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Klage gegen Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts

Gemeindliches Vorkaufsrecht: Eine kritische Betrachtung des VG Mainz-Urteils

Im Mittelpunkt des vorliegenden Falles steht die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts, das in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz (VG Mainz – Az.: 3 K 616/19.MZ) vom 6. Mai 2020 behandelt wurde. Die Kläger, ein Ehepaar, das ein Grundstück erworben hatte, wandten sich gegen die Ausübung dieses Rechts durch die beklagte Gemeinde. Die zentrale Frage des Falles ist, ob die Gemeinde das Vorkaufsrecht ordnungsgemäß und im Einklang mit den materiellen Voraussetzungen ausgeübt hat.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 K 616/19.MZ >>>

Die Ausübung des Vorkaufsrechts: Eine Frage der Rechtmäßigkeit

Die Kläger argumentierten, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts formell nicht ordnungsgemäß erfolgt sei und es an den materiellen Voraussetzungen für das Vorkaufsrecht mangele. Sie stellten die Behauptung auf, dass die Realisierung eines Baugebiets auf ihrem Grundstück so weit in der Zukunft liege, dass sie die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht rechtfertigen könne. Darüber hinaus waren sie der Ansicht, dass die Vorplanungen für eine Kreisverkehrsanlage und ein Feuerwehrgerätehaus, die die Gemeinde zur weiteren Begründung des Vorkaufsrechts angeführt hatte, nicht Gegenstand der Beratung des Ortsgemeinderats über die Ausübung des Vorkaufsrechts gewesen seien und diese daher nicht rechtfertigen könnten.

Die Argumente der Gemeinde: Planung und öffentliches Wohl

Die Gemeinde hingegen behauptete, das Vorkaufsrecht sei formell und materiell rechtmäßig ausgeübt worden. Sie argumentierte, dass die Planungen für die Kreisverkehrsanlage und das Feuerwehrgerätehaus weiter fortgeschritten seien und die mögliche Verkehrsanbindung des neuen Baugebiets konkretisiert worden sei. Die Gemeinde betonte, dass es Vorplanungen und Abstimmungsgespräche gebe, die für die Festlegung des Umfangs des Planverfahrens relevant seien und den Fortschritt der Planungen des neuen Baugebiets indizierten.

Die Entscheidung des Gerichts: Interessenabwägung und Allgemeinwohl

Das Gericht stellte fest, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber den Klägern nicht aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt war, da mit der Aufstellung eines Bebauungsplans für das Gebiet, in dem sich das verkaufte Grundstück befand, nicht in absehbarer Zeit zu rechnen war. Es betonte, dass die Planungen für die Kreisverkehrsanlage und das Feuerwehrgerätehaus nicht zwingend mit der Realisierung des Wohngebiets verbunden seien. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass die Planungen primär der Realisierung des Feuerwehrgerätehauses und der Kreisverkehrsanlage dienten und nicht der baldigen Realisierung des Baugebiets.

Schlussbemerkungen: Die Bedeutung des Urteils

Das Urteil des VG Mainz unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung und Begründung bei der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts. Es betont, dass das Allgemeinwohl und die Interessen der betroffenen Grundstückseigentümer sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Darüber hinaus zeigt es, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht gerechtfertigt ist, wenn die Planungen der Gemeinde zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts noch unbestimmt sind und erst langfristig mit einer Überplanung gerechnet werden kann.


Das vorliegende Urteil

VG Mainz – Az.: 3 K 616/19.MZ – Urteil vom 06.05.2020

Der Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 29. Mai 2019 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung entsprechenden Höhe vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts durch die Beklagte.

Der Kläger zu 2) erwarb mit notariellem Vertrag vom 31. August 2018 von der Klägerin zu 1) das bislang in ihrem Eigentum stehende Grundstück Flur xx, Flurstück Nr. xx/2 in der Gemarkung W. Es handelt sich um eine 21.443 m2 große Landwirtschaftsfläche, die als Ackerland langfristig verpachtet ist. Das Grundstück liegt mit einer Teilfläche in einem Bereich, für den der Flächennutzungsplan der Beklagten eine „Wohnbaufläche“ darstellt. Durch Mitteilung der Notarin erhielt die Beklagte am 7. September 2018 Kenntnis von dem Grundstückskaufvertrag.

Nach schriftlicher Anhörung der Kläger, die keine Einwände gegen die Umwandlung in Bauland erhoben, beschloss der Gemeinderat der Beklagten am 9. Oktober 2018 bezüglich einer Teilfläche von 7.378 m2 die Ausübung des Vorkaufsrechts. Mit Bescheid vom 23. Oktober 2018 teilte die Beklagte den Klägern mit, bezüglich der Teilfläche von 7.378 m2 des verkauften Grundstücks das Vorkaufsrecht „zum Zweck der künftigen Entwicklung von Wohnbauflächen“ auszuüben.

Mit ihrem am 23. November 2018 erhobenen Wiederspruch trugen die Kläger vor, die Verbandsgemeindeverwaltung habe das Vorkaufsrecht nicht wirksam in Vertretung der Ortsgemeinde ausgeübt. Die Ortsbürgermeisterin oder ihre Beigeordneten hätten das Vorkaufsrecht ausüben müssen. Zudem lägen die materiellen Voraussetzungen nicht vor, weil die Beklagte das Grundstück nur zur Bodenbevorratung erwerben wolle, da mit der Aufstellung eines Bebauungsplans nicht alsbald zu rechnen sei.

Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2019 (den Klägern am 17. Juni 2019 zugegangen) zurückgewiesen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei rechtsfehlerfrei. Insbesondere rechtfertige das Wohl der Allgemeinheit seine Ausübung, weil die Beklagte hinreichend konkret dargelegt habe, das Grundstück für die baldige Realisierung des Baugebiets erwerben zu wollen. Für das Baugebiet „A.“, das aktuell realisiert werde, gebe es doppelt so viele Anfragen wie Bauplätze. Deshalb solle unmittelbar nach der Durchführung dieses Baugebiets der Flächennutzungsplan weiterentwickelt und für den Bereich südlich der K.-straße x, in dem das verkaufte Grundstück liege, ein Bebauungsplan aufgestellt werden. Außerdem sei in die Planung des Baugebiets „A.“ bereits die Verkehrsanbindung des zu planenden neuen Baugebiets einbezogen worden.

Dagegen haben die Kläger am 11. Juli 2019 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen. Sie vertiefen ihre Ansicht, das Vorkaufsrecht sei formell nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden. Es mangele auch an den materiellen Voraussetzungen des Vorkaufsrechts, denn obgleich die Beklagte im Widerspruchsverfahren das Vorangehen der Planungen für das neue Baugebiet dargelegt habe, fehle es an Beschlüssen, Unterlagen und konkreten Planungen. Die Realisierung eines Baugebiets im Bereich ihres Grundstücks liege derart weit in der Zukunft, dass sie nicht die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen könne. Die Vorplanungen für eine Kreisverkehrsanlage und ein Feuerwehrgerätehaus an der K.-straße x, die die Beklagte nunmehr zur weiteren Begründung des Vorkaufsrechts angeführt habe, seien nicht Gegenstand der Beratung des Ortsgemeinderats über die Ausübung des Vorkaufsrechts gewesen und könnten diese nicht rechtfertigen. Die Beklagte habe lediglich Vorratsflächen erwerben wollen, um bei der späteren Planung des Baugebiets Einfluss auf die Preise und die Eigentümerstruktur nehmen zu können.

Die Kläger beantragen, den Bescheid vom 23. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Vorkaufsrecht sei formell und materiell rechtmäßig ausgeübt worden. Insbesondere ergebe sich aus den Verwaltungsakten, dass die Planungen für die Kreisverkehrsanlage weiter vorangeschritten seien und auf einer Fläche nördlich der K.- straße x eine zusätzliche Fläche für ein Feuerwehrgerätehaus vorgesehen und in die Vorplanung aufgenommen worden sei. In diesem Zusammenhang seien auch die Erschließungssituation des neuen Baugebiets in den Blick genommen und seine mögliche Verkehrsanbindung konkretisiert worden. Es werde überlegt, die Ortsrandentlastungsstraße, deren Bau schon seit mehreren Jahren beabsichtigt sei, durch das neue Baugebiet zu führen und dessen Lage weiter nach Osten zu verschieben. Es gebe also Vorplanungen und Abstimmungsgespräche, die für die Festlegung des Umfangs des Planverfahrens relevant seien und den Fortschritt der Planungen des neuen Baugebiets indizierten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die sonstigen zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsakten der Beklagten Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Sie ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft und auch zulässig. Insbesondere sind sowohl die Klägerin zu 1) als Grundstücksverkäuferin und damit Adressatin des Vorkaufsrechtsbescheids (§ 28 Abs. 2 Satz 1 Baugesetzbuch – BauGB -) als auch der Kläger zu 2) als Grundstückskäufer zur Anfechtung des Vorkaufsrechtsbescheids befugt (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO). Für den Käufer bewirkt die Ausübung des Vorkaufsrechts einen Eingriff in seinen durch den notariellen Kaufvertrag begründeten Eigentumsverschaffungsanspruch, der seine Klagebefugnis begründet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2000 – 4 B 10.00 -, NVwZ 2000, 1044 = juris Rn. 5; OVG RP, Urteil vom 12. April 2011 – 8 A 11405/10 -, NVwZ-RR 2011, 611 = juris Rn. 18). Die Anfechtbarkeit durch den Käufer wird auch in § 28 Abs. 2 Satz 6 Halbsatz 2 BauGB vorausgesetzt.

Die Klage hat ferner in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); beide Bescheide sind daher aufzuheben.

Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht formell rechtmäßig (I.), nicht jedoch materiell rechtmäßig ausgeübt, weil die Ausübung nicht durch das Wohl der Allgemeinheit im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerechtfertigt ist (II.).

Rechtsgrundlage für die Ausübung des Vorkaufsrechts ist § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Danach steht der Gemeinde beim Kauf von Grundstücken im Geltungsbereich eines Flächennutzungsplans ein Vorkaufsrecht zu, soweit es sich um unbebaute Flächen im Außenbereich handelt, für die nach dem Flächennutzungsplan eine Nutzung als Wohnbaufläche oder Wohngebiet dargestellt ist. Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB kann die Ausübung des Vorkaufsrechts nur binnen zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags durch Verwaltungsakt gegenüber dem Verkäufer ausgeübt werden.

I. In formell-rechtlicher Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Das Vorkaufsrecht wurde nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB binnen zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrages durch Verwaltungsakt gegenüber der Verkäuferin – der Klägerin zu 1) – ausgeübt. Dabei wurde in dem Bescheid gemäß § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB der Verwendungszweck des in Anspruch genommenen Grundstücksteils angegeben (künftige Entwicklung von Wohnbauflächen). Dem Bescheid ging auch ein Beschluss des sachlich zuständigen Gemeinderats der Ortsgemeinde W. voraus.

Bei der Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber der Klägerin zu 1) mit Bescheid vom 23. Oktober 2018 ist die Ortsgemeinde W. auch ordnungsgemäß durch die den Bürgermeister der Verbandsgemeinde W. vertreten worden. Die Vollmacht der Ortsbürgermeisterin für den Bürgermeister der Verbandsgemeinde vom 10. Oktober 2018 ist nach § 49 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 GemO handschriftlich unter Beifügung der Amtsbezeichnung unterzeichnet. Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde hat von dieser Vollmacht mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Oktober 2018 auch im Sinne des § 49 Abs. 2 Halbsatz 2 GemO Gebrauch gemacht. Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 49 Abs. 2 GemO und der Zusammenschau mit Abs. 3 ergibt sich dagegen nicht, dass – wie die Kläger meinen – die Ortsgemeinde das Vorkaufsrecht nur selbst ausüben darf. Die Formulierung „Namens und im Auftrag der Ortsgemeinde W.“ im genannten Bescheid macht überdies ausreichend kenntlich, dass der Bevollmächtigte für die Ortsgemeinde, mithin in fremdem Namen, handelt.

II. Indes liegen die materiellen Voraussetzungen der Ausübung des Vorkaufsrechts nicht vor. Freilich stand der Beklagten ein Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB zu; seine Ausübung war aber nicht vom Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt.

Dass das streitgegenständliche Grundstück Flurstück Nr. xx/2 in der Gemarkung W. im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich liegt und unbebaut ist, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Das Grundstück liegt – was ebenfalls unstreitig ist – mit einer Teilfläche in einem Bereich, für den im Flächennutzungsplan der Beklagten ein Gebiet für Wohnbauflächen dargestellt ist.

Zusätzlich zur Darstellung einer Nutzung als Wohnbaufläche oder Wohngebiet im Flächennutzungsplan darf nach § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat sich an den Zielen zu orientieren, die mit den einzelnen Tatbeständen in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-7 BauGB verfolgt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – 4 B 53.09 -, IBR 2010, 236 = juris Rn. 5). § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB dient insbesondere dem Ziel, Flächen für den Wohnungsbau verfügbar zu machen. Daher rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB nur, wenn damit Flächen – unmittelbar oder mittelbar (als Tauschland) – für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen. Dagegen steht das Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht als Instrument einer allgemeinen Bodenbevorratung oder zur Verfolgung gänzlich anderer Zwecke zur Verfügung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – 4 B 53.09 -, a.a.O. Rn. 5).

Die Ausübung des Vorkaufsrechts unterliegt ferner in zeitlicher Hinsicht Grenzen. Das öffentliche Wohl rechtfertigt die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers nämlich nur dann, wenn die Gemeinde alsbald diejenigen (weiteren) Schritte vornimmt, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel, Wohnbauland bereit zu stellen, zu verwirklichen. Im Regelfall wird dies die alsbaldige Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans gebieten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – 4 B 53.09 -, a.a.O. Rn. 7). Die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB sind im Allgemeinen dann erfüllt, wenn für die betroffenen Flächen im Außenbereich demnächst ein Bebauungsplan für Wohnbauzwecke aufgestellt werden soll und dies durch entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen belegt wird (vgl. VG Würzburg, Urteil vom 12. März 2015 – W 5 K 14.808 -, juris Rn. 22). Dabei ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Verfahrensschritte im Planungsverfahren eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Wenn allerdings die Planungsvorstellungen der Gemeinde zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts noch völlig unbestimmt sind und erst langfristig mit einer Überplanung gerechnet werden kann, rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit nicht die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – 4 B 53.09 -, a.a.O. Rn. 9).

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber der Klägerin zu 1) hier nicht aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt, da mit der Aufstellung eines Bebauungsplans für das Gebiet, in dem sich das verkaufte Grundstück befindet, – jedenfalls in zeitlicher Hinsicht – nicht alsbald zu rechnen.

Es ist war davon auszugehen, dass die Beklagte in dem Bereich südlich der K.- straße x, in dem das verkaufte Grundstück liegt, die Realisierung des Flächennutzungsplans und die Ausweisung von Wohnbauflächen anstrebt. Jedoch ist derzeit nicht absehbar, wann das konkret der Fall sein wird. Die Beklagte hat dargetan, dass Vorplanungen – zumal für Straßen als infrastrukturelle Vorbereitungsmaßnahmen – zeitaufwendig sind und mitunter der Abstimmung mit verschiedenen anderen Stellen bedürfen. Insofern sind die von ihr – erneut in der mündlichen Verhandlung – geschilderten Schwierigkeiten der Planungen für die Kreisverkehrsanlage und das Feuerwehrgerätehaus nachvollziehbar. Sie haben jedoch hinsichtlich der Frage, ob alsbald mit der Aufstellung eines Bebauungsplans für das Gebiet südlich der K.- straße x zu rechnen ist, allenfalls indizielle Wirkungen. Grundsätzlich kann nämlich eine Kreisverkehrslage schon zu einem Zeitpunkt errichtet werden, in dem noch nicht alle angelegten Zu- und Abfahrten weitergeführt werden. Wann und in welcher Weise derartige bereits angelegte, aber noch nicht ausgeführte Zu- und Abfahrten – etwa zu einem neuen Baugebiet – tatsächlich weitergeführt werden, lässt sich der Planung einer Kreisverkehrsanlage dagegen nicht entnehmen. Die Beklagte hat nicht dargetan und es bestehen hier auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kreisverkehrsanlage und die Straße in das neue Baugebiet in jedem Fall gleichzeitig errichtet werden sollen. Gleiches gilt für die Lage und die Anbindung des Feuerwehrgerätehauses, die ebenfalls nicht zwingende Voraussetzung der Realisierung des Wohngebiets südlich der K.-straße x sind.

Hinzu kommt, dass die Planung der Kreisverkehrsanlage nicht von der Realisierung eines neuen Wohngebiets, sondern von den Planungen der – schon seit längerem beabsichtigten – Ortsrandentlastungsstraße und des Feuerwehrgerätehauses angestoßen wurden. Ausweislich der Nichtabhilfeentscheidung der Beklagten aus dem Widerspruchsverfahren vom 12. Dezember 2018 wurde die Anbindung des (derzeit in Umsetzung befindlichen) Baugebiets „A.“ in Absprache mit dem Landesbetrieb Mobilität „so festgelegt, dass künftig eine Kreisverkehrsanlage in Richtung G. unter Berücksichtigung des Baugebietes südlich der K6 möglich ist“. Im Zuge der Planungen für das Feuerwehrgerätehaus, das wegen der Möglichkeit des Erwerbs eines Grundstücks nördlich der K.-straße x in den Vordergrund gerückt ist, sind auch die Kreisverkehrsanlage sowie der Verlauf der Ortsrandentlastungsstraße in den Blick genommen worden. Ausweislich eines Vermerks über einen Ortstermin am 6. August 2019 stehen weder der Standort des Feuerwehrgerätehauses und der Kreisverkehrsanlage noch der Verlauf der Ortsrandentlastungsstraße endgültig fest. Auch wenn die Beklagte diese Planungen als Vorplanungen für das neue Baugebiet südlich der K.-straße x ansieht, sind diese noch nicht derart konkret, dass alsbald mit der Planung des Baugebietes – mithin der tatsächlichen Herstellung von Wohnbauflächen – zu rechnen ist. Der laufende Abstimmungsprozess spricht vielmehr dafür, dass die Planungen primär der Realisierung des Feuerwehrgerätehauses und der Kreisverkehrsanlage dienen. Dass dabei schon jetzt eine – in Zukunft denkbare – Entwicklung auch des Baugebiets südlich der K.-straße x miteinbezogen wird, spricht jedoch nicht für dessen baldige Realisierung, zumal weder das Feuerwehrgerätehaus noch die Kreisverkehrsanlage zwingende Voraussetzung des Baugebiets sind.

Dagegen kann die Beklagte auch nicht mit dem Einwand durchdringen, sie erwäge eine Überplanung des gesamten Gebiets einschließlich des Feuerwehrgerätehauses, der Kreisverkehrsanlage sowie des Gebiets südlich der K.-straße x. Zwar hat sie dargelegt, dass es für das Baugebiet „A.“, das derzeit durchgeführt wird, deutlich mehr Interessenten als Bauplätze gibt. Angesichts dieses Interesses an Bauplätzen steht zwar eine Realisierung auch der von ihr benannten Erweiterungsbaugebiete 1 bis 3 durchaus im Raum, wozu als Erweiterungsgebiet 2 auch das Gebiet südlich der K.-straße x zählt, in dem sich das verkaufte Grundstück befindet. Jedoch ist auch in dieser Hinsicht nicht ansatzweise erkennbar, in welchem zeitlichen Rahmen und in welcher Reihenfolge diese Erweiterungsgebiete zu Baugebieten entwickelt werden sollen. Denn die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass hinsichtlich der Reihenfolge dieser Erweiterungsgebiete bisher keine Priorisierung erfolgt ist. Daher ist derzeit nicht absehbar, dass das Gebiet südlich der K.-straße x (Erweiterungsgebiet 2) unmittelbar nach der Durchführung des Baugebiets „A.“ realisiert werden wird. Obgleich der Widerspruchsbescheid auf eine derartige Aussage der damaligen Ortsbürgermeisterin der Beklagten abstellt, soll laut Protokoll des Widerspruchsverfahrens zunächst nördlich der K.-straße x ein weiteres Baugebiet geplant werden. Angesichts der bisher fehlenden Priorisierung der Durchführung der Erweiterungsgebiete ist aber genauso denkbar, dass zuerst das Gebiet östlich des Baugebiets „A.“ (Erweiterungsgebiet 1) einer Bauleitplanung zugeführt und erst im Anschluss – gegebenenfalls auch erst zeitlich nach der Realisierung des Erweiterungsgebiets 3 nördlich des Gebietes „A.“ – das Gebiet südlich der K.- straße x zu Bauland entwickelt wird. Dafür, dass die Entwicklung eines Baugebiets südlich der K.-straße x nicht alsbald bevorsteht, spricht schließlich das Protokoll der Sitzung des Gemeinderates vom 9. Oktober 2018 zum Beschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts. Darin wird ein Ratsmitglied mit der Frage zitiert, welche Gründe dem Vorhaben, dort „irgendwann ein Baugebiet zu entwickeln“ entgegenstünden, wenn sich das Grundstück in Privateigentum befinde. Ein Hinweis darauf, dass der Gemeinderat der Beklagten zeitnah die Realisierung des Baugebiets südlich der K.-straße x anstrebt, findet sich indes weder in den Protokollen noch sonst in den Verwaltungsakten.

Obgleich die Ausübung des Vorkaufsrechts im Vergleich zur Enteignung einen geringeren Eingriff in zivile Rechtspositionen bedeutet und insofern an geringere Voraussetzungen geknüpft ist, als Gründe des Allgemeinwohls seine Ausübung nur rechtfertigen, nicht aber – wie bei der Enteignung – Gründe des Allgemeinwohls den Zugriff auf das Grundstück erfordern müssen, ist nach alledem hier den Interessen der Kläger als Vertragsparteien an freier Disposition über das Eigentum an dem verkauften Grundstück Vorrang einzuräumen (vgl. OVG RP, Urteil vom 12. April 2011 – 8 A 11405/10 -, NVwZ-RR 2011,611 = juris Rn. 33 f.). Wegen der in zeitlicher Hinsicht fehlenden hinreichenden Realisierungschancen von Wohnbauflächen rechtfertigen Gründe des Allgemeinwohls die Ausübung des Vorkaufsrechts hier nicht.

Nach alledem kommt es auf die Frage, ob die Beklagte das ihr bei der Ausübung des Vorkaufsrechts zustehende (materielle) Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO -.

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