OLG Dresden – Az.: 17 W 378/19 – Beschluss vom 13.05.2019
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts … – Grundbuchamt – vom 25.04.2019 – Gz.: …- aufgehoben.
Das Amtsgericht … – Grundbuchamt – wird angewiesen, der Beteiligten Einsicht in den aktuellen Eigentümereintrag in Abteilung I des Wohnungs- und Teileigentumsgrundbuchs von H., Bl. …1 bis Bl. …9 zu erteilen.
2. Wert des Beschwerdeverfahrens: 5.000,00 €
Gründe
I.
Die Beteiligte verlegt die Tageszeitung „YYY“. Sie beantragte die Einsicht in Abteilung I der aus dem Rubrum ersichtlichen Grundbuchblätter – bezüglich der Eigentümerstellung, hilfsweise in Abteilung II im Hinblick auf die Person eines potentiell Berechtigten aus einer Auflassungsvormerkung.
Zur Begründung führte sie aus, eine für sie tätige Redakteurin recherchiere im Zusammenhang mit dem dort verzeichneten Mehrfamilienhaus (… Straße … in …). Unter dessen Anschrift kandidierten zwei Wahlbewerber der rechtsextremen Partei „… ….“ für den Ende Mai zu wählenden Stadtrat von …. Grundstücksnachbarn hätten darauf hingewiesen, dass das Anwesen leer stehe, weshalb die Redakteurin den nach Grundbucheinsicht ermittelten Eigentümer zu den Wohnverhältnissen befragen wolle, um einen möglichen Wahlbetrug – Verwendung von Scheinadressen – aufzudecken.
Die beim Grundbuchamt tätige Urkundsbeamtin wies den Antrag auf Grundbucheinsicht zurück. Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Beschwerdeführerin blieb erfolglos. Die Rechtspflegerin beim Grundbuchamt begründete dies damit, eine Grundbucheinsicht sei nicht zweckmäßig, da sie vielfach keine Kontaktaufnahme zum Eigentümer ermögliche. Im Grundbuch seien Anschriften des Eigentümers nicht verzeichnet. Auch wohne er oftmals nicht auf dem Grundstück. Schließlich handele es sich um eine Anlage nach dem Wohnungseigentumsgesetz, die aus neun Grundbuchblättern bestehe. Eine Einsicht in alle diese Grundbücher führe zur Preisgabe von Daten von Eigentümern, die mit den betreffenden Stadtratskandidaten in keinerlei Kontakt stünden.
Die Beteiligte legte gegen den Zurückweisungsbeschluss Beschwerde mit Schreiben vom 02.05.2019 ein. Es bestehe ein hinreichend publizistischer Anlass für die Einholung der beantragten Grundbucheinsicht. Hinzu gekommen sei zwischenzeitlich, dass am … auf das Anwesen ein Buttersäureanschlag unternommen worden sei. Über den im Raum stehenden Wahlbetrug hinaus sei es auch im Hinblick auf den politisch motivierten Anschlag aus Sicht sauberer journalistischer Recherche geboten, Kontakt zu den Eigentümern aufzunehmen. Die Zweckmäßigkeitsüberlegungen des Grundbuchamtes überzeugten nicht. Ebenso wenig stehe der Umstand, dass es anscheinend mehrere Eigentümer gebe, der Einsicht entgegen. Angesichts des von den Anwohnern beschriebenen weitgehenden Leerstandes sei es durchaus naheliegend, dass alle nach dem WEG gebildeten Sondereigentumseinheiten in einer Hand lägen. Im Übrigen ließe sich der potentielle Quartiergeber schnell herausfinden, wenn das Grundbuchamt die Information über die Identität der Eigentümer nicht mehr verweigere.
Das Grundbuchamt half der Beschwerde nicht ab und legte diese dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zur Entscheidung vor.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
1.
Sie ist zulässig.
Gegen die Versagung von Grundbucheinsicht durch den Rechtspfleger (§ 3 Nr. 1 h RPflG) ist die Beschwerde statthaft (§ 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. § 71 Abs. 1 GBO; § 12 Abs. 4 S. 2 GBO); sie ist auch im Übrigen zulässig.
2.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 12 Abs. 1 S. 1 GBO ist die Einsicht des Grundbuchs jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt.
a)
Der Begriff des „berechtigten Interesses“ ist umfassender als derjenige des „rechtlichen Interesses“. Es genügt, dass der Antragsteller ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse verfolgt. Auch ein öffentliches Interesse kann in Betracht kommen. Zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen kann hiervon ausgehend auch der Presse ein Recht auf Einsicht zustehen.
b)
Das in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbürgte Grundrecht auf Pressefreiheit vermittelt ein solches Recht auf Einsicht nur dann, wenn zum einen ein Informationsbeschaffungsinteresse dargelegt wird, und zum anderen das ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Recht der im Grundbuch Eingetragenen auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) nicht entgegensteht.
Ersteres verlangt, dass der Antragsteller sein Rechercheinteresse in tatsächlicher Sicht hinreichend konkret ausführt. Das Informationsanliegen ist unter Darstellung des konkreten Bezugs zum jeweiligen Grundstück zu erläutern. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt muss sich ergeben, dass die beantragte Grundbucheinsicht auf die Beschaffung journalistisch verwertbarer Informationen abzielt und daher als Teil der publizistischen Vorbereitungstätigkeit dem Schutzbereich der Pressefreiheit zuzuordnen ist. Demgegenüber sind keine Erläuterungen zur Bewertung des Informationsinteresses zu verlangen. Einer solchen nämlich hat sich das Gericht wegen des Gebots staatlicher Inhaltsneutralität zu enthalten. Die Presse muss vielmehr nach publizistischen Kriterien entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht (BVerfG RPfleger 2001, 15 – in Juris Rn. 29 ff.; BVerfG AfP 2000, 566 – in Juris Rn. 5/6; OLG München FGPrax 2016, 204; OLG München NJW-RR 2017, 168).
Letzteres verlangt, dass die Interessen des Eigentümers und eine etwaige Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsschutzes einerseits und die presserechtlichen Interessen andererseits im Rahmen einer Angemessenheitsprüfung in einen Ausgleich gebracht und gegeneinander abgewogen werden. Dabei hat das Zugangsinteresse der Presse Vorrang, wenn es um Fragen geht, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Auseinandersetzung dient. Dabei ist zu respektieren, dass die Presse regelmäßig auch auf einen bloßen Verdacht hin recherchiert. Hierdurch werden die Interessen des Eigentümers nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt (BGH NJW-RR 2011, 1651; OLG München NJW-RR 2016, 1062; OLG Stuttgart ZD 2012, 431; OLG Düsseldorf NJW 2016, 89; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17.07.2014 – Az.: 3 W 7/14).
c)
Von diesen Maßstäben ausgehend, steht der Beteiligten die Einsicht der betroffenen Wohnungs- und Teileigentumsgrundbücher – hier in der Hauptsache jeweils zu Abteilung I beantragt – für den aktuellen Eigentümereintrag zu. Die Beteiligte hat ihr Informationsanliegen – bezogen auf die zum Anwesen … Str. … in … gehörenden Grundbücher – dargestellt. Zum einen will sie die Eigentümer in Erfahrung bringen, um herauszufinden, ob und ggf. von wem das Anwesen an die für den Stadtrat kandidierenden Vertreter der Partei „… …“ überlassen wurde, oder ob die Kandidaten mittels Angabe dieser in Wahrheit unzutreffenden Adresse ihre Kandidatur betreiben. Damit hat die Beteiligte ihr Rechercheanliegen und den Zusammenhang zum Anwesen … Str. … in … hinreichend konkret dargelegt.
Darüber hinaus ist mit dem Beschwerdevorbringen zu dem auf das Anwesen kürzlich verübten Buttersäureanschlag ein weiteres Informationsinteresse dahin dargelegt, dass die Grundbucheinsicht Aufklärung dazu ermöglicht, ob die Nutzung des Grundstücks unter Mitwirkung, Billigung oder zumindest Duldung des jeweiligen Eigentümers erfolgt.
Die Frage, ob die Stadtratskandidaten im Wahlgebiet ansässig sind oder nicht, geht die Öffentlichkeit an. Andere – das Persönlichkeitsrecht der Eingetragenen weniger beeinträchtigende – Mittel, die die Beteiligte nutzen könnte, um die begehrten Informationen zu erhalten, sind nicht ersichtlich.
d)
Die Grundbucheinsicht ist auch geeignet, das konkret dargelegte Informationsinteresse zu erfüllen. Die Erwägungen des Grundbuchamtes, die dieses zur Ablehnung der Einsicht bewegten, überzeugen nicht. Mit der Beschwerde geht auch der Senat davon aus, dass die Information zum Namen den Weg zur Person und deren Erreichbarkeit eröffnet, jedenfalls erleichtert. Davon, dass die Eigentümer das Anwesen nicht selbst nutzen, geht bereits die Antragstellerin aus. Gleichwohl lässt sich mittels des Namens die Person regelmäßig auffinden.
Dass es sich im vorliegenden Fall um Wohnungs- und Teileigentumsgrundbücher handelt, die auch Eigentümer betreffen können, die nicht mit den Stadtratskandidaten in Kontakt stehen, steht der Gewährung der Einsicht nicht entgegen. Vorliegend ist der Beteiligten angesichts dessen, dass sie den Leerstand der Wohnungen und vor diesem Hintergrund die Verwendung einer Scheinadresse durch die Stadtratskandidaten vermutet, eine Eingrenzung ihrer Grundbuchanfrage nicht möglich. Allenfalls dann, wenn die Nutzung durch die Stadtratskandidaten positiv bekannt wäre, könnte der Beteiligten z. B. durch bauliche Konkretisierung – Räume Erdgeschoss unten links o. ä. – eine nähere Spezifizierung des Wohnungsgrundbuchs abverlangt werden (zur Hilfestellung durch das Grundbuchamt in einem solchen Fall OLG München NJW-RR 2017, 168 – in Juris Rn. 22). Hier ist durch die Angabe der Adresse, die von den Stadtratskandidaten verwendet wird, lediglich ein tatsächlicher Bezug zum Mehrfamilienhaus insgesamt und damit zu den darin befindlichen nicht weiter differenzierbaren Wohnungen hergestellt. Da eine nähere Eingrenzung auch nicht auf der Grundlage des weiteren Vortrags zum Buttersäureanschlag möglich erscheint, ist die Grundbucheinsicht in sämtliche Grundbücher des unter der Anschrift … Str. … in … gelegenen Anwesens zu gewähren.
e)
Einer vorherigen Anhörung der Wohnungseigentümer bedurfte es nicht. Ihre Interessen fanden im Rahmen der vorgenommenen Abwägung in abstrakt-genereller Weise Berücksichtigung (BVerfG RPfleger 2001, 15 – in Juris Rn. 34 ff.; OLG München NJW-RR 2017, 168 – in Juris Rn. 17; OLG Stuttgart aaO.).
III.
Eine Kostenentscheidung ist wegen des Erfolgs der Beschwerde nicht veranlasst. Die Festsetzung für den Wert des Beschwerdeverfahrens hat ihre Grundlage in § 61 Abs. 1, § 36 Abs. 3 GNotKG.