OLG Stuttgart – Az.: 17 UF 87/18 – Beschluss vom 15.01.2019
I. Auf die Beschwerde der Annehmenden wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Stuttgart vom 01.03.2018, Az. 21 F 1209/17, abgeändert.
1. Frau C…, geboren am … 1990 in …, Rumänien, Staatsangehörigkeit: Deutsch, wohnhaft …
– Anzunehmende –
wird von Frau S…, geboren am … 1960 in …, Rumänien, Staatsangehörigkeit: deutsch, wohnhaft …
– Annehmende –
als Kind angenommen.
2. Die Wirkungen der Annahme richten sich nach § 1770 BGB.
3. Frau C… erhält als Geburtsnamen den Familiennamen „…“.
4. Die Kosten des ersten Rechtszugs tragen die Annehmende und die Anzunehmende zu gleichen Teilen.
5. Der Verfahrenswert wird auf 186.000,00 EUR festgesetzt.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Annehmende und die Anzunehmende zu gleichen Teilen.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 186.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Annehmende und die Anzunehmende, beides deutsche Staatsangehörige, begehren den Ausspruch einer Volljährigenadoption.
1.
a)
Die am … 1960 geborene, ledige und kinderlose Annehmende ist die Schwester des Vaters der am … 1990 geborenen, ledigen Anzunehmenden und damit deren Tante. Sie ist von Beruf Professorin.
Die Anzunehmende hat eine am … 2016 geborene Tochter. Sie ist Studentin; sie führt einen eigenen Haushalt.
Die Annehmende und die Anzunehmende haben mit notariell beurkundetem Antrag vom 20.06.2017, der am 10.07.2017 beim Amtsgericht Stuttgart eingegangen ist, die Annahme der Anzunehmenden als Kind der Annehmenden beantragt. Sie haben beide beantragt, mit dem Ausspruch zu bestimmen, dass die Wirkungen der Annahme sich nach den Vorschriften über die Annahme eines Volljährigen (§§ 1767 ff. BGB) richten. Die Anzunehmende solle als Geburtsnamen den Familiennamen „…“ erhalten und diesen zukünftig führen.
Zur Begründung ihres Antrags haben die Annehmende und die Anzunehmende angegeben, dass zwischen ihnen ein Eltern-Kind-Verhältnis bestehe. Seit früher Kindheit der Anzunehmenden bestehe ein sehr enger Kontakt zwischen beiden. Die Anzunehmende habe sich ungefähr ab dem Jahr 2004 auch oft im Haushalt der Annehmenden aufgehalten. Die Annehmende habe die Anzunehmende bei den Hausaufgaben und später bei Arbeiten für das Studium unterstützt. Die Anzunehmende habe auch einen eigenen Schlüssel zur Wohnung der Annehmenden. Die Annehmende habe die Anzunehmende auch in einer schweren persönlichen Lage unterstützt, als im Jahr 2015 der Bruder der Anzunehmenden Suizid begangen habe. Während die Eltern der Anzunehmenden damals kaum in der Lage gewesen seien, die schwierige Situation zu meistern, habe die Anzunehmende Halt bei der Annehmenden, die sich auch um die Formalitäten gekümmert habe, gefunden. Auch als die Anzunehmende im Jahr 2015 schwanger geworden sei, habe die Annehmende sie in dieser Lebenssituation unterstützt. Gemeinsam mit den Eltern der Anzunehmenden habe die Annehmende dafür gesorgt, dass die Anzunehmende trotz Kleinkind habe studieren können. Die Mutter der Anzunehmenden habe die Betreuung des Kindes übernommen, während die Annehmende Hilfe zum Studium geleistet habe. Weiter haben die Annehmende und die Anzunehmende auch schon mehrfach gemeinsame Urlaube im Ausland verbracht. Auch finanziell habe die Annehmende die Anzunehmende unterstützt. So habe sie ihr ein Fahrzeug nach Erwerb des Führerscheins zukommen lassen und einen Teil der Wohnung der Anzunehmenden finanziert.
Die Anzunehmende hat angegeben, dass sie der Annehmenden zurückgeben möchte, was sie von dieser an Fürsorge erhalten habe. Sie sei dazu bereit, sich um diese zu kümmern, sofern dies erforderlich werden sollte.
Die Anzunehmende ist im elterlichen Haushalt aufgewachsen, den sie im Alter von 16 Jahren verlassen hat. Sie hat nach eigenen Angaben eine intakte Beziehung zu ihren leiblichen Eltern.
Die Eltern der Anzunehmenden haben mit notariell beurkundeter Erklärung vom 20.06.2017 in die beantragte Annahme als Kind ausdrücklich eingewilligt.
b)
Das Amtsgericht hat die beiden Beteiligten persönlich angehört.
Mit Beschluss vom 01.03.2018 hat das Amtsgericht Stuttgart den Adoptionsantrag zurückgewiesen.
Das Amtsgericht ging davon aus, dass die geplante Volljährigenadoption sittlich nicht gerechtfertigt sei (§ 1767 BGB). Es bestünden Zweifel daran, dass zwischen den Beteiligten bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden sei bzw. in der Zukunft noch entstehen werde. Zwischen den Beteiligten bestehe eine sehr gute verwandtschaftliche Bindung, die jedoch nicht die Qualität eines Eltern-Kind-Verhältnisses besitze, sondern ein Tante-Nichte-Verhältnis bleibe. Gegen das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses spreche als Indiz insbesondere bereits die ungestörte, intakte Beziehung der Anzunehmenden zu ihren leiblichen Eltern. Auch wenn rechtlich gesehen bei einer Volljährigenadoption dem Anzunehmenden seine leiblichen Eltern erhalten bleiben, sei das Hinzutreten eines weiteren Elternteils in der persönlichen Beziehungsebene angesichts der langen natürlichen Eltern-Kind-Beziehung nicht angemessen. Darüber hinaus ging das Amtsgericht davon aus, dass das Motiv für die Adoption überwiegend auf wirtschaftlichen Erwägungen, insbesondere steuerrechtlicher Art (Schenkungssteuer) beruhe.
2.
Gegen den ihr am 03.04.2018 zugestellten Beschluss legte die Annehmende mit am 02.05.2018 beim Amtsgericht Stuttgart eingegangenem Schriftsatz Beschwerde ein.
Sie betont, dass die Anzunehmende sich in der Jugendzeit auch vor dem Auszug aus dem Elternhaus fast täglich im Haushalt der Annehmenden aufgehalten, die sie bei den Hausaufgaben unterstützt habe. Den Eltern der Anzunehmenden sei eine entsprechende Unterstützung nicht möglich gewesen. Die Annehmende habe die Anzunehmende auch intensiv akademisch unterstützt, als sie vier Wochen vor ihrem Abitur ihre Tochter bekommen habe. Auch diese Unterstützung hätten die Eltern nicht leisten können. Weiter habe die Annehmende die Anzunehmende in schwierigen familiären Situationen, so nach dem Tod der Großmutter der Anzunehmenden und nach dem Tod des Bruders der Anzunehmenden unterstützt, als die Eltern der Anzunehmenden mit dieser Situation überfordert gewesen seien. Die Annehmende habe somit seit der frühen Kindheit der Anzunehmenden einen erheblichen Anteil der elterlichen Aufgaben übernommen und habe sich nicht nur um die Erziehung und Förderung des schulischen und beruflichen Werdegangs, sondern auch um die Unterstützung in allen Lebenslagen gekümmert.
Die Anzunehmende habe zwar durchgängig Kontakt zu ihren Eltern gehabt und habe solchen auch heute noch, die Anzunehmende habe jedoch wesentliche Teile der Erziehung der Anzunehmenden übernommen. Das Verhältnis zwischen der Annehmenden und Anzunehmenden entspreche einem Mutter-Kind-Verhältnis.
Zwar sei es richtig, dass der steuerliche Freibetrag zwischen der Anzunehmenden und der Annehmenden ausgereizt sei. Dass das Motiv für die Adoption überwiegend auf wirtschaftlichen Interessen beruhe, sei jedoch unzutreffend. Die Annehmende unterstütze auch weitere Mitglieder der Familie, so die Kinder des verstorbenen Bruders der Annehmenden. Hier stehe eine Adoption nicht im Raum, da eine entsprechende Beziehung zu diesen Personen nicht in vergleichbarer Weise wie zu der Anzunehmenden bestehe.
Im Ergebnis sei die beabsichtigte Adoption sittlich gerechtfertigt, da zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits bestehe und zu erwarten sei, dass dieses weitergelebt werde. Tatsächlich gehe das Verhältnis zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden weit über ein Verhältnis zwischen einer Tante und einer Nichte hinaus.
Das Verhältnis der Anzunehmenden zu ihren leiblichen Eltern stehe der beantragten Adoption nicht entgegen. Die Annehmende sei die erste Bezugsperson in der Familie für die Anzunehmende. Die Beziehung der Anzunehmenden zu ihren leiblichen Eltern sei nicht derart ungestört, dass dies einer Adoption entgegenstehen könnte. Zu berücksichtigen sei auch, dass die leiblichen Eltern der Anzunehmenden mit der Adoption im konkreten Fall einverstanden seien.
Die Annehmende beantragt:
1.
Der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Stuttgart vom 01.03.2018, Az. 21 F 1209/17, wird aufgehoben.
2.
Auf Antrag der Annehmenden und Anzunehmenden vom 20.06.2017 wird die Annahme der Anzunehmenden wie folgt ausgesprochen:
Die am … 1990 in … (Rumänien) geborene Frau C…, Staatsangehörigkeit: deutsch, …, wird von der am … 1960 in … (Rumänien) geborenen Frau S…, Staatsangehörigkeit: deutsch, … , als Kind angenommen.
3.
Mit dem Ausspruch der Annahme als Kind wird bestimmt, dass die Wirkungen der Annahme sich nach den Vorschriften über die Annahme eines Volljährigen (§§ 1767 ff. BGB) richten.
4.
Frau C… erhält als Geburtsnamen den Familiennamen „…“ und wird diesen zukünftig führen.
II.
1.
Die Beschwerde der Annehmenden ist statthaft gemäß § 58 Abs. 1 FamFG. Sie ist auch im Übrigen in zulässiger Weise, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 63, 64 FamFG) eingelegt.
2.
Die Beschwerde ist begründet.
a)
Gemäß § 1767 Abs. 1 BGB kann ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist.
Besteht zwischen Annehmendem und Anzunehmendem bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis, so ist unwiderleglich vom Vorliegen sittlicher Rechtfertigung auszugehen und durch Ausspruch der Annahme das bislang nur faktische Eltern-Kind-Verhältnis rechtlich zu flankieren. Dabei ist es unerheblich, aus welchen Motiven die Beteiligten diese rechtliche Flankierung anstreben; in diesem Fall des Bestehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses dürfen auch rein wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen (BeckOGK/Löhnig BGB, Stand: 15.12.2018, § 1767 Rn. 10; MüKoBGB/Maurer BGB, 7. Aufl. 2017, § 1767 Rn. 25; Saar in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1767 BGB, Rn. 7; Staudinger/Rainer Frank (2007) BGB § 1767, Rn. 20; OLG Schleswig, BeckRS 2009, 86165).
Sittlich gerechtfertigt ist die Annahme gemäß § 1767 Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB auch dann, wenn zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis entstehen wird. Die Motivation muss in diesem Fall vorrangig familienbezogen sein, während wirtschaftliche Motive keine prägende Rolle spielen dürfen (BeckOGK/Löhnig BGB § 1767 Rn. 18; MüKoBGB/Maurer BGB, 7. Aufl. 2017, § 1767 Rn. 26).
b)
Ein Eltern-Kind-Verhältnis ist entstanden, wenn zwischen Annehmendem und Anzunehmendem eine dauerhafte seelisch-geistige Bindung im Sinne einer natürlichen Eltern-Kind-Beziehung besteht. Alle für und gegen die Annahme einer Eltern-Kind-Beziehung sprechenden Umstände sind in eine Einzelfallbetrachtung einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen.
Die für die Entstehung einer Eltern-Kind-Beziehung sprechenden Umstände müssen die dagegen sprechenden deutlich überwiegen. Begründete Zweifel gehen zu Lasten der Betroffenen und führen zur Abweisung des Adoptionsantrags (MüKoBGB/Maurer, 7. Aufl. 2017, BGB, § 1767 Rn. 21; BeckOK BGB/Pöcker, 48. Ed. 1.11.2018, BGB § 1767 Rn. 9).
Von einem Eltern-Kind-Verhältnis kann ausgegangen werden, wenn die zwischen den Beteiligten entstandene Beziehung dem Verhältnis zwischen volljährigen Kindern und ihren leiblichen Eltern entspricht. Dieses Verhältnis ist naturgemäß anders geartet als bei minderjährigen Kindern, deren Beziehung zu ihren Eltern vorwiegend durch Betreuung, Schutz und Erziehung des Kindes geprägt ist. Für die Annahme einer Eltern-Kind-Beziehung sind Gemeinsamkeiten, familiäre Bindungen und innere Zuwendung erforderlich, wie sie zwischen Eltern und erwachsenen Kindern typischerweise vorliegen, insbesondere ein enger persönlicher Kontakt und die Bereitschaft zu dauerhaftem gegenseitigem Beistand, ggfs. in Verbindung mit wirtschaftlicher Hilfe. Es muss sich um ein solches Maß an innerer Verbundenheit zwischen den Beteiligten handeln, dass sich die Beziehung klar von einer guten Bekanntschaft oder engen Freundschaft abhebt und in die Nähe einer echten, gelebten Beziehung zwischen einem Elternteil und dessen erwachsenem Kind rückt. Anhaltspunkte sind insoweit auch eine Integration in das familiäre Beziehungsgeflecht, ein gewachsenes, gegenseitiges Grundvertrauen, in dem sich die Beteiligten wechselseitig aussprechen oder in die Entscheidungsfindung in wichtigen Angelegenheiten in angemessener Weise einbeziehen (OLG Braunschweig, FamRZ 2017, 1240; KG FamRZ 2014, 225; MüKoBGB/Maurer, 7. Aufl. 2017, BGB § 1767 Rn. 19).
Es ist keine häusliche Gemeinschaft erforderlich, da eine solche auch bei natürlichen Eltern-Kind-Verhältnissen nach Erreichen der Volljährigkeit mit zunehmendem Alter der Kinder in der Regel nicht mehr vorliegt (BeckOGK/Löhnig BGB § 1767 Rn. 15).
c)
aa)
Gemessen an den vorstehenden Kriterien hat der Senat keinen Zweifel daran, dass zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist.
Dies ergibt sich aus den schriftlichen und bei ihrer Anhörung geäußerten Angaben der Annehmenden und der Anzunehmenden, von denen auszugehen ist, nachdem Zweifel an der Richtigkeit der Erklärungen nicht erkennbar sind.
Zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden besteht ein enges Verhältnis bereits seit der Kindheit der Anzunehmenden. Indem die Annehmende die Anzunehmende bei den Hausaufgaben oder später bei Arbeiten für das Studium intensiv unterstützt hat, hat sie in diesem Bereich Aufgaben übernommen, die typischerweise in einem Eltern-Kind-Verhältnis anfallen.
Die Annehmende hat der Anzunehmenden in mehreren schweren persönlichen Situationen intensiv Beistand geleistet, als dies den Eltern der Annehmenden in dieser Form nicht möglich war. Dies betrifft die Zeit nach dem Tod der Großmutter der Anzunehmenden, die Verarbeitung des Todes der Bruder der Anzunehmenden im Jahr 2015 und auch die Unterstützung bei der Aufnahme des Studiums nach der Schwangerschaft der Anzunehmenden. Gerade auch die Unterstützung der Anzunehmenden bei ihrer Bildung und Ausbildung, was von den Eltern der Anzunehmenden vor deren Hintergrund so nicht geleistet werden konnte, ist ein besonderer Verdienst der Annehmenden. Auch finanziell hat die Annehmende die Anzunehmende in der Vergangenheit erheblich unterstützt.
Wie intensiv der Kontakt zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden ist zeigt sich auch daran, dass sie nach wie vor sehr häufig miteinander telefonieren und in der Vergangenheit eine Vielzahl gemeinsamer Urlaube, auch im Ausland, verbracht haben.
Das Verhältnis zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden geht über das eines gut gepflegten Verwandtschaftsverhältnisses zwischen einer Tante und ihrer Nichte weit hinaus. Die Erklärungen der Beteiligten weisen vielmehr auf eine anhaltende innere Verbundenheit hin, die einer Familienbindung zwischen Eltern und erwachsenem Kind ähnelt.
Dass die Anzunehmende bei ihrer persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht erklärt hat, dass ihre Tante wie eine Mutter für sie sei, ihr immer Halt gegeben habe und für sie die Bezugsperson in der Familie sei, bringt die besondere, einem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechende Beziehung der Annehmenden zur Anzunehmenden auf den Punkt. Es verwundert nicht, dass die Anzunehmende und die Annehmende sich als „Seelenverwandte“ bezeichnen.
Dass die Anzunehmende aus ihrer Sicht der Annehmenden zurückgeben möchte, was sie von dieser an Fürsorge erhalten habe und dazu bereit ist, sich umgekehrt um diese zu kümmern, sofern dies erforderlich werden sollte, ist wiederum Ausdruck der besonderen Beziehung zwischen den beiden Beteiligten.
bb)
Die Annahme der Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass zwischen der Anzunehmenden und ihren beiden leiblichen Eltern ein intaktes Verhältnis besteht.
Welche Rolle es für eine Volljährigenadoption spielt, dass der Anzunehmende mit seinen leiblichen Eltern ein normales familiäres Verhältnis unterhält, ist umstritten.
So hat der 11. Senat des OLG Stuttgart in einem Fall, in dem es um die beabsichtigte Adoption eines Neffen durch seine Tante ging, ausgeführt, dass sich die Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses im Wege der Volljährigenadoption verbiete, wenn eine ungestörte, intakte Beziehung des Anzunehmenden zu seinen leiblichen Eltern bestehe. Der Respekt vor einer langen natürlichen Eltern-Kind-Beziehung fordere, diese nicht im Nachhinein durch „Wegadoption“ zu zerstören oder ihr zumindest ihren angemessenen Rang zu nehmen. Auch wenn rechtlich gesehen bei einer Volljährigenadoption dem Anzunehmenden seine leiblichen Eltern erhalten blieben, sei das Hinzutreten eines weiteren Elternteils in der persönlichen Beziehungsebene nicht unproblematisch, zumindest aber sei es angesichts der langen natürlichen Eltern-Kind-Beziehung nicht angemessen (OLG Stuttgart, Beschluss v. 03.07.2014, 11 UF 316/13, FamRZ 2015, 592). Die gleiche Auffassung haben das OLG Bremen, Beschluss v. 09.11.2016, FamRZ 2017, 722, und der 9. Senat des OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.08.2014 – 9 UF 468/14, BeckRS 2014, 17088, vertreten.
Im Gegensatz zu der vorstehenden Meinung vertritt der 10. Senat des OLG Nürnberg die Auffassung, dass der sittlichen Rechtfertigung einer Volljährigenadoption nicht entgegenstehe, dass die Anzunehmende zu ihren leiblichen Eltern gute Beziehungen pflege. Bei einer Erwachsenenadoption würden die Rechte und Pflichten aus dem Verwandtschaftsverhältnis des Angenommenen zu seinen Verwandten nicht berührt und auch die wechselseitigen Erb- und Unterhaltsansprüche zu den leiblichen Eltern blieben bestehen. Insbesondere wenn auch zwischen dem Annehmenden und den leiblichen Eltern der Anzunehmenden ein gutes Verhältnis bestehe und der Annehmende selbst keine Kinder habe, seien Loyalitätskonflikte nicht zu befürchten (OLG Nürnberg, Beschluss v. 12.06.2015, 10 UF 272/15, FamRZ 2016,315). Dass ein nicht zerrüttetes Verhältnis zu den leiblichen Eltern einer sittlichen Rechtfertigung der Adoption nicht entgegensteht, hat auch das OLG München in seinem Beschluss vom 10.02.2017, 33 UF 1304/16, FamRZ 2017,1238, vertreten. Zuletzt hat auch der 4. Senat des OLG Stuttgart ausgeführt, dass es sich aus dem Gesetz nicht ergebe und zumindest offen sei, ob eine intakte Beziehung des Anzunehmenden zu seinen leiblichen Eltern der Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses im Wege der Volljährigenadoption entgegenstehe (OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.05.2017, 4 U 208/16, – juris).
Der Senat schließt sich der Auffassung an, wonach der Umstand, dass der Anzunehmende gute Beziehungen zu den leiblichen Eltern unterhält, der Annahme eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden und damit einer sittlichen Rechtfertigung der Annahme nicht per se entgegensteht.
Ginge man in dieser Allgemeinheit davon aus, dass bei Bestehen eines intakten Verhältnisses zu der leiblichen Familie eine Volljährigenadoption sittlich nicht gerechtfertigt sein kann, würde man gleichsam ein Ausschlusskriterium formulieren, das so im Gesetz gerade nicht vorgesehen ist (MüKoBGB/Maurer, 7. Aufl. 2017, BGB § 1767 Rn. 35; BeckOGK/Löhnig BGB § 1767 Rn. 24.1). Nachdem bei einer Volljährigenadoption (mit Ausnahme der Fälle des §§ 1772 BGB) das Rechtsverhältnis zu den leiblichen Eltern nicht erlischt, mutet die Rechtsordnung dem volljährigen Angenommenen im Ausgangspunkt zu, mit dem Umstand, mehr als zwei Eltern zu haben, umgehen zu können (BeckOGK/Löhnig BGB § 1767 Rn. 24). Für eine „Rückausnahme“, wenn der oder die Annehmende in guten „eigenen“ familiären Verhältnissen lebt, lässt sich dem Gesetz, das hier ausdrücklich anders gestaltet ist als im Fall der Minderjährigenadoption, nichts entnehmen (Leiß, Anmerkung zu OLG München, Beschluss vom 10.02.2017, 33 UF 1304/16, in FamRZ 2017, 1238). Nachdem über § 1767 Abs. 1 BGB v.a. Missbräuchen vorgebeugt werden soll, kann allein der Umstand, dass der Anzunehmende ein intaktes Verhältnis zu den leiblichen Eltern unterhält, der sittlichen Rechtfertigung der Annahme nicht entgegenstehen (Saar in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1767 BGB, Rn. 9; MüKoBGB/Maurer, 7. Aufl. 2017, BGB § 1767 Rn. 20).
Zwar ist es ist sicherlich zutreffend, dass enge familiäre Beziehungen des Anzunehmenden zu seinen leiblichen Eltern Zweifel aufkommen lassen können, ob daneben tatsächlich ein neues Eltern-Kind-Verhältnis aufgebaut wurde oder werden soll. Auch in Fällen eines nicht zerrütteten Verhältnisses zu der Herkunftsfamilie hat es jedoch dabei zu verbleiben, dass eine Gesamtabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist, in die auch ein möglicher Loyalitätskonflikt zwischen Herkunftsfamilie und Wahlfamilie einzubeziehen ist, weshalb in diesen Fällen die Voraussetzungen einer Volljährigenadoption sicher nicht leichtfertig bejaht werden dürfen.
Dass aber ausnahmslos eine Nichte, die in belasteter Beziehung zu ihren eigenen Eltern lebt, besser in der Lage sein sollte, zu ihrer Tante ein Eltern-Kind-Verhältnis im Sinne des Adoptionsrechts aufzubauen, als eine Nichte, die auch ihre eigenen leiblichen Eltern schätzt (also die Bedeutung familiärer Bande in positiver Weise erlebt), kann so nicht angenommen werden (Leiß, Anmerkung zu OLG München, Beschluss vom 10.02.2017, 33 UF 1304/16 in FamRZ 2017, 1238).
Führt man im vorliegenden Fall eine Einzelfallbetrachtung durch, ist zu berücksichtigen, dass das Verhältnis der Anzunehmenden nach ihrer Schilderung zu ihren Eltern zwar intakt, aber durchaus nicht immer ungetrübt war. Von Bedeutung ist, dass die Annehmende von früher Kindheit an eine besondere Stellung im Leben der Anzunehmenden eingenommen hat und in für die Entwicklung der Anzunehmenden bedeutsamen Bereichen, in denen ihre leiblichen Eltern ihr nicht die nötige Unterstützung geben konnten oder wollten, für die Anzunehmende da war. Zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden besteht ein gewachsenes, auch in persönlichen Krisensituationen der Anzunehmenden bewährtes Verhältnis, das von einem tiefen gegenseitigen Grundvertrauen geprägt ist. Vor diesem Hintergrund ist im hiesigen Fall davon auszugehen, dass trotz eines intakten Verhältnisses zu den eigenen Eltern zu der Annehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis im Sinne des Adoptionsrechts entstanden ist.
Soweit argumentiert wird, dass der Respekt vor einer langen natürlichen Eltern-Kind-Beziehung und zu befürchtende Loyalitätskonflikte einer Adoption entgegenstünden, ist im hiesigen Fall von besonderer Bedeutung, dass beide Eltern bei einem gemeinsamen Termin mit der Annehmenden und der Anzunehmenden beim Notar ausdrücklich und notariell beurkundet ihr Einverständnis mit der Adoption der Anzunehmenden durch die Annehmende, der Schwester des Kindesvaters, erklärt haben. Es ist daher davon auszugehen, dass die Adoption durch die Annehmende mit ihren Eltern besprochen worden und im Einvernehmen aller Beteiligter beantragt worden ist, weshalb auch aus diesem Grund Zweifel an einer sittlichen Rechtfertigung der beabsichtigten Adoption nicht bestehen.
cc)
Auch sonstige bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigende Umstände stehen einer Adoption der Anzunehmenden durch die Annehmende nicht entgegen.
Zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden besteht ein erheblicher, der natürlichen Generationenfolge entsprechender Altersabstand, der für eine Eltern-Kind-Beziehung typisch ist (OLG Hamm, FamRZ 2013, 557, 559; MüKoBGB/Maurer, 7. Aufl. 2017, BGB § 1767 Rn. 29).
Zwischen der Annehmenden und der Tochter der Anzunehmenden besteht ein inniges Verhältnis, so dass vor diesem Hintergrund überwiegende Interessen des Kindes der Anzunehmenden einer Adoption nicht entgegenstehen (§ 1769 BGB). Angesichts des Alters des erst zweijährigen Kindes der Anzunehmenden ist eine Anhörung des Kindes (§ 193 FamFG) entbehrlich. Die Annehmende selbst hat keine eigenen Kinder, so dass auch in dieser Hinsicht Loyalitätskonflikten nicht entstehen können.
Dass für die Adoption im Hinblick auf die Steuerbelastung bei etwaigen Schenkungen oder einem Erbe auch wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen mögen, ist – wie bereits ausgeführt – unschädlich, wenn – wie hier – davon auszugehen ist, dass bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist. Im Übrigen geht der Senat nach den Gesamtumständen und den Angaben der Annehmenden und der Anzunehmenden davon aus, dass ein etwaiges finanzielles Motiv allenfalls erwünschte Nebenfolge der begehrten Annahme ist und nicht im Vordergrund des Adoptionswunsches steht.
dd)
Auch die formellen Voraussetzungen für eine Volljährigenadoption liegen vor. Es liegt ein notariell beurkundeter Antrag der Annehmenden und der Anzunehmenden auf Durchführung der Adoption vor (§ 1768 Abs. 1 BGB), der beim Familiengericht eingegangen ist.
d)
Gemäß § 1767 Abs. 2 S. 1 BGB gelten für die Annahme Volljähriger die Vorschriften über die Annahme Minderjähriger sinngemäß. Gemäß § 1757 BGB erhält das Kind als Geburtsnamen den Familiennamen des Annehmenden.
Entsprechend dem Antrag der Annehmenden und der Anzunehmenden erhält die Anzunehmende mit der Adoption den Familiennamen der Annehmenden „…“.
e)
Entsprechend dem Antrag der beiden Antragsteller folgt hier die Wirkung des Annahmeverhältnisses aus § 1770 BGB.
III.
Der Senat entscheidet gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung, nachdem eine solche bereits im ersten Rechtszug stattgefunden hat und – auch angesichts des Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren – von einer erneuten Vornahme keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.
Gemäß § 197 Abs. 1 S. 1 FamFG ist in einem Beschluss, durch den das Gericht die Annahme als Kind ausspricht, anzugeben, auf welche gesetzlichen Vorschriften sich die Annahme gründet, d.h. ob die Wirkungen nach § 1770 BGB oder die weitergehenden Wirkungen nach § 1772 BGB (Annahme mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme) festgestellt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten den beiden Antragstellern nach Kopfteilen aufzugeben (MüKoFamFG/Maurer, 3. Aufl. 2018, FamFG vor § 186 Rn. 114).
Die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf § 42 Abs. 2 FamGKG. Hiernach ist der Verfahrenswert unter Berücksichtigung des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beteiligten nach billigem Ermessen festzusetzen. Der Senat setzt den zu bestimmenden Verfahrenswert auf 186.000,00 € fest, was der Wertfestsetzung in dem notariell beurkundeten Adoptionsantrag (OLG Hamburg, FamRZ 2019, 45; OLG Bamberg, BeckRS 2011, 27589) und knapp 30 % des Vermögens der Annehmenden und der Anzunehmenden entspricht.
Die Änderung des Verfahrenswerts für den ersten Rechtszug beruht auf § 55 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FamGKG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 197 Abs. 3 S. 2 FamFG).