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Zwangsvollstreckung aus notarieller Urkunde gegen Dritte

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 4 U 7/21 – Urteil vom 04.11.2021

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 21.12.2020 (Aktenzeichen 8 O 32/20) abgeändert:

1. Die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Notars J. B. in B. vom 15.04.2019, Urkundenrollennummer XXX2019, wird für unzulässig erklärt.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die vollstreckbare Ausfertigung der vorbezeichneten Urkunde ab Rechtskraft des Ausspruchs der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der Urkunde an die Klägerin herauszugeben.

II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Beklagte zu tragen.

III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 10.000.000 € leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde.

Mit Urkunde des Notars J. B. mit dem Amtssitz zu B. vom 15.04.2019 (Urkundenrollennummer XXX/ /2019) kaufte die mit derselben Urkunde gegründete und aus der Klägerin und einem Herrn A. O. aus T./Israel bestehende M. O. H. GbR 12 Grundstücke unter anderem in S.-H. zum Preis von 9.000.000 € von der J. G. GmbH & Co. KG (Verkäufer 1), der Beklagten (Verkäuferin 2) und einem Herrn U. J. (Verkäufer 3). Die Beklagte selbst veräußerte als „Kaufgegenstand 2“ zwei der 12 Grundstücke zu einem Gesamtkaufpreis von 4.596.258 €. Der Kaufpreis sollte zum Monatsletzten nach Fälligkeitsmitteilung durch den Notar, nicht jedoch vor Ablauf von 15 Bankarbeitstagen und nicht vor dem 31.07.2019 fällig werden. Weiter heißt es in der notariellen Urkunde unter 4.1:

„Wegen des Kaufpreisanspruchs und etwaiger Verzugszinsen unterwirft sich der Käufer als Gesamtschuldner gegenüber dem Verkäufer als Gesamtgläubiger der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen.“.

Die Anbahnung des Kaufvertrags hatte auf Grund der Vermittlung des Zeugen Sch. stattgefunden. Im Vorfeld des Kaufvertragsabschlusses führten der Geschäftsführer der Klägerin, der Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten und der Zeuge Sch. Gespräche über eine Provision des Zeugen Sch. für die Vermittlung des Geschäfts und über eine Beteiligung an einem Projekt der M2 Gruppe, der Unternehmensgruppe der Klägerin, in der Stadt S.. Die genauen Umstände und der Inhalt dieser Gespräche sind zwischen den Parteien streitig. Auf den verkauften Grundstücken in der G.-D.-Str. XX, S.-H., befinden sich zwei im Jahre 1996 errichtete Hallen, die an die I. G. GmbH vermietet sind, welche darin leere Getränkedosen lagerte. Diese Hallen weisen in streitigem Umfang Dachundichtigkeiten auf, die dazu führten, dass sich vor allem bei Starkregen auf dem Hallenboden Pfützen bildeten. Von den Dachundichtigkeiten setzte die Beklagte die Klägerin vor dem Abschluss des Kaufvertrags nicht in Kenntnis. Im Oktober/November 2019 unterrichteten der Zeuge G. als Geschäftsführerin der Hallenmieterin sowie deren Mitarbeiter, der Zeuge E., anlässlich eines Ortstermins den Zeugen Sch. über die Dachundichtigkeiten, welcher diese Information Anfang November an den Geschäftsführer der Klägerin weitergab.

Die Kaufpreisfälligkeitsmitteilung des Notars zur Urkunde vom 15.04.2019 erfolgte am 31.08.2019. Die Klägerin bekräftigte bei zwei Bankterminen am 05. und 09.12.2019 ihre Zahlungsbereitschaft. Am 17.01.2020 kam es zu einem Ortstermin, bei dem der Geschäftsführer der Klägerin die Dachundichtigkeiten nicht thematisierte. Mit Datum vom 31.01.2020 erteilte der Notar B. der Beklagten eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde vom 15.04.2019 zum Zwecke der Zwangsvollstreckung in Höhe von 4.596.258 € nebst Zinsen seit dem 01.08.2019. Diese ließ die Beklagte der Klägerin am 18.02.2020 zustellen. Mit Schreiben vom 25.02.2020 erklärte die M. O. H. GbR die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung gegenüber der Beklagten sowie den beiden anderen Verkäufern. Die Verkäufer erwiderten darauf mit Schreiben vom 27.02.2020 (Bd. I Bl. 149 d. A.). Im Laufe des Prozesses hat die Beklagte die Dachundichtigkeiten reparieren lassen.

Die Klägerin hat behauptet, es sei zu einer nicht beurkundeten Nebenabrede des Kaufvertrags gekommen. So sei vereinbart worden, dass der Kaufpreis tatsächlich nur 8.250.000 € betrage. Die übrigen 750.000 € seien als Provision des Zeugen Sch. und des Geschäftsführers der Komplementärin der Klägerin vorgesehen gewesen. Dieser habe sich im Gegenzug zu einer Beteiligung an einem Projekt der M2 Gruppe in der Stadt S. bereit erklärt.

Weiter hat die Klägerin behauptet, die Dachundichtigkeiten seien erheblich gewesen. Es läge ein konstruktionsbedingter Mangel in der Bauweise der Dachentwässerung vor, der nur mit großem Aufwand – insbesondere mit der Verbauung größerer Fallrohre – beseitigt werden könnte. Für die Mangelbeseitigung sei ein Betrag zwischen 25.000 und 50.000 € erforderlich. Wäre dies der Klägerin bekannt gewesen, hätte sie den Immobilienkauf nicht bzw. nicht zu den ausgehandelten Bedingungen abgeschlossen. Auch bestünden die Dachundichtigkeiten bereits seit geraumer Zeit und seien der Beklagten bei Abschluss des Kaufvertrags bekannt gewesen, die dagegen jedoch nichts unternommen hätte.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Notars J. B. in B. vom 15.04.2019, Urkundenrollennummer XXX2019, für unzulässig zu erklären und

2. die Beklagte zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung der vorbezeichneten Urkunde ab Rechtskraft des Ausspruchs der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der Urkunde an die Klägerin herauszugeben.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, eine Provision sei lediglich anlässlich der Vertragsanbahnung im Sommer 2018, nicht hingegen anlässlich der konkreten Vertragsverhandlungen thematisiert worden. Vielmehr sei dort immer nur die Rede von 9.000.000 € gewesen. Ungeachtet dessen hat die Beklagte gemeint, ihr stehe die Verteilung eines Kaufpreises frei. Über eine künftige Zusammenarbeit sei zwar gesprochen worden, jedoch sei dies eine bloße Absichtserklärung gewesen, die nicht zur beurkundungsbedürftigen Bedingung des Kaufvertrags gemacht worden sei.

Hinsichtlich der Dachundichtigkeiten hat die Beklagte behauptet, es handele sich um altersbedingte Verschleißerscheinungen. Ein weiterer Schaden sei erst nach Abschluss des Kaufvertrags aufgetreten bzw. bekannt geworden. Jedenfalls verursache die Dachundichtigkeit nur eine geringe Feuchtigkeit und könnte mit geringem Aufwand behoben werden, wobei eine Ausbesserung bereits im Jahr 2019 in die Wege geleitet worden sei. Überdies sei der Zeuge Sch. bei dem Ortstermin als Vertreter der Klägerin aufgetreten und habe zugesagt, die Undichtigkeiten innerhalb der nächsten 14 Tage beheben zu lassen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen G. G. (Bd. III Bl. 445 f. d. A.), M. E. (Bd. III Bl. 447 f. d. A.) und U. Sch. (Bd. III Bl. 451 f. d. A.) und hat die Geschäftsführer der Klägerin und der Komplementärin der Beklagten als Partei angehört (Bd. III Bl. 448 ff. d. A.). Mit dem am 21.12.2020 verkündeten Urteil, auf das Bezug genommen wird (Bd. III Bl. 478 ff. d. A.), hat es die Klage abgewiesen.

Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung rügt die Klägerin, da die Schuldnerin der Kaufpreisforderung nur die M. O. H. GbR sei und sich nur diese der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen habe, könne die Beklagte die Kaufpreisforderung nicht aus der notariellen Urkunde gegen die Klägerin vollstrecken. Bei verständiger Würdigung und fehlerfreier Ermittlung des Vertragsinhalts hätte das Landgericht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin deswegen unzulässig sei.

Unter der innerprozessualen Bedingung, dass der erkennende Senat

a. annehme, die Eigenschaft der Klägerin als Käuferin neben der M. O. H. GbR sowie dass die Klägerin sich neben der M. O. H. GbR der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen habe, sei ein beurkundungsbedürftiger Vertragsinhalt im Sinne von § 311b BGB,

b. annehme, dass die streitbefangene notarielle Kaufvertragsurkunde nicht dahingehend auszulegen sei, dass die Klägerin neben der M. O. H. GbR Käuferin und Zwangsvollstreckungsschuldnerin sei,

c. annehme, dass wegen der fehlenden Mitbeurkundung der Klägerin als Käuferin und Vollstreckungsschuldnerin in dem notariellen Kaufvertrag vom 15.04.2019, Urkundenrollennummer XXX2019, dieser Kaufvertrag gemäß §§ 125, 139 BGB als insgesamt formnichtig anzusehen sei und

d. deswegen unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Notars J. B. aus B. vom 15.04.2019, Urkundenrollennummer XXX2019, für unzulässig erkläre,

stelle die Klägerin die von der Beklagten in der Berufungserwiderung behauptete Tatsache unstreitig, dass die Klägerin neben der M. O. H. GbR Käuferin der streitgegenständlichen Kaufgegenstände sei und sich neben der GbR der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen habe. Wegen des weiteren Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung verwiesen (Bd. III Bl. 548 ff. d. A.).

Die Klägerin beantragt (Bd. III Bl. 549 d. A.),

1. unter Abänderung des am 21.12.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken, Aktenzeichen 8 O 32/20, die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Notars J. B. in B. vom 15.04.2019, Urkundenrollennummer XXX2019, für unzulässig zu erklären und

2. die Beklagte zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung der vorbezeichneten Urkunde ab Rechtskraft des Ausspruchs der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der Urkunde an die Klägerin herauszugeben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das erstinstanzliche Gericht habe mit tatbestandlicher Bindungswirkung festgestellt, dass die Klägerin (gesamtschuldnerisch) Schuldnerin aus dem Kaufvertrag und damit auch Vollstreckungsschuldnerin aus der Vollstreckungsklausel sei. Überdies sei bei der Vertragsauslegung die Vorschrift des § 128 HGB mit heranzuziehen. Im Lichte dieser Bestimmung lauf die Formulierung „als Gesamtschuldner“ keineswegs ins Leere. Im Übrigen verteidigt die Beklagte die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 04.11.2020 (Bd. III Bl. 444 ff. d. A.) und des Senats vom 19.08.2021 (Bd. IV Bl. 673 ff. d. A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist mithin zulässig. Das Rechtsmittel ist nach Maßgabe der §§ 513, 529, 546 ZPO auch begründet.

1. Die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin aus der vorliegenden notariellen Urkunde ist in Ermangelung einer Unterwerfungserklärung der Klägerin für unzulässig zu erklären.

a) Der Klageantrag zu 1 ist in erster Linie als Titelgegenklage aufzufassen und als solche statthaft und im Übrigen zulässig.

aa) Die Unwirksamkeit der Vollstreckungsunterwerfung als solche kann (auch) mit der Titelgegenklage geltend gemacht werden (BGH NJW-RR 2004, 1135, 1136; NJW 2015, 1181 Rn. 7). Bei Unwirksamkeit der Unterwerfungserklärung ist die Vollstreckung aus der Urkunde schlechthin für unzulässig zu erklären (BGH NJW 2015, 1181, 1182 Rn. 7). Nichts Anderes gilt, wenn sich die Vollstreckung – wie hier – ausschließlich gegen einen Dritten richtet, der nicht Vollstreckungsschuldner ist und auch keine Unterwerfungserklärung abgegeben hat.

bb) Streitgegenstand der Titelgegenklage ist die Wirksamkeit des Vollstreckungstitels (BGHZ 118, 229, 236; BGH NJW-RR 2004, 472, 474) und somit ein anderer als derjenige der auf Beseitigung der Vollstreckungsfähigkeit des titulierten Anspruchs gerichteten Vollstreckungsabwehrklage (BGH NJW-RR 2015, 915, 916 Rn. 15). Macht der Titelschuldner – wie hier die Klägerin als vermeintliche Titelschuldnerin – sowohl materiell-rechtliche Einwände gegen den titulierten Anspruch als auch Einwände gegen die Wirksamkeit des Titels geltend, kann die Vollstreckungsabwehrklage mit einer Titelgegenklage analog § 767 ZPO verbunden werden (BGH NJW 2015, 1181 Rn. 6); zulässig ist aber auch eine ausschließliche Titelgegenklage (BGH NJW-RR 2007, 1724, 1725 Rn. 10). Obwohl mit beiden Klagen beantragt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für unzulässig zu erklären, reicht es für das vollständige Obsiegen nicht aus, dass der Kläger mit einer Begründung Erfolg hat, sofern er den Einwand der Unwirksamkeit des Titels und den Einwand gegen den titulierten Anspruch nicht in ein Eventualverhältnis gestellt hat. Der BGH verlangt vielmehr konsequent eine Teilabweisung, wenn nur eine der beiden Klagen begründet ist (BGH NJW 2005, 1576, 1577). Diese Folge wird vermieden, wenn der Antrag als Hauptantrag verstanden wird, soweit er auf die Unwirksamkeit des Titels gestützt wird, und als Hilfsantrag, soweit materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch vorgebracht werden (OLG Köln NJW-RR 1999, 22; Preuß in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 41. Edition Stand: 01.07.2021, § 767 Rn. 58). In diesem Sinne ist das Klagebegehren aufzufassen; denn die Klägerin stützt sich auch in der Berufungsinstanz in erster Linie auf die ihrer Meinung nach bestehende Unwirksamkeit des Titels und im Übrigen auf materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch. Ihr Klageantrag zu 1 ist deshalb dahin auszulegen, dass sie hauptsächlich die Unwirksamkeit der Unterwerfungserklärung geltend macht (§ 767 ZPO analog) und sich hilfsweise auf gegen den titulierten Anspruch selbst gerichtete Einwendungen beruft (§ 767 ZPO).

cc) Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin in der Klage vorgetragen hat, sie erhebe zwei materiell-rechtliche Einwendungen gegen den vermeintlich bestehenden Kaufpreiszahlungsanspruch der Beklagten (Bd. I Bl. 43 d. A. unter 2.2). Eine allfällige Klageänderung in eine Titelgegenklage verbunden mit einer hilfsweise erhobenen Vollstreckungsklage ist allerdings auch in der Berufungsinstanz gemäß § 533 Nr. 1 Fall 2 ZPO ohne Einwilligung des Gegners zulässig, wenn das Gericht dies für sachdienlich hält. Die Beurteilung der Sachdienlichkeit, bei der dem Berufungsgericht ein Ermessensspielraum zusteht, erfordert eine Berücksichtigung, Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen. Dabei ist entscheidend, ob und inwieweit die Zulassung der geänderten Klage den Streit im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt, so dass sich ein weiterer Prozess vermeiden lässt. Eine Klageänderung ist danach nicht sachdienlich, wenn ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird, ohne dass dafür das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden kann (BGH NJW 2018, 2550, 2555 Rn. 52). Nach diesem Maßstab ist die Sachdienlichkeit der Klageänderung zu bejahen; denn die Zulassung ist geeignet, unter Berücksichtigung des bereits angefallenen Prozessstoffs, insbesondere der vorliegenden notariellen Urkunde vom 15.04.2019, den anhängigen Rechtsstreit auszuräumen.

b) Die Titelgegenklage ist begründet, weil es an einer Unterwerfungserklärung der Klägerin fehlt.

aa) Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung hat das Landgericht insoweit keine den Senat im Berufungsrechtszug bindenden tatsächlichen Feststellungen getroffen. Denn dem Tatbestand kommt keine Beweiskraft nach § 314 ZPO zu, wenn und soweit er Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten aufweist, die sich aus dem Urteil selbst ergeben (BGH NJW-RR 2018, 873, 874 Rn. 18). Diesem Erfordernis ist genügt, wenn ein Widerspruch zwischen den tatbestandlichen Feststellungen und einem konkret in Bezug genommenen schriftsätzlichen Vorbringen einer Partei (BGH WM 2015, 1562, 1568 Rn. 48) oder einer Anlage (BGH ZfIR 2021, 321, 324 Rn. 22) besteht. Nach diesen Grundsätzen kommt den tatbestandlichen Feststellungen im vorliegenden Fall keine Beweiskraft zu. Im unstreitigen Teil des Tatbestands wird zunächst zutreffend festgestellt, dass Käuferin des Grundstücks die aus der Klägerin und einem Herrn O. bestehende Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ist. Obgleich damit von einer einzigen Käuferin auszugehen ist, führt das Landgericht sodann aus, hinsichtlich des Kaufpreises habe Gesamtschuldnerschaft auf Käuferseite bestanden. Weiter wird ohne Erwähnung der Käuferin festgestellt, hinsichtlich des Anspruchs der Beklagten auf Zahlung des Kaufpreises habe sich die Klägerin (also nicht die Käuferin?) der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen (Bd. III Bl. 479 d. A.). Im Widerspruch dazu heißt es in der im Urteilstatbestand konkret in Bezug genommenen Urkunde des Notars J. B. vom 15.04.2019 (Urkundenrollennummer XXX/ /2019, Anlage K 1 im Anlagenbd. der Klägerin) unter „Zwangsvollstreckungsunterwerfung“ in Ziffer 4.1, dass sich „der Käufer als Gesamtschuldner“ der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft. Als Käufer ist in der Urkunde die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts definiert; die Klägerin wird somit in der in Bezug genommenen Urkunde nicht (ausdrücklich) erwähnt.

bb) Nach dem sich im Berufungsrechtszug darstellenden Sach- und Streitstand ist eine Zwangsvollstreckungsunterwerfung der Klägerin nicht gegeben. Insoweit zeigt die Berufungserwiderung im Schriftsatz vom 21.10.2021 (Bd. IV Bl. 701 ff. d. A.) keinen rechtserheblichen Grund zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§§ 156, 525 Satz 1 ZPO) auf. Die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wesentlichen Gesichtspunkte waren bereits in der Berufungsbegründung vom 22.03.2021 (insbesondere Bd. III Bl. 565 ff. d. A.) und in der Berufungserwiderung vom 26.05.2021 (insbesondere Bd. IV Bl. 606 ff. d. A.) kontrovers diskutiert und sind in der Berufungsverhandlung vom 19.08.2021 mit den Parteien eingehend erörtert worden (Bd. IV Bl. 673 ff. d. A.). Neue rechtserhebliche Gesichtspunkte oder Anhaltspunkte für eine weitere Aufklärung des Sachverhalts vermag der Senat insoweit nicht zu erkennen. Den Beklagten kann auf Grund der gegebenen Endentscheidungsreife (§§ 300 Abs. 1, 525 Satz 1 ZPO) über die bereits eingeräumte Frist von mehr als zwei Monaten nach der Berufungsverhandlung hinaus auch keine Frist zur weiteren Stellungnahme und etwaigen vergleichsweisen Einigung bis zum 31.01.2022 (Bd. IV Bl. 701 d. A.) eingeräumt werden, zumal die hierzu angehörte Klägerin diesem Antrag entgegengetreten ist.

(1) Nach Maßgabe des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bedingt die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde unter anderem, dass der Schuldner sich in der Urkunde wegen des zu bezeichnenden Anspruchs der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat. Mit dem Erfordernis der Bezeichnung des Anspruchs ist ein Konkretisierungsgebot vorgesehen, das mit dem Bestimmtheitsgebot nicht gleichzusetzen ist, sondern eine zusätzliche formelle Voraussetzung für die Erteilung der Vollstreckungsklausel darstellt und durch eine Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung z. B. wegen „etwaiger Verpflichtungen zur Zahlung bestimmter Geldbeträge“ nicht erfüllt wird (BGH NJW-RR 2012, 1342, 1343 Rn. 14, 18). Ein Verstoß gegen das Konkretisierungsgebot führt zur Nichtigkeit der Unterwerfungserklärung (BGH NJW 2015, 1181, 1182 Rn. 13 ff.).

(2) Eine Unterwerfungserklärung ist, wenn auch in Grenzen, auslegungsfähig (BGH NJW 1980, 1050, 1051; 2008, 3363 Rn. 7). Bei der Auslegung hat der Tatrichter jedenfalls den aus der Urkunde hervorgehenden Zweck (BGHZ 109, 19, 22), die daraus ersichtliche Interessenlage der Parteien (BGH NJW 2003, 2235, 2236; NJW-RR 2003, 1053, 1054) und ihre sprachlichen Gepflogenheiten zu berücksichtigen (BGH NJW 2008, 3363, 3364 Rn. 7).

(3) Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände fehlt es an einer Unterwerfungserklärung der Klägerin.

(3.1) Diese war an der Beurkundung insoweit beteiligt, als sie mit Herrn O. zunächst eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts mit dem Namen „M. O. H. GbR“ errichtete. In der notariellen Urkunde (S. 2/3) wird auf die unmittelbar vorangegangene Gründung dieser Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und der Feststellung des der Urkunde als Anlage beigefügten, deutsch- und englischsprachigen Gesellschaftsvertrags aufbauend als „Käufer“ ausschließlich die mit gleicher Urkunde gegründete Gesellschaft des bürgerlichen Rechts genannt, die Klägerin ist als Mitgesellschafterin der Käuferin genannt und wird an keiner Stelle der Urkunde selbst als „Käufer“ bezeichnet.

(3.2) Die Formulierung in der Zwangsvollstreckungsunterwerfung, wonach „sich der Käufer als Gesamtschuldner“ unterwirft (S. 9 der Urkunde unter Ziffer 4.1), ist insoweit ungereimt, als es laut Urkunde nur eine Käuferin gibt, eine Gesamtschuld aber eine Mehrheit von Schuldnern voraussetzt. Die Berufungserwiderung meint, die Formulierung sei im Lichte des § 128 HGB zu sehen. Nach der auf die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts analog anzuwendenden Vorschrift des § 129 Abs. 4 HGB kann aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten Schuldtitel nicht gegen die Gesellschafter vollstreckt werden (BGH WM 2016, 220, 223 Rn. 34; Gummert in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 5. Auflage 2019, § 20 Rn. 33, 35). In der Rechtspraxis kommt es somit darauf an, präzise zwischen einem Titel gegen die Gesellschaft und einem solchen gegen die Gesellschafter zu unterscheiden (Gummert in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, aaO, Rn. 34), was in einer notariellen Urkunde ohne Weiteres erwartet werden kann. Die bloße Verwendung des auf die Käuferin und Gesellschaft bezogenen Zusatzes „als Gesamtschuldner“ ohne auch nur ansatzweise Nennung der Gesellschafter erlaubt indessen nicht den Schluss, dass sich die Klägerin als Mitgesellschafterin, die weder selbst Vertragspartnerin war noch als Dritte vertragliche Verpflichtungen in der Urkunde übernommen hatte, der Zwangsvollstreckung unterworfen hätte. Wäre es den Kaufvertragsparteien auf die sofortige Zwangsvollstreckung nicht nur in das Vermögen der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, sondern auch in dasjenige ihrer Gesellschafter angekommen, so wäre zu erwarten gewesen, dass deren persönliche Haftung in der Urkunde thematisiert worden wäre, was jedoch nicht der Fall ist.

(3.3) Im Übrigen ist eine (generelle) Zwangsvollstreckungsunterwerfung wegen des Kaufpreiszahlungsanspruchs in der der notariellen Urkunde beigefügten Vollmacht des Herrn O. für den Geschäftsführer der Klägerin nicht vorgesehen (vgl. Anlagebd. Klägerin, Vollmacht vom 28.03.2019, S. 2). Denn diese Vollmacht erfasst die Befugnis, zur Finanzierung des jeweiligen Kaufpreises für den Vollmachtgeber eine persönliche Haftung zu übernehmen oder abstrakte Schuldversprechen abzugeben und den Vollmachtgeber insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen zu unterwerfen. Dass die vorliegende, ausdrücklich auf den Kaufpreisanspruch bezogene Unterwerfung zur Finanzierung des Kaufpreises erforderlich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich.

cc) Die Titelgegenklage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) unbegründet. Dies käme eventuell in Betracht, wenn dem Kläger vorgeworfen werden kann, sich schuldrechtlich zur Abgabe der Unterwerfungserklärung verpflichtet zu haben (Preuß in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, aaO, § 767 Rn. 57.2). Daran fehlt es hier schon deshalb, weil die Klägerin nicht Vertragspartei war. Dass die Klägerin, wie vom Landgericht festgestellt, nach der notariellen Beurkundung bei zwei Bankterminen ihre Zahlungsbereitschaft bekräftigt haben mag (Bd. III Bl. 480 d. A. zweitletzter Abs.), kann sich materiell-rechtlich auswirken, ermöglicht aber nicht die Vollstreckung aus der notariellen Urkunde trotz Fehlens einer entsprechenden Zwangsvollstreckungsunterwerfung.

2. Der mit dem Berufungsantrag zu 2 weiterverfolgte Titelherausgabeantrag hat auf der Grundlage der eingehenden Erörterungen in der Berufungsverhandlung und entgegen der Auffassung der Beklagten (Bd. IV Bl. 702 ff. d. A.) ebenfalls Erfolg.

a) Die Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung einer vollstreckbaren Urkunde nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jedenfalls dann zulässig, wenn entweder über eine Vollstreckungsabwehrklage bereits rechtskräftig zu Gunsten des Herausgabeklägers entschieden worden ist oder wenn die Erfüllung der dem Titel zu Grunde liegenden Forderung zwischen den Parteien unstreitig ist (BGH WM 1994, 650, 652). Nichts Anderes gilt, wenn die Herausgabeklage, wie hier, mit der Titelgegenklage verbunden wird. Denn auch dann ist, worauf es entscheidend ankommt (vgl. BGHZ 127, 146, 148), eine Umgehung von deren Voraussetzungen nicht zu befürchten (BGH NJW 2015, 1181, 1183 Rn. 23).

b) Die Klage ist auch begründet.

aa) Der Vollstreckungsgläubiger ist dem Vollstreckungsschuldner analog § 371 BGB zur Herausgabe eines Vollstreckungstitels verpflichtet, falls die Vollstreckung aus dem Titel auf Grund einer auf materiell-rechtliche Einwände gegen den titulierten Anspruch gestützten Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO für unzulässig erklärt wird. Der Anspruch besteht in diesem Fall aber nicht schon, wenn und weil die Vollstreckung aus dem Titel für unzulässig erklärt worden ist, sondern erst, wenn die Schuld mit Sicherheit erloschen ist oder von Anfang an nicht bestanden hat. Denn das Urteil beseitigt nur die Vollstreckbarkeit der Urkunde, besagt aber nichts über das Bestehen oder Nichtbestehen des zu vollstreckenden Anspruchs (BGHZ 127, 146, 149; BGH NJW-RR 2008, 1512 Rn. 12).

bb) Die entsprechende Anwendung von § 371 BGB auf die Herausgabe des Vollstreckungstitels ist ferner geboten, wenn die Vollstreckung aus dem Titel auf Grund einer auf formelle Einwände gegen den Titel gestützten Titelgegenklage insgesamt und endgültig für unzulässig erklärt worden ist. Denn auch in diesem Fall enthält das Gesetz eine planwidrige Lücke. Der Schuldner könnte zwar durch Vorlage einer Ausfertigung des in dem Titelgegenklageverfahren ergangenen Urteils die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 775 Nr. 1 ZPO erreichen. Er könnte damit allein aber nicht verhindern, dass die Vollstreckung trotz des Urteils erst einmal versucht wird und womöglich auch zunächst Erfolg hat, weil die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung etwa dem nicht informierten Personal des Schuldners unbekannt ist oder mangels Ausfertigung des Urteils nicht sofort nachgewiesen werden kann. Ein solcher Missbrauch des Titels kann nur mit einem Anspruch auf dessen Herausgabe verhindert werden, den das Prozessrecht aber auch für die Titelgegenklage nicht vorsieht. Diese Lücke muss nach dem aus §§ 775 Nr. 1, 757 ZPO zum Ausdruck kommenden Plan des Gesetzes durch eine auf die Rechtsfolge beschränkte entsprechende Anwendung des § 371 BGB geschlossen werden. Denn bei einer allein auf formelle Einwände gestützten Titelgegenklage kann der Titelherausgabeanspruch nicht von dem Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs abhängen, sondern nur von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Titels (BGH NJW 2015, 1181, 1183 Rn. 26). Eine Unterwerfungserklärung der Klägerin ist hier zu verneinen, wie bereits vorstehend unter 1. ausgeführt worden ist. Dem Umstand, dass die Klägerin in der vom Notar erteilten Vollstreckungsklausel nicht ausdrücklich genannt wird, kommt, wie mit den Parteien erörtert, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Andernfalls könnte die Klägerin als nicht am Kaufvertrag beteiligte Dritte die unzulässige Zwangsvollstreckung aus der Urkunde gegen sie nicht wirksam und vollständig unterbinden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO.

4. Die Revision ist entgegen dem Antrag der Beklagten (Bd. IV Bl. 702 d. A.) gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen; denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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