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Vernehmung Notar als Zeugen über Willensbildung des Erblassers bei Testamentsabfassung

OLG Frankfurt – Az.: 20 W 275/19 – Beschluss vom 18.03.2021

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 260.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 2 ist der im Jahr 194X geborene Sohn der Frau Vorname1 X (geb. A, verw. B; im Folgenden: Erblasserin) und ihres späteren Ehemannes Vorname2 B. Nach dem frühen Tod des Herrn Vorname2 B heiratete die Erblasserin im Jahr 1953 wieder, neuer Ehemann war der … Vorname3 X. Auch für diesen war es die zweite Ehe. Aus dieser Ehe entstammt der noch 195X geborene Beteiligte zu 1.

Die Eheleute lebten in dem Haus Straße1 in Stadt1, zusammen mit der Mutter der Erblasserin, die Eigentümerin des Hauses war. Außer dem Beteiligten zu 1 lebte dort noch der 194X geborene Vorname4 C, ein Sohn der verstorbenen ersten Ehefrau des Herrn Vorname3 X, den jene in die Ehe mit diesem mitgebracht hatte und den nun Herr Vorname3 X, der nicht dessen Vater war, als Pflegekind in die Ehe mit der Erblasserin mitbrachte. Der Beteiligte zu 2 hielt sich ebenfalls dort auf, aber auch bei seiner Patentante, einer Schwester seines verstorbenen Vaters, die selbst keine Kinder hatte. In welchem Umfang er sich dort aufhielt, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Herr Vorname4 C zog 1963 anlässlich seiner Hochzeit aus dem Haus aus.

Im Jahr 1964 übertrug die Mutter der Erblasserin dieser und deren Ehemann das Eigentum an dem Hausgrundstück. Das Haus war stark renovierungsbedürftig, die finanziellen Möglichkeiten der Eheleute jedoch begrenzt. Anfang 1966 nahm die Erblasserin, die bis dahin Hausfrau gewesen war, deshalb eine Tätigkeit in einer Druckerei auf. Im November 1966 schloss ihr Ehemann bei der Bank1 eGmbH Stadt1 einen Kreditvertrag über 20.000 DM zum Zweck „An- u. Umbau des Wohnhauses in der Straße1“ (Bl. 54 f. d.A.), der in den folgenden Jahren mehrfach aufgestockt wurde. Entsprechend bauten die Eheleute das Haus aus und führten Sanierungs- und Renovierungsarbeiten durch.

Am 23. Juli 1966 hatten die Eheleute einen notariellen Ehevertrag und Erbvertrag geschlossen (UR-Nr. … der Notarin RA1 in Stadt2; Bl. 8 f. d.Vfg.-A.). In dem Erbvertrag heißt es:

Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu unserem Alleinerben ein, sodass der Überlebende von uns der alleinige und unbeschränkte Erbe des Vorversterbenden von uns ist.

Unsere gemeinsamen Kinder sollen Erben des Längstlebenden von uns zu gleichen Teilen sein.

Den Wert ihres Vermögens gaben die Eheleute mit 7.000 DM an.

Zu dieser Zeit waren die Erblasserin 3X und ihr Ehemann 4X Jahre alt. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Eheleute noch einen Kinderwunsch hatten oder die Familienplanung abgeschlossen war.

Im Jahr 2000 verstarb der Ehemann der Erblasserin.

Im Jahr 2004 wurde der Beteiligte zu 2 zu ½ Miterbe seiner Patentante, wodurch er im Ergebnis ein Haus erhielt. Die Beteiligten streiten darüber, ob bereits im Jahr 1966 klar war, dass es dazu kommen würde.

Die Beteiligten streiten im Übrigen über angebliche Äußerungen der Erblasserin und ihres Ehemannes, wer sie beerben werde. Die Erblasserin soll darüber hinaus nach dem Tod ihres Ehemannes den in der Nachbarschaft wohnenden damaligen Notar RA2 gefragt haben, ob durch den Erbvertrag sichergestellt sei, dass gemäß ihrem Wunsch und dem ihres verstorbenen Ehemannes der Beteiligte zu 1 alleiniger Schlusserbe werde.

Die Erblasserin verstarb am XX.XX.2017. Der wesentliche Vermögenswert der Erbschaft besteht in dem Haus Straße1.

Der Beteiligte zu 1 hat mit notariellem Schriftsatz vom 23.01.2018 einen Erbscheinsantrag vom 22.01.2018 (UR-Nr. …/2018 des Notars RA3 in Stadt3; Bl. 2 ff. d.A.) eingereicht, mit dem er die Alleinerbenstellung nach der Erblasserin beansprucht. Er meint, „gemeinsame Kinder“, wie es in dem Erbvertrag heißt, seien gemeinsame leibliche Kinder. Da er das einzige gemeinsame leibliche Kind seiner Eltern sei, sei er Alleinerbe.

Der Beteiligte zu 2 ist dem Antrag entgegengetreten. Er meint, er und der Beteiligte zu 1 seien Erben zu je ½. Da die Familienplanung abgeschlossen gewesen sei, seien sie beide die „gemeinsamen Kinder“ gewesen. Der Begriff habe nur zu Herrn C abgrenzen sollen, der kein Erbe habe sein sollen.

Der Beteiligte zu 1 meint, aus der Wortwahl „Kinder“ lasse sich dies nicht ableiten, da die Erblasserin und ihr Ehemann noch Kinderwunsch gehabt hätten. Wenn nur er und der Beteiligte zu 2 hätten Erben sein sollen, wären sie namentlich benannt worden.

Das Amtsgericht – Nachlassgericht – hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Herrn C, seiner Ehefrau Vorname5 C, der Ehefrau des Beteiligten zu 1 Vorname6 X und der Kusine der Beteiligten Frau D. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Terminsvermerke vom 19.12.2018 (Bl. 107 ff. d.A.) und 26.03.2019 (Bl. 130 ff. d.A.) verwiesen.

Das Nachlassgericht hat außerdem beabsichtigt, Herrn RA2, der zwischenzeitlich aus dem Notaramt ausgeschieden war, zu vernehmen. Mit Schreiben vom 06.03.2019 an das Gericht hat dieser unter anderem erklärt (Bl. 125 d.A.):

Ich gehe […] davon aus, dass sich die am Erbscheinverfahren Beteiligten in ihren Vorträgen […] auf ein möglicherweise von mir mit [der Erblasserin und ihrem Ehemann] oder einem von ihnen geführte[s] Gespräch beziehen. Unterstellt, ein solches Gespräch hat stattgefunden, gehe ich davon aus, dass mich [die Erblasserin und/ oder ihr Ehemann] nicht in meiner Eigenschaft als Nachbar; vielmehr in meiner Eigenschaft als Notar um dieses gebeten hätten.

Meines Erachtens bedarf es daher gemäß § 18 Abs. 2 BNotO durch die Aufsichtsbehörde der Entbindung von der mir obliegenden Pflicht zur Verschwiegenheit.

Das Nachlassgericht hat daraufhin von einer Vernehmung des Herrn RA2 abgesehen.

Mit Beschluss vom 01.10.2019 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag zurückgewiesen (Bl. 174 ff. d.A.). Mangels anderer Anhaltspunkte gehe das Gericht von der Wirksamkeit des Erbvertrags aus. Der Erbvertrag sei gemäß § 157 BGB auszulegen. Dabei sei der Wortlaut wenig hilfreich, weil in sich widersprüchlich. Einerseits sei lediglich der Beteiligte zu 1 gemeinsames Kind der Erblasserin und ihres Ehemannes. Andererseits spreche der Erbvertrag aber von „Kindern“ in der Mehrzahl. Die Auslegung des Beteiligten zu 1, die Familienplanung der Erblasserin und ihres Ehemannes sei 1966 noch nicht abgeschlossen gewesen, sei wenig überzeugend, da keine weiteren Kinder geboren worden seien und auch der Erbvertrag im Nachhinein in Kenntnis des Umstandes, dass der Beteiligte zu 1 das einzige Kind sei, nicht geändert worden sei.

Der Erbvertrag habe den alleinigen Sinn gehabt, bei einem möglichen Tod eines der Eheleute die Kinder von der Geltendmachung eines Erbanspruchs auszuschließen. Angesichts der aus damaliger Sicht erheblichen Investitionen in die Modernisierung des Hauses habe die wirtschaftliche Situation des überlebenden Ehegatten im Falle des Todes des anderen nicht durch Ansprüche eines Erbberechtigten geschwächt werden sollen. Dies habe auch „ggf.“ die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen verhindern sollen. Die Erblasserin und ihr Ehemann hätten sowohl den Beteiligten zu 1 als Miterben als auch den Beteiligten zu 2 als Sohn der Erblasserin ausschließen wollen. Wäre die Erblasserin zuerst verstorben, hätte auch der Beteiligte zu 2 als ihr Sohn einen Anspruch gehabt. Bei der Auslegung des Erbvertrags durch den Beteiligten zu 1 wäre in diesem Fall das Vermögen des überlebenden Ehemannes der Erblasserin dessen Erbansprüchen ausgesetzt gewesen. Da gerade dies durch den Erbvertrag habe verhindert werden sollen, sei auch der Beteiligte zu 2 im Sinne des Erbvertrags als „gemeinsames“ Kind gemeint.

Hierfür spreche auch die Beweisaufnahme, in der die Zeugen glaubhaft geschildert hätten, dass die Erblasserin und ihr Ehemann keine Unterschiede in der Behandlung der Beteiligten und des Herrn Vorname4 C gemacht hätten, was der Beteiligte zu 1 im Ergebnis auch nicht in Abrede stelle. Das Gericht halte es auch nicht für ausgeschlossen, dass die den Erbvertrag beurkundende Notarin angesichts der Moralvorstellungen des Jahres 1966, in dem „Patchworkfamilien“ weniger selbstverständlich gewesen seien als heute, nicht über die unterschiedlichen Abstammungsverhältnisse zwischen den Beteiligten aufgeklärt worden sei. Im Übrigen spreche für diese Auslegung auch der Altersunterschied zwischen der Erblasserin und ihrem Ehemann und dass die Lebenserwartung von Frauen auch 1966 höher als die von Männern gewesen sei. Die Erblasserin und ihr Ehemann seien daher davon ausgegangen, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit der Erblasserin höher als die ihres Ehemannes gewesen sei und daher ihre Kinder gemeint gewesen seien.

Der Beschluss ist dem Beteiligten zu 1 am 09.10.2019 zugestellt worden (Bl. 177 d.A.). Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 06.11.2019 hat er Beschwerde eingelegt (Bl. 178 ff./183 ff. d.A.). Er strebt weiter einen Erbschein als Alleinerbe an. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 08.11.2019 nicht abgeholfen (Bl. 188/189 d.A.).

Der Senat hat am 03.11.2020 einen Beweisbeschluss über die Vernehmung des ehemaligen Notars RA2 erlassen und den zuständigen Präsidenten des Landgerichts Darmstadt um Befreiung von dessen Pflicht zur Verschwiegenheit ersucht (Bl. 220 ff. d.A.). Der Präsident des Landgerichts Darmstadt hat mit Schreiben vom 06.01.2021 die Befreiung abgelehnt (Bl. 297 ff. d.A.).

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 63, 64 Abs. 2 FamFG). Sie ist aber unbegründet, weil der beantragte Erbschein nicht erteilt werden kann.

Im Ergebnis zutreffend hat das Nachlassgericht entschieden, dass der Beteiligte zu 1 nicht, wie von ihm geltend gemacht, Alleinerbe der Erblasserin ist. Dies ergibt die Auslegung des Erbvertrags der Erblasserin und ihres Ehemannes.

Für die Auslegung vertragsmäßiger Verfügungen in Erbverträgen gelten die allgemeinen Regeln über die Auslegung von Verträgen, insbesondere die §§ 133, 157 BGB. Maßgebend ist daher zunächst der gemeinsame Wille der Vertragsteile zum Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags (Kanzleiter, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, v. §§ 2274 ff. Rn. 30; Musielak, in: Münchener Kommentar BGB, 8. Aufl. 2020, v. § 2274 Rn. 31). Dieser ist gemäß § 26 FamFG von Amts wegen zu ermitteln.

Weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze über die bereits vom Nachlassgericht durchgeführten Ermittlungen hinaus bestehen jedoch nicht. Insbesondere kann der Senat den Zeugen RA2 nicht vernehmen, nachdem der Präsident des Landgerichts diesem keine Befreiung von seiner Pflicht zur Verschwiegenheit erteilt hat.

Gemäß §§ 383 Abs. 3, Abs. 1 Nr. 6 ZPO, 30 Abs. 1 FamFG dürfen Personen, denen kraft ihres Amtes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht, auch ohne Zeugnisverweigerung hinsichtlich solcher Tatsachen nicht vernommen werden, in Ansehung welcher erhellt, dass ohne Verletzung der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ein Zeugnis nicht abgelegt werden kann. So liegt der Fall in Bezug auf den ehemaligen Notar RA2.

Ein Notar fällt unter § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Er ist nach Maßgabe des § 18 BNotO gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet, wobei diese Pflicht gemäß § 18 Abs. 4 BNotO auch nach dem Erlöschen des Amts bestehen bleibt. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird sachlich ausgefüllt durch § 18 Abs. 1 Satz 2 BNotO. Die Verschwiegenheitspflicht des Notars gilt grundsätzlich für den gesamten Inhalt einer notariellen Verhandlung einschließlich der Umstände, die der Notar anlässlich der Verhandlung erfährt. So gehören dazu die Tatsache, Zeit und Ort einer Inanspruchnahme des Notars als Amtsträger sowie die Identität der betreffenden Personen. Der Schweigepflicht unterliegen grundsätzlich auch die eigenen Erklärungen und Handlungen des Notars. Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auch auf die Vorbereitung eines Beurkundungstermins. Sie greift sogar ein, wenn nur Besprechungen stattgefunden haben, ohne dass es zu einer Amtshandlung kommt, oder der Notar seine Mitwirkung bei einer Beurkundung ablehnt (BGH NJW 2005, 1948, 1949).

Danach würde ein Gespräch der Erblasserin mit dem Zeugen RA2 über den Erbvertrag und die von ihr und ihrem Ehemann dabei verfolgten Absichten unter die Verschwiegenheitspflicht fallen, sofern der Notar als Amtsträger in Anspruch genommen wurde. Dies mag nach den spärlichen zur Verfügung stehenden Angaben fraglich sein, ist jedoch durchaus möglich, beispielsweise wenn die Erblasserin die Beurkundung einer von dem Erbvertrag abweichenden letztwilligen Verfügung in Betracht zog und dann im Hinblick auf die notarielle Beratung davon absah. Eine nähere Aufklärung darüber könnte nur der Zeuge RA2 selbst geben, aber da bereits die Tatsache der Inanspruchnahme des Notars selbst der Verschwiegenheitspflicht unterfällt, ist er daran gehindert. Der Senat muss deshalb davon ausgehen, dass die Beweisfrage unter die Verschwiegenheitspflicht fällt.

Die Pflicht zur Verschwiegenheit entfällt nach §§ 385 Abs. 2 ZPO, 18 Abs. 2 Hs. 1 BNotO, wenn der Notar von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden wird, wobei die Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht durch die Beteiligten erteilt werden muss. Die Erblasserin kann die Befreiung jedoch nicht mehr erteilen und die durch § 18 Abs. 2 Hs. 2 BNotO ersatzweise ermöglichte Befreiung durch die Aufsichtsbehörde, also den Präsidenten des Landgerichts (§ 92 Nr. 1 BNotO), ist nicht ausgesprochen worden. Daneben ist kein Raum mehr für eine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht durch mutmaßliche Einwilligung der Erblasserin.

Diese Frage ist jedoch umstritten. Nach verbreiteter Ansicht insbesondere im zivilprozessualen Schrifttum kann eine solche Befreiung nach dem Tod des Geschützten in der hier vorliegenden Konstellation eines verstorbenen Erblassers, über dessen Willensbildung ein Notar aussagen soll, durch mutmaßliche Einwilligung angenommen werden, da der Erblasser ein Interesse daran habe, dass sein tatsächlicher Wille bekannt werde und umgesetzt werde (vgl. OLG Köln OLGZ 1982, 1, 4; Damrau/Weinland, in: Münchener Kommentar ZPO, 6. Aufl. 2020, § 383 Rn. 36; Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 385 Rn. 12; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 383 Rn. 4; Sandkühler, in: Arndt/Lerch/ Sandkühler, BNotO, 8. Aufl. 2016, § 18 Rn. 55; Scheuch, in: BeckOK ZPO, 39. Edit., Std. 01.12.2020, § 383 Rn. 28; Siebert, in: Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 383 Rn. 7). Auch der Senat hat diese Auffassung früher vertreten (FamRZ 1997, 1306, 1308). Er hält an ihr jedoch nicht fest.

Die genannte Auffassung verkennt, dass § 18 Abs. 2 Hs. 2 BNotO für Notare eine abschließende Spezialregelung dieser Problematik enthält, die einen unmittelbaren Rückgriff auf die Regeln der mutmaßlichen Einwilligung ausschließt (vgl. Bremkamp, in: Frenz/Miermeister, BNotO, 5. Aufl. 2020, § 18 Rn. 30; Sander, in: BeckOK BNotO, 4. Edit., Std. 01.02.2021, § 18 Rn. 38; Weidlich, in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 2353 Rn. 38; siehe auch OLG München NJW-RR 2009, 878, 879; OLG Schleswig FamRZ 2012, 903). Eine andere Sichtweise würde zu der Unzuträglichkeit führen, dass das Gericht, vor dem der Notar vernommen werden soll, trotz einer durch die Aufsichtsbehörde verweigerten Befreiung eine mutmaßliche Einwilligung annehmen und die Vernehmung durchführen könnte. Die Bedeutung der Vorschrift des § 18 Abs. 2 Hs. 2 BNotO wäre damit auf diejenigen Fälle reduziert, in denen das Gericht eine mutmaßliche Einwilligung verneint, die Aufsichtsbehörde aber trotzdem die Befreiung erteilt. Solche Fälle dürften aber eher die Ausnahme darstellen, denn Maßstab für die Befreiung durch die Aufsichtsbehörde ist gerade, ob der Verstorbene, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist (BGH DNotZ 2003, 780, 781; BGH NJW 2021, 316 Rn. 17), wobei im letzteren Fall regelmäßig anzunehmen sein wird, dass der Verstorbene auch dann Befreiung erteilen würde.

Auf der Grundlage der verfügbaren Beweismittel ist der Erbvertrag so auszulegen, dass der Beteiligte zu 1 jedenfalls nicht Alleinerbe der Erblasserin geworden ist, sondern zumindest auch der Beteiligte zu 2 in dem Erbvertrag als Erbe eingesetzt worden ist. Ob auch Herr Vorname4 C Erbe geworden ist, kann vorliegend dahinstehen.

Nach dem Wortlaut des Erbvertrags sollen die „gemeinsamen Kinder“ der Erblasserin und ihres Ehemannes Erben sein. Der Beteiligte zu 1 allein wird von diesem Wortlaut nicht erfasst. Er ist das einzige im herkömmlichen Sinn „gemeinsame“ Kind der Erblasserin und ihres Ehegatten, während der Wortlaut des Erbvertrags eine Mehrzahl von „gemeinsamen Kindern“ voraussetzt.

Der so verstandene Wortlaut würde eine Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 dann tragen, wenn die Formulierung dadurch zu erklären wäre, dass die Erblasserin und ihr Ehemann bei Abschluss des Erbvertrags mit künftigen weiteren „gemeinsamen“ Kindern neben dem Beteiligten zu 1 rechneten. Angesichts der Umstände hält der Senat dies aber für fernliegend. Die Ehegatten hatten nach der Geburt des Beteiligten zu 1 seit 13 Jahren keine Kinder mehr bekommen. Die finanziellen Verhältnisse der Familie waren beengt und wurden noch weiter strapaziert durch die Aufnahme des Darlehens zur Renovierung des Hauses. Die Erblasserin hatte deswegen eine Arbeit angetreten, was mit einem Kinderwunsch jedenfalls nach den damaligen Vorstellungen und Verhältnissen kaum in Einklang zu bringen war. Angesichts des Alters der Erblasserin verblieben auch nur noch wenige Jahre, in denen realistischerweise mit der Geburt eines Kindes gerechnet werden konnte.

Das Ergebnis der Beweisaufnahme des Nachlassgerichts steht dieser Betrachtung nicht entgegen. Zwar hat die Zeugin Vorname6 X ausgesagt, dass die Erblasserin und ihr Ehemann noch ein Kind hätten haben wollen. Als Ehefrau des Beteiligten zu 1 hat die Zeugin freilich ein hohes Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens, zudem kam sie erst Jahre später in die Familie. Ihrer Aussage steht entgegen die Aussage der Zeugin D, die bekundet hat, dass niemals die Rede von einem weiteren Kind gewesen sei und, wie sie später erfahren habe, die Erblasserin auch nie an ein weiteres Kind gedacht habe. Der Senat sieht im Einklang mit der Würdigung des Nachlassgerichts keinen Grund, die Aussage der Zeugin Vorname6 X der der Zeugin D vorzuziehen. Eher dürfte die Aussage der Zeugin D, die kein persönliches Interesse an dem Ausgang des Verfahrens haben dürfte und als damalige Bewohnerin des Hauses Straße1 aus unmittelbarer eigener Anschauung berichten kann, glaubhafter sein.

Die fehlende Übereinstimmung mit dem im obigen Sinne verstandenen Wortlaut des Erbvertrags wäre für sich genommen noch kein zwingender Grund, den Beteiligten zu 1 nicht als Alleinerben anzusehen. Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen. Ein von dem im obigen Sinne verstandenen Wortlaut des Erbvertrags abweichender tatsächlicher Wille der Erblasserin und ihres Ehemannes kann jedoch nicht festgestellt werden. Die Beweisaufnahme hat auch hier kein tragfähiges abweichendes Ergebnis ergeben.

Die Zeuginnen Vorname6 X und D haben über unterschiedliche Äußerungen der Erblasserin und auch ihres Ehemannes zu der Frage, wer sie beerben werde bzw. das Haus als wesentlichen Vermögensgegenstand erhalten werde, berichtet. Abgesehen von den oben genannten Vorbehalten gegen die Aussage der Zeugin Vorname6 X ist deren Bekundung, die Erblasserin und ihr Ehemann hätten erklärt, der Beteiligte zu 1 werde sie beerben, aber auch unerheblich. Derartige nachträgliche Äußerungen von Erblassern sind regelmäßig unzuverlässig, weil sie oft das Ziel verfolgen, Streit mit Angehörigen oder Freunden, die sich bei wahrheitsgemäßen Erklärungen über den Inhalt letztwilliger Verfügungen nicht hinreichend berücksichtigt fühlen könnten, zu vermeiden. Abgesehen davon hat die Zeugin D eine gegenteilige Äußerung der Erblasserin bekundet, wonach beide Beteiligte Erben sein sollten.

Der Senat schließt auch aus, dass eine Erwartung, der Beteiligte zu 2 werde seine Tante beerben, bei der Erblasserin und ihrem Ehemann dazu geführt hätte, dass diese nur den Beteiligten zu 1 erben lassen wollten. Hierfür gibt es keine objektiven Anhaltspunkte, vielmehr sprechen die Umstände dagegen. Auch wenn der Beteiligte zu 2 im Jahr 1966 ein enges Verhältnis zu seiner Tante hatte, war es gänzlich ungewiss, was die Zukunft insoweit bringen würde. Dass der Beteiligte zu 2 als Erbe seiner Tante nicht zwangsläufig „gesetzt“ war, ergibt sich auch daraus, dass er letztlich nur Miterbe zu ½ war. Es kam also auch noch zumindest eine andere Person als Erbe der Tante in Betracht.

Da ein streng am Wortlaut haftendes Verständnis des Erbvertrags kein Ergebnis zeitigt, ist der Wortlaut in einem weiteren Sinn zu verstehen. Der Begriff „gemeinsame Kinder“ umfasst bei einem nicht biologisch-rechtlichen, sondern hier richtigen sozialen Verständnis auch zumindest den Beteiligten zu 2, wenn nicht sogar auch Herrn Vorname4 C. Wie das Nachlassgericht in seiner Beweiswürdigung zutreffend festgestellt hat, hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die Erblasserin und ihr Ehemann keine Unterschiede in der Behandlung der Beteiligten und des Herrn Vorname4 C gemacht haben. Sie haben alle drei als ihre Söhne verstanden. Zwar haben der Beteiligte zu 1 und die Zeugin Vorname6 X – anders als durch den Beteiligte zu 2 vorgetragen und von der Zeugin D bestätigt – in Abrede gestellt, dass die Eheleute von „Söhnen“ gesprochen hätten, aber auch diese haben eingeräumt, dass die Erblasserin und ihr Ehemann die drei als „Brüder“ bezeichnet haben, was letztlich keinen anderen Schluss zulässt.

Die Behauptung, der Beteiligte zu 2 habe im Wesentlichen nicht bei der Erblasserin und ihrem Ehemann, sondern bei seiner Tante gelebt, was einer solchen Gleichstellung der beiden Beteiligten entgegenstehen könnte, ist durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Zwar hat sich der Beteiligte zu 2 des Öfteren bei seiner Tante aufgehalten, aber selbst die Zeugin Vorname6 X hat bestätigt, dass er in dem Kinderzimmer in der Straße1 wohnte, was mit den Aussagen der Zeugen Vorname4 C, Vorname5 C und D übereinstimmt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Zu einer abweichenden Regelung besteht keine Veranlassung.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zuzulassen wegen der in der vorliegenden Konstellation bestehenden grundsätzlichen Bedeutung der Zulässigkeit der Vernehmung eines Notars, die auch ohne Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht durch die Aufsichtsbehörde auf eine mutmaßliche Einwilligung des Verstorbenen gestützt wird. Die Frage ist hier auch entscheidungserheblich, denn der Senat kann nicht ausschließen, dass er im Falle einer Aussage des Zeugen RA2, die das Vorbringen des Beteiligten zu 1 zu dem behaupteten Gespräch mit der Erblasserin bestätigt hätte, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

Die Festsetzung des Geschäftswerts entspricht der Angabe in dem Erbscheinsantrag und der Festsetzung durch das Nachlassgericht.

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