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Löschungsbewilligung einer Grunddienstbarkeit in Gestalt eines Bebauungsverbots wegen Erlöschens

Löschungsbewilligung von Grunddienstbarkeiten durch Verjährung

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat in seinem Urteil vom 22.03.2022 unter dem Aktenzeichen 7 U 75/21 entschieden, dass die Löschungsbewilligung einer Grunddienstbarkeit in Gestalt eines Bebauungsverbots wegen Erlöschens gerechtfertigt ist. Die Klägerin, Eigentümerin des dienenden Grundstücks, hat erfolgreich die Löschung der zu Gunsten der Beklagten eingetragenen Grunddienstbarkeit erwirkt, da die Verjährung des Beseitigungs-/Unterlassungsanspruchs nach § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB eingetreten ist. Das Gericht betont, dass die vollständige Verjährung des Anspruchs zur Löschung der Grunddienstbarkeit führt, unabhängig von der Existenz oder Beseitigung der baulichen Anlagen, die ursprünglich den Widerspruch zur Dienstbarkeit begründet hatten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 7 U 75/21 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung der Löschungsbewilligung einer Grunddienstbarkeit aufgrund des Erlöschens durch Verjährung.
  2. Die Verjährung des Beseitigungs-/Unterlassungsanspruchs führt zum Erlöschen der Grunddienstbarkeit.
  3. Eigentümer des dienenden Grundstücks erfolgreich gegen die eingetragene Grunddienstbarkeit.
  4. Die Verjährung betrifft die gesamte Grunddienstbarkeit, unabhängig von der Existenz baulicher Anlagen.
  5. Rechtskraft der Verurteilung zur Bewilligung der Löschung ohne erneute Prüfungsmöglichkeit.
  6. Das Erlöschen der Grunddienstbarkeit unabhängig von der aktuellen oder zukünftigen Bebauung.
  7. Die Entscheidung hat grundsätzliche Bedeutung für ähnliche Fälle der Löschung von Grunddienstbarkeiten.
  8. Zulassung der Revision aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Auslegung des § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Grunddienstbarkeiten: Löschung wegen Erlöschens

Grunddienstbarkeit löschen: Bebauungsverbot erloschen?
(Symbolfoto: Gumbariya /Shutterstock.com)

Grunddienstbarkeiten sind eine weit verbreitete Möglichkeit, bestimmte Rechte an Grundstücken dauerhaft zu sichern. Sie können jedoch auch zu Konflikten führen, wenn sich die zugrunde liegenden Verhältnisse ändern. Eine häufige rechtliche Herausforderung betrifft die Löschung einer Grunddienstbarkeit, insbesondere wenn diese in Gestalt eines Bebauungsverbots vorliegt.

Die Löschung einer Grunddienstbarkeit wegen Erlöschens ist in § 1028 BGB geregelt. Demnach erlischt eine Grunddienstbarkeit, wenn der Anspruch auf Beseitigung der die Dienstbarkeit beeinträchtigenden Anlage verjährt ist. Dies kann insbesondere bei einem Bebauungsverbot auf einem Grundstück von Bedeutung sein, wenn die ursprüngliche Bebauungsbeschränkung nicht mehr aktuell ist oder die Bebauung bereits erfolgt ist.

Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Forderung der Klägerin nach Löschung einer Grunddienstbarkeit, die ein Bebauungsverbot auf ihrem Grundstück in X, eingetragen im Grundbuch von X Blatt A2, zum Inhalt hatte. Diese Dienstbarkeit verbot jegliche Bebauung zugunsten der Eigentümer der angrenzenden Grundstücke Ystraße 6 und 8, umfasste also ein absolutes Bauverbot, das sich aus einem Kaufkontrakt vom 16. Oktober 1889 herleitete.

Grunddienstbarkeit und ihre historischen Wurzeln

Die Grunddienstbarkeit, begründet durch einen Vertrag aus dem Jahr 1889, wurde im Grundbuch festgehalten und spezifizierte, dass das Grundstück der Klägerin nicht bebaut werden dürfe, um den angrenzenden Grundstückseigentümern Vorteile zu verschaffen. Diese Vorgabe betraf insbesondere den Erhalt von Sichtachsen und Lichtverhältnissen. Über die Jahre hinweg erfuhr das Grundstück der Klägerin allerdings verschiedene Nutzungsänderungen und Bebauungen, was schließlich zu dem Rechtsstreit führte.

Die Auseinandersetzung um Verjährung und Löschung

Die rechtliche Auseinandersetzung entzündete sich an der Frage, ob die Grunddienstbarkeit durch die langjährige Duldung einer Bebauung und die damit einhergehende Verjährung des Beseitigungsanspruchs erloschen sei. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein musste klären, inwieweit die Verjährung eines solchen Anspruchs Einfluss auf die Gültigkeit der eingetragenen Grunddienstbarkeit hat.

Die Entscheidungsfindung des Gerichts

Das Gericht entschied, dass die Grunddienstbarkeit in vollständigem Umfang erloschen sei, da der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch der Beklagten aus §§ 1027, 1004 BGB durch die Verjährung nach § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB vollständig erloschen war. Diese Entscheidung beruhte auf der Feststellung, dass die eingetragene Grunddienstbarkeit das Grundstück der Klägerin „überhaupt“ nicht zu bebauen erlaubte und somit jede Bebauung, die über Jahrzehnte geduldet wurde, zum Erlöschen der Dienstbarkeit führte.

Umfassende Wirkung der Verjährung

Entscheidend war die Erkenntnis, dass das Erlöschen der Grunddienstbarkeit nicht nur die bestehenden baulichen Anlagen betrifft, sondern die Dienstbarkeit in ihrer Gesamtheit. Das Gericht stellte klar, dass eine Grunddienstbarkeit, die ein absolutes Bebauungsverbot umfasst, mit Eintritt der Verjährung des Beseitigungsanspruchs vollständig erlischt. Diese Interpretation des § 1028 BGB hat weitreichende Bedeutung für ähnlich gelagerte Fälle, in denen Verjährungsfristen eine Rolle spielen.

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein bestätigte die Löschung der Grunddienstbarkeit aufgrund der Verjährung des Beseitigungsanspruchs, wodurch die Klägerin das Recht erhielt, ihr Grundstück nach eigenen Vorstellungen zu bebauen.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was ist eine Grunddienstbarkeit und welche Auswirkungen hat sie auf Grundstücke?

Eine Grunddienstbarkeit ist ein im Grundbuch eingetragenes Recht, das dem Eigentümer eines Grundstücks (herrschendes Grundstück) die Nutzung eines anderen, benachbarten Grundstücks (dienendes Grundstück) in bestimmter Weise erlaubt oder dem Eigentümer des dienenden Grundstücks bestimmte Handlungen untersagt. Dieses Recht ist dauerhaft und bleibt auch bei einem Eigentümerwechsel bestehen. Die Grunddienstbarkeit wird im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in den §§ 1018 bis 1029 geregelt.

Arten von Grunddienstbarkeiten

Grunddienstbarkeiten lassen sich in zwei Hauptkategorien unterteilen:

  1. Nutzungsdienstbarkeiten: Diese erlauben dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks, Teile des dienenden Grundstücks auf eine bestimmte Art und Weise zu nutzen. Beispiele hierfür sind Wegerechte, um ein hinterliegendes Grundstück zu erreichen, oder das Recht, Versorgungsleitungen über ein benachbartes Grundstück zu verlegen.
  2. Unterlassungsdienstbarkeiten: Diese verbieten dem Eigentümer des dienenden Grundstücks, bestimmte Handlungen vorzunehmen, die dem herrschenden Grundstück schaden könnten, wie beispielsweise den Bau eines hohen Gebäudes, das die Aussicht oder den Lichteinfall des herrschenden Grundstücks beeinträchtigen würde.

Auswirkungen auf Grundstücke

Die Eintragung einer Grunddienstbarkeit im Grundbuch hat mehrere Auswirkungen auf die betroffenen Grundstücke:

  • Wertbeeinflussung: Die Existenz einer Grunddienstbarkeit kann den Wert des dienenden Grundstücks mindern, da dessen Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Gleichzeitig kann der Wert des herrschenden Grundstücks steigen, da es zusätzliche Nutzungsrechte erhält.
  • Rechtliche Verpflichtungen: Der Eigentümer des dienenden Grundstücks ist rechtlich verpflichtet, die Ausübung der Grunddienstbarkeit zu dulden. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass er den Zugang zu seinem Grundstück für Wartungsarbeiten an Versorgungsleitungen gewähren muss.
  • Dauerhaftigkeit: Eine einmal im Grundbuch eingetragene Grunddienstbarkeit ist dauerhaft und überträgt sich automatisch auf neue Eigentümer des dienenden oder herrschenden Grundstücks. Sie kann nur mit Zustimmung des Begünstigten geändert oder gelöscht werden.

Wichtig für Käufer und Eigentümer

Vor dem Kauf eines Grundstücks ist es entscheidend, das Grundbuch auf eingetragene Grunddienstbarkeiten zu prüfen. Diese können die Nutzung des Grundstücks erheblich beeinflussen und sollten bei der Bewertung des Grundstücks und der Planung zukünftiger Bauvorhaben berücksichtigt werden.

Wie kann eine Grunddienstbarkeit erlöschen und welche Rolle spielt dabei die Verjährung?

Eine Grunddienstbarkeit kann auf verschiedene Weisen erlöschen. Eine Möglichkeit ist die rechtsgeschäftliche Aufgabeerklärung nach § 875 BGB, bei der der Berechtigte auf das Recht verzichtet und dies im Grundbuch gelöscht wird. Ein weiterer Grund für das Erlöschen kann der Eintritt einer auflösenden Bedingung sein, unter der die Grunddienstbarkeit bestellt wurde, oder das Erreichen eines bei der Bestellung festgelegten Endtermins. Auch wenn das Recht mehr als 10 Jahre nicht ausgeübt wurde, kann dies zum Erlöschen führen.

Die Verjährung spielt ebenfalls eine Rolle beim Erlöschen einer Grunddienstbarkeit. Gemäß § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB erlischt die Dienstbarkeit mit der Verjährung des Anspruchs auf Beseitigung einer Beeinträchtigung, soweit der Bestand der Anlage, die die Grunddienstbarkeit beeinträchtigt, mit ihr in Widerspruch steht. Dies bedeutet, dass wenn auf dem dienenden Grundstück eine Anlage errichtet wird, die die Ausübung der Grunddienstbarkeit beeinträchtigt, und der Berechtigte nicht innerhalb der Verjährungsfrist die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangt, die Grunddienstbarkeit in Bezug auf den beeinträchtigten Teil erlöschen kann. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von der Beeinträchtigung Kenntnis erlangt hat.

Zusätzlich kann eine Grunddienstbarkeit erlöschen, wenn infolge wesentlicher Veränderungen auf dem herrschenden oder dienenden Grundstück der Vorteil aus dem Recht objektiv und dauerhaft wegfällt. Beispielsweise kann dies der Fall sein, wenn das herrschende Grundstück nicht mehr in der bisherigen Weise genutzt werden kann oder wenn eine neue öffentliche Verkehrsfläche die bestehenden Wegerechte überflüssig macht.

Es ist zu beachten, dass das Erlöschen einer Grunddienstbarkeit nicht automatisch erfolgt und in der Regel eine Löschung im Grundbuch erforderlich ist, um die Rechtslage zu klären. Für eine konkrete Beurteilung, ob eine Grunddienstbarkeit noch besteht oder erloschen ist, sollte fachkundiger anwaltlicher Rat eingeholt werden.

Was besagt § 1028 BGB im Zusammenhang mit dem Erlöschen von Grunddienstbarkeiten?

§ 1028 BGB regelt die Verjährung von Ansprüchen im Zusammenhang mit Grunddienstbarkeiten. Nach Absatz 1 Satz 1 des § 1028 BGB unterliegt der Anspruch des Berechtigten auf Beseitigung einer Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit der Verjährung, auch wenn die Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist. Satz 2 desselben Absatzes besagt, dass mit der Verjährung des Beseitigungsanspruchs die Dienstbarkeit erlischt, soweit der Bestand der Anlage, die die Grunddienstbarkeit beeinträchtigt, mit ihr in Widerspruch steht.

Das bedeutet, wenn auf dem dienenden Grundstück eine Anlage errichtet wird, die die Ausübung der Grunddienstbarkeit beeinträchtigt, und der Berechtigte nicht innerhalb der Verjährungsfrist die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangt, kann die Grunddienstbarkeit in Bezug auf den beeinträchtigten Teil erlöschen. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von der Beeinträchtigung Kenntnis erlangt hat.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 75/21 – Urteil vom 22.03.2022

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. April 2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte zu 7. wird verurteilt, die Löschung der zu seinen Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 6 in X (Grundbuch von X Blatt A1) in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeit zu bewilligen;

2. Die Beklagten zu 1. bis 6. werden verurteilt, die Löschung der zu ihren Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 8 in X (Beklagte zu 1.: Grundbuch von X Blatt A3, Beklagte zu 2. und 3.: Grundbuch von X Blatt A4, Beklagte zu 4. und 5.: Grundbuch von X Blatt A5 und Beklagter zu 6.: Grundbuch von X Blatt A6), in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeit zu bewilligen;

3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

4. Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 185.000 € bezüglich der Hauptsache bzw. i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrag bezüglich der Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des gleichen Betrages leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Bewilligung der Löschung von Grunddienstbarkeiten.

Die Klägerin ist mit Eintragung in das Grundbuch am 13. Dezember 2016 Eigentümerin des Grundstücks Ystraße 10 in X geworden (Flurstücke … Grundbuch von X Blatt A2, vgl. Grundbuchauszug vom 1. August 2019, Anlage K1, S. 5, Anlagenband Kläger). Zu Lasten des Grundstücks der Klägerin ist im Grundbuch in Abteilung II lfd. Nr. 1 folgende Grunddienstbarkeit eingetragen:

„Dieses Grundstück darf zugunsten der Eigentümer der Grundstücke Band Z Bl. xxx1 und xxx2 dieses Grundbuchs weder neben der an der Ystraße belegenen Villa nach Osten (Südost) überhaupt bebaut werden noch das vor derselben nach südwestlich liegende Terrain bis zur verlängerten rechten Straßen- respektive Bürgersteigfluchtlinie bebaut werden.“

Bei dem Grundstück Grundbuch Band Z Blatt xxx1 handelt es sich um die Liegenschaft Ystraße 8. Hieran halten die Beklagten zu 1) bis 6) als Wohnungseigentümergemeinschaft in folgender Aufteilung Eigentum: Die Beklagte zu 1) ist Alleineigentümerin des im Grundbuch von X, Blatt A3, eingetragenen Wohnungseigentums (Erdgeschoss). Die Beklagten zu 2) und 3) sind Eigentümer je zur ideellen Hälfte des im Grundbuch von X, Blatt A4, eingetragenen Wohnungseigentums (1. Obergeschoss). Die Beklagten zu 4) und 5) sind Eigentümer je zur ideellen Hälfte des im Grundbuch von X, Blatt A5, eingetragenen Wohnungseigentums (2. Obergeschoss). Der Beklagte zu 6) ist alleiniger Eigentümer des im Grundbuch von X, Blatt A6, eingetragenen Wohnungseigentums (3. Obergeschoss/Dachgeschoss).

Bei dem Grundstück Band Z Blatt xxx2 handelt es sich um die Liegenschaft Ystraße 6, deren Eigentümer der Beklagte zu 7 ist. Bei der in der vorgenannten Eintragung bezeichneten „Villa“ handelt es sich um die Liegenschaft Ystraße 5. Für die Einzelheiten wird auf den Übersichtsplan Bl. 114 d. A., Anlage K2, Bezug genommen. Die Eintragung der Grunddienstbarkeit erfolgte aufgrund § 5 des Kaufkontraktes vom 16. Oktober 1889. Die zugrunde liegende Eintragungsbewilligung sowie die entsprechende Grundakte sind durch Kriegseinwirkung zerstört worden.

Zudem ist in Abteilung II lfd. Nr. 2 das Recht der Eigentümer der vorgenannten Grundstücke eingetragen, „auf der östlichen Grenze nach diesem Grundstück Fenster in unbegrenzter Zahl anzulegen“.

Auf dem Grundstück Ystraße 10 befand sich mindestens seit 1923 eine Bebauung, die gewerblich genutzt wurde und die zwischen den Parteien sowohl in der historischen Entwicklung als auch in den genauen Abmessungen im Streit ist (vgl. hierzu die Chronologierecherche der Klägerin, Anlage K9). Zuletzt war es (insoweit unstreitig) jedenfalls seit 1963 bis Ende des letzten Jahrtausends mit einem als „…“ genutzten Gebäudekomplex bebaut. Dabei handelte es sich um ein circa 6 m hohes, langgezogenes Gebäude mit einem ebenerdigen Garagen-/Hallenteil und einem aufgesetzten Obergeschoss für Büro- und Verwaltungsräume.

Nach dem Erwerb des Grundstücks Ystraße 10 durch die Klägerin wurden ab Januar 2017 Gespräche zwischen den Parteien im Hinblick auf ein geplantes Bauprojekt „M“, bestehend aus insgesamt sieben Gebäuden mit Wohnungen, geführt. Die Klägerin beabsichtigt in diesem Rahmen u.a., das Grundstück Ystraße 10 mit einem circa 18,5 m hohen Wohnhaus, bestehend aus Kellergeschoss, Erdgeschoss sowie fünf Obergeschossen zu bebauen. In dem als Anlage K7 vorgelegten Übersichtsplan trägt das Gebäude die Bezeichnung „A7“.

Die Klägerin hat behauptet, der Gebäudekomplex des … sei in den Jahren 1963/64 auf dem Grundstück Ystraße 10 erbaut worden und habe dort bis zum Abbruch im Jahre 2019 gestanden. Insgesamt werde das Grundstück Ystraße 10 bereits seit dem 19. Jahrhundert gewerblich genutzt. Sie hat die Auffassung vertreten, Ansprüche der Beklagten auf Beseitigung der von dieser Bebauung ausgehenden Beeinträchtigungen seien gemäß § 1028 Abs. 1 S. 1 BGB verjährt.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu 7) zu verurteilen, die Löschung der zu seinen Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 6 in X (Grundbuch von X Blatt A1) in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeit zu bewilligen;

sowie in Bezug auf den Beklagten zu 7) hilfsweise:

festzustellen, dass die in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs von X, Blatt A2, eingetragene Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Ystraße 6 in X (Grundbuch von X Blatt A1) – insgesamt – erloschen ist.

Sowie weiter hilfsweise: festzustellen, dass der Beklagte zu 7) aus den zu seinen Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 6, Grundbuch von X Blatt A1, in Abt. II Nr. 1 und 11 im Grundbuch der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeiten keinen Anspruch gegen die Klägerin hat auf Unterlassung der Errichtung eines Gebäudes auf dem Grundstück Ystraße 10 in X (Grundbuch von X Blatt A2) in der Lage, wie in der „Klageantrag Anlage 2“ blau schraffiert;

2. die Beklagten zu 1) bis 6) zu verurteilen, die Löschung der zu ihren Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 8 in X (Beklagte zu 1: Grundbuch von X Blatt A3, Beklagte zu 2 und 3: Grundbuch von X Blatt A4, Beklagte zu 4 und 5: Grundbuch von X Blatt A5 und Beklagter zu 6: Grundbuch von X Blatt A6) in Abteilung II Nr. 1 des Grundbuchs der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeit zu bewilligen;

sowie in Bezug auf die Beklagten zu 1) bis 6) hilfsweise:

festzustellen, dass die in Abt. II Nr.1 im Grundbuch von X Blatt A2 eingetragene Grunddienstbarkeit zugunsten der Beklagten als Eigentümer der Wohnungseigentumsrechte, eingetragen jeweils im Grundbuch des Amtsgerichts X von Blatt A3 (Beklagte …), A4 (Beklagte …), A5 (Beklagte …) und A6 (Beklagter …) – insgesamt – erloschen ist;

sowie weiter hilfsweise, festzustellen:

dass die Beklagten aus den zu ihren jeweiligen Gunsten als Eigentümer (Beklagte zu 1: Grundbuch von X Blatt A3, Beklagte zu 2 und 3: Grundbuch von X Blatt A4, Beklagte zu 4 und 5: Grundbuch von X Blatt A5 und Beklagter zu 6: Grundbuch von X Blatt A6) in Abt. II Nr. 1 und 11 im Grundbuch der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeiten keinen Anspruch gegen die Klägerin haben auf Unterlassung der Errichtung eines Gebäudes auf dem Grundstück Ystraße 10 in X (Grundbuch von X Blatt A2) in der Lage, wie in der „Klageantrag Anlage 2“ blau schraffiert.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben die Einrede der Verjährung erhoben und behauptet, neben dem geplanten Gebäude A7 läge auch das geplante Gebäude A6 auf dem Grundstück Ystraße 10.

Das Landgericht hat der Klage nur zum Teil stattgegeben. Den Eigentümern der Grundstücke Ystraße 6 und 8 habe gemäß §§ 1027, 1004 S. 1 BGB ursprünglich ein Beseitigungsanspruch wegen der unzulässigen Bebauung des Grundstücks Ystraße 10 zugestanden. Das diesbezügliche Bestreiten hinsichtlich einer Bebauung des Grundstücks Ystraße 10 durch die Beklagten zu 1 – 6 sei wegen der vorgelegten Unterlagen völlig unsubstantiiert und damit unbeachtlich. Auf den genauen Zeitpunkt der Errichtung komme es nicht an, da das „…“ jedenfalls mehr als 30 Jahre auf dem Grundstück gestanden habe. Wegen des Zeitablaufs sei der ursprüngliche Beseitigungsanspruch gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB verjährt. Dies führe jedoch nicht zu einem vollständigen Erlöschen der Grunddienstbarkeit, denn nach dem Wortlaut des § 1028 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB erlösche die Grunddienstbarkeit nur, „soweit der Bestand der Anlage mit ihr im Widerspruch steht“. Hierfür komme es auf den Inhalt der konkreten Grunddienstbarkeit an. Danach führe die Duldung des Gebäudekomplexes … über mehr als 30 Jahre nicht vollständig, sondern nur in den Grenzen dieser geduldeten Bebauung zum Erlöschen der streitgegenständlichen Grunddienstbarkeit. Dass der Gebäudekomplex … im Widerspruch zur Grunddienstbarkeit gestanden habe, lasse sich insbesondere der Anlage K2 entnehmen. Das diesbezügliche Bestreiten der Beklagten zu 1 – 6 sei nicht substantiiert. Die durch die weitere Grunddienstbarkeit abgesicherte Möglichkeit zur Errichtung von „Fenstern in unbegrenzter Zahl“ in Blickrichtung Osten lasse den Schluss zu, dass das Bebauungsverbot insbesondere den uneingeschränkten Lichteinfall und den freien Blick Richtung Osten sichern sollte. Deshalb führe die widerspruchslose Duldung der Bebauung des Grundstücks Ystraße 10 nicht zum vollständigen Wegfall der Rechte aus der eingetragenen Grunddienstbarkeit, sondern nur in dem Umfang der vorhandenen Bebauung, hier insbesondere hinsichtlich der Höhe. Denn den Eigentümern der Ystraße 6 und 8 sei der Blick aus den Ostfenstern gen … Förde in den oberen Stockwerken trotz der Bebauung immer noch möglich gewesen, wie sich aus der Lichtbildaufnahme Bl. 119 d. A. ergäbe. Auch wenn die streitgegenständliche Grunddienstbarkeit gemäß § 1028 BGB teilweise erloschen und das Grundbuch damit unrichtig geworden sei, ergäbe sich daraus kein teilweiser Anspruch der Klägerin auf Löschung, sondern nur ein Anspruch auf Inhaltsänderung. Der Baukörper des Gebäudekomplexes … habe unstreitig aus einer Halle im Erdgeschoss und einem aufgesetzten Obergeschoss bestanden. Nur in diesem Rahmen dürfe die Bebauung des Grundstücks künftig erfolgen. Der Inhaltsänderungsanspruch sei weder verjährt noch verwirkt. Die Verjährung scheitere an § 898 BGB, wonach der Grundbuchberichtigungsanspruch aus § 894 BGB nicht der Verjährung unterliege. Die hilfsweise gestellten Feststellungsanträge der Klägerin seien unzulässig, insoweit fehle es der Klägerin am erforderlichen Feststellungsinteresse.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und verfolgt die erstinstanzlichen Klagziele weiter. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Gesamtbetrachtung des Landgerichts bei der Auslegung des Grunddienstbarkeit sei unrichtig. Wenn die Eintragung zu Ziffer 1 in Abteilung II tatsächlich den Blick Richtung Osten habe sichern wollen, sei die Eintragung in Abteilung II Nr. 2 überflüssig. Zudem sei das Grundstück entweder als bebaut oder unbebaut anzusehen, die eingetragene Grunddienstbarkeit gebe zu Umfang und Höhe der Bebauung nichts her. Das Landgericht habe keine Feststellung dazu getroffen, ob und inwieweit aus den Ostfenstern der Gebäude Ystraße 6 und 8 zur Zeit der Existenz des … die … Förde zu erkennen gewesen sei. Durch das geplante Gebäude A7 werde der Blick Richtung … Förde auch nicht vereitelt, denn von den Ostfenstern des Gebäudes Ystraße 8 gehe der Blick in Richtung … Förde links am geplanten Gebäude A7 vorbei. Das Gebäude Ystraße 6 verfüge nicht über Ostfenster mit Fördeblick. Die Frage des Fördeblicks sei im Übrigen auch nicht entscheidend, denn die Grunddienstbarkeit in Abteilung II Nr. 1 beinhalte ein absolutes Bebauungsverbot für die Ystraße 10 und gegen dieses Bebauungsverbot sei bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts, spätestens jedoch seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, verstoßen worden, ohne dass die Beklagten bzw. ihre Rechtsvorgänger dagegen etwas unternommen hätten.

Die Klägerin beantragt, das am 16.04.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Kiel, Az.: 4 O 358/19, wie folgt zu ändern:

1. Der Beklagte zu 7. wird verurteilt, die Löschung der zu seinen Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 6 in X (Grundbuch von X Blatt A1) in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeit zu bewilligen;

hilfsweise: Es wird festgestellt, dass die in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs von X Blatt A2 eingetragene Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Ystraße 6 in X (Grundbuch von X Blatt A1) insgesamt erloschen ist;

weiter hilfsweise: Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 7. aus den zu seinen Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 6 im Grundbuch von X Blatt A1 in Abt. II Nr. 1 und 11 im Grundbuch der Klägerin von X, Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeiten keinen Anspruch gegen die Klägerin hat auf Unterlassung der Errichtung eines Gebäudes auf dem Grundstück Ystraße 10 in X (Grundbuch von X, Blatt A2) in der Lage, wie in der „Klageantrag Anlage 2“ blau schraffiert.

2. Die Beklagten zu 1. bis 6. werden verurteilt, die Löschung der zu ihren Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 8 in X (Beklagte zu 1.: Grundbuch von X Blatt A3, Beklagte zu 2. und 3.: Grundbuch von X Blatt A4, Beklagte zu 4. und 5.: Grundbuch von X Blatt A5 und Beklagter zu 6.: Grundbuch von X Blatt A6), in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeit zu bewilligen;

hilfsweise: Es wird festgestellt, dass die in Abt. II Nr.1 im Grundbuch von X Blatt A2 eingetragene Grunddienstbarkeit zugunsten der Beklagten als Eigentümer der Wohnungseigentumsrechte, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts X von X Blatt A3 (Beklagte …), A4 (Beklagte …), A5 (Beklagte …) und A6 (Beklagter …) insgesamt erloschen ist;

hilfsweise: Es wird festgestellt, dass die Beklagten aus den zu ihren jeweiligen Gunsten als Eigentümer (Beklagte zu 1.: Grundbuch von X Blatt A3, Beklagte zu 2. und 3.: Grundbuch von X Blatt A4, Beklagte zu 4. und 5.: Grundbuch von X Blatt A5 und Beklagte zu 6.: Grundbuch von X Blatt A6), in Abt. II Nr. 1 und 11 im Grundbuch der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeiten keinen Anspruch gegen die Klägerin haben auf Unterlassung der Errichtung eines Gebäudes auf dem Grundstück Ystraße 10 in X (Grundbuch von X Blatt A2) in der Lage, wie in der „Klagantrag Anlage 2“ blau schraffiert.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Der Beklagte zu 7 verweist bezüglich der Erforderlichkeit der Eintragung zu Nr. 2 in Abteilung II des Grundbuches auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des BGB hin, als noch das Preußische Allgemeine Landrecht gegolten habe.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg und führt zur Änderung des Urteils. Die zugrunde liegenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Anspruch aus § 894 BGB

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Bewilligung der Löschung der streitgegenständlichen Grunddienstbarkeit gem. § 894 BGB gegen die Beklagten zu.

Steht hiernach der Inhalt des Grundbuchs in Ansehung eines Rechts an dem Grundstück mit der wirklichen Rechtslage nicht im Einklang, so kann derjenige, dessen Recht durch die Eintragung einer nicht bestehenden Belastung oder Beschränkung beeinträchtigt ist, die Zustimmung zu der Berichtigung des Grundbuchs von demjenigen verlangen, dessen Recht durch die Berichtigung betroffen wird.

So liegt der Fall hier. Der Anspruch auf Bewilligung der Löschung der streitgegenständlichen Grunddienstbarkeit besteht gegen die Beklagten als Eigentümer der herrschenden Grundstücke unter dem Gesichtspunkt der Grundbuchberichtigung, weil die eingetragenen Dienstbarkeiten wegen Verjährung des Beseitigungs-/Unterlassungsanspruchs nach § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB erloschen sind.

Auch wenn die Grundakte durch Kriegswirren verloren gegangen ist, ist die Grunddienstbarkeit unstreitig wirksam bestellt und ins Grundbuch eingetragen worden. Die Klägerin ist Eigentümerin des dienenden Grundstücks Ystraße 10 (Grundbuch von X Blatt A2) für das in Abs. II Nr. 1 eine Grunddienstbarkeit in Form eines Bebauungsverbots eingetragen ist. Die Beklagten zu 1 – 6 sind Miteigentümer des herrschenden Grundstücks Ystraße 8. Der Beklagte zu 7 ist Eigentümer des herrschenden Grundstücks Ystraße 6.

Das Landgericht hat die Beklagten bereits (teilweise) wegen Verjährung ihres Beseitigungsanspruchs zur Bewilligung der Änderung der Grunddienstbarkeit verurteilt. Mangels Berufung der Beklagten gegen die Verurteilung ist dies bereits in Rechtskraft erwachsen ist, somit ist dem Senat eine erneute Prüfung und Beurteilung, ob der Beseitigungsanspruch überhaupt (teilweise) verjährt ist, entzogen (§ 528 ZPO). Im übrigen hat – wie das Landgericht – auch der Senat aufgrund der Baugeschichte des Grundstücks, die u.a. durch die mit Anlage K9 (Anlagenband) eingereichten Ablichtungen aus der historischen Bauakte dokumentiert ist, überhaupt keinen Zweifel, dass bis zum Abriss des … auf dem Grundstück Ystraße 10 eine gewerbliche Bebauung über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren vorlag.

2. Umfang des Erlöschens der Grunddienstbarkeit nach § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB

Vorliegend besteht der Anspruch der Klägerin nicht nur in dem beschränkten Umfang, den das Landgericht als begründet angesehen hat, sondern in vollem Umfang.

Die Verjährung des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs der Beklagten aus §§ 1027, 1004 BGB führt hier dazu, dass die Dienstbarkeit insgesamt erlischt. Dies folgt aus § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB. Hiernach erlischt mit der Verjährung des Anspruchs auf Beseitigung die Dienstbarkeit, soweit der Bestand der Anlage mit ihr in Widerspruch steht.

Dass das Bestandsgebäude (…) inzwischen beseitigt ist und ohnehin eine vollkommen anders geartete Neubebauung in Rede steht, ist ohne Bedeutung. Denn die Grunddienstbarkeit erlischt mit dem Eintritt der Verjährung endgültig und lebt nicht wieder auf, wenn nach dem Verjährungseintritt die störende Anlage beseitigt wird (vgl. Grüneberg/Herrler, BGB, 81. Aufl., § 1028, Rn. 2; Beck Online Großkommentar/Kazele, BGB, Stand 1.11.2021, § 1028 Rn. 40).

Das Landgericht hat hier aus dem 2. Halbsatz von § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB, „soweit“ die Bestandsanlage mit der Dienstbarkeit im Widerspruch steht, gefolgert, das Erlöschen sei lediglich auf die Dimensionen des Bestandsbaus beschränkt. Dieser rechtlichen Würdigung folgt der Senat nicht.

Allerdings bleibt eine Grunddienstbarkeit, wovon bereits das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist, in dem Umfang bestehen, in dem sie von der Anlage nicht beeinträchtigt wird (vgl. OLG Schleswig Urt. v. 11.3.2021 – 11 U 98/20, BeckRS 2021, 9740 Rn. 27 bei Beck-online; Staudinger/Weber BGB, Stand Juli 2016, § 1028, Rn. 5). Diese Rechtsprechung geht ausweislich der Großkommentare zurück auf eine Entscheidung des BayObLG (Urteil vom 1. 12. 1959 – RReg. 1 Z 43/58, BayObLG Z 1959, 478 ff.):

„Bei bloß beschränkenden Anlagen wird die Dienstbarkeit, wenn die genannten Voraussetzungen gegeben sind, in dem Umfang beschränkt, in dem die Anlage mit ihr in Widerspruch steht.“

Allerdings ist der vom BayObLG entschiedene Fall anders gelagert. Dort war zugunsten der dortigen Beklagten die Entnahme von Quellwasser (sog. „Trapper’sche Quellen“) durch eine Grunddienstbarkeit aus dem Jahr 1911 gesichert worden. Seit 1925, im Jahr 1939 ergänzt durch den Einbau einer elektrischen Pumpe, bezog die Beklagte unter Berufung auf ihr gesichertes „Wasserbezugsrecht“ Wasser aus den Quellen. Die Kläger erstrebten die Verurteilung der Beklagten, die Entnahme von mehr Wasser als 1/7 der jeweiligen Quellschüttung zu unterlassen. Das Gericht sah in dem Fall keine Beschränkung des Wasserbezugsrechts, weil die Ausübung durch die Bewohner des Oberdorfes in der Vergangenheit ununterbrochen für haus- und landwirtschaftliche Zwecke erfolgt ist und die Steigerung des Wasserbedarfs lediglich auf die allgemeine Entwicklung, d.h. das natürliche Anwachsen der Zahl der Gemeindemitglieder, erfolgt ist. Das Wasserbezugsrecht war im zu entscheidenden Fall durch den Bestandsbau nicht beeinträchtigt, weshalb das BayObLG keinen zur Verjährung führenden Beseitigungs- bzw. Beschränkungsanspruch annahm.

Im vorstehend zitierten Fall des OLG Schleswig (Urteil vom 11.3.2021) sollte durch die Grunddienstbarkeit das Recht zum Gehen und Fahren abgesichert werden und war insoweit ebenfalls nicht beeinträchtigt.

Den vorgenannten Fällen ist gemein, dass die Grunddienstberechtigten aus der Grunddienstbarkeit keine (vollständige) Beseitigung der Anlage verlangen konnten und daher eine Verjährung nur insoweit eintreten konnte, als ihnen tatsächlich Beseitigungsansprüche gegen die Anlagen zu Gebote standen.

Hier hingegen hätten die Beklagten wegen des grundbuchrechtlich gesicherten Bauverbots in Bezug auf den gesamten Baukomplex „…“ in unverjährter Frist die komplette Beseitigung verlangen können, soweit die örtlichen Grenzen der eingetragenen Grunddienstbarkeit betroffen waren. Der Anspruch auf Beseitigung hätte keinen Schranken unterlegen, wie z.B. einem bestimmten Bebauungsmaß, das hinzunehmen gewesen wäre. Vielmehr durfte das Grundstück ausweislich der Grunddienstbarkeit „überhaupt“ nicht „bebaut“ werden. Es gibt keinen abgrenzbaren Teil der eingetragenen Grunddienstbarkeit, der im Hinblick auf die Bebauung bei einer solchen Grunddienstbarkeit nicht zur Geltung gekommen wäre.

Für den Umfang des Erlöschens im Sinne des § 1028 BGB ist nicht auf die vorhandene Bebauung abzustellen, sondern auf Art und Umfang der eingetragenen Grunddienstbarkeit. Wenn diese Belastungen beinhaltet, die durch tatsächliche Umstände gar nicht beeinträchtigt sind, würde „insoweit“ ein Beseitigungsanspruch nicht begründet sein und könnte deshalb auch tatsächlich nicht verjähren. Hier hingegen konnte nach dem Regelungsinhalt der Grunddienstbarkeit („Freihaltung von Bebauung“) nur der gesamte Bestandsbau für ein Beseitigungsverlangen zum Tragen kommen. Es gibt bei einem Bebauungsverbot keinen gleichsam abtrennbaren „überschießenden Teil“ der Grunddienstbarkeit, der von einer Bebauung nicht beeinträchtigt wäre.

Zudem kann der Senat den Ausführungen im angefochtenen Urteil zu Sinne und Zweck der Grunddienstbarkeit nicht folgen. Da die Grundakte fehlt und für Auslegungszwecke nicht zur Verfügung steht, bleiben die Ausführungen des Landgerichts hierzu spekulativ. Zudem steht nicht fest, ob und ggf. welche Bebauung zur Zeit der Bestellung der Grunddienstbarkeit genau bestanden hat. Dies gilt für die herrschenden Grundstücke, das belastete Grundstück und auch für das weitere Umfeld insbesondere im Hinblick auf den vom Landgericht für relevant gehaltenen „Blick nach Osten“. Die dort heute befindliche …brücke wurde jedenfalls erst in den Jahren 2006 – 2009 errichtet. Ein Vorgängerbau bestand seit Ende des 20. Jahrhunderts, also noch nicht zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Grunddienstbarkeit im Jahr 1889. Die Grundstücksgrenze des dienenden Grundstücks Ystraße 10 ist rund 200 Meter Luftlinie von der … entfernt, dazwischen befinden sich heute zum … Hauptbahnhof führende Gleise, Straßen und Gebäude, die teilweise auch den freien Blick der Eigentümer der Ystraße 8 auf Förde beeinträchtigen. Historisch handelte es sich bei dem Areal eher um eine gemischte Wohn-, Verkehrs- und gewerblich/industrielle Nutzung. Es gibt folglich keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass es bei Vereinbarung des Bauverbots im Jahr 1889 um die Sicherung des „freien Blicks nach Osten“ ging. Zweck der Grunddienstbarkeit könnte genauso gut zum Beispiel die Sicherung der künftigen Erschließung, das Freihalten von gewerblicher Nutzung oder die bloße Vorhaltung von Grün- und Freiflächen gewesen sein. Für den behaupteten Zweck der Grunddienstbarkeit (“freier Blick nach Osten“) wären die Beklagten darlegungs- und beweispflichtig. Dieser Beweis ist nicht geführt.

Eine grundsätzlich von §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 11 Abs. 1 u. 2 der „Verordnung über die Wiederherstellung zerstörter oder abhanden gekommener Grundbücher und Urkunden“ (GBWiederhV) vom 26. Juli 1940 vorgesehene Wiederherstellung von Urkunden, auf die bei Grundbucheintragungen Bezug genommen wird, hier also der Urkunde des Kaufkontrakts vom 16. Oktober 1889, führt zu keinem anderen Ergebnis. Gemäß dem Beibringungsgrundsatz ist es Aufgabe der Parteien ihren Prozessvortrag tragende Beweismittel, also auch Urkunden, in den Prozess einzuführen. Dies gilt auch für Urkunden die in einem Verfahren gemäß GBWiederhV prinzipiell wiederhergestellt werden könnten. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 Abs. 1 ZPO bis zu einer möglichen Wiederherstellung des Kaufkontrakts vom 16. Oktober 1889 durch das Grundbuchamt ist nicht angezeigt. Denn im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens über die Entscheidung einer Aussetzung nach § 148 Abs. 1 ZPO ist zu berücksichtigen, dass seitens der Beklagten trotz des bereits seit dem Jahr 2019 anhängigen Rechtsstreits keinerlei Bestrebungen unternommen wurden, das Grundbuchamt zu einer Wiederherstellung der Urkunden zu bewegen. Vielmehr ist dieser Punkt erstmals im Termin am 22.2.2022 durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 7) angesprochen worden. Eine Aussetzung würde zu einer unzumutbaren Prozessverzögerung führen. Zudem kommt die Vorgreiflichkeit eines gerichtlichen Verfahrens im Zusammenhang mit der Wiederherstellung von Urkunden nicht in Betracht. Denn gemäß § 14 Satz 2 GBWiederhV besteht ein Beschwerderecht bei der Wiederherstellung von zerstörten oder abhanden gekommenen Urkunden nur mit dem Ziel, einen Widerspruch gegen den Inhalt des Grundbuchs einzutragen oder eine Löschung vorzunehmen. Beides wird von den Beklagten, die sich vorliegend gerade auf die eingetragene Grunddienstbarkeit berufen, nicht bezweckt.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

4. Die Revision wird zugelassen, da höchstrichterliche Entscheidungen zu der streitentscheidenden Problematik der Auslegung des § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB bei einem Bauverbot als Grunddienstbarkeit – soweit ersichtlich – nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Frage, die sich über den hier zu entscheidenden Einzelfall hinaus in einer Vielzahl von Fällen stellen kann und die im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr.1 ZPO grundsätzliche Bedeutung hat.

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