OLG München – Az.: 34 Wx 331/16 – Beschluss vom 21.10.2016
Auf die Beschwerde des Beteiligten wird die Zwischenverfügung des Amtsgerichts München – Grundbuchamt – vom 16. August 2016 aufgehoben.
Gründe
I.
Im Wohnungsgrundbuch ist seit 1997 die am 16.1.2015 verstorbene Frau Dr. M. H. noch als Eigentümerin eines Miteigentumsanteils verbunden mit dem Sondereigentum an einer Wohnung eingetragen. Am 13.7.2015 hat der Beteiligte, Ehemann der Verstorbenen, Grundbuchberichtigung durch Eigentumsumschreibung auf ihn als Alleineigentümer beantragt. Er hat dazu die notariell beglaubigte Kopie der Eröffnungsniederschrift des Amtsgerichts samt ebenfalls notariell beglaubigter Ablichtungen folgender eröffneter Verfügungen vorgelegt:
a) Gemeinschaftliches notarielles Testament vom 23.11.1973,
b) eigenhändiges Einzeltestament vom 13.3.2001.
Im ersteren setzen sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Erben ein mit der Maßgabe, dass die Ehefrau nach ihrem Ehemann nur – befreite – Vorerbin, hingegen der Ehemann nach der Ehefrau alleiniger und unbeschränkter Erbe ist.
Im eigenhändigen Testament der Erblasserin ist verfügt:
Hiermit setze ich meine Kinder
C. H.
und K. M. F.
als Erben für mein Privatvermögen ein:
Bargeld, …Eigentumswohnungen in M. und B. sowie unser Einfamilienhaus … Das Haus wird unter der Auflage vererbt, …
Dieses Testament betrifft ausschließlich meinen Besitz. Die weitergehenden Bestimmungen des gemeinsamen ehelichen Testamentes werden meinem Ehemann zur Entscheidung überlassen.
Das Grundbuchamt hat die Akten des auswärtigen Nachlassgerichts eingesehen. Die Rechtspflegerin ist der Meinung, es könnten zwischenzeitlich ihr unbekannte Umstände eingetreten sein, aufgrund derer die Wechselbezüglichkeit des notariellen Testaments aufgehoben worden sei, so dass das handschriftliche Testament die Erbfolge festlege. Dem hat der Antragsteller widersprochen und darauf hingewiesen, dass die Wechselbezüglichkeit aus dem notariellen Testament unzweifelhaft ersichtlich sei und sich daraus die Unwirksamkeit der privatschriftlichen Verfügung ergebe. Zudem hätten andere mit der Berichtigung nach dem Erbfall befasste Grundbuchämter ohne Beanstandung die erbetene Eintragung vorgenommen.
Mit Zwischenverfügung vom 16.8.2016 hat das Grundbuchamt schließlich fristsetzend aufgegeben, den zum Erbennachweis aus seiner Sicht notwendigen Erbschein vorzulegen, weil Umstände eingetreten sein könnten, die die Wechselbezüglichkeit nachträglich hätten wegfallen lassen und die die unbeschränkte Testierfähigkeit der Erblasserin wiederhergestellt hätten.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des notariell vertretenen Beteiligten vom 30.8.2016, der das Grundbuchamt nicht abgeholfen hat. Der Beteiligte beruft sich darauf, dass die in keiner Weise begründete und an irgendwelche Indizien oder Anhaltspunkte geknüpfte allgemeine abstrakte „Sorge“ des Grundbuchamts, gleichwohl könne es etwas geben, was zum Wegfall der Wechselbezüglichkeit der Anordnungen aus dem notariellen Testament geführt haben könnte, nicht geeignet sei, die beantragte Grundbuchberichtigung zu verweigern. Bestehe kein Anlass zu Zweifeln an der durch die notarielle Urkunde begründeten Erbfolge, müsse das Grundbuchamt diese als gegeben unterstellen. Insbesondere dürfe ein in den Nachlassakten befindliches späteres, wegen Verstoßes gegen die angeordnete Wechselbezüglichkeit unwirksames Testament dem dann nicht entgegenstehen.
Zudem hätten sämtliche in Betracht kommenden Erbinnen und Erben einschließlich der Personen, die ansonsten durch das unwirksame privatschriftliche Testament begünstigt worden wären, zu notariellem Protokoll sinngemäß erklärt, dass sie von der Wirksamkeit des gemeinschaftlichen öffentlichen Testaments und damit von der Unwirksamkeit der späteren einseitigen Verfügung ausgingen. Das schließe mit ein, dass es jedenfalls nach deren Kenntnis wie nach Kenntnis des Beschwerdeführers keine sonstigen letztwilligen Verfügungen, Maßnahmen oder Erklärungen der Erblasserin gegeben habe, aufgrund derer das einseitige Testament vielleicht doch wirksam sein könnte.
Der Senat hat die einschlägigen Nachlassakten des auswärtigen Amtsgerichts beigezogen.
II.
Die Beschwerde des notariell vertretenen Beteiligten gegen die nach § 18 Abs. 1 GBO ergangene Zwischenverfügung des Grundbuchamts, welche zur Grundbuchberichtigung nach § 22 GBO fristsetzend die Vorlage eines Erbscheins aufgibt, ist statthaft (§ 11 Abs. 1 RPflG, § 71 Abs. 1 GBO), auch im Übrigen zulässig (§ 73 GBO; § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 FamFG) und begründet.
1. Liegt neben der Eröffnungsniederschrift eine Verfügung von Todes wegen in formgültiger öffentlicher Urkunde vor, reicht dies im Allgemeinen zum Nachweis der Erbfolge aus (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GBO; Demharter GBO 30. Aufl. § 35 Rn. 31; Böhringer ZEV 2001, 387; Senat vom 7.3.2016, 34 Wx 32/16; vom 22.3.2016, 34 Wx 393/15, vom 4.8.2016, 34 Wx 139/16, alle juris). Es steht auch bei schwieriger Rechtslage nicht im Belieben des Grundbuchamts, anstelle der öffentlichen Urkunde einen Erbschein zu verlangen (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 letzter Halbs. GBO; BayObLG Rpfleger 2000, 266; OLG Köln Rpfleger 2000, 157; Demharter § 35 Rn. 39). Vielmehr hat das Grundbuchamt selbständig zu prüfen und auszulegen (vgl. § 133 BGB), hat gesetzliche Auslegungsregeln, sofern auch das Nachlassgericht voraussichtlich darauf zurückgreifen würde, ferner allgemein bekannte und offenkundige Tatsachen zu berücksichtigen (Demharter § 35 Rn. 42 m. w. N.).
2. Bei Konkurrenz zwischen einem öffentlichen Testament und einer später errichteten eigenhändigen Verfügung von Todes wegen kann das Grundbuchamt nach herrschender Ansicht regelmäßig bereits dann auf der Vorlage eines Erbscheins bestehen, wenn das eigenhändige Testament nicht offenbar ungültig, widerrufen oder für die Erbfolge bedeutungslos ist (OLG Frankfurt NJW-RR 2005, 380/381; OLG Hamm Rpfleger 2013, 23; Hügel/Wilsch GBO 3. Aufl. § 35 Rn. 122; siehe auch Senat vom 7.3.2016). Denn das Grundbuchamt ist nur in der Lage zu prüfen, ob das privatschriftliche Testament geeignet ist, die in der öffentlichen Urkunde getroffene Erbfolgeanordnung zu modifizieren oder zu beseitigen (Schaub in Bauer/von Oefele GBO 3. Aufl. § 35 Rn. 157). Das bedeutet, dass bei einer späteren (§ 2247 Abs. 2 BGB) eigenhändigen Verfügung das frühere öffentliche Testament als Grundlage nur ausreicht, wenn das eigenhändige Testament ersichtlich unwirksam ist oder die Erbfolge aus anderen Gründen nicht auf dieser Verfügung beruhen kann (BayObLG Rpfleger 1983, 18; Schaub in Bauer/von Oefele § 35 Rn. 161 und 162).
a) Formal sind keine Gründe ersichtlich, die gegen die Wirksamkeit der privatschriftlichen Verfügung vom 13.3.2001 sprächen (vgl. § 2247 Abs. 1 bis 3 BGB). Ersichtlich ist deren Inhalt allerdings nicht mit den Verfügungen im Ehegattentestament in Einklang zu bringen. Während in dem letztgenannten die Ehefrau den Ehemann zum Alleinerben einsetzt, verfügt sie im handschriftlichen Testament die Erbeinsetzung (“mein Privatvermögen“) ihrer beiden Kinder und verdeutlicht mit der Aufzählung besonders hervorgehobener Vermögensgegenstände – u. a. der wohl gegenständlichen Eigentumswohnung in M. -, dass diese vom Erbe umfasst sind und „dieses“ – d. h. das spätere eigenhändige – Testament dem Ehegattentestament vorgehen solle, womit das frühere Testament insoweit widerrufen wäre (vgl. § 2258 Abs. 1 BGB).
b) Das eigenhändige Testament ist indessen offensichtlich unwirksam, weil es gegen die vom gemeinschaftlichen öffentlichen Testament ausgehende Bindungswirkung dort getroffener wechselbezüglicher Verfügungen verstößt (§§ 2270, 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB) und das Recht des eingesetzten Erben beeinträchtigen würde (vgl. § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB).
aa) Die jeweilige Erbeinsetzung der Ehegatten in der letztwilligen Verfügung vom 23.11.1973 kann als gegenseitiges Bedenken wechselbezüglich, nämlich deshalb getroffen worden sein, weil auch der andere Ehegatte entsprechend verfügt hat (MüKo/Musielak BGB 6. Aufl. § 2270 Rn. 10; vgl. OLG Hamm FamRZ 2001, 581/582). Dabei genügt jede Art der Erbeinsetzung, also auch die Einsetzung zum Miterben, Ersatzerben, Vorerben oder Nacherben (Litzenburger in Bamberger/Roth BGB 3. Aufl. § 2270 Rn. 15).
bb) Allerdings geht der in diesem Fall einschlägigen Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 (1. Alt.) BGB systematisch die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments vor mit dem Ziel, den wirklichen übereinstimmenden Willen der Ehegatten zu erforschen (z. B. OLG Hamm FamRZ 2001, 581/582). Denn die Auslegungsregel gilt nur „im Zweifel“ (vgl. Meikel/Krause GBO 11. Aufl. § 35 Rn. 119 f. m. w. N.). Eine abweichende Auslegung zur Wechselbezüglichkeit auch bei Verfügungen, mit denen sich Eheleute gegenseitig bedenken, kommt beispielsweise in Betracht, wenn diese nicht gleichlautend formuliert sind (OLG Zweibrücken FGPrax 2003, 274). So springt im gegebenen Fall der Umstand der „Disparität“ ins Auge, nämlich dass der Beteiligte im Ehegattentestament zum Alleinerben bestimmt und in der Einsetzung des Schlusserben unbeschränkt ist, während die Erblasserin ihrerseits „nur“ Vorerbin wäre und der Nacherbfall schon zu deren Lebzeiten eintreten kann.
cc) Auch unter Berücksichtigung der Nachlassakten sind jedoch keinerlei geeignete Anhaltspunkte ersichtlich, die weitere Ermittlungsansätze zur Klärung der Wechselbezüglichkeit erkennen lassen und die nur vom Nachlassgericht geführt werden könnten.
So versteht der Beteiligte zu 1 als überlebender Ehegatte das notarielle Testament als wechselbezüglich. Das ergibt sich aus der urkundlichen Niederschrift vom 21.6.2015, die zum Zweck der erbrechtlichen Abwicklung zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten erstellt wurde. Aus der Niederschrift ergibt sich auch, dass Personen, die durch das handschriftliche Testament begünstigt würden, die Wechselbezüglichkeit der früheren Verfügung ebenso wie der Beteiligte für gegeben erachten. Es ist nicht anzunehmen, dass der die letztwillige Verfügung vom 23.11.1973 beurkundende Notar – sofern er überhaupt zur Verfügung stünde – nach einem Zeitraum von über 40 Jahren zur Sachaufklärung noch beitragen könnte (vgl. OLG Köln Rpfleger 2000, 157/158; OLG Schleswig Rpfleger 2006, 643/644). Das eigenhändige Testament der Erblasserin vom 13.3.2001 lässt zwar erkennen, dass diese sich ebenso wie ihren Ehemann durch das gemeinschaftliche Testament nicht gebunden sah (“Dieses Testament betrifft ausschließlich meinen Besitz. Die weitergehenden Bestimmungen des gemeinsamen ehel. Testamentes werden meinem Ehemann zur Entscheidung überlassen“). Daraus rechtfertigt sich aber nicht schon der Schluss, dass der gegenseitigen Erbeinsetzung im notariellen Testament die Wechselbezüglichkeit fehlt. Genauso gut denkbar, wenn nicht näher liegend, ist ein einseitiger – formungültiger – Widerruf durch das handschriftliche Testament. Auch wenn der Grund für die „disparitätische“ Erbeinsetzung in damals objektiv gegebenen unterschiedlichen Vermögensverhältnissen der Eheleute zu suchen wäre, schließt dies nicht schon die Wechselbezüglichkeit aus (BGH NJW-RR 2012, 207 Rn. 8 und 9).
Demnach würde auch im Fall eines Erbscheinsantrags das Nachlassgericht auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB zurückgreifen und demzufolge die Wechselbezüglichkeit bejahen.
c) Soweit das Grundbuchamt seine Bedenken nicht auf die fehlende Wechselbezüglichkeit als solche, sondern darauf stützt, dass zwischenzeitlich Umstände eingetreten sein könnten, die die Wechselbezüglichkeit wieder hätten entfallen lassen, fehlen tatsächliche Anhaltspunkte für eine derartige Annahme.
Bei letztwilligen Verfügungen besteht praktisch stets ein Risiko, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Wegfall gekommen sein könnten. Ohne Mitwirkung des anderen Ehegatten hätte es hier aber der Form des Rücktritts nach der für den Erbvertrag geltenden Vorschrift des § 2296 BGB bedurft (§ 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB), wofür nichts spricht. Einseitig durch neue Verfügung von Todes wegen konnte die Erblasserin die wechselbezügliche Erbeinsetzung aber nicht wirksam widerrufen (§ 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB). Allein die abstrakte Möglichkeit, dass sie auch formell gültig durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber dem anderen Ehegatten (§ 2271 Abs. 1 Satz 1, § 2296 Abs. 2 BGB) widerrufen hat, rechtfertigt nicht das Verlangen nach einem Erbschein (OLG Frankfurt FGPrax 1998, 207; Demharter § 35 Rn. 39).
III.
Eine Kostenentscheidung ist ebensowenig veranlasst wie eine Festsetzung des Geschäftswerts.