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Verfahren bei Unauffindbarkeit einer notariellen Bewilligungsurkunde

OLG Köln – Az.: I-2 Wx 183/21 – Beschluss vom 05.07.2021

Die Beschwerde der Beteiligten vom 21. Januar 2021 i.V.m. dem Schriftsatz vom 23. Juni 2021 gegen den am 26. Oktober 2020 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts – Grundbuchamt – A-B, RO19461-4, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das im Rubrum genannte Grundstück war ursprünglich im Grundbuch des Amtsgerichts Köln von A-B auf Blatt 1976A gebucht. Am 24. Januar 1938 erfolgte eine Umschreibung des Grundstücks nach Blatt 5095. Am 29. Januar 1947 wurde für dieses Grundstück eine Grundakte angelegt, auf dessen Blatt 1 sich folgender am 29. Januar 1947 verfasster Vermerk befindet: „Grundakten sind in Verlust geraten.“ Am 7. Januar 2003 erfolgt eine Übertragung des Grundstücks nunmehr auf das Blatt 19461. In Abteilung II Nr. 1 ist das Grundstück wie folgt belastet:

„Eine Bau- und Verfügungsbeschränkung zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Flur 55 Nr. 1521/11 nach Massgabe der Bewilligung vom 21./22. Dezember 1920, eingetragen am 8. Januar 1921 in Blatt 1976 A, über Blatt 5095 hierher mitübertragen am 7. Januar 2003.“

Bemühungen des Rechtspflegers des Grundbuchamts um die Beiziehung der Ursprungsgrundakten Blatt 1976 A bzw. weiterer Grundstücke, bei denen ebenfalls eine entsprechende Belastung gebucht ist, blieben erfolglos. Weder im Archiv des Grundbuchamtes noch im Landesarchiv NRW konnten die Akten aufgefunden werden. Das ursprünglich an dem Flurstück 1515/11 in südöstlicher Richtung unmittelbar angrenzende Flurstück 1521/11 wurde im Jahre 1923 aufgrund einer Teilvermessung in die Flurstücke 1606/11 bis 1620/11 zerlegt (vgl. Auskunft eines Vermessungsbüros Bl. 34 f. d.GA.).

Mit Schriftsatz ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 13. Mai 2016 (Bl. 45 d.GA.) regte die Eigentümerin die Löschung des in Abt. II Nr. 1 eingetragenen Rechts wegen fehlender Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit an, da sich aus dem Grundbuch kein bestimmbarer Inhalt des Rechts ergebe. Auf die in Bezug genommene Eintragungsbewilligung könne mangels Existenz der Ursprungsgrundakten nicht zurückgegriffen werden. Zudem könne die Verfügungsbefugnis über ein veräußerliches Recht nicht wirksam durch ein Rechtsgeschäft ausgeschlossen werden. Durch den am 1. August 2016 erlassenen Beschluss lehnte der Rechtspfleger eine Löschung des eingetragenen Rechts ab.

Mit Schriftsatz ihres jetzigen Verfahrensbevollmächtigten vom 29. Juni 2020 (Bl. 64 ff. d.GA.) hat die Beteiligte beantragt bzw. angeregt, die im Grundbuch eingetragen Dienstbarkeit gem. § 53 GBO zu löschen, hilfsweise das Verfahren gem. § 148 GBO i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 2 und § 11 der Verordnung über die Wiederherstellung zerstörter oder abhandengekommener Grundbücher und Urkunden von Amts wegen zu eröffnen.

Dabei hat sie erneut die Auffassung vertreten, die eingetragene Verfügungsbeschränkung sei ihrem Inhalt nach gem. § 137 S. 1 BGB und zudem gem. § 1090 Abs. 1 Alt. 2 i.V.m. § 1018 BGB unzulässig. Der Angabe „Bau- und Verfügungsbeschränkung“ fehle die notwendige Kennzeichnungskraft. Soweit die ursprünglichen Grundakten nicht mehr auffindbar bzw. vorhanden seien, sei das Verfahren zur Wiederherstellung zerstörter oder abhandengekommener Grundbücher und Urkunden von Amts wegen zu eröffnen.

Mit dem am 26. Oktober 2020 erlassenen Beschluss hat das Grundbuchamt unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 29. Juli 2016 den Antrag auf Löschung des Rechts in Abt. II Nr. 1 zurückgewiesen. In den Gründen hat das Grundbuch weiterhin darauf hingewiesen, dass „zu gegebener Zeit das Verfahren zur Wiederherstellung der wahrscheinliche kriegsvernichteten Bewilligung einleiten werde.“ Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten, mit der diese ihre Anträge bzw. Anregungen wiederholt.

II.

1.

Die mit dem Ziel der Löschung des in Abt. II Nr. 1 eingetragenen Rechts eingelegte Beschwerde ist gem. § 71 Abs. 2 S. 2 GBO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG statthaft (vgl. OLG Karlsruhe FGPrax 2014, 49; OLG München FGPrax 2018, 12; KEHE/Sternal, Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, § 71 GBO Rn. 39 m.w.N.) und auch im Übrigen zulässig (§ 73 GBO). Soweit die Beteiligte mit der Beschwerde zudem die Wiederherstellung der abhandengekommenen Unterlagen begehrt, ist das Rechtsmittel nicht statthaft. Denn bisher hat das Grundbuchamt die Wiederherstellung der abhanden gekommenen Urkunde noch nicht endgültig abgelehnt, sondern die Einleitung des Verfahrens lediglich zurückgestellt. Die bloße Untertätigkeit des Grundbuchamts unterliegt keiner Anfechtung; in Betracht kommt allenfalls eine Dienstaufsichtsbeschwerde (KEHE/Sternal, Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, § 71 GBO Rn. 57).

2.

In der Sache hat das Rechtsmittel, soweit dieses statthaft ist, keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Amtslöschung gem. § 53 Abs. 1 S. 2 GBO liegen nicht vor, da derzeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass die beanstandete Eintragung ihrem Inhalt nach ganz oder teilweise unzulässig ist.

a)

Eine Eintragung ist von Amts wegen als inhaltlich unzulässig gem. § 53 Abs. 1 S. 2 GBO zu löschen, wenn das Recht mit dem Inhalt oder in der Ausgestaltung der Eintragung aus Rechtsgründen nicht bestehen kann (vgl. nur BGH FGPrax 2015, 5; OLG München FGPrax 2018, 12; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 53 Rn. 42). Die Unzulässigkeit muss sich aus dem Eintragungsvermerk selbst oder den in zulässiger Weise in Bezug genommenen Eintragungsunterlagen ergeben; andere Beweismittel dürfen nicht verwertet werden (BGH FGPrax 2017, 243; BayObLG Rpfleger 1988, 102; OLG Hamm OLGZ 1993, 43; OLG München Rpfleger 2008, 480; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 53 Rn. 42).

Eine Eintragung kann vor allem dann ein Recht nicht zum Entstehen bringen und daher (von Anfang an) rechtlich unwirksam sein, wenn sie ein nicht eintragungsfähiges Recht, ein Recht mit einem nicht erlaubten Inhalt oder ein Recht ohne den gesetzlich gebotenen Inhalt verlautbart. Letzteres ist unter anderem der Fall, wenn der Eintragungsvermerk den wesentlichen Inhalt des Rechts nicht kennzeichnet oder in einem wesentlichen Punkt so unklar ist, dass die Bedeutung des Eingetragenen auch bei zulässiger Auslegung nicht festgestellt werden kann. Dabei muss sich die inhaltliche Unzulässigkeit aus dem Eintragungsvermerk und den dort in zulässiger Weise in Bezug genommenen Eintragungsunterlagen zur Überzeugung des Grundbuchamts oder des im Beschwerdeverfahren an seine Stelle tretenden Beschwerdegerichts ergeben (BGH FGPrax 2015, 5, BayObLGZ 1990, 35; OLG München FGPrax 2018, 12; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 53 Rn, 45, 49). Maßgebend für die Beurteilung der inhaltlichen (Un-)Zulässigkeit einer Eintragung sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Eintragung und das Rechtsverständnis, wie es in der damaligen Verkehrsübung seinen Niederschlag gefunden hat (BayObLG NJW 1998, 879; KG OLGZ 1977, 6, OLG Hamm NJW-RR 1995, 914; OLG München FGPrax 2018, 12; Demharter, GBO, 32. Aufl., § 53 Rn. 50). Gem. § 1090 BGB kann ein Grundstück durch eine Nutzungsbefugnis (§ 1090 Abs. 1 Alt. 1 BGB, durch Handlungsverbote oder durch den Ausschluss der Rechtsausübung (§ 1090 Abs. 1 Alt. 2 i.V.m. § 1018 Alt. 2 und Alt. 3 BGB) belastet werden. Der charakteristische Inhalt der jeweiligen Befugnis oder Beschränkung ist durch den Eintragungsvermerk selbst zum Ausdruck zu bringen, der sodann wegen der inhaltlichen Ausgestaltung des Rechts im Einzelnen auf die Bewilligung Bezug nehmen kann (vgl. nur BGHZ 35, 382; OLG München FGPrax 2018, 12; OLG Zweibrücken FGPrax 2017, 18; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 44 Rn. 17 i.V.m. § 53 Rn. 45).

b)

Unter Heranziehung dieser Kriterien kann nicht von einer Unzulässigkeit der beanstandete Eintragung einer „Baubeschränkung“ in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs ausgegangen werden. Die schlagwortartige Bezeichnung dieses Rechts verfügt nach gefestigter Rechtsprechung bereits über eine ausreichend individualisierende inhaltliche Kennzeichnungskraft; hinsichtlich der näheren Ausgestaltung dieser Beschränkung konnte daher auf die Eintragungsbewilligung Bezug genommen werden (vgl. nur BGH NJW 1983, 115; OLG Hamm FGPrax 1996, 171; OLG München FGPrax 2008, 196; FGPrax 2018, 12; Staudinger/Weber, BGB, Bearb. 2017, § 1018 Rn. 106 f.; Staudinger/Heinze, BGB, Bearb. 2018, § 873 Rn. 264). An die inhaltliche Beschreibung der Grunddienstbarkeit im Grundbuch selbst dürfen nämlich keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden; Verkürzungen und Ungenauigkeiten lassen sich durch die lediglich schlagwortartige Bezeichnung nicht vermeiden (BayObLG Rpfleger 1989, 230; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 44 Rn. 18).

c)

Auch hinsichtlich der eingetragenen „Verfügungsbeschränkung“ liegen derzeit nicht die Voraussetzungen für eine Löschung dieser Belastung vor. Insbesondere kann nicht ohne weitere Nachweise von einer Grundbuchunrichtigkeit ausgegangen werden. Allein aus der schlagwortartigen Bezeichnung „Verfügungsbeschränkung“ ist noch nicht erkennbar, welche Beschränkung hiermit konkret verbunden sein sollte, insbesondere, ob hiermit ein absolutes oder relatives Verfügungsverbot bzw. eine Veränderungssperre gemeint war. Daher bedarf es eines Rückgriffs auf die Bewilligung als Informationsquelle über den Inhalt des Rechts. Nur in Verbindung mit der Eintragungsbewilligung kann unter Berücksichtigung des zum maßgeblichen Zeitpunkt der Eintragung im Jahre 1921 bestehenden Rechtsverständnisses geprüft werden, ob es sich um eine ihrem Inhalt nach unzulässige Eintragung handelt. Insbesondere, ob – wie die Beschwerde geltend macht – ein Recht mit einem gesetzlich nicht erlaubten Inhalt verlautbart wird.

Der Umstand, dass die Ursprungsgrundakte möglicherweise durch Kriegseinwirkungen zerstört worden ist und die zulässigerweise in Bezug genommene Bewilligungsurkunde jedenfalls derzeit nicht auffindbar ist, rechtfertigt noch keine Löschung der Belastung aufgrund materiell-rechtlicher Unwirksamkeit des Rechts.

Das Fehlen einer Bewilligung als rein verfahrensrechtlicher Erklärung wirkt sich zudem nicht auf die materiell-rechtliche Seite des Geschäfts aus (BayObLGZ 2000, 176 (179); OLG München FGPrax 2015, 159), so dass die Unauffindbarkeit der Bewilligung noch nicht den Bestand des materiellen Rechts in Frage stellt (OLG München, FGPrax 2018, 12).

Insoweit ist – worauf das Grundbuchamt in seiner Entscheidung bereits hingewiesen hat – das Amtsverfahren zum Zweck der Wiederbeschaffung zerstörter oder abhanden gekommener Eintragungsbewilligungen nach § 148 GBO i.V.m. der fortgeltenden VO über die Wiederherstellung zerstörter oder abhanden gekommener Grundbücher und Urkunden vom 26.7.1940 (RGBl. I 1048) einzuleiten (vgl. Senat, Rpfleger 1982, 16 (17); OLG München Beschl. v. 30.6.2014 – 34 Wx 168/14, juris; LG Potsdam Rpfleger 2000, 545; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 148 Rn. 3; KEHE/Munzig, Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, § 148 Rn. 6 mit 9). Dies ist bisher nicht geschehen. Ein etwaiger Verstoß des Grundbuchamts gegen die Ordnungsvorschriften gemäß § 148 Abs. 1 GBO hat allerdings keine Folgen für die Wirksamkeit und die inhaltliche Zulässigkeit der Eintragung (OLG München FGPrax 2018, 12).

Eine Löschung der beanstandeten Eintragung allein wegen der fehlenden Einleitung des Verfahrens kommt nicht in Betracht. Dabei ist auch das Vertrauen darauf zu berücksichtigen, dass Eintragungen, die jahrzehntelang als inhaltlich zulässig und deshalb rechtlich wirksam angesehen wurden, als bestehend anerkannt bleiben, selbst wenn die Art der Eintragung nach heutigen strengeren Maßstäben nicht mehr in dieser Form vorgenommen würde bzw. in dieser Form als unzulässig angesehen würde (BayObLG Rpfleger 1981, 479 hinsichtlich einer Eintragung aus dem Jahr 1956; BayObLG Rpfleger 1986, 296 hinsichtlich einer Eintragung aus dem Jahr 1932; BayObLGZ 1987, 121 (129) hinsichtlich einer Eintragung aus dem Jahr 1922; KG OLGZ 1975, 301 (305) hinsichtlich einer Eintragung aus dem Jahr 1933; OLG München, FGPrax 2018, 12; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 53 Rn. 50). Dieses Vertrauen ist hier angesichts des nahezu ein Jahrhundert dauernden Zeitraums, in dem die Belastung unbeanstandet geblieben ist, aus Gründen der Rechtssicherheit anzuerkennen und schutzwürdig.

2.

Einer förmlichen Kostenentscheidung bedarf es nicht, da der Beschwerdeführerin kein Gegner gegenüber steht.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 78 Abs. 2 GBO).

Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens: 5.000,00 EUR

 

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