Einblicke in die Entscheidung um strittige Grundbuchanträge
Einer der bemerkenswerten juristischen Sachverhalte, der Gegenstand obsessiver Betrachtungen ist, betrifft die Eintragung von Reallasten im Grundbuch. Unter genauer Betrachtung steht ein Fall des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein, in dem die Beteiligten die Eintragung diverser Rechte, einschließlich eines Pflegerechts als Reallast, beantragten. Der Hauptkonflikt entzündete sich an der Auffassung des Grundbuchamts, dass nach dem Landesgesetz nur feste Geldrenten durch eine Reallast im Grundbuch gesichert werden könnten.
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Übersicht
Die Differenzen
Unter entgegengesetzten Meinungen stritten die Beteiligten um die Eintragungsfähigkeit. Die Beteiligten begehrten sowohl die Eintragung des Übergangs eines Miteigentumsanteils als auch die Auflassungsvormerkung und eines Pflegerechts als Reallast im Grundbuch. Ihr Prozessvertreter lieferte eine Anweisung zur Eintragung dieser Rechte, gekoppelt mit dem Übergang des Miteigentumsanteils. Doch das Grundbuchamt äußerte Einwände und wies darauf hin, dass aufgrund des aktuellen Landesgesetzes diesem Antrag nicht entsprochen werden dürfe. Daraufhin intervenierte der Prozessvertreter der Beteiligten mit einer Beschwerde gegen die Anordnung.
Die Argumente
Die Beschwerde argumentierte, dass die Aussage, nur feste Geldrenten könnten durch eine Reallast im Grundbuch gesichert werden, der gängigen Grundbuchpraxis zuwiderlaufe. Sie führten an, dass das relevante preußische Gesetz bereits wieder aufgehoben wurde und ferner nur auf die Ablösung von Reallasten, nicht aber auf ihre Eintragung anwendbar sei. Das Grundbuchamt lehnte den Widerspruch ab und zwang zur weiteren Klärung vor dem Oberlandesgericht.
Erfolg der Beschwerde
Das Oberlandesgericht entschied, dass die Beschwerde Erfolg hat und zulässig ist. Es kam zu dem Schluss, dass die Diskrepanz den Status einer Zwischenverfügung einnahm, gegen die die Beteiligten sich im Kern wendeten. Es stellte auch klar, dass die Bezeichnung oder Form der Äußerung des Grundbuchamts für das Vorliegen der Zwischenverfügung irrelevant sei.
Beibehaltung der Rechtsposition
Darüber hinaus bestätigte das Gericht, dass die Bitte des Grundbuchamtes um Änderung der gestellten Anträge die Qualifikation als Zwischenverfügung nicht beeinträchtigte. Es stellte klar, dass die beantragte Reallast nicht aufgrund der Begründung des Grundbuchamts zurückgewiesen werden konnte. Interessanterweise interpretierte das Gericht, dass das Pflegerecht auf die Lebensdauer der Beteiligten 1 und 2 beschränkt ist und dem Ziel entspricht, ihre Pflege im Alter durch den Beteiligten 3 zu gewährleisten.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 2 Wx 38/20 – Beschluss vom 12.08.2020
Auf die Beschwerde der Beteiligten vom 12. Juni 2020 wird die als Aufklärungsverfügung überschriebene Zwischenverfügung des Amtsgerichts Ratzeburg – Grundbuchamt – vom 11. Juni 2020 aufgehoben.
Das Grundbuchamt wird angewiesen, die mit Schreiben vom 19. März 2020 beantragte Eintragung des Übergangs des Miteigentumsanteils nicht von einer Rücknahme des Antrags auf Eintragung des Pflegerechts abhängig zu machen.
Gründe
I.
Die Beteiligten begehren die Eintragung des Übergangs eines Miteigentumsanteils, eines Wohnungsrechts, einer Auflassungsvormerkung sowie die Eintragung eines Pflegerechts als Reallast im Grundbuch.
Die Beteiligten zu 1) und 2) sind als Miteigentümer zu 1/2 an einem Miteigentumsanteil von 50/100-tel an dem Grundbesitz … in … im zugehörigen Wohnungseigentum-Grundbuch von … Blatt … des Amtsgerichts Ratzeburg eingetragen. Die Gemeinde … gehört zum Gebiet des vormaligen Herzogtums Lauenburg. Dieses wurde seit 1865 in Personalunion mit dem damaligen Königreich Preußen regiert und zum 1. Juli 1876 als Landkreis Herzogtum Lauenburg in die damalige preußische Provinz Schleswig-Holstein eingegliedert.
Mit notariell beurkundetem Schenkungs- und Übertragungsvertrag vom 13. Februar 2020 übertrugen die Beteiligten zu 1) und 2) ihren Miteigentumsanteil an den Beteiligten zu 3), ihren Sohn. In § 7 des Vertrags verpflichtete sich der Beteiligte zu 3), die Beteiligten zu 1) und 2) nach Maßgabe in der Vertragsurkunde näher beschriebener Einzelheiten lebenslang zu pflegen. Nach § 7 Nr. 8 des Vertrags vereinbarten die Beteiligten, zur Sicherung des Pflegerechts der Beteiligten zu 1) und 2) eine Reallast zu ihren Gunsten an dem übertragenen Grundbesitz zu bestellen. In § 9 des Vertrags bewilligten und beantragten die Beteiligten neben der Eintragung eines ebenfalls vereinbarten Wohnungsrechts und einer Rückauflassungsvormerkung die Eintragung des Pflegerechts. Diese Rechte sollten nur bei gleichzeitiger Eintragung des Übergangs des Miteigentumsanteils auf den Beteiligten zu 3) im Grundbuch eingetragen werden.
Gestützt auf diese Vereinbarung hat der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten gemeinsam mit der Eintragung des Übergangs des Miteigentumsanteils, des Wohnungsrechts und der Auflassungsvormerkung die Eintragung der Reallast im Grundbuch beantragt.
Mit als „Aufklärungsverfügung“ bezeichnetem Schreiben vom 11. Juni 2020 hat das Grundbuchamt darauf hingewiesen, dass dem Eintragungsantrag nicht entsprochen werden könne. Nach dem Gesetz betreffend die Ablösung der Reallasten in der Provinz Schleswig-Holstein vom 3. Januar 1873 könnten in Schleswig-Holstein nur feste Geldrenten durch eine Reallast im Grundbuch gesichert werden. Dementsprechend seien die gestellten Eintragungsanträge zu ändern, wozu eine Frist von zwei Monaten bewilligt werde. Das Schreiben war mit einer Belehrung versehen, wonach gegen „diese Zwischenverfügung“ das Rechtsmittel der unbefristeten Beschwerde zulässig sei.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten hat gegen die Aufklärungsverfügung Beschwerde eingelegt. Dass nur feste Geldrenten durch eine Reallast im Grundbuch gesichert werden könnten, widerspreche der seit Jahrzehnten geübten Grundbuchpraxis. Das preußische Gesetz betreffend die Ablösung der Reallasten in der Provinz Schleswig-Holstein sei nach – allerdings ungesicherter – Kenntnis des Verfahrensbevollmächtigten bereits 1899 wieder aufgehoben worden. Jedenfalls aber sei das Gesetz, wie bereits seine Bezeichnung erkennen lasse, nur auf die Ablösung von Reallasten, nicht dagegen auf ihre Eintragung anwendbar.
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist zulässig, insbesondere nach § 71 Abs. 1 GBO statthaft. Eine Beschwerde ist statthaft, wenn sie gegen eine in der Sache entscheidende Maßnahme des Grundbuchamts gerichtet ist, durch die ein Verfahren jedenfalls in einem Teilbereich abgeschlossen wird (OLG Celle, Beschluss vom 13. März 2018 – 18 W 11/188, FGPrax 2018, S. 145; Demharter, GBO 31. Aufl., § 71 Rn. 11). Danach sind auch Zwischenverfügungen im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 GBO mit der Beschwerde anfechtbar. Gegen eine solche Zwischenverfügung wenden sich die Beteiligten vorliegend.
Die Einordnung einer Äußerung des Grundbuchamtes als Zwischenverfügung bestimmt sich nach Inhalt und die Ausrichtung der Äußerung. Zielt sie darauf ab, einem Antragsteller den Rang und die sonstigen Rechtswirkungen seines Antrags zu erhalten, soweit sich diese nach dem Antragseingang richten und bei Zurückweisung des Antrags verloren gehen, handelt es sich um eine Zwischenverfügung (OLG Celle, Beschluss vom 13. März 2018 – 18 W 11/188, FGPRax 2018, S. 145). Unbeachtlich für das Vorliegen der Zwischenverfügung ist dagegen, in welcher Weise das Grundbuchamt seine Äußerung betitelt hat und welche äußere Form die Äußerung aufweist (OLG Celle, Beschluss vom 13. März 2018 – a.a.O., S. 146; OLG München, Beschluss vom 30. September 2011 – 34 Wx 356/11, FGPrax 2012, S. 11).
Gemessen daran, handelt es sich bei dem Schreiben des Grundbuchamts vom 11. Juni 2020 um eine Zwischenverfügung. Dass das Grundbuchamt die Beteiligten zur Behebung des von ihm angenommenen Eintragungshindernisses um Änderung der gestellten Anträge gebeten hat, steht dem nicht entgegen. Zwar darf eine Zwischenverfügung nicht mit dem Ziel ergehen, einen Eintragungsantrag zurückzunehmen (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2016 – V ZB 61/15, FGPrax 2016, S. 246 Rn. 9). Die Bitte des Grundbuchamts um Änderung der gestellten Anträge ausschließlich als Aufforderung zur Antragsrücknahme zu verstehen, greift aber ersichtlich zu kurz. Vielmehr hat das Grundbuchamt die in § 9 der notariellen Vereinbarung enthaltenen Anträge dem Wortlaut der Vereinbarung entsprechend dahingehend verstanden, dass sie nach § 16 Abs. 2 GBO nur einheitlich mit dem Übergang des Miteigentumsanteils haben erledigt werden sollen. Beanstandet das Grundbuchamt, wie hier, einen der solcherart verbundenen Anträge, kann dessen Rücknahme mit Blick auf den übrigen Antrag ein Eintragungshindernis beseitigen. Ein entsprechender Hinweis des Grundbuchamts stellt sich danach inhaltlich als Zwischenverfügung dar (BGH, Beschluss vom 28. April 1978 – V ZB 1/78, NJW 1978, S. 1915).
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Mit der Begründung des Grundbuchamts kann die Eintragung der vereinbarten Reallast nicht zurückgewiesen werden.
a) Nach § 1105 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Grundstück in der Weise belastet werden, dass an denjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück zu entrichten sind. Eine Beziehung zwischen den vereinbarten Leistungen und dem belasteten Grundstück muss nicht bestehen (MüKo-BGB/Mohr, 8. Aufl., § 1105 Rn. 14). Die Reallast muss auch nicht auf Erbringen von Geldleistungen gerichtet sein, sondern kann im Erbringen persönlicher Dienste, wie Pflegeleistungen, bestehen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 31. August 2000 – 19 U 58/99, FamRZ 2001, S. 1455; MüKo-BGB/Mohr, a.a.O. Rn. 18).
b) Anders, als das Grundbuchamt meint, steht der Eintragung der Reallast § 54 Abs. 2 des preußischen Gesetzes vom 3. Januar 1873 betreffend die Ablösung der Reallasten in der Provinz Schleswig-Holstein (GS Pr. S. 3) nicht entgegen.
Dieses Gesetz gilt allerdings im Rahmen des landesrechtlichen Vorbehalts des Art. 115 EGBGB bis heute fort (MüKo-BGB/Mohr, 8. Aufl., § 1105 Rn. 78; Reymann, in: Staudinger, BGB Neubearb. 2017, Einl. zu §§ 1105-1112 Rn. 18; vgl. auch LT-Drucks 16/239, S. 5). Auf den im Jahr 1873 außerhalb der preußischen Provinz Schleswig-Holstein gelegenen Grundbesitz der Beteiligten zu 1) und 2) ist es nach Art. 1 des Gesetzes wegen der Ausdehnung des Gesetzes betreffend die Ablösung der Reallasten in der Provinz Schleswig-Holstein auf den Kreis Herzogtum Lauenburg vom 29. Mai 1903 (GS Pr. S. 189) anwendbar.
Nach § 54 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Ablösung der Reallasten in der Provinz Schleswig-Holstein dürfen mit Ausnahme fester Geldrenten Lasten, welche nach dem gegenwärtigen Gesetz ablösbar sind, einem Grundstück ab Erlass des Gesetzes nicht auferlegt werden. Nach den Vorschriften des Gesetzes ablösbar sind nach dessen § 1 als Grund- oder Reallasten „alle beständigen Abgaben und Leistungen, welche auf eigenthümlich oder zu Erbzins, Erbfeste oder Erbpacht besessenen Grundstücken oder Gerechtigkeiten haften“. Untersagt ist nach dem Wortlaut der Bestimmung danach allein die Belastung eines Grundbesitzes mit beständigen Abgaben oder Leistungen. Nicht beständige Abgaben und Leistungen können demgegenüber einem Grundstück auferlegt werden (OLG Köln, Beschluss vom 9. Oktober 1995 – 2 Wx 36/95, juris Rn. 16 zum wortlautgleichen Art. 30 Abs. 1 PrAGBGB; a.A. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. April 1986 – 9 U 228/85, Rpfleger 1986, S. 366).
Nicht beständig sind Abgaben oder Leistungen, wenn sie zeitlich beschränkt sind. Dafür genügt es, dass sie auf die Lebensdauer eines Menschen befristet sind (OLG Köln, Beschluss vom 9. Oktober 1995 – 2 Wx 36/95, juris Rn. 18, 20). Ein solches Verständnis entspricht dem hinter der landesrechtlichen Beschränkung stehenden Zweck, eine auf unabsehbare Zeit andauernde Belastung eines Grundstücks durch seit dem Mittelalter entstandene grundherrschaftliche Lasten, wie Fron-, Hand- oder Spanndienste und daraus folgende, als übermäßig empfundene Bindungen des Grundbesitzes aufzuheben (MüKo-BGB/Mohr, 8. Aufl., § 1105 Rn. 1; OLG Köln, Beschluss vom 9. Oktober 1995 – a.a.O. Rn. 21). Dass auch das Gesetz betreffend die Ablösung der Reallasten in der Provinz Schleswig-Holstein vordringlich die Ablösung solcher grundherrschaftlichen Lasten bezweckt, ergibt sich aus den in seinen §§ 6 ff. enthaltenen Ausgleichsregeln, die etwa in § 8 Baudienste, in § 10 Spanndienste und in den §§ 14 ff. nach Körnern bemessene Abgaben von Getreide betreffen.
Gemessen daran handelt es sich bei dem zugunsten der Beteiligten zu 1) und 2) vereinbarten Pflegerecht um eine nicht beständige Reallast. Sie ist bereits nach dem Wortlaut des § 7 der notariellen Vereinbarung auf die Lebenszeit der Beteiligten zu 1) und 2) beschränkt. Eine solche Beschränkung entspricht auch dem erkennbaren Zweck des Pflegerechts, als Gegenleistung für die Übertragung des Miteigentumsanteils die Pflege der Beteiligten zu 1) und 2) im Alter durch den Beteiligten zu 3) sicherzustellen (vgl. MüKo-BGB/Mohr, 8. Aufl., § 1105 Rn. 18).
III.
Gerichtsgebühren fallen wegen des Erfolgs der Beschwerde mit Blick auf § 25 Abs. 1 GNotKG und Nr. 14510 KV GNotKG nicht an. Eine Erstattung von Auslagen der Beteiligten durch die Staatskasse scheidet im Verfahren über die Grundbuchbeschwerde aus (OLG München, Beschluss vom 6. Juni 2013 – 34 Wx 360/12, FGPrax 2013, S. 229).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 78 Abs. 2 Satz 1 GBO liegen nicht vor. Insbesondere gebietet die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 78 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GBO keine Entscheidung des Beschwerdegerichts. Dem steht nicht entgegen, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. April 1986 – 9 U 228/85, Rpfleger 1986, S. 366) den mit § 54 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Ablösung der Reallasten in der Provinz Schleswig-Holstein wortlautgleichen Art. 30 Abs. 1 PrAGBGB abweichend ausgelegt hat, da diese Abweichung die Auslegung nicht revisiblen Landesrechts betrifft.