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Geschäftswert für Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags

BGH: Pflichtteilsverzichtsvertrag gegenüber Erstversterbendem beider Elternteile

In der juristischen Auseinandersetzung um den Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags werden zentrale Fragen des Erbrechts und der Notargebühren aufgeworfen. Konkret geht es darum, wie der Wert eines solchen Verzichtsvertrags zu bemessen ist und welche rechtlichen Grundlagen für diese Bewertung maßgeblich sind. Die Beurkundung durch einen Notar, ein grundlegender Prozess in der rechtlichen Handhabung von Erbangelegenheiten, wirft hierbei Fragen nach der korrekten Anwendung des Pflichtteilsrechts und der angemessenen Kostenrechnung auf. Im Kern steht die Bewertung des Verzichts: Sollte sie auf dem Vermögen beider Elternteile oder nur eines Elternteils basieren? Diese Fragestellung berührt nicht nur die direkten Beteiligten, sondern hat auch weiterreichende Bedeutung für die rechtliche Praxis in Erbschaftsfällen und die Gebührenordnung für Notare.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: IV ZB 26/22   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) legt fest, dass bei der Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags der Geschäftswert anhand des kombinierten Vermögens beider Elternteile zu bestimmen ist, anstatt nur auf das Vermögen eines Elternteils abzustellen.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Geschäftswertbestimmung: Der BGH entschied, dass für die Bestimmung des Geschäftswerts bei einem Pflichtteilsverzicht das gesamte Vermögen beider Elternteile heranzuziehen ist.
  2. Rechtsgrundlage: Die Entscheidung basiert auf § 102 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 1 GNotKG, der den Pflichtteilsbruchteil am (modifizierten) Reinvermögen des Erblassers für die Geschäftswertberechnung vorsieht.
  3. Beurkundungsgegenstände: Der BGH betrachtet die Pflichtteilsverzichte gegenüber jedem Elternteil als separate Beurkundungsgegenstände.
  4. Bewertungsprinzip: Die Entscheidung unterstreicht, dass bedingte Verträge kostenrechtlich wie unbedingt abgeschlossene zu bewerten sind.
  5. Unterscheidung von Rechtsverhältnissen: Das Urteil differenziert klar zwischen Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsanspruch.
  6. Bedeutung der auflösenden Bedingung: Trotz der auflösenden Bedingung bei Pflichtteilsverzichtsverträgen wird der volle Geschäftswert beider Verträge addiert.
  7. Keine Anwendung von § 36 GNotKG: Eine teleologische Reduktion des § 102 Abs. 4, Abs. 1 GNotKG für Pflichtteilsverzichte nach dem Erstversterbenden ist nicht vorgesehen.
  8. Gerichtskostenentscheidung: Der Kostengläubiger (Notar) trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens, da die Rechtsbeschwerde erfolgreich war.

Beurkundung von Pflichtteilsverzichten: Ein komplexer Fall

Im Zentrum des aktuellen Falles steht die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags durch einen Notar. Am 10. Mai 2017 verzichteten Kinder der Kostenschuldner gegenüber dem erstversterbenden Elternteil auf ihr Pflichtteilsrecht, einschließlich Pflichtteilsergänzungsansprüchen, zugunsten des länger lebenden Elternteils. Dieser Verzicht wurde rechtsgültig angenommen. In der darauffolgenden Kostenrechnung des Notars vom selben Tag wurde eine Gebühr von 437,09 EUR auf Grundlage eines Geschäftswerts von 36.250 EUR festgelegt. Dieser Wert basierte lediglich auf dem Vermögen eines Elternteils. Die Notarkasse jedoch vertrat die Auffassung, dass für die Bewertung des Pflichtteilsverzichts das Vermögen beider Elternteile zu berücksichtigen sei.

Rechtliche Auseinandersetzung um den Geschäftswert

Auf Anweisung der Präsidentin des Landgerichts forderte der Notar eine gerichtliche Entscheidung zur Kostenberechnung an. Das Landgericht München I änderte in seinem Beschluss vom 10. August 2022 die Kostenrechnung so ab, dass der Geschäftswert auf 72.500 EUR und somit die Gebühr auf 657,24 EUR angehoben wurde. Gegen diesen Beschluss legte der Notar Beschwerde ein, woraufhin das Oberlandesgericht München den Beschluss des Landgerichts aufhob und die ursprüngliche Kostenrechnung des Notars bestätigte. Daraufhin folgte die Rechtsbeschwerde des Notars.

Zentrale Frage: Bewertung des Pflichtteilsverzichts

Die zentrale rechtliche Herausforderung in diesem Fall liegt in der Bestimmung des Geschäftswerts für die Beurkundung des Pflichtteilsverzichtsvertrags. Die Frage, ob das Vermögen beider Elternteile oder nur eines Elternteils für die Bemessung des Geschäftswerts relevant ist, war Gegenstand der juristischen Auseinandersetzung. Hierbei stehen zwei unterschiedliche Auffassungen gegenüber: Einerseits die Meinung, dass das Vermögen beider Erblasser maßgeblich sei, andererseits die Ansicht, dass nur das Vermögen eines Erblassers zu berücksichtigen sei.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs und ihre Bedeutung

Das Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Beschluss vom 11. Oktober 2023 schließlich entschieden, dass der Geschäftswert der Beurkundung eines Pflichtteilsverzichts gegenüber dem erstversterbenden Elternteil dem addierten Wert beider Pflichtteilsverzichtsverträge entspricht. Diese Entscheidung beruht auf der Auslegung des § 102 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 1 GNotKG und des § 86 GNotKG, wonach jedes Rechtsverhältnis als eigenständiger Gegenstand zu behandeln und zu bewerten ist. In diesem Sinne sind die Pflichtteilsverzichte nach beiden Elternteilen als verschiedene Beurkundungsgegenstände anzusehen, deren Werte zusammenzurechnen sind.

Der BGH stellt fest, dass Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsanspruch voneinander zu unterscheiden sind. Der Pflichtteilsverzicht ist ein Rechtsgeschäft, das zu Lebzeiten des Erblassers abgeschlossen wird und allein das Pflichtteilsrecht erfasst. Daher haben Verzichtsverträge mit beiden Elternteilen von der Beurkundung an rechtliche Wirkungen für mehrere Rechtsverhältnisse, die über die Verhinderung des Entstehens eines künftigen Pflichtteilsanspruchs hinausgehen.

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die Bedeutung einer genauen rechtlichen Prüfung und Auslegung in komplexen Erbschaftsangelegenheiten. Sie zeigt auf, dass bei der Beurkundung von Pflichtteilsverzichten die gesamte familiäre Vermögenssituation zu berücksichtigen ist und nicht nur das Vermögen eines Erblassers. Diese Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf die Praxis der Beurkundung solcher Verträge und betont die Notwendigkeit, alle betroffenen Rechtsverhältnisse einzeln zu bewerten. Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit in Fällen von Pflichtteilsverzichten und sorgt für eine klare Richtlinie hinsichtlich der Berechnung der Notarkosten.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet der Begriff „Geschäftswert“ im Kontext der Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrag?

Der Begriff „Geschäftswert“ bezieht sich im Kontext der Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags auf den Wert, der für die Berechnung der Notargebühren herangezogen wird. Im Falle eines Pflichtteilsverzichtsvertrags bemisst sich der Geschäftswert nach dem Vermögen beider Elternteile, da der Verzicht auf das Pflichtteilsrecht gegenüber beiden Erblassern erklärt wird.

Laut § 86 Abs. 1 und 2, § 102 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 S. 1 und 2, § 109 Abs. 1 GNotKG ist das Vermögen beider Erblasser für die Berechnung des Geschäftswerts zugrunde zu legen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Geschäftswert der Beurkundung eines Pflichtteilsverzichts gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern dem addierten Wert beider Pflichtteilsverzichtsverträge entspricht.

Die Notargebühren für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichts richten sich nach dem Geschäftswert und sind gemäß dem Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) zu berechnen.


Das vorliegende Urteil

BGH – Az.: IV ZB 26/22 – Beschluss vom 11.10.2023

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Oktober 2023 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Kostengläubigers wird der Beschluss des Oberlandesgerichts München – 32. Zivilsenat – vom 17. Oktober 2022 aufgehoben.

Die Beschwerde des Kostengläubigers gegen den Beschluss des Landgerichts München I – 13. Zivilkammer – vom 10. August 2022 wird zurückgewiesen.

Der Kostengläubiger trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren ergeht gerichtskostenfrei.

Gründe:

I.

Der Kostengläubiger (im Folgenden: Notar) beurkundete am 10. Mai 2017 einen Pflichtteilsverzicht der Kinder der Kostenschuldner. Diese verzichteten gegenüber dem Erstversterbenden ihrer Eltern auf ihr Pflichtteilsrecht einschließlich Pflichtteilsergänzungsansprüchen ausschließlich zugunsten des länger lebenden Elternteils; der Verzicht wurde angenommen.

In seiner Kostenrechnung vom 10. Mai 2017 über 437,09 EUR erhob der Notar die Gebühren für die Beurkundung und den Vollzug des Geschäfts aus einem Geschäftswert von 36.250 EUR, dem das Vermögen nur eines Elternteils zugrunde lag. Die Notarkasse vertrat die Auffassung, dass für den Wert des Pflichtteilsverzichts das Vermögen beider Elternteile zu berücksichtigen sei.

Auf Anweisung der Präsidentin des Landgerichts hat der Notar eine gerichtliche Entscheidung über die Kostenberechnung verlangt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 10. August 2022 die Kostenrechnung dahingehend abgeändert, dass sich der Rechnungsbetrag aus einem Geschäftswert von 72.500 EUR auf 657,24 EUR beläuft. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Notars hat das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und die Kostenrechnung bestätigt.

Dagegen richtet sich die auf Anweisung der Präsidentin des Landgerichts erhobene Rechtsbeschwerde des Notars.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, dass sich der Geschäftswert bei einem Pflichtteilsverzicht gegenüber dem erstversterbenden Elternteil nach dem Reinvermögen nur eines Elternteils bestimme. Selbst wenn man nach materiellem Recht von zwei bedingten Verzichten ausgehe, solle jedoch nur einer der beiden Verzichte wirksam werden. Letztlich verzichteten die Kinder nur auf ein Pflichtteilsrecht.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Der Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages entspricht nach § 102 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 1 GNotKG dem Pflichtteilsbruchteil am (modifizierten) Reinvermögen des Erblassers. Die Frage, wie sich der Geschäftswert bei einem Pflichtteilsverzicht gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern bemisst, ist umstritten.

aa) Nach einer Auffassung ist das Vermögen beider Erblasser zugrunde zu legen (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 2019, 35 [juris Rn. 7]; LG Arnsberg ZEV 2022, 604 Rn. 6; BeckOK-KostR/Felix, § 102 GNotKG Rn. 36 [Stand: 1. Juli 2023]; Krause in Fackelmann/Heinemann, GNotKG § 102 Rn. 39; Korintenberg/Tiedtke, GNotKG 22. Aufl. § 102 Rn. 82; Hoppe/Krause in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht 3. Aufl. § 102 GNotKG Rn. 32; Toussaint/Uhl, Kostenrecht 53. Aufl. § 102 GNotKG Rn. 15; Schulz/Moderegger in Dauner-Lieb/Grziwotz, Pflichtteilsrecht 3. Aufl. Gebührenrecht und Gerichtskosten Rn. 102; Notarkasse, Streifzug durch das GNotKG 13. Aufl. Rn. 998). Es handele sich um zwei selbständige Pflichtteilsverzichtsverträge mit beiden Erblassern. Diese seien zwar auflösend bedingt, aber bedingte Verträge seien kostenrechtlich wie unbedingt abgeschlossene zu bewerten.

bb) Nach anderer Ansicht ist nur der Wert des Vermögens eines Erblassers zu berücksichtigen (vgl. Bormann in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG 4. Aufl. § 102 Rn. 35; Zimmer in Renner/Otto/Heinze, Leipziger Gerichtsund Notarkosten-Kommentar 3. Aufl. § 102 Rn. 26; Ländernotarkasse, Leipziger Kostenspiegel 3. Aufl. Rn. 19.180; Rohs/ Wedewer/Waldner, GNotKG § 102 Rn. 25 [Stand: Juli 2023]; ders., ZEV 2022, 606; Otto, NotBZ 2019, 220, 221). Da von vornherein feststehe, dass die Bedingung eintreten werde und nur ein Pflichtteilsverzicht wirksam werden könne, sei auch nur dieser eine Verzicht für den Geschäftswert maßgebend.

b) Die erstgenannte Ansicht trifft zu. Der Geschäftswert der Beurkundung eines Pflichtteilsverzichts gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern entspricht dem addierten Wert beider Pflichtteilsverzichtsverträge.

aa) Nach § 86 Abs. 1 GNotKG ist der Beurkundungsgegenstand das Rechtsverhältnis, auf das sich die Erklärungen beziehen. Mehrere Rechtsverhältnisse sind gemäß § 86 Abs. 2 GNotKG verschiedene Beurkundungsgegenstände, deren Werte – vorbehaltlich der Ausnahmeregelung in § 109 GNotKG – nach § 35 Abs. 1 Halbsatz 1 GNotKG zusammenzurechnen sind. Nach dem Grundsatz des § 86 GNotKG ist daher jedes Rechtsverhältnis als eigenständiger Gegenstand zu behandeln und zu bewerten (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – III ZB 9/22, NZG 2023, 521 Rn. 9).

Bei den hier beurkundeten Pflichtteilsverzichtsverträgen handelt es sich in diesem Sinne um mehrere Beurkundungsgegenstände, da sie sich auf mehrere Rechtsverhältnisse, die Pflichtteilsrechte der Kinder nach beiden Elternteilen, beziehen. Die Pflichtteilsverzichte sind durch den Tod des jeweils anderen Erblassers auflösend bedingt. Das Beschwerdegericht ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass deswegen nur einer der beiden Verzichte wirksam werde und die Kinder letztlich nur auf ein Pflichtteilsrecht verzichteten. Das Pflichtteilsrecht als durch die Beurkundung gestaltetes Rechtsverhältnis ist nicht der zukünftige Pflichtteilsanspruch auf Zahlung gegen den Erben, der erst mit dem Erbfall gemäß § 2317 Abs. 1 BGB entsteht. Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsanspruch sind voneinander zu unterscheiden (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1996 – IV ZR 62/96, BGHZ 134, 60, 64 [juris Rn. 15]). Der Pflichtteilsverzicht gemäß § 2346 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das seinem Gegenstand und seiner Eigenart nach nur mit dem Erblasser zu dessen Lebzeiten abgeschlossen werden kann (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1996 aaO S. 65 [juris Rn. 16]), und erfasst daher allein das Pflichtteilsrecht.

Das Pflichtteilsrecht ist ein Rechtsverhältnis, das schon zu Lebzeiten des Erblassers besteht, rechtliche Wirkungen äußert und gerichtlich festgestellt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 10. März 2004 – IV ZR 123/03, BGHZ 158, 226, 227 [juris Rn. 7] m.w.N.). Die Verzichtsverträge mit beiden Elternteilen haben daher von der Beurkundung an rechtliche Wirkungen für mehrere Rechtsverhältnisse, die sich nicht darin erschöpfen, dass zukünftig nur einer der Pflichtteilsansprüche nicht entstehen wird. Verträge unter den künftigen gesetzlichen Erben über den Pflichtteil eines von ihnen im Sinne von § 311b Abs. 5 BGB hätten die Veränderung dieser Rechtsverhältnisse zu berücksichtigen. Für die künftigen Erblasser bedeutet die Beurkundung, dass von ihren letztwilligen Verfügungen abhängt, ob die vereinbarten Pflichtteilsverzichte wirken oder nicht, da der Verzicht nur zugunsten des anderen Elternteils erklärt wurde. Die Wirkung der Verzichtsverträge erschöpft sich daher nicht darin, nur einen der künftigen Pflichtteilsansprüche am Entstehen zu hindern. Die auflösende Bedingung wird zwar für einen der Verzichtsverträge sicher eintreten, aber zur Zeit der Beurkundung, auf die es für den Geschäftswert ankommt, hat dies noch keine Bedeutung für die Umgestaltung der Rechtsverhältnisse mit beiden Erblassern.

bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts kann hier nicht deswegen nur ein Beurkundungsgegenstand angenommen werden, weil eine Vereinbarung des Verzichts nach dem Erstversterbenden nur durch die Erklärung gegenüber beiden Eltern erreicht werden kann und die erforderlichen Willenserklärungen so miteinander verknüpft werden. Die Fälle, in denen mehrere Rechtsverhältnisse in einer Urkunde ausnahmsweise wie ein Beurkundungsgegenstand zu behandeln sind, sind in § 109 GNotKG geregelt. Während § 109 Abs. 2 GNotKG einen abschließenden und hier nicht einschlägigen Katalog der Geschäfte enthält, für die das Gesetz Gegenstandsgleichheit anordnet, erfasst § 109 Abs. 1 GNotKG Rechtsverhältnisse, die zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis liegt nur vor, wenn das andere Rechtsverhältnis der Erfüllung, Sicherung oder sonstigen Durchführung des einen Rechtsverhältnisses dient (§ 109 Abs. 1 Satz 2 GNotKG). Die Regelung zeigt, dass eine Wertaddition nur dann unterbleiben soll, wenn weitere Rechtsverhältnisse in Abhängigkeit zu einem (Haupt-)Rechtsverhältnis stehen (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 186); das ist hier nicht der Fall. Zudem soll ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis nicht schon dann vorliegen, wenn die Beurkundung des weiteren Rechtsverhältnisses ohne die Beurkundung des vorherrschenden Rechtsverhältnisses unterblieben wäre oder selbständig keinen Sinn hätte (vgl. BT-Drucks. 17/11471 aaO).

cc) Die daraus folgende Addition der Werte beider Pflichtteilsverzichtsverträge steht im Einklang mit den Zwecken des Notarkostenrechts. Während das Wertgebührensystem als solches sicherstellt, dass der Einzelne Gebühren nur entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zu bezahlen hat, was sich am wirtschaftlichen Wert des einzelnen Geschäfts bemisst (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 136), gehört zu den weiteren Zielen des Notarkostenrechts die Gewährleistung leistungsgerechter Gebühren (vgl. Senatsbeschluss vom 9. September 2020 – IV ZB 9/20, FamRZ 2020, 1937 Rn. 23; BT-Drucks. 17/11471, S. 139). Mit seiner gesamten Struktur will das Gerichts- und Notarkostengesetz einen Zusammenhang zwischen Aufwand des Notars und Höhe der Gebühren herstellen (Senatsbeschluss vom 9. September 2020 aaO). Bei der Beurkundung der Pflichtteilsverzichtsverträge mit zwei Erblassern hat der Notar seine Tätigkeit auch auf die Pflichtteilsrechte nach beiden Erblassern zu erstrecken. Dieser Aufwand ist unabhängig davon, ob die Verzichtsverträge auflösend bedingt sind oder nicht.

c) Entgegen der Ansicht des Kostengläubigers sind die Gegenstandswerte der Pflichtteilsverzichtsverträge nicht insgesamt herabzusetzen, indem die für den Pflichtteilsverzicht geltende Wertvorschrift des § 102 Abs. 4, Abs. 1 GNotKG unangewendet bleibt und stattdessen der Geschäftswert gemäß § 36 Abs. 1 GNotKG nach billigem Ermessen bestimmt wird. Eine teleologische Reduktion des § 102 Abs. 4, Abs. 1 GNotKG für den Pflichtteilsverzicht nach dem Erstversterbenden kommt nicht in Betracht. Es fehlen Anhaltspunkte für eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 2023 – IV ZR 133/21, VersR 2023, 373 Rn. 27 m.w.N.). Der Gesetzgeber hat bei der Einführung des § 102 GNotKG ausdrücklich eine ergänzende Anwendbarkeit von § 36 GNotKG nur für solche erbrechtlichen Angelegenheiten vorgesehen, in denen nicht über den Nachlass oder einen Bruchteil davon – bzw. gemäß § 102 Abs. 4 Satz 2 GNotKG über das Pflichtteilsrecht – verfügt wird, sondern sonstige Beurkundungen wie beispielsweise die isolierte Anordnung einer Testamentsvollstreckung erfolgen (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 182). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber daneben für bestimmte Konstellationen des Pflichtteilsverzichts noch Ausnahmen von der notwendigerweise typisierenden und generalisierenden Wertvorschrift hätte machen wollen.

III.

Die Gerichtskosten des erfolglosen Beschwerdeverfahrens waren dem Notar gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 GNotKG i.V.m. § 84 FamFG aufzuerlegen. § 130 Abs. 2 Satz 3 GNotKG ist nicht anwendbar, da der Notar die Beschwerde nicht auf Anweisung der vorgesetzten Dienstbehörde eingelegt hat. Eine Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten der weiteren Beteiligten war nicht veranlasst, da die Einlegung der Beschwerde auch ihren Interessen entsprach.

Es widerspräche der Billigkeit gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 GNotKGi. V.m. § 81 FamFG, den Kostenschuldnern die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen, da sie weder einen Antrag gestellt noch das Verfahren veranlasst haben.

 

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