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Vor- und Nacherbschaft – Löschung Nacherbenvermerk ohne Ersatzerbenzustimmung

OLG Hamm – Az.: I-15 W 594/15 – Beschluss vom 13.05.2016

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Grundbuchamt wird angewiesen, die in den vorgenannten Grundbüchern eingetragenen Nacherbenvermerke zu löschen.

Gründe

I.)

Die Beteiligten zu 1) und 2) sind eingetragene Miteigentümerinnen der im Rubrum näher bezeichneten Grundstücke. In Abt. II der Grundbücher ist jeweils ein Nacherbenvermerk eingetragen, der wie folgt lautet:

„I …, und J …, sind Vorerben.

Die Nacherbfolge tritt bei Tod der Vorerben ein. Nacherben sind:

a) D …,

b) B,

Ersatznacherben sind deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge, ersatzweise der überlebende Nacherbe.“

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben mit den Nacherben, den Beteiligten zu 3) und 4), hinsichtlich des o.a. Grundbesitzes eine notariell beurkundete Vereinbarung geschlossen, die in den wesentlichen Passagen wie folgt lautet:

„Um den Vorerben eine uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit über den vorbezeichneten Grundbesitz einzuräumen, verzichten … -die Beteiligten zu 3) und 4)- auf ihr Nacherben und Ersatznacherbenrecht … bezüglich des vorbezeichneten in § 2 aufgeführten Grundbesitzes.

… – die Beteiligte zu 1) und die Beteiligte zu 2) nehmen diesen Verzicht an. Die Grundstücke scheiden damit aus dem Nachlass aus und werden von der Nacherbeneinsetzung nicht erfasst.

Die Beteiligten zu 3) und 4) bewilligen und die Beteiligten zu 1) und 2) beantragen die Löschung des Nacherbenvermerks in den Grundbüchern …“

Eine Ausfertigung der Urkunde ist dem Grundbuchamt mit dem Antrag auf Löschung der Nacherbenvermerke vorgelegt worden. Das Grundbuchamt hat -nach vorherigem Hinweis auf die Notwendigkeit der Zustimmung der Ersatznacherben- den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 2) mit der Beschwerde.

II.)

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Richtig ist allerdings zunächst der Ausgangspunkt des Grundbuchamtes, dass nämlich die Löschung des Nacherbenvermerks nur in Betracht kommt, wenn entweder die Löschungsbewilligung aller potentiell Betroffenen (§ 19 GBO) vorgelegt oder die Unrichtigkeit des Grundbuchs nachgewiesen wird (§ 22 GBO). Richtig ist weiter, dass zu den Betroffenen im Sinne des § 19 GBO auch die Ersatznacherben gehören (OLG Düsseldorf NJOZ 2014, 1735f; Bauer/v.Oefele/Schaub, GBO, 3.Aufl. § 51 Rdn.116). Da von diesen hier keine Löschungsbewilligungen beigebracht worden sind, ist die Löschung des Nacherbenvermerks auf diesem Wege nicht möglich.

Hingegen ist nach Auffassung des Senats die Unrichtigkeit des Grundbuchs im Hinblick auf den Nacherbenvermerk nachgewiesen. Der Senat teilt insoweit zwar die Auffassung, dass vorliegend keine Verfügung der Vorerbinnen über das Grundstück im Sinne des § 2113 BGB vorliegt, bei welcher nach allgemeiner Auffassung allein die Zustimmung des Nacherben, nicht hingegen zusätzlich auch die eines Ersatznacherben, erforderlich ist, um die Verfügungsbeschränkung durch die Nacherbfolge für das Grundstück aufzuheben (aus jüngerer Zeit vgl. OLG München ZEV 2012, 674; ZEV 2015, 347f). Nicht zu teilen vermag der Senat hingegen die Annahme des Grundbuchamtes, dass dies der einzige Weg ist, auf dem ein Nachlassgegenstand ohne Mitwirkung des/der Ersatznacherben durch ein Ausscheiden aus dem Nachlass von der Verfügungsbeschränkung der Nacherbfolge frei werden kann.

In der jüngeren Rechtsprechung und Literatur besteht weitgehende Einigkeit, dass dem Vor- und dem Nacherben hinsichtlich einzelner Nachlassgegenstände eine solche rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht (ohne Mitwirkung eines Ersatznacherben) einzuräumen ist (vgl. BGH NJW-RR 2001, 217f; BayObLG NJW-RR 2005, 956f; OLG Köln BeckRS 2011, 10906; Palandt/Weidlich, BGB, 75.Aufl., § 2100 Rdn.18; Burandt/Rojahn/Lang, ErbR, 2.Aufl., § 2102 BGB Rdn.20; Hügel/Zeiser, GBO, 26.Ed., § 51 Rdn.107f; sehr grundlegend Keim DNotZ 2003, 822,ff; Hartmann ZEV 2009, 107ff; Heskamp RNotZ 2014, 517ff). Dies entspricht auch der Auffassung des Senats.

§ 2113 BGB kann, wie bereits das Reichsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 08.11.1934 (RGZ 145, 316ff) ausgeführt hat, nur im Zusammenhang mit § 2120 BGB richtig eingeordnet werden. Das heißt aus Sicht des Senats, dass der Schutz des Nacherben uneingeschränkt seiner rechtsgeschäftlichen Disposition unterliegt. Denn die Regelung des § 2120 BGB begründet nicht erst eine (auf Verfügungen des Vorerben beschränkte) Rechtsmacht des Nacherben, sie setzt diese vielmehr voraus. Auch ein sachlicher Grund, diese Dispositionsbefugnis auf die Zustimmung zu Verfügungen des Vorerben zugunsten eines Dritten zu beschränken, ist nicht erkennbar.

Soweit an dieser Stelle der Schutz eines Ersatznacherben in Betracht genommen ist, ist dies nach Auffassung des Senats schon im Ansatz verfehlt. Das Reichsgericht hat hierzu in seiner vorgenannten Entscheidung – ebenso plastisch, wie überzeugend – ausgeführt, dass das Gesetz den Geltungsgrund für die gestufte Erbfolge und die hiermit verbundene Beschränkung des Vorerben allein in der Anordnung des Erblassers sieht. Aus dessen Sicht sei der Ersatznacherbe jedoch kein (künftig) Berechtigter, sondern lediglich ein Ersatz für den primär bestimmten Nacherben. Soweit das Gesetz also im Interesse des Erblasserwillens den Nacherben schützt und ihm aber auch die rechtliche Befugnis zugesteht, sich dieses Schutzes zu begeben, ist hiermit immer nur der aktuelle Nacherbe angesprochen.

Auch aus dem Erblasserwillen lässt sich keine Beschränkung der Dispositionsbefugnis des Nacherben herleiten. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Erblasser es bei seiner Nachlassgestaltung durchaus in der Hand hat, die Position des Ersatzerben stärker auszugestalten, wenn es ihm denn um mehr als die Vorsorge gegen einen möglichen Wegfall des (ersten) Nacherben geht, z.B. indem er den Ersatznacherben zugleich zum bedingten Nach-Nacherben einsetzt. Davon abgesehen gilt allerdings auch, dass das Gesetz eine Durchsetzung des Erblasserwillens gegen den übereinstimmenden Willen der Lebenden nicht vorsieht (vgl. im Einzelnen Keim a.a.O. S.830).

Kann nach alledem davon ausgegangen werden, dass die Bindung des Vorerben hinsichtlich der einzelnen Nachlassgegenstände grundsätzlich einer rechtsgeschäftlichen Befreiung durch den Nacherben zugänglich ist, so besteht doch keine Klarheit bzw. Einigkeit hinsichtlich der dogmatischen Einordnung eines solchen Rechtsgeschäfts und damit hinsichtlich der Wirksamkeitsvoraussetzungen. Der Bundesgerichtshof (a.a.O.) hat in einem obiter dictum die Möglichkeit einer Auseinandersetzung zwischen Vor- und Nacherben grundsätzlich anerkannt, sich zu deren rechtlicher Ausgestaltung, insbesondere in dinglicher Hinsicht, jedoch nicht geäußert. Das OLG Köln musste die Frage der rechtlichen Konstruktion nicht beantworten und hat diese letztlich offen gelassen.

Der Ansatz des BayObLG (a.a.O.), den Vorgang als Verfügung über den Nachlassgegenstand selbst, bei einem Grundstück also als Auflassung (§§ 873, 925 BGB), einzuordnen, ist aus Sicht des Senats dogmatisch nicht tragfähig. Mit dem Eintritt des Erbfalls wird der Vorerbe Volleigentümer bzw. Vollberechtigter der Nachlassgegenstände, Mitvorerben in der gesamthänderischen Bindung der Erbengemeinschaft. Wenn in diesem Zusammenhang häufig von dem Nachlass als einem Sondervermögen des Vorerben gesprochen wird, so macht sich dies nicht an der sachenrechtlichen Zuordnung der Gegenstände (zum Rechtsträger), sondern allein an der (bedingten) Verfügungsbeschränkung fest. Ein Rechtsgeschäft, dass diese sachenrechtliche Zuordnung, wie im vorliegenden Fall, nicht verändern soll, kann dementsprechend nie eine Verfügung über den Nachlassgegenstand im Sinne seiner dinglichen Zuordnung, sondern nur ein rechtliches Einwirken auf die Verfügungsbeschränkung sein (mit ähnlichen Bedenken auch OLG Köln a.a.O.).

Der Senat neigt dazu, sich der Auffassung von Keim, Hartmann und Heskamp (jeweils a.a.O.) anzuschließen, wonach ein solches Rechtsgeschäft als Freigabe analog zu den entsprechenden Handlungsmöglichkeiten des Testamentsvollstreckers (§ 2217 BGB) und des Insolvenzverwalters (§ 32 Abs. 3 InsO) zu verstehen ist. Die genannten Autoren haben aus Sicht des Senats überzeugend nachgewiesen, dass die zweifellos bestehenden Unterschiede kein hinreichender Grund sind, von einer solchen Analogie Abstand zu nehmen.

Da die wesentliche Erkenntnis aus einer solchen Analogie jedoch darin besteht, dass das Gesetz die Entlassung von einzelnen Vermögensgegenständen aus einem durch Verfügungsbeschränkungen gebundenen Sondervermögen durchaus kennt, hat der Senat Bedenken, auch die Form des Rechtsgeschäfts aus der Analogie abzuleiten. Richtig ist, dass die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ist, deren Wirkungen nicht an das Einvernehmen mit dem Schuldner geknüpft sind. Fraglich ist jedoch, ob dies auf die Freigabe eines Gegenstandes aus dem Nachlass übertragen lässt, bei welcher die Interessenlage der Beteiligten deutlich abweicht.

Für die Notwendigkeit einer Mitwirkung des Vorerben spricht zunächst, dass die Vorerbschaft auch im Interesse des Vorerben angeordnet sein kann (vgl. hierzu Heskamp a.a.O. S.522). Weiter kann gerade bei der Freigabe von Grundstücken die Frage nach der Haftung für Verbindlichkeiten aufkommen, die an diesen Grundstücken dinglich gesichert worden sind, (vgl. hierzu Hartmann a.a.O. S.112). Letztlich kann die Frage, ob die Freigabe ein vertragliches Zusammenwirken von Vor- und Nacherbe erfordert, jedoch dahinstehen, da vorliegend eine allseitige Vereinbarung beurkundet worden ist, die nach dem oben Gesagten den Wegfall der Nacherbenbindung an den betroffenen Grundstücken bewirkt, gleich welcher Sichtweise man sich in der letztgenannten Frage anschließt.

 

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