Interessen stattfand.

Zentrale Punkte des Urteils:

  1. Ermessensfehler: Der Gemeinderat traf die Entscheidung über das Vorkaufsrecht ohne vollständige und korrekte Informationen, insbesondere bezüglich der Nutzungswünsche des Käufers.
  2. Unzureichende Abwägung: Es fehlte an einer angemessenen Gewichtung oder Abwägung der öffentlichen und privaten Belange im Rahmen des Vorkaufsrechts.
  3. Fristgerechte Ausübung: Die Beklagte behauptete, das Vorkaufsrecht fristgerecht ausgeübt zu haben, was jedoch vom Kläger bestritten wurde.
  4. Verantwortung des Gemeinderats: Der Gemeinderat ist für die ordnungsgemäße Ermessensentscheidung zuständig, nicht die Verwaltung.
  5. Unheilbarer Ermessensfehler: Die nachträglich gefassten Beschlüsse der Beklagten außerhalb der gesetzlichen Frist konnten den ursprünglichen Ermessensfehler nicht heilen.
  6. Kostenentscheidung: Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  7. Vorläufige Vollstreckbarkeit: Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
  8. Keine Rechtsberatung: Das Urteil stellt keine Rechtsberatung dar und ersetzt keine individuelle rechtliche Beratung.

Ausübung des Gemeindlichen Vorkaufsrechts: Ein Rechtsstreit Beginnt

Im Zentrum des vorliegenden Falles steht die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts durch die Beklagte, eine Gemeinde, die gegen den Kauf eines Grundstücks durch den Kläger intervenierte. Die rechtliche Auseinandersetzung entzündete sich an der Frage, ob die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht korrekt und fristgerecht ausgeübt hat und ob dabei ein Ermessensfehler vorlag.

Die Gemeinde hatte ihr Vorkaufsrecht auf Basis einer Satzung geltend gemacht, was nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) möglich ist. Dieses Recht muss jedoch innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags ausgeübt werden (§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F.). Die Gemeinde stützte sich auf Bescheide vom 21. Februar 2020, ergänzt durch Bescheide vom 4. November 2021 und vom 11. Juli 2022 sowie Beschlüsse des Gemeinderats vom 26. Januar 2023 und vom 2. März 2023.

Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts: Aufhebung der Gemeindebescheide

Das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg hob in seinem Urteil vom 1. Februar 2022 die Bescheide der Gemeinde auf. Es stellte fest, dass der Gemeinderat nicht ausreichend über die Angaben des Käufers informiert wurde, die dieser bei einer persönlichen Vorsprache in der Gemeinde gemacht hatte. Dieser Informationsmangel führte zu einem Ermessensfehler bei der Ausübung des Vorkaufsrechts. Eine nachträgliche Heilung dieses Fehlers durch Ergänzungsbescheide wurde verneint, da eine erneute Befassung des Gemeinderats erforderlich gewesen wäre.

Berufung und Gegenargumente: Die Rolle des Gemeinderats und Fristwahrung

Die Gemeinde legte Berufung ein und argumentierte, dass der Gemeinderat in einer Sitzung im Juni 2022 das öffentliche Interesse an der Ausübung des Vorkaufsrechts bestätigt habe. Sie behauptete, dass ein Ermessensdefizit geheilt worden sei und verwies auf die Rolle der Verwaltung bei der Ermessensprüfung. Die Gemeinde behauptete auch, die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts sei eingehalten worden.

Der Kläger hielt dagegen, dass das Vorkaufsrecht nicht fristgerecht ausgeübt wurde und die Ausübung weiterhin ermessensfehlerhaft sei. Er argumentierte, dass wesentliche Ermessenserwägungen nicht angestellt wurden und die neuen Ermessenserwägungen des Gemeinderats grundlegend neu und nicht lediglich präzisierend seien.

Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs München: Bestätigung des Ermessensfehlers

Das Verwaltungsgerichtshof München wies in seinem Urteil vom 30. März 2023 die Berufung der Gemeinde zurück. Es bestätigte, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts an einem Ermessensfehler litt, da der Gemeinderat entweder keine oder eine unzureichende Ermessensentscheidung getroffen hatte. Es wurde festgestellt, dass der Gemeinderat nicht nur entscheiden muss, ob das Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll, sondern auch eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung treffen muss, die eine Abwägung des Für und Wider der öffentlichen und privaten Belange beinhaltet.

Dieser Fall zeigt die Komplexität der Ausübung gemeindlicher Vorkaufsrechte und die Bedeutung einer korrekten Ermessensentscheidung. Er verdeutlicht auch die Notwendigkeit einer transparenten und umfassenden Information des entscheidenden Gremiums, in diesem Fall des Gemeinderats, über alle relevanten Umstände.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist ein „Ermessensfehler“ und wie wirkt er sich auf die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung aus?

Ein „Ermessensfehler“ tritt auf, wenn eine Behörde das ihr gesetzlich eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausübt. Dies kann in verschiedenen Formen auftreten, darunter Ermessensausfall, Ermessensfehlgebrauch und Ermessensüberschreitung.

Ermessensausfall, auch als Ermessensnichtgebrauch oder Ermessensunterschreitung bezeichnet, liegt vor, wenn die Behörde gar kein Ermessen ausübt, weil sie nicht erkannt hat, dass ihr gesetzlich ein Ermessen eingeräumt wurde. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn das Gesetz der Behörde ein Ermessen einräumt (z.B. durch den Wortlaut „kann“), die Behörde aber irrtümlich annimmt, dass die Rechtsfolge eine gebundene Entscheidung ist und somit das ihr eingeräumte Ermessen überhaupt nicht ausübt.

Ermessensfehlgebrauch, auch als Ermessensmissbrauch bezeichnet, tritt auf, wenn die Behörde zwar Ermessen ausübt, ihre Entscheidung jedoch auf gesetzeswidrigen Erwägungen beruht und somit nicht vom Gesetzeszweck gedeckt ist. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Behörde zweck- oder sachfremde Erwägungen in ihre Entscheidung einbezieht.

Ermessensüberschreitung, die in der Praxis am häufigsten vorkommt, liegt vor, wenn die Behörde Ermessen ausübt, ihre Entscheidung jedoch den gesetzlichen Rahmen überschreitet. Dies betrifft insbesondere die Verkennung höherrangigen Rechts, vor allem den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG.

Die Auswirkungen eines Ermessensfehlers auf die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung sind erheblich. Wenn ein Ermessensfehler vorliegt, ist der entsprechende Verwaltungsakt rechtswidrig. Grundsätzlich führen Ermessensfehler zur Aufhebung des Verwaltungsakts. Es ist jedoch zu erwähnen, dass das Gericht nur die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns prüft, also ob Ermessensfehler unterlaufen sind. Das Ermessen selbst ist nicht gerichtlich überprüfbar.


Das vorliegende Urteil

VGH München – Az.: 15 B 22.1762 – Urteil vom 30.03.2023

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich als Käufer eines Grundstücks gegen die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts durch die Beklagte (Bescheide der Beklagten vom 21.2.2020 an Verkäuferin und Käufer, zugestellt am Montag, den 24.2.2020, ergänzt durch Bescheide vom 4.11.2021 und vom 11.7.2022 sowie Beschlüsse des Gemeinderats vom 26.1.2023 und vom 2.3.2023).

Das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg hat mit Urteil vom 1. Februar 2022 die Bescheide der Beklagten vom 21. Februar 2020 in der Fassung der Ergänzungsbescheide vom 4. November 2021 aufgehoben. Es könne offenbleiben, ob die Beklagte ihr durch Satzung begründetes Vorkaufsrecht (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB) fristgerecht binnen zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags ausgeübt habe (§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F.). Jedenfalls sei der für die Ausübung des Vorkaufsrechts zuständige Gemeinderat über Angaben, welche der Käufer (= Kläger) anlässlich einer persönlichen Vorsprache in der Gemeinde am 17. Januar 2020 gemacht habe, nicht (bzw. nicht hinreichend) informiert worden, so dass der angefochtene Bescheid an einem Ermessensfehler leide. Zu einer nachträglichen Heilung des Ermessensfehlers sei es durch das „Nachschieben von Gründen“ im Rahmen des Ergänzungsbescheids der Beklagten vom 4. November 2021 nicht gekommen, weil hierfür eine nochmalige Befassung des Gemeinderats mit der Angelegenheit erforderlich gewesen wäre, die vorliegend indes unterblieben sei. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte wendet mit ihrer vom Senat wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassenen Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ein, ein Ermessensfehler liege jedenfalls deshalb nicht vor, weil der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 30. Juni 2022 bestätigt habe, dass das öffentliche Interesse an der Ausübung des Vorkaufsrechts Vorrang vor den geltend gemachten Interessen des Käufers habe. Der Gemeinderat habe sich in dieser Sitzung nochmals „eingehend mit sämtlichen abwägungsrelevanten Umständen befasst“ (einschließlich Lagerhallennutzung sowie die Vermietung des Kühlhauses an den Käufer). Ein etwaiger „Abwägungsmangel“ bzw. ein „Ermessensdefizit“ sei damit geheilt und dementsprechend ein weiterer Ergänzungsbescheid (vom 11.7.2022) erlassen worden. Der Gemeinderat sei indes bereits in seiner Sitzung vom 30. Januar 2020 „auf die unterschiedlichen Interessen eingegangen“ und habe – in Übereinstimmung mit dem in der Vorkaufsrechtssatzung bereits konkretisierten Zweck der Satzung – damit „im Ergebnis“ vom gemeindlichen „Ermessen“ Gebrauch gemacht, ohne dass es noch weiterer Ermessenserwägungen bedurft hätte. Der Gemeinderat entscheide nach dem Gesetz zudem ohnehin lediglich darüber, „ob von dem Instrumentarium des Vorkaufsrechts im konkreten Fall überhaupt Gebrauch gemacht werden soll“. Die „Prüfung, ob im Einzelfall ein Vorkaufsrecht ermessensfehlerfrei ausgeübt werden“ könne, erfolge demgegenüber „durch die Verwaltung“, wie sich aus Art. 40 BayVwVfG ergebe, wonach die „Behörde“ zur Ermessensausübung ermächtigt sei. Es sei danach „Aufgabe der Verwaltung, eine Abwägung der Ermessensgesichtspunkte vorzunehmen“. Die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts sei ebenfalls eingehalten worden. Der vom Notar mit Schreiben vom 18. Dezember 2021 übermittelte Kaufvertrag, dessen genauer Eingangszeitpunkt nicht mehr feststellbar sei (Eingangsstempel vom 2.1.2020, nachdem das Rathaus in der Zeit vom 23.12.2019 bis einschließlich 1.1.2020 geschlossen gewesen sei), sei frühestens am 21. Dezember 2019 (Samstag) bei der Gemeinde eingegangen und hätte deshalb frühestens am Montag, den 23. Dezember 2019, zur Kenntnis genommen werden können mit der Folge, dass der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts noch innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist zugestellt worden sei. Im Übrigen trage vorliegend der Kläger (bzw. die Verkäuferin) die Beweislast dafür, wann die Ausschlussfrist in Gang gesetzt worden sei.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 1. Februar 2022 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte habe ihr Vorkaufsrecht nicht fristgerecht ausgeübt. Der Kaufvertrag sei bei der Gemeinde möglicherweise bereits am Donnerstag oder spätestens am Freitag, den 20. Dezember 2019, etwa nach Dienstschluss (12 Uhr) am Nachmittag, eingegangen. Da sich die Beklagte auf die Einhaltung der Ausschlussfrist berufe, treffe sie auch die Darlegungs- und Beweislast bezüglich des Zugangs des Kaufvertrags. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei außerdem weiterhin ermessensfehlerhaft. Dies gelte auch in Bezug auf die erneute Beschlussfassung des Gemeinderats (betreffend den Ergänzungsbescheid vom 11.7.2022), da wesentliche Ermessenserwägungen (zu Trafostation, Zubehör und Inventar etc.) weiterhin nicht angestellt, die ursprünglichen Ermessenserwägungen der Verwaltung nunmehr von einem anderen Organ der Gemeinde, nämlich dem Gemeinderat ergänzt worden seien und die neuen Ermessenserwägungen zudem „grundlegend neu“ seien (etwa zur „Vermietungssituation bei dem Kühlhaus“) und nicht lediglich eine Präzisierung darstellten. Die „konkreten Interessen der Mieter und Untermieter“ seien „nicht richtig abgewogen“ worden. Schließlich seien auch die der Ausübung des Vorkaufsrechts zugrundeliegenden Vorkaufsrechtssatzungen vom 30. November 2018 bzw. vom 4. November 2021 nichtig (fehlende Ermächtigungsgrundlage, fehlende Bestimmtheit und fehlende Ausübung des Satzungsermessens).

Die Beigeladene beantragt ebenfalls, die Berufung zurückzuweisen.

Die erneute Beschlussfassung des Gemeinderats sei nicht als ordnungsgemäße Ermessensentscheidung zu qualifizieren. Diese beschränke sich lediglich darauf, die vorangegangenen Entscheidungen der Verwaltung der Beklagten „unter Missachtung der Rechte“ von Käufer und Verkäuferin zu verteidigen. Käufer und Verkäuferin seien zuvor auch nicht angehört worden. Da der ursprüngliche Bescheid vom 21. Februar 2020 über die Ausübung des Vorkaufsrechts an einem „vollständigen Ermessensausfall“ leide, könne er schon deshalb auch nicht durch ein „Nachschieben von Ermessenserwägungen“ ergänzt werden.

In der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2023 haben sich die Beteiligten mit einem Übergang ins schriftliche Verfahren einverstanden erklärt und hat der Senat seine Entscheidung (ohne weitere mündliche Verhandlung) spätestens für den 30. März 2023 angekündigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide der Beklagten vom 21. Februar 2020 in der Fassung der Ergänzungsbescheide vom 4. November 2021 zu Recht aufgehoben. Dabei kann ebenso wie im erstinstanzlichen Urteil offenbleiben, ob die Beklagte ihr durch Satzung begründetes Vorkaufsrecht (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB) fristgerecht binnen zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags ausgeübt hat (§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F.). Denn die angefochtene Ausübung des Vorkaufsrechts leidet – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – an einem Ermessensfehler, weil der für die Ausübung des Vorkaufsrechts zuständige Gemeinderat die ihm obliegende Ermessensentscheidung entweder überhaupt nicht oder jedenfalls auf einer unzureichenden Tatsachenbasis getroffen hat. Der Senat folgt insoweit den Gründen des erstinstanzlichen Urteils und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 130b Satz 2 VwGO). Lediglich ergänzend ist zu bemerken:

a) Entgegen der Ansicht der Beklagten entscheidet der für die Ausübung des Vorkaufsrechts zuständige Gemeinderat nach dem Gesetz nicht lediglich darüber, „ob von dem Instrumentarium des Vorkaufsrechts im konkreten Fall überhaupt Gebrauch gemacht werden soll“. Dem Gemeinderat als sachlich zuständigen Beschlussorgan und nicht etwa der „Verwaltung“ (= dem Bürgermeister als Vollzugsorgan) obliegt in diesem Fall auch die ordnungsgemäße Ermessensentscheidung selbst (vgl. z.B. VGH BW, U.v. 20.7.2022 – 3 S 3915/21 – juris Rn. 50 ff; VGH BW, U.v. 12.9.1997 – 5 S 2498/95 – juris Rn. 29 m.w.N.). Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung setzt bei der Ausübung eines Vorkaufsrechts voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Gewichtung oder Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 9 ZB 15.2027 – juris Rn. 13). An einer derartigen Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange fehlt es vorliegend schon deshalb, weil der Gemeinderat bei der maßgeblichen Beschlussfassung über die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts am 30. Januar 2020 – ausweislich der Niederschrift über die Sitzung – davon ausgegangen ist, dass sich im Rahmen der vorherigen Anhörung von Käufer- und Verkäuferseite zur beabsichtigten Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts „lediglich der Verkäufervertreter“ geäußert und dieser mitgeteilt habe, dass „über den Inhalt des Kaufvertrags hinaus kein Erläuterungsbedarf gesehen“ werde. Über den Inhalt des Kaufvertrags hinausgehende Informationen zu den privaten Belangen von Käufer- und Verkäuferseite besaß der Gemeinderat damit nicht. Tatsächlich hat der Käufer – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist und sich unter anderem auch aus dem schriftlichen Vermerk über dieses Gespräch ergibt – im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Bürgermeister am 17. Januar 2020 indes auf seine (konkretisierten) Nutzungswünsche bzw. -absichten für das Kaufgrundstück hingewiesen und hat in diesem Zusammenhang auch angeboten, auf einer Teilfläche des Grundstücks das altersgerechte Wohnen, wie von der Gemeinde gewünscht, zu integrieren. Infolgedessen liegt der Beschlussfassung des Gemeinderats über die Ausübung des Vorkaufsrechts bereits kein vollständiger und zutreffender Sachverhalt zugrunde, sodass die gebotene Ermessensentscheidung wegen der unzureichenden Tatsachenbasis an einem Fehler leidet, der zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide führt (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 9 ZB 21.2817 – juris Rn. 10).

b) Der festgestellte Ermessensfehler bei der Ausübung des Vorkaufsrechts ist vorliegend nicht heilbar, weil es sich bei den von der Beklagten außerhalb der gesetzlichen Ausübungsfrist nachträglich gefassten ergänzenden Beschlüssen nicht um ein bloßes (ergänzendes) „Nachschieben von Gründen“ zur getroffenen Ermessensentscheidung, sondern um eine – auf wesentlich geänderter Tatsachenbasis getroffene – neue Ermessensausübung handelt, die im Hinblick auf die Ausübungsfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB (a.F.) indes verspätet ist.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beklagte trägt billigerweise auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, weil diese einen Sachantrag gestellt und sich damit auch einem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

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