Oberlandesgericht entscheidet Passiva nicht für Notargebühren relevant
Im vorliegenden Fall geht es um die Bestimmung des Geschäftswerts für ein notarielles Nachlassverzeichnis, wobei das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass Nachlassverbindlichkeiten nicht werterhöhend berücksichtigt werden dürfen, eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses vornehmend und somit der Rechnung des Notars folgend, die die Passiva nicht einbezog.
Übersicht
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Nachlassverbindlichkeiten werden bei der Bestimmung des Geschäftswerts eines notariellen Nachlassverzeichnisses nicht werterhöhend berücksichtigt.
- Die Entscheidung korrigiert eine vorherige Berechnung, die Passiva einbezog, und bestätigt die ursprüngliche Kostenrechnung des Notars.
- Der Geschäftswert wird ausschließlich auf Basis der verzeichneten Gegenstände bestimmt, ohne Schulden hinzuzurechnen.
- Diese Rechtsauffassung folgt der Mehrheit und schließt sich an vorherige Urteile an, beispielsweise an das OLG Naumburg.
- Der Entscheidung nach sind Verbindlichkeiten gemäß § 115 GNotKG nicht als werterhöhend bei der Ermittlung des Geschäftswerts zu berücksichtigen.
- Die gerichtliche Entscheidung betont, dass die Berechnung des Geschäftswerts der Mischkalkulation und nicht dem Arbeitsaufwand folgt.
- Gerichtskosten werden nicht erhoben, und die Staatskasse trägt die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin.
- Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird nicht zugelassen, da die Entscheidung der herrschenden Meinung entspricht und keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Ermittlung des Geschäftswerts bei Nachlassverzeichnissen
Nachlassverzeichnisse dienen der Dokumentation der Vermögenswerte eines Erblassers. Sie werden von Notaren auf Verlangen der Erben erstellt. Bei der Erstellung stellt sich die Frage nach der Ermittlung des Geschäftswerts. Dieser ist für die Berechnung der notariellen Gebühren entscheidend.
Insbesondere die Behandlung von Nachlassverbindlichkeiten ist häufig strittig. Müssen sie bei der Wertermittlung einbezogen werden? Eine abschließende Klärung hat der Gesetzgeber bisher nicht geliefert. Die Rechtsprechung musste daher konkreter Lösungen entwickeln. Ihre Urteile erörtern die anzuwendenden Regelungen, etwa aus dem Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG), und wägen die Interessen ab.
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➜ Der Fall im Detail
Streit um die Bewertung von Nachlassverzeichnissen
Im Zentrum dieses Rechtsstreits steht die Frage, ob und inwiefern Nachlassverbindlichkeiten den Geschäftswert eines notariellen Nachlassverzeichnisses beeinflussen dürfen. Ein Notar hatte im Auftrag eine Kostenrechnung erstellt, die auf einem Geschäftswert basierte, welcher die Passiva des Nachlasses nicht berücksichtigte. Nach einer Anweisung durch eine vorgesetzte Dienstbehörde und einer darauf folgenden gerichtlichen Entscheidung, die eine Einbeziehung der Passiva vorsah und somit den Geschäftswert erheblich erhöhte, wurde dieser Ansatz angefochten.
Die juristische Auseinandersetzung
Der Fall begann mit der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses durch einen Notar, bei dem sowohl Aktiva als auch Passiva des Nachlasses dokumentiert wurden. Der Streit entzündete sich an der Frage, ob die Passiva bei der Berechnung des Geschäftswerts für das notarielle Nachlassverzeichnis berücksichtigt werden sollten. Während das Landgericht die Einbeziehung der Schulden befürwortete und den Geschäftswert entsprechend anpasste, widersprach die Beschwerdeführerin dieser Auffassung. Sie argumentierte, dass nach dem Gesetz nur der Wert der verzeichneten Gegenstände maßgeblich sein dürfe und legte Beschwerde ein.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm
Das Oberlandesgericht Hamm entschied zugunsten der Beschwerdeführerin und setzte damit ein klares Zeichen gegen die Berücksichtigung von Passiva bei der Bestimmung des Geschäftswerts eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit einer detaillierten Auslegung des relevanten Gesetzestextes und verwiesen auf die herrschende Meinung in der juristischen Fachliteratur sowie auf vorherige Urteile. Sie stellten klar, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff „Gegenstände“ in § 115 GNotKG lediglich auf Aktiva abzielte und Passiva somit nicht erhöhend auf den Geschäftswert wirken dürfen.
Juristische Begründung und Rechtsfolgen
Die Richter erläuterten, dass die Interpretation des Landgerichts weder mit dem Wortlaut noch mit der Intention des Gesetzgebers vereinbar sei. Die Entscheidung beruft sich auf eine systematische Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen und betont, dass eine werterhöhende Berücksichtigung von Schulden dem Grundsatz der Gebührengerechtigkeit widerspräche. Zudem unterstrichen sie, dass die Einbeziehung von Passiva eine unzulässige Rechtsunsicherheit für die Beteiligten schaffen würde.
Auswirkungen der Entscheidung
Mit dieser Entscheidung bestätigte das Oberlandesgericht Hamm die ursprüngliche Kostenrechnung des Notars und stellte klar, dass für die Bestimmung des Geschäftswerts ausschließlich die Aktiva des Nachlasses relevant sind. Diese klare Linie hat nicht nur Auswirkungen auf die Praxis der Nachlassbewertung, sondern auch auf die Berechnung der Notargebühren, indem sie für eine größere Vorhersehbarkeit und Transparenz sorgt. Die Entscheidung trägt somit zur Rechtssicherheit bei und verhindert eine unnötige finanzielle Belastung der Erben durch überhöhte Notarkosten.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was ist ein notarielles Nachlassverzeichnis und warum wird es erstellt?
Ein notarielles Nachlassverzeichnis ist ein amtliches Dokument im Rahmen des deutschen Erbrechts, das dazu dient, den gesamten Nachlass einer verstorbenen Person zu erfassen. Dieses Verzeichnis beinhaltet eine detaillierte Aufstellung aller Vermögenswerte und Schulden des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes. Die Erstellung eines solchen Verzeichnisses wird in der Regel dann notwendig, wenn Pflichtteilsberechtigte, also Personen, die vom Erblasser enterbt wurden oder denen durch die testamentarische Erbfolge weniger als ihr gesetzlicher Pflichtteil zusteht, ihren Anspruch auf den Pflichtteil geltend machen möchten.
Die Hauptgründe für die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses sind:
- Rechtssicherheit und Transparenz: Ein notarielles Nachlassverzeichnis bietet eine höhere Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit, da der Notar eigene Ermittlungen durchführen muss. Dies schafft eine transparente und verlässliche Grundlage für die Berechnung des Pflichtteils.
- Erfüllung gesetzlicher Auskunftspflichten: Gemäß § 2314 BGB hat ein Pflichtteilsberechtigter gegenüber dem Erben einen Anspruch auf Auskunft über den Nachlass. Das notarielle Nachlassverzeichnis dient somit der Erfüllung dieser gesetzlichen Auskunftspflicht.
- Vermeidung von Streitigkeiten: Durch die detaillierte Erfassung des Nachlasses durch einen Notar können potenzielle Streitigkeiten zwischen den Erben und Pflichtteilsberechtigten vermieden oder zumindest minimiert werden. Ein notariell erstelltes Verzeichnis hat eine hohe Beweiskraft und kann somit bei Erbstreitigkeiten als verlässliche Grundlage dienen.
- Schutz vor unvollständigen oder fehlerhaften Angaben: Da der Notar zur eigenständigen Ermittlung und Überprüfung der Nachlasswerte verpflichtet ist, bietet das notarielle Nachlassverzeichnis Schutz vor unvollständigen oder bewusst fehlerhaften Angaben durch den Erben. Dies ist besonders relevant, wenn der Verdacht besteht, dass der Erbe Vermögenswerte verschweigen könnte, um den Pflichtteil zu schmälern.
Die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses ist somit ein wichtiger Schritt im Erbrechtsverfahren, der dazu beiträgt, die Rechte der Pflichtteilsberechtigten zu wahren und für eine gerechte Verteilung des Erbes zu sorgen.
Welche Rolle spielen Passiva bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses?
Passiva spielen bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses eine entscheidende Rolle, da sie zusammen mit den Aktiva den tatsächlichen Wert des Nachlasses bestimmen. Ein Nachlassverzeichnis dient dazu, einen umfassenden Überblick über die Vermögenswerte (Aktiva) und Schulden (Passiva) des Verstorbenen zu erhalten. Die Passiva umfassen alle Verbindlichkeiten des Erblassers, wie beispielsweise Darlehensverbindlichkeiten, offene Rechnungen, Steuerschulden und Beerdigungskosten. Diese Schulden werden von den Aktiva abgezogen, um den Nettonachlasswert zu ermitteln, der für die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen, Erbschaftssteuern und für die Erbauseinandersetzung relevant ist.
Die korrekte Erfassung der Passiva ist für die Erben von großer Bedeutung, da sie die Haftung für diese Schulden übernehmen. Grundsätzlich haften die Erben mit dem Nachlassvermögen für die Nachlassverbindlichkeiten. Dies bedeutet, dass die Schulden des Erblassers aus dem Nachlass beglichen werden müssen, bevor eine Verteilung des verbleibenden Vermögens an die Erben erfolgen kann.
Zu den Passiva zählen nicht nur die zum Todeszeitpunkt bestehenden Schulden des Erblassers (Erblasserschulden), sondern auch Verbindlichkeiten, die durch den Tod des Erblassers entstehen (Erbfallschulden), wie beispielsweise Beerdigungskosten. Diese Kosten dürfen bei der Nachlassberechnung abgezogen werden.
Es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle Schulden und Verbindlichkeiten als Passiva des Nachlasses gelten. Beispielsweise sind Kosten für die Eröffnung des Testaments und die Erbscheinskosten nicht abzugsfähig. Zudem gibt es bestimmte Vermögenswerte und Rechtspositionen, die nicht in die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs einfließen, da sie nicht auf den Erben übergehen oder mit dem Tod des Erblassers erlöschen.
Die genaue Erfassung und Bewertung der Passiva ist somit ein wesentlicher Schritt bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses, um eine gerechte und gesetzeskonforme Abwicklung des Nachlasses zu gewährleisten.
Wie wird der Geschäftswert eines notariellen Nachlassverzeichnisses bestimmt?
Der Geschäftswert eines notariellen Nachlassverzeichnisses, der als Grundlage für die Berechnung der Notargebühren dient, wird in Deutschland nach dem Gegenstandswert des Nachlasses bemessen. Dieser Gegenstandswert ergibt sich aus dem Wert aller im Nachlass befindlichen Vermögenswerte (Aktiva) zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Die Passiva, also die Schulden des Erblassers, werden bei der Ermittlung des Geschäftswerts für das Nachlassverzeichnis in der Regel nicht abgezogen.
Die Notargebühren für die Erstellung des Nachlassverzeichnisses richten sich nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG). Gemäß § 108 GNotKG wird der Wert des Nachlasses für die Gebührenberechnung ohne Abzug der Nachlassverbindlichkeiten angesetzt. Dies bedeutet, dass die Gebühren auf der Basis des Bruttowerts des Nachlasses berechnet werden. Die Höhe der Gebühren ist dabei gestaffelt und steigt mit dem Wert des Nachlasses.
Die genaue Gebührenhöhe kann mithilfe des Kostenverzeichnisses im Anhang des GNotKG ermittelt werden, das die entsprechenden Gebührensätze für verschiedene Wertstufen des Nachlasses enthält. Die Kosten für die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses können somit je nach Umfang und Wert des Nachlasses variieren.
Es ist zu beachten, dass die Kosten für das notarielle Nachlassverzeichnis letztlich vom Nachlass getragen werden und somit die Erbmasse entsprechend mindern. Für Erben und Pflichtteilsberechtigte ist es daher wichtig, sich vorab über die voraussichtlichen Kosten zu informieren und diese bei der Erbauseinandersetzung zu berücksichtigen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 115 GNotKG (Gerichts- und Notarkostengesetz): Bestimmt den Geschäftswert für die Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses als Wert der verzeichneten Gegenstände, ohne Nachlassverbindlichkeiten werterhöhend zu berücksichtigen. Dies ist zentral für die Bestimmung der Gebühren, die ein Notar für die Erstellung des Nachlassverzeichnisses berechnen darf.
- § 38 GNotKG: Regelt den Abzug von Verbindlichkeiten bei der Ermittlung des Geschäftswertes und impliziert, dass Verbindlichkeiten nicht werterhöhend berücksichtigt werden dürfen. Dieser Paragraph unterstreicht das Prinzip, dass nur die Aktiva zur Bewertung des Geschäftswertes herangezogen werden.
- § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Verpflichtet den Erben, dem Pflichtteilsberechtigten Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen. Dies umfasst sowohl Aktiva als auch Passiva und den fiktiven Nachlass. Die genaue Bestimmung des Geschäftswerts hat direkte Auswirkungen auf die Auskunftspflicht gegenüber Pflichtteilsberechtigten.
- § 130 Abs. 2 Satz 3 GNotKG: Befreit von Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren in notariellen Angelegenheiten, was für Beteiligte im Kontext der Kostenrechnung für das Nachlassverzeichnis von Bedeutung ist, da es die finanzielle Belastung in einem Beschwerdeverfahren mindert.
- § 130 Abs. 3 Satz 4 GNotKG: Legt fest, dass die Staatskasse außergerichtliche Kosten anderer Beteiligter trägt, wenn diese vom Notar zu tragen wären. Dies hat Auswirkungen auf die Kostentragung im Beschwerdefall und betont die Schutzfunktion für Beteiligte in notariellen Verfahren.
- BGB allgemein, insbesondere das Erbrecht (§§ 1922 ff.): Bietet den gesetzlichen Rahmen für das Nachlassverfahren, einschließlich der Regeln zur Erstellung von Nachlassverzeichnissen. Das Verständnis dieser Vorschriften ist entscheidend, um die Rechte und Pflichten der Erben sowie der Pflichtteilsberechtigten zu verstehen.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Hamm – Az.: 15 W 310/20 – Beschluss vom 01.08.2023
Leitsätze:
Keine werterhöhende Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten bei der Bestimmung des Geschäftswerts für ein notarielles Nachlassverzeichnis (Anschluss an OLG Naumburg, Beschluss vom 03.02.2022 – 5 Wx 11/21)
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. März 2020 wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten in beiden Instanzen werden nicht erhoben.
Die Staatskasse hat der Beteiligten zu 2) die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.427,20 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Beteiligte zu 1) nahm auf Antrag der Beteiligten zu 2) ein Verzeichnis über den Nachlass ihrer im Jahre 2018 verstorbenen Mutter auf (UR-Nr. 22/2020 des Notars A. in Y.). In diesem Verzeichnis wurden Aktiva von 21.976,64 €, ein fiktiver Nachlass von 578.284,52 € sowie Passiva von 902.431,36 € aufgeführt (Bl. 13 ff. GA).
Der Beteiligte zu 1) hat der Beteiligten zu 2) mit Kostenrechnung vom 15. Februar 2020 (Nr.: N01) insgesamt 3.180,51 € für Gebühren und Auslagen incl. 19 % Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. In dieser Kostenrechnung (Bl. 4 f. GA) ist die Verfahrensgebühr KV 23500 in Höhe von 2.350,00 € nach einem Geschäftswert von 600.223,16 € berechnet und wie folgt erläutert: Aktivnachlass: 21.974,64 €, fiktiver Nachlass: 578.248,52 €; Passiva von 902.431,36 € sind nicht in Ansatz gebracht [Summe also: 600.223,61 €].
Auf Antrag der vorgesetzten Dienstbehörde vom 26. Februar 2020 (Bl. 6 GA) hat der Beteiligte zu 1) unter dem 3. März 2020 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Auf diesen Antrag hat das Landgericht die Kostenrechnung abgeändert. Es hat die Verfahrensgebühr auf 5.230,00 € erhöht, weil es einen Geschäftswert von 1.502.654,52 € zugrunde gelegt hat. Bei der Bemessung des Geschäftswertes hat es neben dem Aktivnachlass und dem fiktiven Nachlass auch den Passivnachlass von 902.431,36 € berücksichtigt [also Summe aus 21.974,64 €, 578.248,52 € und 902.431,36 €]. Die vom Landgericht korrigierte Notarkostenrechnung schließt mit einem Betrag von 6.607,71 € ab. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Der Geschäftswert für die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses bestimme sich nach § 115 GNotKG. Diese Vorschrift stelle nach ihrem Wortlaut nicht darauf ab, welche Werte tatsächlich im Vermögen vorhanden seien, sondern vielmehr darauf, welche Werte der Notar in das Vermögensverzeichnis aufgenommen habe. Das hier in Rede stehende Nachlassverzeichnis diene auch der Erfüllung der Verpflichtung aus § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB, wonach der Pflichtteilsberechtigte gegen den Erben einen Anspruch auf Auskunft über den Aktivnachlass, den Passivnachlass und den fiktiven Nachlass habe. Die Regelung des § 38 GNotKG stehe einer Berücksichtigung des Passivnachlasses nicht entgegen, weil sie nur den Abzug von Verbindlichkeiten bei der Ermittlung des Geschäftswertes bestimme, mithin nicht ausschließe, dass Verbindlichkeiten den Geschäftswert erhöhend berücksichtigt würden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss (Bl. 248 ff. GA) verwiesen.
Gegen diesen ihr am 3. Juli 2020 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2) mit ihrer Beschwerde, eingegangen beim Landgericht am 3. August 2020 (Bl. 258 ff. GA). Sie macht geltend, dass die Vorschrift des § 115 GNotKG auf den Wert „der verzeichneten Gegenstände“ abstelle. Die Regelung des § 38 GNotKG stehe einer Hinzurechnung der Verbindlichkeiten entgegen. Nach § 38 GNotKG seien Verbindlichkeiten bei der Ermittlung des Geschäftswertes nicht abzuziehen. Daraus sei erst recht der Schluss zu ziehen, dass die Hinzurechnung von Verbindlichkeiten verboten sei. Die Kostenberechnung vom 15. Februar 2020 sei daher zu bestätigen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist begründet. Der Antrag des Beteiligten zu 1) auf gerichtliche Entscheidung auf Anweisung der vorgesetzten Dienstbehörde ist unbegründet und mithin zurückzuweisen. Die Kostenrechnung des Beteiligten zu 1) vom 3. März 2020 (Notarkostenrechnung Nr.: N01) über insgesamt 3.180,51 € ist zutreffend. Der Ansatz der dort aufgeführten Gebühren und Auslagen nebst Umsatzsteuer ist korrekt, insbesondere der Ansatz der 2fachen Verfahrensgebühr KV 23500 nach einem Geschäftswert von 600.223,16 € (§ 115 Satz 1 GNotKG).
Der Geschäftswert für die Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses ist gemäß § 115 Satz 1 GNotKG der Wert der verzeichneten Gegenstände. Die Berechnung des Geschäftswertes richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 35 ff. GNotKG und den Bewertungsvorschriften der §§ 46 ff. GNotKG. Nachlassverbindlichkeiten (hier: 902.431,36 €, Bl. 22 f. GA) sind – entgegen der Auffassung des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss – nicht hinzuzurechnen. Der Senat schließt sich insoweit der überwiegenden Auffassung an, dass Verbindlichkeiten bei der Ermittlung des Geschäftswertes nach § 115 Satz 1 GNotKG nicht werterhöhend zu berücksichtigen sind (vgl. Korintenberg/Gläser, 22. Auflage, § 115 Rn. 5 f.; Rohs-Wedewer, GNotKG, § 115 Rn. 2; Leipziger Gerichts- und Notarkostenkommentar, 2. Auflage, § 115 Rn. 1; Streifzug durch das GNotKG, Notarkasse München, 12. Auflage, Rn. 3172; OLG Naumburg, Beschluss vom 3. Februar 2022, 5 Wx 11/21 – juris; LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 1. Juli 2021, 6 OH 7/20 – juris; Litzenburger, FD-ErbR 2020, 43483; a.A. Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 3. Auflage, § 115 Rn. 4; Diehn, Notarkostenberechnungen, 6. Auflage, Rn. 1867). Dass Nachlassverbindlichkeiten nicht abzuziehen sind, ergibt sich aus dem insoweit eindeutigen § 38 GNotKG. Im Einzelnen:
Eine Addition von Verbindlichkeiten zu den Aktivposten des Nachlasses bei der Bildung des Geschäftswerts lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen.
Nach dem Wortlaut des § 115 Satz 1 GNotKG ist der Geschäftswert der Wert der verzeichneten Gegenstände. Der Begriff „Gegenstand“ ist schon nicht gleichzusetzen mit dem Begriff „Wert“. Wie eine Zusammenschau aller Regelungen im BGB erkennen lässt, umfasst der Obergriff „Gegenstände“ alle individualisierbaren, vermögenswerten Objekte und Güter, über die Rechtsmacht im Sinne von Herrschafts- und Nutzungsrechten ausgeübt werden kann, und zwar entweder als mögliches Objekt einer Verfügung (vgl. §§ 135, 161, 185, 747, 816, 2040 BGB), als mögliches Objekt schuldrechtlicher Verpflichtungen (vgl. §§ 256, 260, 273, 292, 453, 463, 581, 743 ff., 2149, 2374 BGB) oder auch nur im übertragenen Sinn (vgl. §§ 32, 387, 611, 1854 Nr. 6 BGB). „Gegenstand“ ist der Oberbegriff für Sachen, Forderungen, Immaterialgüterrechte sowie Vermögensrechte, nicht jedoch für Schulden (so zutreffend Litzenburger FD-ErbR 2020, 431483 – beckonline).
Auch der Umstand, dass – so auch hier – der fiktive Nachlass (Schenkungen im Rahmen des Pflichtteilsrechts) zu berücksichtigen ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn bei dem fiktiven Nachlass handelt es sich sehr wohl um Gegenstände in diesem Sinne; diese Gegenstände sind nur nicht mehr im Nachlass vorhanden. Hinzu kommt, dass die Aufwendungen des Beschenkten nach §§ 38, 115 GNotKG nicht vom Wert der Schenkungen abgesetzt werden, weil der Wert des verzeichneten Schenkungsgegenstands insoweit maßgebend ist (vgl. zutreffend Litzenburger a.a.O.).
Aber auch die Entstehungsgeschichte des § 115 GNotKG spricht gegen eine werterhöhende Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten. Zur Vorgängervorschrift des § 52 KostO ist eine solche Auffassung, soweit ersichtlich, nie vertreten worden. Der Gesetzesbegründung zur Neufassung des GNotKG lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 115 GNotKG etwas ändern wollte. Vielmehr sollte die Neufassung des GNotKG eine verständlichere und strukturiertere Kostenregelung schaffen (vgl. BT-Drucksache 17/11471, Seite 2 und Seite 190), aber nicht mit einer inhaltlichen Änderung des § 52 KostO einhergehen. In der Gesetzesbegründung zu § 115 GNotKG heißt es auch ausdrücklich, dass die vorgeschlagene Vorschrift der Geschäftswertregelung des geltenden § 52 Abs. 1 Satz 1 und 2 KostO entspricht (BT-Drucksache 17/11471, Seite 190).
Im vorliegenden Fall muss der Senat auch nicht die – in der Praxis kaum vorkommende Frage – entscheiden, wie der Geschäftswert nach § 115 Satz 1 GNotKG zu berechnen ist, wenn nur Passiva und keinerlei Aktiva vorhanden sind und damit gleichsam ein Schuldenverzeichnis aufzunehmen ist (vgl. dazu Korintenberg/Gläser, a.a.O., § 115 Rn. 6). Ein solcher Fall liegt hier nämlich nicht vor.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ändert auch der Umstand nichts, dass es hier um ein Verzeichnis für den Pflichtteilsberechtigten nach § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB geht. § 115 GNotKG erfasst nicht nur das Nachlassverzeichnis nach § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB, sondern allgemein die Erstellung von Verzeichnissen durch den Notar (vgl. LG Dessau-Roßlau a.a.O.).
Ferner spricht das Bestimmtheitsgebot bei der Erhebung von Gebühren dafür, dass Verbindlichkeiten hier nicht werterhöhend zu berücksichtigen sind. Das Bestimmtheitsgebot fordert auch im Bereich des Gebührenrechts eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließt. Der Gebührenschuldner muss die Höhe der zu erwartenden Gebührenlast anhand der normativen Festlegungen im Wesentlichen abschätzen können (vgl. etwa BVerwG (3. Senat), Urteil vom 27. Juni 2013, 3 C 8.12 – Rn. 13 ff. – beckonline). Letzteres wäre hier nach Auffassung des Senats nicht der Fall, wenn man die Verbindlichkeiten werterhöhend berücksichtigen würde, obwohl der Wortlaut des § 115 Satz 1 GNotKG dies nicht, zumindest nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit hergibt (s.o.) und § 38 GNotKG eher für das Gegenteil spricht.
Schließlich verkennt der Senat nicht, dass auch die Aufnahme von Verbindlichkeiten dem Notar Arbeit macht. Jedoch stellt § 115 Satz 1 GNotKG, wie jedenfalls die allermeisten Wert- und Gebührenvorschriften, nicht allein auf den Aufwand ab, sondern beruht auf dem Gedanken einer Mischkalkulation. Bei hohem Aktivvermögen sollen die Notarkosten höher sein als bei einem niedrigen Aktivvermögen. Die verhältnismäßige Gleichheit unter den Gebührenschuldnern ist zu wahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2004, 2 BvR 206/04, NJW 2004, 3321).
II.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 130 Abs. 2 Satz 3 GNotKG. Auch im Beschwerdeverfahren hat der Notar weder gerichtliche Gebühren noch gerichtliche Auslagen zu tragen.
Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf § 130 Abs. 3 Satz 4 GNotKG. Nach dieser Vorschrift sind außergerichtliche Kosten anderer Beteiligter, die der Notar in diesen Verfahren zu tragen hätte, der Landeskasse, also der Staatskasse des betreffenden Bundeslands, aufzuerlegen (vgl. nur Korintenberg/ Sikora, a.a.O., § 130 Rn. 12). Im vorliegenden Fall entspricht es auch der Billigkeit, der Landeskasse die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2) beider Instanzen aufzuerlegen. Eine Erstattungspflicht zugunsten des Beteiligten zu 1) scheidet indessen für beide Instanzen aus (vgl. nur Neie, in: Bormann/Diehn/Sommerfeldt, a.a.O., § 130 Rn. 22).
Die Festsetzung des Gegenstandswertes bemisst sich nach der Differenz zwischen dem in der Kostenrechnung ausgewiesenen Rechnungsbetrag und dem Rechnungsbetrag, den das Landgericht für zutreffend erachtet hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Der Senat folgt der herrschenden Auffassung und weicht nicht von anders lautenden obergerichtlichen Entscheidungen ab. Auch hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§§ 129 Abs. 2, 130 Abs. 3 Satz 1 GNotKG, § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG).