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Wertermittlung für ein unter Einräumung eines Wohnungsrechts übertragenes Grundstück

OLG Celle – Az.: 6 U 11/22 – Urteil vom 24.10.2022

Die Berufung des Klägers gegen das am 30. Dezember 2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 14.593,60 € festgesetzt.

Gründe

A)

Der Kläger verlangt als Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht Zahlung wegen Verarmung des Schenkers (Bescheide vom 4. Januar 2017 und 4. Juli 2017, Bl. 31 und 33 d. A.).

Die am 29. April 1951 geborene und am 5. September 2017 verstorbene E. M., die Mutter des Beklagten, war mit ihrem Bruder R. P. je zur ideellen Hälfte Miteigentümer des Grundstücks Am K. in B., das mit einem Zweifamilienhaus bebaut ist.

Durch notariellen „Kaufvertrag mit Auflassung“ vom 4. April 2012 (Bl. 10 – 27 d. A.) veräußerte R. P. seine ideelle Hälfte des Grundbesitzes an den Beklagten und dessen Ehefrau N. M..

Mit derselben Urkunde („Übergabevertrag im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“) übertrug die Mutter des Beklagten ihre ideelle Hälfte allein auf den Beklagten, der sich verpflichtete, die bestehenden Darlehensschulden abzulösen, für die zwei Grundschulden im Grundbuch eingetragen waren. Der Beklagte und seine Ehefrau räumten der Mutter des Beklagten ein lebenslängliches Wohnungsrecht an der im Erdgeschoss des Hauses gelegenen Wohnung ein, bestehend aus vier Zimmern, Küche, Bad, verbunden mit dem Recht, diese unter Ausschluss des Eigentümers auf ihre Lebenszeit als Wohnung zu benutzen, und die gemeinschaftlichen Räume und Einrichtungen des Hauses mitzubenutzen sowie freies Ein- und Umgangsrecht in Haus, Hof und Garten zu jeder Tages- und Nachtzeit. Schuldrechtlich wurde vereinbart:

„§§ 13, 14 ff. Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum BGB werden abbedungen. Das Wohnungsrecht erlischt somit ersatzlos, wenn die Berechtigte, aus welchen Gründen auch immer, das Wohnungsrecht nicht mehr in Person ausübt. Den Berechtigten ist es nicht gestattet, die Ausübung des Wohnungsrecht ganz oder teilweise Dritten zu überlassen. …“

Im November 2013 wurde bei der Mutter des Beklagten eine rasch fortschreitende Demenzerkrankung diagnostiziert mit der Folge, dass sie nicht mehr in der Lage war, ein selbständiges Leben zu führen. Ab dem 13. November 2013 war sie bis zu ihrem Tod durchgehend in einer vollstationären Pflegeeinrichtung untergebracht, wofür der Kläger ab dem 1. Januar 2016 Sozialhilfeleistungen für die Mutter des Beklagten in Höhe von insgesamt 14.593,60 € erbrachte (Bl. 38 d. A.).

Mit der Klage hat der Kläger vom Beklagten Erstattung dieses Betrages nebst Zinsen verlangt und vorgetragen, der Verkehrswert des hälftigen Miteigentumsanteils habe mindestens 135.000 € betragen. Abzüglich der auf die Mutter des Beklagten im Innenverhältnis mit ihrem Bruder entfallenden Darlehensrestschuld in Höhe von 61.200 € (= 50 % von 122.400 €) verbleibe eine Schenkung in Höhe von 73.800 €. Bei der Bewertung des Wohnungsrechts komme es auf den Anspruch zur Löschung der Grundbucheintragung an, weil die Mutter ab dem 13.11.2013 das Wohnungsrecht nicht mehr in Person habe ausüben können.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und geltend gemacht, der Wert des Wohnungsrechts sei anhand der üblichen Kapitalisierungstafeln zu bemessen.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung zum Grundstückswert (Gutachten vom 9. September 2021, Bl. 135 ff. d. A.) die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil, auf das der Senat wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung verweist, wendet der Kläger sich mit der Berufung und beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an ihn 14.593,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2018 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.

B)

Die Berufung ist unbegründet.

I.

Der Kläger kann von dem Beklagten keine Zahlung verlangen, weil nicht dargelegt ist, dass der Beklagte von seiner Mutter eine Schenkung erhalten hat, die der Kläger als Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht wegen Verarmung des Schenkers herausverlangen könnte.

Gemäß § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Schenker von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, soweit der Schenker nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.

1. Es kann nicht festgestellt werden, dass der notarielle „Übergabevertrag“ vom 4. April 2012 (Bl. 10 – 27 d. A.) eine zumindest teilweise Schenkung der Mutter an den Beklagten enthält.

Zwar deuten die Überschrift „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ und die Hinweise des Notars auf §§ 528 und 530 BGB darauf hin, dass der Beklagte und seine Mutter es bei der Beurkundung für möglich hielten, dass die Übertragung eventuell eine teilweise Schenkung der Mutter an den Sohn enthält.

Doch haben sie eine solche Schenkung nicht ausdrücklich vereinbart, sondern auch Gegenleistungen des Beklagten, sodass nach den Vorstellungen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss die Bewertung, ob die Grundstücksübertragung teilweise unentgeltlich im Wege der Schenkung erfolgt, von den wirtschaftlichen Werten der jeweils vereinbarten Leistungen und deren rechtlichen Bewertung abhingen.

2. Nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Beurkundung liegt keine Unentgeltlichkeit vor, weil unter Berücksichtigung des Wohnungsrechts die vom Beklagten zu erbringende Gegenleistung zur Tilgung der Darlehensrestschuld in Höhe von 61.200 € höher ist als der Wert der ideellen Grundstückshälfte, die er von seiner Mutter erhalten hat:

Wert der ideellen Grundstückshälfte 107.000,00 €

Wert des Wohnungsrechts 4.000 € x 13,733 =  54.932,00 €

Differenz 52.068,00 €

Tilgung der Darlehensrestschuld 61.200,00 €

a) Unstreitig hat sich der Beklagte zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet, die Darlehensrestschuld seiner Mutter zu tilgen, die unstreitig 61.200 € betrug (= 50 % von 122.400 €).

b) Der Wert der ideellen Grundstückshälfte, die die Mutter auf den Beklagten übertragen hat, betrug unstreitig 107.000 € (= 50 % von 214.000 €). Dieser Wert ergibt sich aus dem vom Landgericht eingeholten Gutachten, gegen das keine Einwendungen erhoben worden sind. Er weicht nur unwesentlich von dem Wert in Höhe von 215.000 € ab, den die Vertragsparteien aufgrund der damals erfolgten Begutachtung vom 21.11.2011 (Bl. 90 – 94 d. A.) im Vertrag (Bl. 13 und 25 d. A.) erwähnt haben.

c) Diesen Grundstückswert hat der Beklagte nicht unbelastet erhalten, sondern bei Bewertung von Leistung und Gegenleistung ist zu berücksichtigen, dass er und seine Ehefrau sich im Rahmen des Vertrages verpflichtet haben, für die Mutter das o. g. lebenslängliche Wohnungsrecht zu bestellen.

Dieses Wohnungsrecht stammt nicht allein aus der ideellen Eigentumshälfte der Mutter, die ohne Mitwirkung des Eigentümers der anderen ideellen Grundstückshälfte nicht in der Lage gewesen wäre, ein solches Wohnungsrecht zu bestellen. Insoweit ist die Bestellung des Wohnungsrechts durch den Beklagten unter Mitwirkung seiner Ehefrau zumindest teilweise auch eine Gegenleistung. Im Übrigen mindert sich jedenfalls der Wert des von der Mutter übertragenen Grundbesitzes.

d) Dieses Wohnungsrecht ist mit dem Wert zu berücksichtigen, den es bei Beurkundung des Vertrages hatte. Der Grundstücksübertragung gegen Einräumung eines solchen Rechts wohnt ein Risikofaktor für beide Vertragsteile inne. Dieser darf nicht dadurch umgangen werden, dass nachträglich auf die tatsächliche Entwicklung abgestellt wird (Urteil des Senats vom 13. Juni 2002 zu 22 U 104/01, zitiert nach juris, dort Rn. 25 ff.). Es handelte sich um ein Geschäft, das für beide Seiten das Prognoserisiko enthielt, auf welche Dauer das Wohnungsrecht ausgeübt wird. Bei Vertragsschluss war den Vertragsparteien unbekannt, ob die Mutter des Beklagten die Wohnung nur kurzzeitig nutzt oder über einen Zeitraum, der deutlich über ihre statistisch zu erwartende Lebenszeit hinausgeht. Dem Senat erscheint es daher angemessen, im Regelfall auf den statistisch durchschnittlichen Verlauf abzustellen und dafür den Kapitalisierungsfaktor anzuwenden, den die Parteien aufgrund der damaligen Veröffentlichungen zugrunde legen konnten.

e) Der Wert bei der Beurkundung am 4. April 2012 ist mit einem Betrag von 54.932,00 € anzunehmen (= 4.000 € Jahreswert x 13,733).

Der im Vertrag angegebene Jahreswert von 4.000 € ist unstreitig.

Der Kapitalisierungsfaktor für eine 60-jährige Frau betrug damals 13,733 (§ 14 Abs. 1 BewG i. V. m. dem im Internet veröffentlichen Schreiben des BMF vom 8.11.2010 zu IV D 4 – S 3104/09/10001).

3. An der Bewertung des Wohnungsrechts ändert sich nichts dadurch, dass noch im Laufe des Jahres 2013 die 1951 geborene Mutter des Beklagten erkrankte und ab November 2013 bis zu ihrem Tod 2017 durchgehend in einer vollstationären Pflegeeinrichtung untergebracht war, sowie sich an der Bewertung auch nichts ändern würde, wenn die Mutter des Beklagten ihr Wohnungsrecht länger wahrgenommen hätte als statistisch zu erwarten.

Der Auszug der Mutter des Beklagten aus der Wohnung und das sich daraus ergebende vereinbarte Erlöschen des Wohnungsrechts des notariellen Vertrages führt nicht zur Annahme einer gemischten Schenkung. Nach der o. g. Rechtsprechung des Senats (ähnlich OLG Hamburg zu 2 U 11/13 und OLG Köln zu 2 U 19/05) gilt, dass eine Einschränkung vom Grundsatz einer schematisierten Bewertung des Wohnrechts allenfalls dann zuzulassen ist, wenn der Erblasser im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits schwer erkrankt war, mit seinem baldigen Ableben jederzeit gerechnet werden musste, diese Umstände auch beiden Vertragsparteien bewusst waren und der Erblasser tatsächlich kurze Zeit nach Vertragsschluss verstorben ist bzw. sein Wohnrecht nicht mehr wahrnehmen konnte. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, sodass es beim Regelfall der schematisierten Verteilung des Prognoserisikos verbleiben muss.

Auf diese Einschätzung des Senats ist der Kläger bereits durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 8. September 2022 hingewiesen worden.

4. Die darauf erhobenen Einwendungen des Klägers und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20. September 2022 rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Beim Auszug der Mutter im November 2013 ist keine Schenkung zwischen ihr und dem Beklagten zustande gekommen, ein „Verzichtsfall“ liegt nicht vor. Mutter und Sohn haben zu diesem Zeitpunkt keine weitere Vereinbarung geschlossen. Das Erlöschen des Wohnungsrechts ist allein Folge der Vereinbarung, die die Vertragsparteien im beurkundeten Übertragungsvertrag getroffen haben, weil nunmehr das von der Mutter übernommene Risiko eingetreten ist, dass sie das Wohnungsrecht nur bis November 2013 ausüben konnte.

Der Senatsvorsitzende hat den Kläger bereits mit Schreiben vom 14. September 2022 darauf hingewiesen, dass das im Schriftsatz des Klägers vom 13. September 2022 zitierte Urteil des OLG Oldenburg vom 10. November 1998 zu 5 U 91/98 aufgrund der oben genannten Rechtsprechung als überholt anzusehen ist und dass das Urteil des BGH in X ZR 65/17 im entscheidenden Punkt einen abweichenden Sachverhalt zur Grundlage hatte. Dort war es so, dass nachträglich ein ausdrücklicher Verzicht der Grundstücksübertragenden erklärt worden war, zu deren Gunsten 8 Jahre vorher ein lebenslanges Wohnungsrecht eingetragen worden war. Eine solche nachträgliche Vereinbarung ist im vorliegenden Fall nicht getroffen worden.

6. Die Vereinbarung der Parteien dazu, dass das Wohnungsrecht erlischt, wenn die Berechtigte, aus welchen Gründen auch immer, das Wohnungsrecht nicht mehr in Person ausübt, und die Verpflichtung des Beklagten, die ideelle Grundstückshälfte an seine Mutter zu übertragen, wenn einer der im Vertrag genannten Gründe eintritt, rechtfertigt jedenfalls nicht die Feststellung, dass eine gemischte Schenkung bei Beurkundung vorlag. Die Klausel zum Erlöschen bringt nur zum Ausdruck, dass die Mutter nur ein Wohnungsrecht erhält und dieses sich nicht in einen Zahlungs- oder Vermietungsanspruch wandelt, wenn sie auszieht.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10 und § 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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