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Berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch – Pflichtteilsberechtigter

OLG Frankfurt – Az.: 20 W 80/20 – Beschluss vom 21.07.2020

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Grundbuchamt wird angewiesen, dem Antragsteller einen Ausdruck des Wohnungsgrundbuchs von Stadt1, Blatt …, zu erteilen und aus den Grundakten eine Kopie des Kaufvertrags vom 27.12.1999 (UR-Nr. … des Notars A in Stadt2) zu übermitteln.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist ein Sohn der am 05.03.2018 verstorbenen Frau Vorname1 Nachname1 (im Folgenden: Erblasserin). Mit notariellem Testament vom 18.04.2000 der Erblasserin und ihres Ehemannes Vorname 2 Nachname1 (UR-Nr. … des Notars A in Stadt2) hatten sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Nach dem Tod des Überlebenden sollte der beiderseitige noch vorhandene Nachlass an ihren Sohn Vorname3 Nachname1 (im Folgenden: Bruder des Antragstellers) fallen.

Die Erblasserin und ihr Ehemann waren Eigentümer von zwei Wohnungen in dem Haus Straße1 in Stadt1, eingetragen im Wohnungsgrundbuch von Stadt1, Bl. … (Erdgeschoss) und Bl. … (Obergeschoss). Bereits mit notariellem Kaufvertrag vom 27.12.1999 (UR-Nr. … des Notars A in Stadt2) hatten die Erblasserin und ihr Ehemann die Wohnung im Obergeschoss an den Bruder des Antragstellers veräußert. Dieser wurde im Mai 2000 als Eigentümer eingetragen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 03.12.2019 begehrte der Antragsteller die Übersendung eines unbeglaubigten Grundbuchauszugs zu der Wohnung im Erdgeschoss und bezüglich „aller sonstigen Grundvermögen im Einzugsbereich des Amtsgerichts Stadt2“, bei denen die Erblasserin Eigentümerin war. Sofern sich in den Grundakten Übertragungsverträge von der Erblasserin auf den Bruder des Antragstellers befänden, bat er um Übersendung „entsprechender Kopien“.

Mit Schreiben des Amtsgerichts – Grundbuchamt – vom 12.12.2019 erhielt der Antragsteller einen Grundbuchausdruck zu der Wohnung im Erdgeschoss. Hinsichtlich der zweiten Wohnung teilte das Grundbuchamt mit, es könnten keine Kopien übersandt werden, da kein berechtigtes Interesse bestehe. Die Wohnung sei bereits im Jahr 1999 verkauft worden und nicht durch Schenkung übertragen worden.

Der Antragsteller begehrt nunmehr noch die Übersendung eines unbeglaubigten Grundbuchauszugs sowie einer Kopie des Kaufvertrags zu der Wohnung im Obergeschoss. Er meint, da er nach der Erblasserin pflichtteilsberechtigt sei, habe er ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht. Er wolle feststellen, ob der Verkauf der Wohnung eine Teilschenkung der Erblasserin enthalte, der Grundstückswert könne höher sein als der Kaufpreis. Möglicherweise stehe ihm ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu.

Das Amtsgericht – Grundbuchamt – hat mit Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 27.01.2020 (Bl. 6 d.OLG-Hefts) den Antrag auf Erteilung des Grundbuchauszugs und auf Erteilung einer Kopie des Kaufvertrags zurückgewiesen. Auf die Erinnerung des Antragstellers vom 05.02.2020 (Bl. 10 ff. d.OLG-Hefts) hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 10.03.2020 (Bl. 13 f. d.OLG-Hefts) den Antrag erneut zurückgewiesen. Da der Vertrag und die Eigentumsumschreibung schon 20 Jahre zurücklägen, dürften Pflichtteilsergänzungsansprüche schon lange nicht mehr gegeben sein, zumal es sich nicht um eine Schenkung, sondern einen Kaufvertrag handele. Es seien auch keine Einschränkungen in Form von Wohnrecht oder Nießbrauch vorbehalten worden.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der durch anwaltlichen Schriftsatz eingelegten Beschwerde vom 17.03.2020 (Bl. 15 ff. d.OLGHefts), der das Amtsgericht mit Beschluss vom 23.03.2020 (Bl. 18 f. d.OLG-Hefts) nicht abgeholfen hat. Er meint, dem Rechtspfleger stehe hinsichtlich der Rechtslage nur ein eingeschränktes Prüfungsrecht zu, er habe nur eine „Evidenzkontrolle“ vorzunehmen, auch bei – wie hier – Anträgen auf erweiterte Grundbucheinsicht. Jedenfalls komme es auf Fristen bei einem Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht an, wenn sich der Veräußerer ein Nutzungsrecht vorbehalten habe. Für das Ausgleichungsrecht unter Abkömmlingen nach §§ 2050 ff., 1624, 2316 BGB spielten Fristen ohnehin keine Rolle.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 71, 73 GBO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Antragsteller hat gemäß §§ 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 131 Abs. 1 Satz 1 GBO Anspruch auf Erteilung eines Grundbuchausdrucks und gemäß § 46 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 GBV Anspruch auf Übermittlung einer Kopie des Kaufvertrags aus den Grundakten.

Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO ist die Einsicht des Grundbuchs jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Darüber hinaus ist nach § 46 Abs. 1 GBV auch die Einsicht von Grundakten jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Der Antragsteller hat ein berechtigtes Interesse sowohl hinsichtlich der Einsicht in das Grundbuch wie in den Vertrag vom 27.12.1999 dargelegt.

Ein berechtigtes Interesse an der Einsicht des Grundbuchs ist gegeben, wenn der Antragsteller ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse darlegt, das sich im Unterschied zum rechtlichen Interesse nicht auf ein bereits vorhandenes Recht oder konkretes Rechtsverhältnis stützen muss, sondern auch in einem bloß tatsächlichen, etwa einem wirtschaftlichen Interesse bestehen kann. Es kann aber nicht jedes beliebige Interesse die Grundbucheinsicht rechtfertigen. Die Einsichtnahme muss für das Informationsanliegen des Antragstellers geeignet und erforderlich sein, außerdem muss dieses von einem solchen Gewicht sein, dass der mit der Gewährung der Einsicht verbundene Eingriff in das Grundrecht des Eigentümers auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig erscheint. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht betroffene Eigentümer grundsätzlich vor der Gewährung der Einsicht nicht gehört wird und dass ihm gegen die erteilte Einsicht kein Beschwerderecht zusteht (BGH NJW 2020, 1511 Rn. 9, 17).

Die Kenntnisnahme der Grundakten ist unter denselben Voraussetzungen zulässig wie diejenige des Grundbuchinhalts (BGH NJWRR 2011, 1651 Rn. 17). Allerdings ist bei einer „erweiterten“ Einsicht in die Grundakten eine strenge Prüfung des berechtigten Interesses erforderlich, weil schuldrechtliche Verträge und Abreden nicht zu demjenigen Grundbuchinhalt gehören, auf dessen Publizität § 12 Abs. 1 GBO abzielt (vgl. OLG Dresden NJWRR 2010, 1175; OLG Oldenburg FGPrax 2014, 18; OLG München MDR 2017, 30; OLG Düsseldorf FGPrax 2017, 58, 59; OLG Düsseldorf FGPrax 2018, 56; OLG München v. 26.07.2018 – 34 Wx 239/18, Juris-Rn. 15).

Ein berechtigtes Interesse für die Einsicht in das Grundbuch und die Grundakten kann daher von einem Pflichtteilsberechtigten geltend gemacht werden zur Prüfung seiner erbrechtlichen Ansprüche. Dem Pflichtteilsberechtigten wird Grundbucheinsicht auch dann gewährt, wenn inzwischen der Erbe oder ein Dritter als Rechtsnachfolger im Grundbuch eingetragen ist, weil es zur Klärung dient, ob Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sind (OLG Frankfurt Rpfleger 2011, 430, 431; OLG München NJWRR 2018, 1353, 1354; OLG Bremen FGPrax 2020, 55). Eine schlüssige Darstellung der etwa geltend zu machenden erbrechtlichen Ansprüche oder konkreter, von der Grundbucheinsicht abhängender Entschließungen ist in einem solchen Fall nicht erforderlich (OLG Düsseldorf NJWRR 2016, 338, 339). Die Einsichtnahme kann auch nicht mit der Begründung versagt werden, dass es an konkreten Anhaltspunkten für eine (Teil) Unentgeltlichkeit des Geschäfts mangele. Es muss dem Antragsteller gestattet sein, selbst zu prüfen, ob es unter Berücksichtigung des Zustandekommens des Geschäfts und der vereinbarten Gegenleistung Anhaltspunkte für eine teilunentgeltliche Übertragung gibt (OLG Karlsruhe NZG 2014, 1426, 1427; OLG Braunschweig FGPrax 2019, 153, 154). Dies ist nur möglich durch Einsicht auch in den Kaufvertrag. Die Interessen des Eigentümers müssen bei der Abwägung zurückstehen.

Der Antragsteller ist gemäß § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB nach dem Tod seiner Mutter pflichtteilsberechtigt, da er durch das Testament vom 18.04.2000 von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Nach den obigen Ausführungen ist er damit zur Grundbucheinsicht berechtigt, um das Bestehen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs (§ 2325 Abs. 1 BGB) aufgrund einer möglichen verschleierten Schenkung durch einen objektiv zu niedrigen Kaufpreis zu prüfen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Grundstücksübertragung im vorliegenden Fall mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall erfolgte, so dass ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB, auch im Fall des § 2329 BGB, an sich nicht mehr in Betracht kommt. Die Zehnjahresfrist beginnt nur dann zu laufen, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im Wesentlichen weiterhin zu nutzen (BGHZ 125, 395, 398 f.; BGHZ 211, 38 Rn. 9 ff.). Hier gilt das oben Gesagte entsprechend.

Auch hier braucht der Pflichtteilsberechtigte keine Anhaltspunkte darzulegen, die für einen Vorbehalt von Rechten oder vereinbarte Ansprüche sprechen könnten, zumal ihm dies, abhängig von den Umständen, vielfach auch nicht möglich sein wird. Ebenso muss es ihm auch insoweit gestattet sein, selbst zu prüfen, ob ein solcher Fall vorliegt, ohne dass er sich mit einer entsprechenden Erklärung des Grundbuchamts zufriedengeben müsste. Dies gilt umso mehr, als hier schwierige rechtliche Fragen auftreten können, bei denen der Pflichtteilsberechtigte sonst keine Möglichkeit hätte, die Rechtsansicht des Grundbuchamts in Zweifel zu ziehen und überprüfen zu lassen (vgl. etwa zu den diffizilen Abgrenzungen bei einem Wohnungsrecht BGHZ 211, 38 Rn. 13 ff.).

Daneben besteht ein berechtigtes Interesse für die Einsicht in das Grundbuch auch für einen Miterben für die Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen nach §§ 2050 ff. BGB gegen einen anderen Miterben (OLG Braunschweig FGPrax 2019, 153, 154; OLG Bremen FGPrax 2020, 55). Entsprechendes muss für einen Pflichtteilsberechtigten gelten, da sich die Ausgleichungspflicht nach Maßgabe des § 2316 BGB auch auf die Höhe des Pflichtteilsanspruchs auswirkt. In diesem Zusammenhang kommt es auf den Zeitpunkt der Zuwendung nicht an.

Im vorliegenden Fall mag es nicht unbedingt naheliegend sein, dass eine etwaige gemischte Schenkung der Wohnung an den Bruder des Antragstellers eine Ausstattung nach § 2050 Abs. 1 BGB sein könnte. Von vornherein ausgeschlossen ist dies jedoch auch nicht, so dass insoweit ebenfalls die obigen Kriterien zur Anwendung kommen. Der Antragsteller braucht keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass es sich um eine Ausstattung handeln könnte.

Es bedarf weder einer ausdrücklichen Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, noch einer Wertfestsetzung. Die Tragung der Gerichtskosten regelt sich nach §§ 22 Abs. 1, 25 Abs. 1 GNotKG und eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt. Zu einer abweichenden Kostenentscheidung besteht kein Anlass.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 78 Abs. 2 Satz 1 GBO liegen nicht vor.

 

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