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Grunddienstbarkeitsbestellung – Eigentümer muss deckungsgleiche Baulast übernehmen

Wegerecht trifft Baulast: Ein BGH-Urteil klärt die Rechtslage bei Grunddienstbarkeiten und Bauvorhaben

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer Entscheidung vom 30. Juni 2023 (Az.: V ZR 165/22) einen komplexen Fall behandelt, der die Interessen von Grundstückseigentümern mit benachbarten Parzellen betrifft. Im Kern ging es um die Frage, ob ein bestehendes Wegerecht, das durch eine Grunddienstbarkeit begründet wurde, den Anspruch auf Übernahme einer Baulast durch den Eigentümer des dienenden Grundstücks begründet. Die Klägerin, Eigentümerin von drei Grundstücken, die nur über ein Flurstück des Beklagten erreichbar sind, wollte auf einem ihrer Grundstücke bauen und verlangte vom Beklagten die Abgabe einer Baulasterklärung. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte die Klage abgewiesen, woraufhin die Klägerin Revision einlegte.

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Die Sicht desBerufungsgerichts

Das Berufungsgericht hatte argumentiert, dass die Grunddienstbarkeit zwar eine Wohnbebauung der Grundstücke der Klägerin ermögliche, dies jedoch nicht ausreiche, um einen Anspruch auf Übernahme einer Baulast zu begründen. Es müsse festgestellt werden, dass die Grunddienstbarkeit explizit zum Zweck der baulichen Nutzung eingerichtet wurde. Diese Voraussetzung sah das Gericht als nicht erfüllt an und verwies darauf, dass eine solche Nebenpflicht für den Eigentümer des dienenden Grundstücks eine unerwartete Belastung darstellen könne.

BGH: Zweistufige Prüfung nicht ausreichend

Der BGH widersprach der Auffassung des Berufungsgerichts. Er betonte, dass die Frage der Baulastübernahme nicht allein durch den ursprünglichen Zweck der Grunddienstbarkeit bestimmt werden könne. Vielmehr sei eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, ob die Übernahme der Baulast eine zwingende Voraussetzung für die Bebauung des Grundstücks sei und ob der Inhalt und Umfang der geforderten Baulast der Dienstbarkeit entsprechen.

Begleitschuldverhältnis und Interessenabwägung

Der BGH stellte klar, dass aus dem Begleitschuldverhältnis der Grunddienstbarkeit auch Nebenpflichten entstehen können, die über den im Gesetz geregelten Umfang hinausgehen. Diese Nebenpflichten könnten auch ein positives Tun, wie die Übernahme einer Baulast, umfassen. Die Abgrenzung der Rechte und Pflichten ergebe sich aus einer Abwägung der gegenüberstehenden Interessen und dem Grundsatz von Treu und Glauben.

Flexibilität der Grunddienstbarkeit

Der BGH betonte, dass der Inhalt und Umfang einer Grunddienstbarkeit nicht für alle Zeiten festgelegt seien, sondern sich im Laufe der Zeit verändern könnten. Dies gelte insbesondere, wenn sich das Bedürfnis des herrschenden Grundstücks im Rahmen einer gleichbleibenden Nutzung ändere. Somit könne auch die Notwendigkeit einer Baulast neu bewertet werden.

Mit dieser Entscheidung hat der BGH wichtige Klarstellungen im Bereich der Grunddienstbarkeiten und der damit verbundenen Nebenpflichten, wie der Übernahme einer Baulast, vorgenommen. Die Entscheidung dürfte sowohl für Grundstückseigentümer als auch für Bauwillige von Bedeutung sein.


Das vorliegende Urteil

BGH – Az.: V ZR 165/22 – Urteil vom 30.06.2023

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2023 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 4. Zivilsenat – vom 4. August 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die durch mehrere Teilungen eines ursprünglich einheitlichen Grundstücks entstanden sind. Die Grundstücke der Klägerin haben keine eigene Anbindung an eine öffentliche Straße. Diese erfolgt über das vordere Flurstück 4452/3 des Beklagten, das aus der ersten Grundstücksteilung im Jahr 1928 hervorgegangen ist. Es wurde damals mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts belastet, und zwar zugunsten der heutigen Grundstücke der Klägerin (Flurstücke 4452, 4452/12 und 4452/13), die 1937 durch eine zweite Teilung des Restgrundstücks entstanden sind. Das Flurstück 4452 der Klägerin ist seit ungefähr 1938 mit einem Wohnhaus bebaut; ihre Flurstücke 4452/12 und 4452/13 sind unbebaut. Die 1928 bestehende Umgebungsbebauung der Grundstücke ist nicht bekannt. Heute ist die umliegende Bebauung durch größere Zwei- und Dreifamilienhäuser geprägt. Die Klägerin beabsichtigt, auf dem bislang unbebauten Flurstück 4452/12, für das kein Bebauungsplan existiert, ein Wohnhaus zu errichten. Über den Umfang der geplanten Bebauung besteht zwischen den Parteien Streit.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten mit einem Haupt- und einem Hilfsantrag die Abgabe einer Baulasterklärung zu Gunsten ihrer drei Grundstücke. Die Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Übernahme einer Baulast als Nebenpflicht aus dem durch eine Grunddienstbarkeit begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis. Zwar ermögliche die Grunddienstbarkeit eine Wohnbebauung der Grundstücke der Klägerin. Das sei für einen Anspruch auf Baulastübernahme aber nicht ausreichend. Vielmehr müsse bei Bestellung der Grunddienstbarkeit eine künftige Bebauung des herrschenden Grundstücks bezweckt gewesen sein. Andernfalls könne die Nebenpflicht, Jahre oder Jahrzehnte nach Einräumung der Grunddienstbarkeit eine Baulast zu übernehmen, für den Eigentümer des dienenden Grundstücks eine erhebliche und überraschende Belastung darstellen. Erforderlich sei damit eine zweistufige Prüfung. Erstens müsse die Grunddienstbarkeit eine bauliche Nutzung des herrschenden Grundstücks ermöglichen. Zweitens müsse positiv festgestellt werden, dass die Grunddienstbarkeit für jeden erkennbar zum Zwecke der baulichen Nutzung bewilligt worden sei. Die zweite Voraussetzung sei nicht erfüllt. Es lasse sich nicht feststellen, dass mit der Bewilligung der Grunddienstbarkeit im Jahr 1928 der Zweck verfolgt worden sei, die bauliche Nutzung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen. Es könne somit offenbleiben, ob die Klage in Bezug auf die Flurstücke 4452 und 4452/13 auch daran scheitere, dass die Übernahme einer Baulast keine zwingende Voraussetzung für deren Bebauung darstelle.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Abgabe der beantragten Baulasterklärung nicht verneint werden.

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.

a) Aus dem als gesetzliche Folge der Bestellung einer Grunddienstbarkeit entstandenen Begleitschuldverhältnis kann sich ergeben, dass der Eigentümer des dienenden Grundstücks auch eine (deckungsgleiche) Baulast übernehmen muss. Voraussetzung hierfür ist, dass eine beiderseitige Interessenabwägung einen Vorrang des Grunddienstbarkeitsberechtigten ergibt. Dabei hat der Senat bisher dahingehend formuliert, dass darauf abzustellen ist, ob die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt wurde, das Grundstück des Berechtigten baulich zu nutzen, ob die Übernahme der Baulast zwingende Voraussetzung für die Bebauung des Grundstücks ist, ob eine Befreiung von dem Baulastzwang in Betracht kommt, ob bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit Anlass bestand, bereits die Übernahme einer Baulast zu erwägen, und schließlich, ob Inhalt und Umfang der geforderten Baulast der Dienstbarkeit entsprechen (vgl. Senat, Urteil vom 3. Februar 1989 – V ZR 224/87, BGHZ 106, 348, 350 ff.; Urteil vom 22. Oktober 2021 – V ZR 92/20, NJW 2022, 1447 Rn. 5 mwN).

b) Ob ein Anspruch auf Übernahme einer Baulast besteht, bestimmt danach das durch die Grunddienstbarkeit begründete gesetzliche Schuldverhältnis. Dieses hat dienende Funktion und umfasst die das Nutzungsrecht begleitenden Pflichten des aus der Dienstbarkeit Berechtigten (vgl. Senat, Urteil vom 28. Juni 1985 – V ZR 111/84, BGHZ 95, 144, 146), aber auch entsprechende Pflichten des Eigentümers des belasteten Grundstücks (vgl. Senat, Urteil vom 3. Februar 1989 – V ZR 224/87, BGHZ 106, 348, 350). Das gesetzliche Begleitschuldverhältnis kann Nebenpflichten, auch zu einem positiven Tun, auch über den genannten, im Gesetz ausdrücklich geregelten Umfang (§§ 1020 bis 1023 BGB) hinaus begründen, weil für den Dienstbarkeitsumfang das jeweilige Bedürfnis des Berechtigten maßgebend ist. Wächst dieses nachträglich, so wird dadurch der Umfang der sich aus der Dienstbarkeit ergebenden Rechte und Pflichten erweitert, sofern sich die Steigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung des dienenden Grundstücks hält und nicht auf eine unvorhersehbare willkürliche Änderung in der Benutzung des herrschenden Grundstücks zurückzuführen ist. Die Abgrenzung der aus der Grunddienstbarkeit und dem hierdurch begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis hergeleiteten Rechten und Pflichten beruht im Kern auf einer Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen und damit auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (zum Ganzen vgl. Senat, Urteil vom 3. Februar 1989 – V ZR 224/87, BGHZ 106, 348, 350 f. mwN).

c) Die das Nutzungsrecht begleitenden Pflichten der beteiligten Grundstückseigentümer ergeben sich daher aus dem Inhalt und dem Umfang der bestellten Grunddienstbarkeit. Ein Anspruch auf Einräumung einer Baulast lässt sich aus dem Begleitschuldverhältnis nur ableiten, wenn die Grunddienstbarkeit nach ihrem Inhalt und Umfang die Nutzungen erfasst, die durch die Bebauung des herrschenden Grundstücks hervorgerufen werden; hiervon geht auch das Berufungsgericht aus.

aa) Inhalt und Umfang einer zeitlich unbegrenzten Dienstbarkeit liegen nicht in jeder Beziehung von vornherein für alle Zeiten fest, sondern sind gewissen Veränderungen unterworfen, die sich aus der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ergeben. Insbesondere kann der Umfang einer Dienstbarkeit mit dem Bedürfnis des herrschenden Grundstücks wachsen, wenn sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung dieses Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht vorhersehbare oder auf eine willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 5. Oktober 1965 – V ZR 73/63, BGHZ 44, 171, 172 f.; Urteil vom 20. Mai 1988 – V ZR 29/87, NJW-RR 1988, 1229, 1230; Urteil vom 30. September 1994 – V ZR 1/94, NJW-RR 1995, 15, 16). Anders ist es, wenn der Inhalt der Grunddienstbarkeit festgelegt ist.

bb) Diese Grundsätze gelten auch für den Inhalt eines Wegerechts, wie er sich aus dem Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der nach § 874 BGB in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Umstände außerhalb dieser Urkunden dürfen insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 11. April 2003 – V ZR 323/02, WM 2003, 1917, 1918 mwN).

(1) Ist das Wegerecht für eine bestimmte Nutzungsart des herrschenden Grundstücks vereinbart, erlaubt es eine davon abweichende Nutzung nicht (vgl. Senat, Urteil vom 20. März 1963 – V ZR 143/61, NJW 1963, 1247; MüKoBGB/Mohr, 9. Aufl., § 1018 Rn. 62; Staudinger/Weber, BGB [2017], § 1018 Rn. 155). Eine Beschränkung des Wegerechts beispielsweise auf land- und forstwirtschaftliche Zwecke steht einer baulichen Veränderung für eine Wohnnutzung des herrschenden Grundstücks entgegen. Dies dient vorrangig den Interessen des Grunddienstbarkeitsverpflichteten (vgl. Amann, DNotZ 2015, 164, 165; Grziwotz, NJW 2008, 1851, 1852 f.). Ein Anspruch auf Übernahme einer Baulast zu der Ermöglichung einer Wohnbebauung ist dann ausgeschlossen. Für eine solche Beschränkung des Wegerechts bedarf es eindeutiger Anhaltspunkte (vgl. Senat, Urteil vom 26. Oktober 1984 – V ZR 67/83, BGHZ 92, 351, 355); der Verpflichtete trägt die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Senat, Urteil vom 22. Oktober 2021 – V ZR 92/20, NJW 2022, 1447 Rn. 24).

(2) Anders ist es bei einem auf Dauer eingeräumten Wegerecht, bei dem aus der Eintragung im Grundbuch und der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung auf einen von Nutzungsart und -umfang des herrschenden Grundstücks unabhängigen Umfang der Dienstbarkeit geschlossen werden kann (vgl. dazu Senat, Urteil vom 26. Oktober 1984 – V ZR 67/83, BGHZ 92, 351, 355; Urteil vom 30. September 1994 – V ZR 1/94, NJW-RR 1995, 15, 16). Ein uneingeschränktes Geh- und Fahrtrecht sichert die Zuwegung grundsätzlich für jede zulässige Nutzung des herrschenden Grundstücks (vgl. auch Grziwotz, NJW 2008, 1851, 1853). Dazu gehört – wie das Berufungsgericht zutreffend sieht – die bauliche Nutzung des herrschenden Grundstücks (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 13 U 97/12; OLG Hamm, Urteil vom 16. Februar 2017 – 5 U 78/16). Bedarfssteigerungen kann der Eigentümer des dienenden Grundstücks nicht bereits deshalb abwehren, weil sich die Art der Grundstücksnutzung aufgrund der Bebauung des herrschenden Grundstücks ändert. Die Grenze liegt in einer willkürlichen Benutzungsänderung. Ist das herrschende Grundstück bei Bestellung unbebaut, gestattet das Wegerecht nur Nutzungen infolge einer Bebauung, die vorhersehbar ist. Das ist anzunehmen, wenn das Grundstück in einem Gebiet liegt, in dem mit einer baulichen Erschließung, wenn auch langfristig, zu rechnen ist (vgl. Senat Urteil vom 30. September 1994 – V ZR 1/94, NJW-RR 1996, 15, 16). Wandelt sich die Bebauung der Umgebungsgrundstücke, wie es z.B. in Stadtrandlagen der Fall sein kann, nimmt das Wegerecht an dieser Entwicklung teil.

(3) Um ein uneingeschränktes Wegerecht handelt es sich hier; die dahingehende Auslegung des Berufungsgerichts hält der – revisionsrechtlich uneingeschränkten (vgl. Senat, Urteil vom 12. Juli 2019 – V ZR 288/17, NJW-RR 2020, 77 Rn. 6 mwN) – Nachprüfung stand und wird von der Revision als ihr günstig hingenommen.

2. Anders als das Berufungsgericht meint, kommt es nicht zusätzlich auf die mit der Bestellung des dinglichen Rechts verfolgten Absichten der Parteien der Bestellungsurkunde an. Wenn und soweit der Inhalt eines uneingeschränkten Wegerechts die Bebauung des herrschenden Grundstücks ermöglicht, muss für den Anspruch auf Einräumung einer Baulast – auch wenn die bisherige Senatsrechtsprechung so verstanden werden kann – nicht zusätzlich festgestellt werden, dass die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt wurde, die Bebauung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen.

a) Allerdings hat der Senat das Kriterium des mit der Bestellung der Grunddienstbarkeit verfolgten Zwecks der baulichen Nutzung als erste Voraussetzung für den Anspruch auf Einräumung der Baulast formuliert (vgl. Senat, Urteil vom 3. Februar 1989 – V ZR 224/87, BGHZ 106, 348, 350 ff.) und in ständiger Rechtsprechung aufgegriffen (vgl. oben Rn. 6). Der Begriff des „Zwecks“ ist aber missverständlich und in der Sache nie tragend geworden. Der Senat hat ihn im Rahmen der Interessenabwägung auch nicht im Sinne einer finalen Bestimmung verstanden. Er hat nämlich nicht die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten bei der Bestellung der Dienstbarkeit, sondern – wie stets bei der Auslegung eines dinglichen Rechts – den Inhalt der Grunddienstbarkeit geprüft, wie er sich aus dem Grundbuch ergibt. In einer Entscheidung hat der Senat deshalb ausdrücklich offengelassen, ob es für den Anspruch auf Einräumung der Baulast darauf ankommt, dass bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit die künftige Bebauung bezweckt war, oder ob es ausreicht, wenn sie nur – mittelbar – objektiv ermöglicht wurde (Urteil vom 3. Juli 1992 – V ZR 203/91, NJW-RR 1992, 1484).

b) Richtigerweise kommt es für die Verpflichtung, eine Baulast zu übernehmen, nicht darauf an, dass die Bebauung bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit bezweckt war; an dem missverständlichen Kriterium des „Zwecks“ der Grunddienstbarkeit hält der Senat nicht fest. Eine solche Verpflichtung setzt unter anderem voraus, dass die Grunddienstbarkeit nach ihrem Inhalt und Umfang die von einer Bebauung herrührenden Nutzungen umfasst, was bei einem uneingeschränkten Geh- und Fahrtrecht regelmäßig anzunehmen ist; es ist nicht erforderlich, dass die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt wurde, die Bebauung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen.

aa) Grundbucheintragungen sind – wie oben ausgeführt (vgl. Rn. 10) – nächstliegend und objektiv auszulegen. Das verbietet es, den Zweck, den die Beteiligten bei der Bewilligung der Grunddienstbarkeit verfolgt haben, einzubeziehen, sofern dieser aus dem Grundbuch nicht hervorgeht. Zwar können auch außerhalb der Eintragung und Bewilligung liegende Umstände bei der Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Grunddienstbarkeit mit herangezogen werden, dies aber nur, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 30. September 1994 – V ZR 1/94, NJW-RR 1995, 15, 16; Urteil vom 13. Oktober 2017 – V ZR 45/17, NJW-RR 2018, 333 Rn. 14; Urteil vom 22. Oktober 2021 – V ZR 92/20, NJW 2022, 1447 Rn. 24). Dazu gehören die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten zu dem mit der Bestellung der Grunddienstbarkeit verfolgten Zweck nicht; sie finden als innere Tatsachen keinen Niederschlag in der Eintragung oder der ihr zugrundeliegenden Bewilligung und sind, vor allem, wenn Jahre oder – wie hier – Jahrzehnte verstrichen sind und die Eigentümer gewechselt haben, auch nicht zuverlässig feststellbar. Die jetzigen Eigentümer, auf deren Interessen es für die Abwägung ankommt, können sich demgegenüber auf die Grundbucheintragung verlassen, aus der sich eine Beschränkung der Grunddienstbarkeit gerade nicht ergibt. Für sie macht es keinen Unterschied, ob die Grunddienstbarkeit bestellt wurde, um das herrschende Grundstück bebauen zu können, oder ob die Grunddienstbarkeit nach ihrem Inhalt und Umfang die Bebauung des Grundstücks ermöglicht. In beiden Fällen sind die Nutzungen, die durch die Bebauung des herrschenden Grundstücks hervorgerufen werden, von der Grunddienstbarkeit erfasst. Weil die Ausweitung der Nutzungen in dem dinglichen Recht von vornherein angelegt ist, sind die gesteigerten Nutzungen für den Verpflichteten vorhersehbar und nicht überraschend. Das ist im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten des Berechtigten zu berücksichtigen. Die Grenze liegt lediglich in der willkürlichen Nutzungsänderung.

bb) Eine restriktive Sichtweise ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters der Baulast geboten.

(1) Richtig ist zwar, dass die Baulast im Verhältnis zur Grunddienstbarkeit eine zusätzliche Belastung des Grundstücks bewirkt. Sie begründet ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zu der Bauaufsichtsbehörde und ist der privaten Dispositionsbefugnis entzogen (vgl. Senat, Urteil vom 9. Januar 1981 – V ZR 58/79, BGHZ 79, 201, 209; Urteil vom 3. Februar 1989 – V ZR 224/87, BGHZ 106, 348, 353) . Dieser Nachteil wirkt sich aber nur in ganz seltenen Ausnahmefällen aus, etwa wenn eine Grunddienstbarkeit in einem Zwangsversteigerungsverfahren als nicht in das geringste Gebot fallend gelöscht wird, die Baulast aber fortbesteht (vgl. Senat, Urteil vom 19. November 2021 – V ZR 262/20, WuM 2022, 308 Rn. 15 mwN), oder wenn der Begünstigte auf die Grunddienstbarkeit verzichtet. Diese von dem Berufungsgericht in den Blick genommenen Möglichkeiten sind jedoch so fernliegend und atypisch, dass es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre, einen faktischen Rechtsverlust hierauf zu stützen (vgl. Senat, Urteil vom 3. Februar 1989 – V ZR 224/87, BGHZ 106, 348, 354; Urteil vom 6. Oktober 1989 – V ZR 127/88, DNotZ 1991, 250, 252).

(2) Die Grunddienstbarkeit würde zudem ganz erheblich entwertet, wenn durch das später hinzugetretene öffentlich-rechtliche Erfordernis einer Baulast das zivilrechtlich dinglich gesicherte Recht zur Bedarfssteigerung ausgeschlossen wäre. Das gilt jedenfalls dann, wenn nach der bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit geltenden Rechtslage – wie hier im Jahr 1927 – derartige Anforderungen nicht vorgesehen waren. Hier hätte die Grunddienstbarkeit die Bebauung des herrschenden Grundstücks in den auf ihre Bestellung folgenden Jahrzehnten zunächst ohne Weiteres ermöglicht. Der Umstand, dass die Sicherung der Zuwegung durch eine Grunddienstbarkeit heute bauordnungsrechtlich nicht mehr ausreicht, sondern die Erteilung einer Baugenehmigung von der Übernahme einer Baulast abhängt (hier nach § 4 Abs. 1 Halbs. 1 LBO BW; vgl. dazu BeckOK BauordnungsR BW/Balensiefen [1.3.2023], § 4 Rn. 12), gereicht nicht dem Dienstbarkeitsverpflichteten zum Vorteil, sondern führt in der Interessenabwägung dazu, dass er durch Übernahme einer Baulast an der Verwirklichung des dinglichen Rechts mitwirken muss.

(3) Wie es sich verhält, wenn die Grunddienstbarkeit schon zur Zeit ihrer Bestellung nach allgemeiner Rechtsauffassung bauordnungsrechtlich nicht als ausreichende Sicherung der Zufahrt hätte angesehen werden können und sich die Grundstückseigentümer gleichwohl damit zufrieden gegeben hätten, hat der Senat bislang offen gelassen (vgl. Senat, Urteil vom 3. Februar 1989 – V ZR 224/87, BGHZ 106, 348, 353; Urteil vom 6. Oktober 1989 – V ZR 127/88, DNotZ 1991, 250, 252; Urteil vom 22. Oktober 2021 – V ZR 92/20, NJW 2022, 1447 Rn. 20). Jedenfalls ist ein Ausschluss des Anspruchs auf Abgabe einer Baulasterklärung nicht schon dann anzunehmen, wenn die Baulast bauordnungsrechtlich erforderlich war, sich die Grundstückseigentümer dieses Umstandes jedoch nicht bewusst waren, oder wenn eine darauf bezogene schuldrechtliche Verpflichtung bei einer Veräußerung nicht weitergegeben worden ist. Vielmehr wird ein solcher Ausschluss nur in Betracht kommen, wenn die Beteiligten um die Erforderlichkeit der Baulast wussten und sehenden Auges auf eine Einräumung verzichteten (vgl. Senat, Urteil vom 22. Oktober 2021 – V ZR 92/20, aaO Rn. 20 aE). Das bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.

IV.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da er nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Nach dem Vorbringen der Revision soll sich ein Anspruch auf Baulastübernahme aus einer ergänzenden Vertragsauslegung des Erbteilungsvertrags aus dem Jahr 1937 ergeben, mit dem das Flurstück 4452 zum zweiten Mal geteilt worden ist. Gegenüber einem Anspruch aus dem durch die Grunddienstbarkeit begründeten Schuldverhältnis wäre ein vertraglicher Anspruch auf Übernahme einer Baulast vorrangig (vgl. Senat, Urteil vom 18. März 1994 – V ZR 159/92, NJW 1994, 2757, 2758). Das setzt aber unter anderem voraus, dass die Parteien Vertragspartner bzw. deren Rechtsnachfolger sind. Feststellungen dazu sind bislang nicht getroffen.

2. Der aus dem Begleitschuldverhältnis folgende Anspruch auf Übernahme einer Baulast setzt voraus, dass die Baulast zwingende Voraussetzung für die Bebauung ist; andernfalls ist dem Eigentümer des dienenden Grundstücks die Einräumung der Baulast nicht zumutbar. Ob dieses Kriterium für die Flurstücke 4452/13 und 4452 der Klägerin erfüllt ist, hat das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – offengelassen. Das bedarf der abschließenden Prüfung. Eine baurechtliche Relevanz der Baulast ist hinsichtlich des Flurstücks 4452 zweifelhaft, weil es bereits bebaut ist. Zugunsten des Flurstücks 4452/13 könnte die Baulast deshalb erforderlich sein, weil es sich dabei ausweislich des von dem Berufungsgericht in Bezug genommenen Lageplan um ein gefangenes Wegegrundstück handelt, das in Verlängerung des durch die Grunddienstbarkeit gesicherten Wegs als Zuwegung zu den Flurstücken 4452/12 und 4452 benötigt wird. Anders wäre es, wenn die Übernahme einer sogenannten Eigenbaulast durch die Klägerin (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, BauR 2016, 1141 Rn. 39; Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg [April 2022], § 4 Rn. 20) ausreichen sollte.

3. Weil sich der Anspruch auf Einräumung einer (deckungsgleichen) Baulast aus dem Begleitschuldverhältnis nur ableiten lässt, wenn die Grunddienstbarkeit nach ihrem Inhalt und Umfang die Nutzungen erfasst, die durch die Bebauung des herrschenden Grundstücks hervorgerufen werden, scheidet der Anspruch aus, wenn das Bauvorhaben, für das die Baulast übernommen werden soll, nicht von der Grunddienstbarkeit gedeckt sein sollte. Dann wäre die Übernahme der Baulast dem Eigentümer des dienenden Grundstücks nicht zumutbar. Das ist bei einer willkürlichen Benutzungsänderung der Fall, die nicht der Umgebungsbebauung entspricht (zu einem solchen Fall vgl. Senat, Urteil vom 30. September 1994 – V ZR 1/94, NJW-RR 1995, 15, 16).

4. Soweit der Beklagte geltend macht, die Zufahrt zu den Grundstücken der Klägerin müsse für Rettungs- und Feuerwehrfahrzeuge eine lichte Breite von 3,50 Metern aufweisen und gehe damit über den Inhalt der Grunddienstbarkeit hinaus, weil das Wegerecht nur auf einer Breite von 3 Metern ausgeübt werden dürfe, steht dies nach den getroffenen Feststellungen dem Anspruch auf Übernahme einer Baulast nicht entgegen. Nach § 4 Abs. 1 Halbs. 1 LBO BW erfordert die Errichtung eines Gebäudes auf einem Grundstück, das – wie hier – nicht an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt, zwar eine befahrbare, öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt. Diese muss eine angemessene Breite aufweisen, was entsprechend dem Schutzzweck der Regelung, insbesondere nach den Belangen des Brandschutzes im konkreten Einzelfall zu bestimmen ist (vgl. BeckOK BauordnungsR BW/Balensiefen [15.3.2023], § 4 Rn. 10 mwN). Für die Belange des Brandschutzes ist nach § 3 Satz 4 der Allgemeinen Ausführungsverordnung des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen zur Landesbauordnung Baden-Württemberg vom 5. Februar 2010 (LBOAVO) eine Breite von mindestens 3 Metern im Allgemeinen aber als ausreichend anzusehen. Nur wenn die Zufahrt auf einer Länge von mehr als 12 Metern beidseitig durch Bauteile begrenzt wird, muss die lichte Breite mindestens 3,5 Meter betragen (§ 3 Satz 5 LBOAVO). Dass dies der Fall ist, ergibt sich aus dem Vortrag, auf den der Beklagte verweist, nicht.

 

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