Ein Notar beurkundete 2017 einen millionenschweren Immobilienvertrag und nahm vorsorglich eine „Umsatzsteuer-Option“ auf. Diese Klausel sollte ein rein theoretisches Risiko absichern; der Notar selbst bewertete sie für die Gebührenrechnung mit null Euro. Doch Jahre später forderte die Notarkasse eine Neuberechnung, die den Wert dieser einen Klausel mit über 640.000 Euro ansetzen wollte – eine Diskrepanz, die die Endrechnung für die Käuferin empfindlich erhöhen würde.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Worum ging es in dem ungewöhnlichen Streit vor Gericht?
- Was genau wurde in dem notariellen Vertrag vereinbart?
- Was war das Besondere an der Umsatzsteuer-Klausel?
- Wie kam es zur gerichtlichen Überprüfung der Notarkosten?
- Wie urteilte das Landgericht in der ersten Instanz?
- Warum landete der Fall vor dem Oberlandesgericht?
- Wie begründete das Oberlandesgericht seine abweichende Entscheidung?
- Was bedeutete das Urteil für die endgültige Kostenrechnung?
- Wichtigste Erkenntnisse
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie werden vorsorgliche oder absichernde Klauseln in notariellen Verträgen für die Gebührenberechnung bewertet?
- Können neben dem Kaufpreis oder Mietwert weitere Faktoren die Höhe der Notarkosten beeinflussen?
- Was bedeutet es, wenn das Gesetz von einem „eigenständigen Beurkundungsgegenstand“ im Kontext von Notarkosten spricht?
- Spielt es für die Berechnung der Notarkosten eine Rolle, aus welchen Motiven eine Vertragsklausel aufgenommen wurde?
- Warum ist es wichtig, sich bei komplexen Rechtsgeschäften auch gegen unwahrscheinliche Risiken abzusichern?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 11 W 1306/23 e | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht München
- Aktenzeichen: 11 W 1306/23 e
- Verfahren: Beschwerdeverfahren
- Rechtsbereiche: Notarkostenrecht, Umsatzsteuerrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Notar. Er beantragte, dass eine Umsatzsteuerklausel im Kaufvertrag nicht gesondert bei den Notargebühren berechnet werden sollte.
- Beklagte: Die Notarkasse, eine Einrichtung der Notare. Sie vertrat die Ansicht, dass die Umsatzsteuerklausel gesondert und mit dem vollen Umsatzsteuerbetrag zu bewerten sei.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Ein Notar beurkundete einen Miet- und Kaufoptionsvertrag für ein Grundstück. Der Vertrag enthielt eine vorsorgliche Erklärung zur Umsatzsteuerpflicht, die der Notar bei seiner Gebührenrechnung nicht gesondert berücksichtigte.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Muss ein Notar für eine im Kaufvertrag enthaltene vorsorgliche Erklärung zur Umsatzsteuerpflicht extra Gebühren berechnen, auch wenn die Steuer voraussichtlich gar nicht anfällt, und wenn ja, wie hoch ist dieser Betrag?
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Die Notargebühren müssen erhöht werden, da die Umsatzsteuerklausel gesondert und mit dem vollen Umsatzsteuerbetrag zu bewerten ist.
- Zentrale Begründung: Das Gesetz schreibt vor, dass eine solche vorsorgliche Umsatzsteuererklärung als eigenständiger Posten mit dem vollen möglichen Umsatzsteuerbetrag bei den Notargebühren bewertet werden muss, da die Motive oder die tatsächliche Steuerpflicht dabei keine Rolle spielen.
- Konsequenzen für die Parteien: Die Notarkostenrechnungen müssen angepasst werden, was zu höheren Gebühren für die Kostenschuldner führt.
Der Fall vor Gericht
Worum ging es in dem ungewöhnlichen Streit vor Gericht?
Im Mittelpunkt eines Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht München stand eine Frage, die auf den ersten Blick technisch und unbedeutend wirken mag, aber für die Beteiligten erhebliche finanzielle Folgen hatte. Ein Notar hatte im Jahr 2017 einen komplexen Vertrag über ein großes Gewerbeareal beurkundet. Jahre später musste ein Gericht darüber entscheiden, ob eine einzige, vorsorglich aufgenommene Klausel in diesem Vertrag die Notargebühren um einen sechsstelligen Betrag hätte erhöhen müssen. Der Fall drehte sich um die Frage: Was ist die rechtliche Dienstleistung eines Notars wert, wenn sie nur dazu dient, ein rein theoretisches Risiko abzusichern?
Was genau wurde in dem notariellen Vertrag vereinbart?

Im September 2017 beurkundete ein Notar in einer süddeutschen Metropole eine umfangreiche Urkunde. Darin schlossen ein Verkäufer, eine Mieterin und eine Käuferin ein mehrteiliges Geschäft ab. Zunächst wurde ein Gewerbemietvertrag über ein komplettes Areal mit mehreren Grundstücken zu einer monatlichen Miete von 32.500 Euro geschlossen. Gleichzeitig wurde der Käuferin eine Kaufoption für ebenjene Grundstücke eingeräumt. Der vereinbarte Kaufpreis, sollte die Option gezogen werden, betrug netto 3.370.000 Euro. Die Parteien legten fest, dass die Käuferin die gesamten Kosten für die notarielle Beurkundung tragen sollte.
Was war das Besondere an der Umsatzsteuer-Klausel?
Der Knackpunkt des Vertrages fand sich in einer unscheinbaren Ziffer zur Umsatzsteuer. Normalerweise sind Grundstücksverkäufe in Deutschland von der Umsatzsteuer befreit. Ein Unternehmer kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen auf diese Befreiung verzichten und sich für die Umsatzsteuerpflicht entscheiden. Diesen Vorgang nennt man „Option zur Umsatzsteuer“.
Im vorliegenden Fall gingen eigentlich alle Beteiligten davon aus, dass der Verkauf ohnehin nicht der Umsatzsteuer unterliegen würde. Sie nahmen an, es handle sich um eine sogenannte „Geschäftsveräußerung im Ganzen“. Das ist vergleichbar mit dem Verkauf eines kompletten, laufenden Bäckereibetriebs samt Ofen, Theke und Angestellten – ein solcher Vorgang wird umsatzsteuerlich nicht als einzelne Lieferung von Gegenständen, sondern als Ganzes behandelt und ist daher nicht steuerbar.
Um aber für den Fall der Fälle gewappnet zu sein, falls das Finanzamt die Sache anders bewerten sollte, wurde eine Sicherheitsklausel eingebaut: Der Verkäufer erklärte vorsorglich, aber rechtlich bindend, auf die Steuerbefreiung zu verzichten und zur Umsatzsteuer zu optieren. Das ist wie bei jemandem, der sowohl einen Gürtel als auch Hosenträger anzieht – nicht, weil er beides braucht, sondern um absolut sicherzugehen, dass die Hose unter keinen Umständen rutscht. Für den Fall, dass diese Option wirksam würde, müsste die Käuferin die Umsatzsteuer in Höhe von 19 % des Kaufpreises – also 640.300 Euro – direkt an das Finanzamt abführen.
Wie kam es zur gerichtlichen Überprüfung der Notarkosten?
Als der Notar seine Rechnung erstellte, berechnete er seine Gebühren auf Basis des Kaufpreises und des Wertes des Mietvertrags. Die vorsorgliche Umsatzsteuer-Klausel bewertete er nicht gesondert. Er sah sie als reine Absicherungsmaßnahme ohne eigenen wirtschaftlichen Wert an, da die Umsatzsteuer seiner Meinung nach ohnehin nie anfallen würde.
Diese Vorgehensweise rief jedoch die Aufsichtsbehörde des Notars, die Präsidentin des Landgerichts, auf den Plan. Auf ihre Weisung hin musste der Notar selbst einen Antrag bei Gericht stellen, um die korrekte Bewertung seiner eigenen Rechnung klären zu lassen. In diesem Verfahren standen sich zwei gegensätzliche Positionen gegenüber: Der Notar argumentierte, die Klausel habe keinen oder nur einen sehr geringen Wert. Die ebenfalls am Verfahren beteiligte Notarkasse vertrat hingegen die Auffassung, die Klausel müsse sehr wohl bewertet werden – und zwar mit dem vollen Betrag der potenziellen Umsatzsteuer, also 640.300 Euro.
Wie urteilte das Landgericht in der ersten Instanz?
Das Landgericht München I schloss sich zunächst der Sichtweise des Notars an. Die Richter meinten, dass für die Bewertung der Klausel eine Abwägung nach „billigem Ermessen“ stattfinden müsse, da das Gesetz keine ganz genaue Regelung vorsehe. Sie blickten auf den wirtschaftlichen Hintergrund: Da die Parteien von einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung ausgingen, wäre die Umsatzsteuer mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie fällig geworden. Die Klausel diente nur der Abwehr eines geringen Restrisikos.
Aus diesem Grund hielten die Richter es für unangemessen, den vollen Umsatzsteuerbetrag als Wert anzusetzen. Sie schätzten den Wert der Klausel auf lediglich 5 % dieses Betrages, also rund 32.000 Euro. Da dieser relativ kleine Betrag die Notargebühren nicht in eine höhere Stufe katapultierte – keinen „Gebührensprung“ auslöste –, änderte das Gericht die ursprüngliche Rechnung des Notars nicht ab.
Warum landete der Fall vor dem Oberlandesgericht?
Obwohl der Notar mit dem Urteil des Landgerichts im Ergebnis zufrieden sein konnte, musste er auf Anweisung seiner Aufsichtsbehörde Beschwerde einlegen. Man wollte eine endgültige Klärung durch eine höhere Instanz. Das Landgericht half der Beschwerde nicht ab, was bedeutet, dass es bei seiner Meinung blieb. Damit war der Weg frei für das Oberlandesgericht München, das nun das letzte Wort in dieser Sache hatte.
Wie begründete das Oberlandesgericht seine abweichende Entscheidung?
Das Oberlandesgericht (OLG) München kippte die Entscheidung des Landgerichts vollständig und gab der strengen Auffassung der Notarkasse recht. Die Begründung der OLG-Richter folgte einer klaren und formalen juristischen Logik, die keinen Raum für Ermessensspielräume ließ.
Zuerst stellten die Richter fest, dass das Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) eine ganz ausdrückliche Regelung für solche Fälle enthält. Der Paragraph § 110 GNotKG legt fest, dass eine Erklärung zur Umsatzsteueroption ein vom Kaufvertrag getrennter, also ein Eigenständiger Beurkundungsgegenstand ist. Der Gesetzgeber habe damit klar gemacht, dass eine solche Klausel nicht einfach im Wert des Kaufvertrags untergehen darf, sondern gesondert bewertet werden muss. Diese Vorschrift wäre sinnlos, so das Gericht, wenn man eine solche Klausel am Ende doch nicht oder nur mit einem symbolischen Wert bewerten würde.
Damit war die Argumentation des Landgerichts, man müsse den Wert nach „billigem Ermessen“ schätzen, vom Tisch. Das OLG erklärte, dass die Regelung zum Ermessen (§ 36 GNotKG) nur ein Auffangnetz für Fälle ist, in denen es keine speziellere Vorschrift gibt. Hier gab es aber eine solche: § 97 GNotKG. Diese Norm schreibt vor, dass der Wert einer Erklärung sich nach dem Wert des Rechtsverhältnisses bemisst, um das es geht. Bei der Umsatzsteueroption ist das Rechtsverhältnis die potenzielle Steuerschuld. Der Wert ist demnach die Höhe der Umsatzsteuer, die anfallen könnte – im konkreten Fall also die vollen 640.300 Euro.
Das Gericht machte unmissverständlich klar, dass die Beweggründe der Vertragsparteien für die Kostenberechnung völlig irrelevant sind. Ob die Klausel als „Angstklausel“ oder zur „Rechtsbereinigung“ aufgenommen wurde, spielt keine Rolle. Die Parteien wollten die Sicherheit, auch ein noch so kleines steuerliches Risiko auszuschließen. Diese erkaufte Sicherheit, so das Gericht, hat einen klaren, vom Gesetz vorgegebenen Preis. Es sei nicht die Aufgabe eines Notars, bei der Rechnungsstellung eine komplexe steuerliche Wahrscheinlichkeitsprognose anzustellen. Das Kostenrecht verlange klare und einfache Regeln, keine Spekulationen über die Entscheidungen von Finanzämtern.
Die Kernaussagen des Oberlandesgerichts lassen sich so zusammenfassen:
- Kein Ermessen: Die Umsatzsteueroption ist laut Gesetz ein eigenständiger Gegenstand und muss bewertet werden. Ein Rückgriff auf eine Schätzung nach Ermessen ist unzulässig, weil es eine klare gesetzliche Bewertungsvorschrift gibt.
- Voller Wertansatz: Der Wert dieser Klausel entspricht der vollen Höhe der potenziellen Umsatzsteuer, nicht nur einem Bruchteil davon.
- Motive sind irrelevant: Der Grund für die Aufnahme der Klausel (z.B. reine Vorsicht) ändert nichts an ihrer kostenrechtlichen Bewertung.
Was bedeutete das Urteil für die endgültige Kostenrechnung?
Das Urteil des Oberlandesgerichts hatte direkte finanzielle Konsequenzen. Die Richter ordneten an, dass die ursprünglichen Kostenrechnungen des Notars geändert werden müssen. Der Gesamtwert, aus dem die Gebühren zu berechnen waren, setzte sich nun aus drei Teilen zusammen: dem Wert des Mietvertrags (ca. 2,1 Mio. Euro), dem Kaufpreisangebot (ca. 3,4 Mio. Euro) und dem Wert der Umsatzsteueroption (ca. 640.000 Euro).
Der neue Gesamtgeschäftswert stieg somit von rund 5,5 Millionen Euro auf über 6,1 Millionen Euro. Aus diesem erhöhten Wert mussten die Gebühren für die Beurkundung und den späteren Vollzug des Vertrages neu berechnet werden, was zu einer spürbaren Erhöhung der Endrechnung für die Käuferin führte. Das Gericht ließ die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zu, um eine höchstrichterliche Klärung dieser grundsätzlichen Frage zu ermöglichen.
Wichtigste Erkenntnisse
Die richterliche Entscheidung präzisiert, wie der Wert juristischer Dienstleistungen bemessen wird, selbst wenn es um die Absicherung unwahrscheinlicher Eventualitäten geht.
- Vorrang spezifischer Gesetze: Wenn eine Rechtsvorschrift die Bewertung eines Vertragsbestandteils klar regelt, entfällt jeglicher Ermessensspielraum für eine Schätzung.
- Objektiver Wert rechtlicher Absicherung: Eine Klausel, die ein potenzielles finanzielles Risiko absichert, bemisst sich am vollen Wert des potenziellen Risikos, ungeachtet der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens.
- Irrelevanz subjektiver Motive: Die Beweggründe der Vertragsparteien für eine vorsorgliche Regelung beeinflussen deren objektive kostenrechtliche Bewertung nicht.
Das Kostenrecht orientiert sich an klaren gesetzlichen Vorgaben und dem objektiven Wert der geschaffenen Rechtssicherheit, nicht an Spekulationen über zukünftige Entwicklungen oder subjektiven Absichten.
Das Urteil in der Praxis
Wer glaubt, eine Absicherungsklausel sei nur eine kostengünstige Vorsichtsmaßnahme, wird von diesem Urteil schmerzhaft eines Besseren belehrt. Das OLG München stellt unmissverständlich klar: Bei Notargebühren zählt der volle Wert des abgesicherten Rechtsverhältnisses, nicht die subjektive Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts. Diese Entscheidung schiebt dem Gedanken an „billiges Ermessen“ einen Riegel vor und macht deutlich, dass selbst reine „Angstklauseln“ den vollen finanziellen Preis haben. Für die Vertragspraxis bedeutet das: Jede Zusatzvereinbarung, auch wenn sie nur der Absicherung dient, muss auf ihre potenziellen Kosten hin genauestens geprüft werden, um böse Überraschungen zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie werden vorsorgliche oder absichernde Klauseln in notariellen Verträgen für die Gebührenberechnung bewertet?
Vorsorgliche oder absichernde Klauseln in notariellen Verträgen können für die Gebührenberechnung einen eigenständigen und oft erheblichen Wert haben, selbst wenn das von ihnen abgedeckte Risiko als gering oder unwahrscheinlich erscheint. Dies lässt sich vergleichen mit jemandem, der sowohl einen Gürtel als auch Hosenträger trägt: Obwohl die Notwendigkeit für beides unwahrscheinlich ist, dient die doppelte Absicherung der maximalen Sicherheit, die als Wert an sich gesehen wird.
Der Gesetzgeber sieht im Kostenrecht vor, dass die Dienstleistung eines Notars für solche Klauseln nach einem objektiv messbaren Wert bemessen wird. Dieser Wert ergibt sich aus dem potenziellen wirtschaftlichen Risiko oder Nutzen, den die Klausel absichert, und nicht aus der subjektiven Einschätzung der Parteien oder der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens. Die Motive für die Aufnahme einer solchen Klausel, etwa reine Vorsicht, sind für die kostenrechtliche Bewertung irrelevant.
Die Gewährleistung rechtlicher Sicherheit durch solche vorsorglichen Regelungen stellt eine eigenständige notarielle Dienstleistung dar. Das Kostenrecht verlangt in solchen Fällen klare und einfache Bewertungsregeln, um aufwendige Spekulationen über zukünftige Ereignisse zu vermeiden.
Können neben dem Kaufpreis oder Mietwert weitere Faktoren die Höhe der Notarkosten beeinflussen?
Ja, Notarkosten können auch durch weitere Regelungen und Klauseln innerhalb eines Vertrages beeinflusst werden, die über den reinen Kaufpreis oder Mietwert hinausgehen. Notarkosten basieren grundsätzlich auf dem sogenannten „Geschäftswert“ einer Beurkundung, der sich aus verschiedenen Teilen eines Vertrages zusammensetzen kann.
Man kann sich das vorstellen wie bei einem Hausbau: Neben den offensichtlichen Kosten für die eigentlichen Wohnflächen entstehen zusätzliche Kosten für spezielle Anlagen wie eine Solaranlage oder eine besondere Lüftung, selbst wenn diese nur als Option oder zur zusätzlichen Absicherung eingebaut werden. Jedes dieser Elemente hat einen eigenen Wert und trägt zu den Gesamtkosten bei.
Ein einziger notarieller Vertrag, insbesondere im Immobilien- oder Unternehmensbereich, kann daher mehrere sogenannte „Beurkundungsgegenstände“ umfassen. Neben dem Hauptgeschäft, wie einem Kauf- oder Mietvertrag, können dies beispielsweise auch eine Kaufoption oder spezielle Erklärungen wie eine vorsorgliche Umsatzsteueroption sein. Diese zusätzlichen Regelungen werden gesondert bewertet und fließen mit ihrem eigenen Wert in die Berechnung der Gesamtkosten ein. Es ist dabei unerheblich, ob diese Klauseln hauptsächlich zur Absicherung dienen oder ob ihre tatsächliche Anwendung als unwahrscheinlich gilt. Die bloße Tatsache ihrer Beurkundung löst eine eigenständige Wertberechnung aus.
Diese Vorgehensweise gewährleistet eine transparente und gesetzlich festgelegte Abrechnung der notariellen Leistung, die alle beurkundeten Inhalte eines Vertrages vollständig berücksichtigt.
Was bedeutet es, wenn das Gesetz von einem „eigenständigen Beurkundungsgegenstand“ im Kontext von Notarkosten spricht?
Ein „eigenständiger Beurkundungsgegenstand“ im Notarvertrag ist eine Erklärung oder ein Rechtsgeschäft, das rechtlich und für die Kostenberechnung als vom Hauptgeschäft getrennt betrachtet wird. Das bedeutet, dass es einen eigenen Wert besitzt, der bei der Berechnung der Notargebühren berücksichtigt wird.
Stellen Sie sich vor, Sie beauftragen einen Handwerker, Ihr Bad zu renovieren (das Hauptgeschäft). Wenn Sie zusätzlich vereinbaren, dass er auch eine spezielle, maßgefertigte Sauna einbaut, ist diese Sauna ein eigenständiger Teil des Auftrags. Sie wird gesondert kalkuliert und berechnet – auch wenn die Badrenovierung der Hauptgrund für den Auftrag war und die Sauna nur ein zusätzlicher Wunsch.
Das Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) sieht vor, dass bestimmte Vereinbarungen im Notarvertrag nicht einfach als unwesentliche Nebenklauseln des Hauptgeschäfts angesehen werden. Stattdessen wird ihnen ein unabhängiger juristischer Charakter zugesprochen, der einen eigenen Wert für die Gebührenberechnung darstellt. Dies betrifft Erklärungen, die eine eigene rechtliche Wirkung entfalten oder ein spezifisches Risiko absichern, selbst wenn deren Eintritt unwahrscheinlich erscheint.
Diese Regelung dient dazu, die vom Notar erbrachten juristischen Leistungen – ob Haupt- oder Nebenleistung – angemessen zu vergüten und klare, nachvollziehbare Regeln für die Notarkostenberechnung zu schaffen.
Spielt es für die Berechnung der Notarkosten eine Rolle, aus welchen Motiven eine Vertragsklausel aufgenommen wurde?
Nein, für die Berechnung der Notarkosten spielt es keine Rolle, aus welchen persönlichen oder vorsorglichen Motiven eine Vertragsklausel in einer Urkunde enthalten ist. Das Kostenrecht legt hier einen objektiven Maßstab an.
Stellen Sie sich vor, ein Architekt kalkuliert die Kosten für einen Balkon: Er berechnet dies nach Größe, Material und Bauaufwand, nicht danach, ob die Bauherren große Angst vor einem Einsturz hatten und deshalb auf eine extra stabile, aber standardmäßige Konstruktion bestanden. Ebenso bewertet der Notar die objektive rechtliche Leistung.
Ein Gericht hat klargestellt, dass die Beweggründe der Vertragsparteien, wie etwa eine reine Vorsichtsmaßnahme oder eine „Angstklausel“, für die Berechnung der Notargebühren irrelevant sind. Das Gerichts- und Notarkostengesetz sieht vor, dass der Wert einer Erklärung sich nach dem Wert des Rechtsverhältnisses bemisst, das abgesichert wird. Es geht um den rechtlichen Gehalt und den potenziellen wirtschaftlichen Wert einer beurkundeten Erklärung, nicht um die dahinterstehende Absicht oder eine Wahrscheinlichkeitsprognose.
Das Kostenrecht ist darauf ausgelegt, klare und einfache Regeln zu bieten. Es soll vermieden werden, dass Notare komplexe Spekulationen über zukünftige Ereignisse oder die inneren Beweggründe der Parteien anstellen müssen. Eine einmal beurkundete rechtliche Absicherung, auch wenn sie nur vorsorglich ist, bewertet man daher stets nach den gesetzlichen Regeln ihres objektiven Wertes. Dies schafft Rechtssicherheit und Transparenz für alle Beteiligten.
Warum ist es wichtig, sich bei komplexen Rechtsgeschäften auch gegen unwahrscheinliche Risiken abzusichern?
Es ist wichtig, sich bei komplexen Rechtsgeschäften auch gegen unwahrscheinliche Risiken abzusichern, um potenzielle finanzielle und rechtliche Unsicherheiten im Vorfeld auszuschließen oder zu minimieren. Dies lässt sich vergleichen mit jemandem, der sowohl einen Gürtel als auch Hosenträger trägt: nicht, weil er beides unbedingt braucht, sondern um absolut sicherzugehen, dass die Hose unter keinen Umständen rutscht.
Eine solche vorsorgliche Absicherung dient dazu, für den „Fall der Fälle“ gewappnet zu sein, selbst wenn alle Beteiligten davon ausgehen, dass ein bestimmtes Risiko, wie eine Steuerpflicht, nicht eintreten wird. Gerichte betrachten solche Absicherungsklauseln nicht als bedeutungslos. Sie sind vielmehr eigenständige Bestandteile eines Vertrages, deren Wert sich nach dem potenziellen Risiko bemisst, das sie absichern kann. Die Beweggründe der Vertragsparteien für diese Vorsicht, etwa reine Angst oder die Absicht der Rechtsbereinigung, sind dabei für die kostenrechtliche Bewertung irrelevant.
Die „erkaufte Sicherheit“ durch solche Klauseln hat einen klaren, vom Gesetz vorgegebenen Preis. Die Kosten für solche umfassenden Absicherungen sind daher der Preis für diese juristische Gewissheit und können den Gesamtwert eines Rechtsgeschäfts erhöhen, was wiederum die zu zahlenden Notarkosten beeinflusst. Diese Herangehensweise sorgt für juristische Klarheit und schützt vor unerwarteten finanziellen Belastungen in der Zukunft.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Billiges Ermessen
Billiges Ermessen bedeutet, dass eine Entscheidung fair und vernünftig getroffen werden muss, wenn das Gesetz keinen genauen Wert oder keine präzise Vorgehensweise vorschreibt. Es ist ein juristischer Spielraum, der Gerichten oder anderen Akteuren erlaubt, eine angemessene Lösung zu finden, indem sie alle relevanten Umstände berücksichtigen und zu einer sachgerechten Entscheidung kommen. Der Zweck ist es, in unklaren Situationen dennoch zu einem gerechten Ergebnis zu gelangen.
Beispiel: Das Landgericht München I entschied zunächst, den Wert der Umsatzsteuer-Klausel nach „billigem Ermessen“ zu schätzen, da es keine genaue gesetzliche Regelung dafür sah, und setzte den Wert auf 5 % der potenziellen Umsatzsteuer fest.
Eigenständiger Beurkundungsgegenstand
Ein eigenständiger Beurkundungsgegenstand ist ein Teil eines notariellen Vertrages, der rechtlich so bedeutsam ist, dass er für die Kostenberechnung einen eigenen, separaten Wert erhält. Obwohl er Teil eines größeren Vertrags sein mag, wird er nicht einfach als unwesentliche Nebenklausel betrachtet, sondern als eine separate juristische Dienstleistung des Notars, die eine eigene Gebührenberechnung rechtfertigt. Dies stellt sicher, dass alle erbrachten Leistungen angemessen vergütet werden.
Beispiel: Das Oberlandesgericht München urteilte, dass die vorsorgliche Umsatzsteuer-Klausel ein „eigenständiger Beurkundungsgegenstand“ sei, der gemäß § 110 GNotKG gesondert zu bewerten und nicht nur als unwesentlicher Teil des Kaufvertrags anzusehen ist.
Geschäftsveräußerung im Ganzen
Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen liegt vor, wenn ein kompletter Betrieb oder ein abgrenzbarer Unternehmensteil mit allen wesentlichen Bestandteilen verkauft wird, was dazu führt, dass dieser Vorgang von der Umsatzsteuer befreit ist. Ziel dieser Regelung ist es, die Umstrukturierung von Unternehmen steuerlich nicht zu belasten, da nicht einzelne Gegenstände geliefert werden, sondern eine funktionierende Einheit den Besitzer wechselt.
Beispiel: Im vorliegenden Fall gingen die Vertragsparteien ursprünglich davon aus, dass der Verkauf des Gewerbeareals eine „Geschäftsveräußerung im Ganzen“ sei und somit ohnehin nicht der Umsatzsteuer unterliegen würde.
Geschäftswert
Der Geschäftswert ist die finanzielle Basis, auf deren Grundlage Notare und Gerichte ihre Gebühren für eine bestimmte Dienstleistung oder einen Vertrag berechnen. Dieser Wert ist entscheidend, da er nach gesetzlich festgelegten Tabellen die Höhe der anfallenden Kosten bestimmt. Er kann sich aus verschiedenen Teilen eines Vertrages zusammensetzen und spiegelt den wirtschaftlichen Nutzen oder das Risiko wider, das durch die juristische Handlung abgesichert wird.
Beispiel: Das Oberlandesgericht erhöhte den „Geschäftswert“ des beurkundeten Vertrages, indem es den Wert der Umsatzsteueroption zum Mietwert und Kaufpreisangebot hinzurechnete, was wiederum zu höheren Notargebühren führte.
Option zur Umsatzsteuer
Die Option zur Umsatzsteuer ist die freiwillige Entscheidung eines Unternehmers, einen eigentlich umsatzsteuerbefreiten Vorgang (wie einen Grundstücksverkauf) dennoch der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Diese Möglichkeit wird häufig genutzt, um den Vorsteuerabzug zu sichern, das heißt, bereits gezahlte Umsatzsteuer auf Eingangsleistungen vom Finanzamt zurückzuerhalten. Sie ist eine Ausnahme von der Regel der Umsatzsteuerbefreiung für Grundstücksgeschäfte.
Beispiel: Um für den Fall der Fälle gerüstet zu sein, erklärte der Verkäufer im Vertrag vorsorglich und bindend, auf die Steuerbefreiung zu verzichten und zur „Option zur Umsatzsteuer“ bereit zu sein, falls das Finanzamt den Vorgang anders bewerten sollte.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Beurkundungsgegenstand Umsatzsteueroption (§ 110 Gerichts- und Notarkostengesetz – GNotKG)
Erklärungen zur Option zur Umsatzsteuer sind im Notarkostenrecht als eigenständiger Gegenstand der Beurkundung anzusehen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Oberlandesgericht stellte klar, dass die vorsorgliche Umsatzsteuer-Klausel nicht einfach im Wert des Kaufvertrags untergeht, sondern separat bewertet werden muss, was die Grundlage für eine eigene Gebührenberechnung legte.
- Wertbestimmung von Erklärungen (§ 97 Gerichts- und Notarkostengesetz – GNotKG)
Der Wert einer notariell beurkundeten Erklärung, die ein Rechtsverhältnis betrifft, bemisst sich nach dem Wert dieses Rechtsverhältnisses.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Für die Umsatzsteuer-Klausel bedeutet dies, dass ihr Wert nicht geschätzt, sondern mit der vollen potenziellen Umsatzsteuerhöhe angesetzt werden muss, da dies der Wert des abgesicherten Rechtsverhältnisses ist.
- Vorrang spezieller Gesetzesnormen vor allgemeinem Ermessen
Im Notarkostenrecht haben konkrete Bewertungsregelungen Vorrang vor der Möglichkeit, einen Wert nach „billigem Ermessen“ zu schätzen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG hob das Urteil des Landgerichts auf, weil dieses fälschlicherweise eine Schätzung nach Ermessen anwandte, obwohl die speziellen Vorschriften des GNotKG eine klare Bewertung der Umsatzsteueroption vorgeben.
- Grundsatz der Kostenklarheit und objektiven Wertberechnung
Notarkosten werden auf Basis klarer, objektiver Regeln berechnet, die die erbrachte rechtliche Dienstleistung bewerten, unabhängig von den subjektiven Motiven der Parteien oder der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht betonte, dass der Wert der Absicherung eines steuerlichen Risikos klar nach dem Gesetz zu bestimmen ist und es unerheblich ist, ob die Klausel nur vorsorglich oder gegen ein unwahrscheinliches Ereignis aufgenommen wurde.
Das vorliegende Urteil
OLG München – Az.: 11 W 1306/23 e
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