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Notarpflichten wegen sozialrechtlicher Statusfragen bei Gesellschaftsanteilsübertragungsvertrag

Grenzen der notariellen Aufklärungspflicht bei Gesellschaftsanteilsübertragung

Eine Gesellschaftsanteilsübertragung ist ein bedeutsamer Vorgang für Gesellschafter und Unternehmen. Bei einer GmbH können Geschäftsanteile ganz oder teilweise auf andere Personen übertragen werden, was erhebliche rechtliche Folgen für die Beteiligten haben kann. Neben den gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen sind mitunter auch Auswirkungen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht zu beachten.

Speziell für Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist von Relevanz, ob sich durch den Anteilsverkauf der sozialversicherungsrechtliche Status verändert. Je nach neuem Anteilsverhältnis kann sich für den Geschäftsführer der Wechsel von selbstständiger zu abhängiger Beschäftigung ergeben – mit Folgen für die Sozialversicherungspflicht. Ein solcher Statuswechsel birgt finanzielle Risiken und sollte bei Anteilsübertragungen stets im Blick behalten werden.

In einem konkreten Fall streiten sich die Beteiligten nun darüber, ob der beurkundende Notar zu derartigen Fragen aufklären musste.

[Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 O 124/23 >>>]

✔ Das Wichtigste in Kürze

  1. Klage abgewiesen: Das LG Bremen hat die Schadenersatzklage gegen die Erben und die Rechtsnachfolgerin der Berufshaftpflichtversicherung eines verstorbenen Notars abgewiesen.
  2. Keine Pflichtverletzung des Notars: Das Gericht entschied, dass der Notar keine Pflicht hatte, über sozialversicherungsrechtliche Folgen der Anteilsübertragung zu belehren.
  3. Rechtliche Tragweite der Beurkundung: Die Belehrungspflicht des Notars beschränkt sich auf die rechtliche Tragweite des beurkundeten Geschäfts, nicht auf wirtschaftliche oder sozialversicherungsrechtliche Folgen.
  4. Sozialversicherungsrechtliche Einstufung: Die sozialversicherungsrechtliche Einordnung als abhängig Beschäftigte der Geschäftsführer A und B seit 2006 wurde als Grund für die Nachforderung der Deutschen Rentenversicherung angeführt.
  5. Verjährungseinrede: Die Beklagten erhoben die Einrede der Verjährung, welche das Gericht jedoch nicht als ausschlaggebend für die Entscheidung ansah.
  6. Notarielle Warnpflicht: Es lag kein Verstoß gegen eine erweiterte notarielle Warnpflicht vor, da derartige Risiken nicht unmittelbar aus der Urkundengestaltung hervorgingen.
  7. Kein Anspruch auf Schadenersatz: Die Klägerin konnte keinen Anspruch auf Schadenersatz begründen, da keine notarielle Pflichtverletzung festgestellt wurde.

➜ Der Fall im Detail


Rechtliche Auseinandersetzung um Notarpflichten bei Gesellschaftsanteilsübertragung

Die rechtliche Auseinandersetzung im vorliegenden Fall betrifft das Familienunternehmen in Form einer GmbH, dessen Gesellschafter A und B, sowie ihr Sohn C, eine Klage gegen die Erben eines verstorbenen Notars und dessen Berufshaftpflichtversicherung anstrengten.

Gesellschaftsanteilsübertragungsvertrag
Der Fall zeigt, dass Notare bei der Beurkundung von Gesellschaftsanteilsübertragungen nicht dazu verpflichtet sind, über mögliche Folgen im Sozialversicherungsrecht aufzuklären. (Symbolfoto: PeopleImages.com – Yuri A /Shutterstock.com)

Der Kern des Streits dreht sich um die Frage, ob der Notar im Jahr 2002 die Gesellschafter A und B über die möglichen sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen einer Geschäftsanteilsübertragung auf ihren Sohn C hätte aufklären müssen. Diese Frage gewann an Bedeutung, nachdem die Deutsche Rentenversicherung im Jahr 2019 Nachforderungen stellte, weil A und B ab Mai 2006 als abhängig beschäftigte Gesellschafter-Geschäftsführer eingestuft wurden.

Gerichtliche Entscheidung im Fall der Notarhaftung

Das Landgericht Bremen wies die Klage der GmbH ab, mit der Begründung, dass keine Pflichtverletzung seitens des Notars vorlag. Das Gericht stellte klar, dass die Belehrungspflicht des Notars sich auf die rechtliche Tragweite des beurkundeten Geschäfts beschränkt. Entscheidend war, dass die Belehrungspflicht keine sozialversicherungsrechtlichen Folgen umfasst, da diese als mittelbare Folgen außerhalb des eigentlichen Rechtsgeschäfts liegen. Zudem hielt das Gericht fest, dass die Gesellschafter keine umfassendere Beratung vom Notar verlangt hatten, die über die Standardbelehrung hinausgegangen wäre.

Rolle der sozialversicherungsrechtlichen Einstufung

Die Einstufung von A und B als abhängig Beschäftigte durch die Deutsche Rentenversicherung war der Auslöser für die rechtliche Auseinandersetzung. Diese Einstufung führte zu einer erheblichen Nachforderung, die das Unternehmen dazu veranlasste, rechtliche Schritte zu ergreifen. Der Bescheid der Rentenversicherung und die folgende gerichtliche Auseinandersetzung beleuchteten die Komplexität und die weitreichenden Konsequenzen von Gesellschaftsanteilsübertragungen und deren sozialversicherungsrechtliche Bewertung.

Juristische Bewertung der notariellen Beratungspflicht

Die rechtliche Bewertung der Beratungspflicht durch das Gericht unterstreicht die begrenzte Verantwortung von Notaren in Bezug auf die Aufklärung über steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Folgen eines Rechtsgeschäfts. Diese Entscheidung hebt hervor, dass Notare nicht für die umfassende Aufklärung aller potenziellen rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen eines Geschäfts verantwortlich gemacht werden können, die außerhalb der unmittelbaren rechtlichen Wirkungen des beurkundeten Geschäfts liegen.

Bedeutung der Entscheidung für die Praxis der Notare

Die Entscheidung des Landgerichts Bremen klärt die Grenzen der notariellen Belehrungspflicht und dient als Orientierung für die Praxis der Notare bei der Beurkundung von Geschäftsanteilsübertragungen. Für die rechtliche Praxis bedeutet dies eine Bestätigung, dass die notarielle Verantwortung primär die unmittelbaren rechtlichen Folgen eines Geschäfts umfasst und keine weitergehende Belehrung über mögliche sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen erfordert.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Welche Pflichten hat ein Notar bei der Beurkundung von Geschäftsanteilsübertragungen?

Ein Notar hat bei der Beurkundung von Geschäftsanteilsübertragungen einer GmbH umfangreiche Pflichten zu erfüllen.

Einsichtnahme in das Handelsregister

Zunächst muss der Notar gemäß § 21 Abs. 1 BeurkG Einsicht in das Handelsregister nehmen, um sich über den aktuellen Gesellschafterbestand und etwaige Beschränkungen der Anteilsübertragbarkeit zu informieren. Liegen unerledigte Eintragungsanträge vor, die sich nur aus den Handelsregisterakten ergeben, muss der Notar auch in diese Einsicht nehmen und die Beteiligten über mögliche Risiken belehren.

Belehrung der Beteiligten

Der Notar hat eine umfassende Belehrungspflicht gegenüber allen Beteiligten über die rechtlichen Wirkungen und Folgen der Anteilsübertragung. Er muss sicherstellen, dass der Vertragswille der Parteien zutreffend erfasst und wiedergegeben wird. Insbesondere muss er über gesellschaftsvertragliche Beschränkungen der Übertragbarkeit, Genehmigungsvorbehalte und Vorkaufsrechte belehren.

Aktualisierung der Gesellschafterliste

Nach der Beurkundung muss der Notar gemäß § 40 Abs. 2 GmbHG eine aktualisierte Gesellschafterliste erstellen und mit einem Bestätigungsvermerk beim Handelsregister einreichen. Damit soll die materielle Richtigkeit der Gesellschafterliste weitgehend sichergestellt werden.

Prüfung der Formerfordernisse

Der Notar hat zu prüfen, ob die gesetzlichen Formerfordernisse nach §§ 15 III, IV GmbHG eingehalten sind. Sowohl der schuldrechtliche Verpflichtungsvertrag als auch das dingliche Abtretungsgeschäft bedürfen der notariellen Beurkundung.

Insgesamt trifft den Notar bei Geschäftsanteilsübertragungen eine besonders hohe Verantwortung zur umfassenden Belehrung und Aufklärung aller Beteiligten über die rechtlichen Wirkungen. Er muss die Einhaltung aller Formvorschriften sicherstellen und die Gesellschafterliste aktualisieren.

Was umfasst die Belehrungspflicht eines Notars rechtlich?

Die Belehrungspflicht des Notars ist ein zentraler Aspekt seiner Amtstätigkeit und wird durch eine Vielzahl von Gesetzen und höchstrichterlichen Urteilen konkretisiert. Hier sind die wichtigsten Punkte zur Belehrungspflicht:

Rechtliche Tragweite des Geschäfts

Der Notar muss gemäß § 17 Abs. 1 BeurkG die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des zu beurkundenden Geschäfts und die Bedeutung ihrer Erklärungen belehren. Dies umfasst insbesondere:

  • Belehrung über Formvorschriften und Wirksamkeitsvoraussetzungen
  • Hinweise auf gesellschaftsvertragliche Beschränkungen wie Genehmigungsvorbehalte oder Vorkaufsrechte
  • Erläuterung von Rechtsbegriffen, wenn deren Bedeutung unklar ist

Erforschung des Vertragswillens

Bestehen Zweifel, ob das Geschäft dem Willen der Beteiligten entspricht, muss der Notar gemäß § 17 Abs. 2 BeurkG durch Nachfragen den wahren Vertragswillen erforschen. Er hat Entwürfe daraufhin zu überprüfen, ob sie dem Willen entsprechen.

Doppelte Belehrungspflicht

Bei einseitigen Benachteiligungen trifft den Notar eine

  • „doppelte Belehrungspflicht“: Er muss auf die Benachteiligung hinweisen und alternative Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen, um Unerfahrene zu schützen.

Grenzen der Belehrungspflicht

Die Belehrungspflicht ist auf die rechtlichen Aspekte beschränkt. Der Notar muss grundsätzlich nicht über wirtschaftliche Folgen, Steuern oder ausländisches Recht belehren, sofern dies nicht Wirksamkeitsvoraussetzung ist.

Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen sind nicht explizit Teil der Belehrungspflicht. Sie können jedoch im Rahmen der Belehrung über die rechtliche Tragweite (z.B. Arbeitnehmerstatus) relevant werden.

Insgesamt zeigt sich, dass die Belehrungspflicht sehr umfassend ist und den Notar zur eingehenden Erläuterung aller rechtlichen Aspekte eines Geschäfts verpflichtet, um die Beteiligten bestmöglich aufzuklären.

Wie werden sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen bei der Übertragung von Geschäftsanteilen bewertet?

Die sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen bei der Übertragung von Geschäftsanteilen einer GmbH hängen maßgeblich vom Umfang der Beteiligung des Geschäftsführers nach der Anteilsübertragung ab.

Die Hauptkriterien für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung sind:

Kapitalbeteiligung des Geschäftsführers
Verfügt der Geschäftsführer nach der Anteilsübertragung über eine Kapitalbeteiligung von 50% oder mehr, spricht dies für eine selbstständige und sozialversicherungsfreie Tätigkeit.

Möglichkeit zur Einflussnahme auf Gesellschafterweisungen
Kann der Geschäftsführer aufgrund seiner Kapitalbeteiligung Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern, deutet dies ebenfalls auf Selbstständigkeit hin.

Vereinbarungen über Stimmrechtsübertragungen
Reine Stimmrechtsübertragungen ohne Anteilsübertragung sind sozialversicherungsrechtlich irrelevant, da sie keine gesellschaftsrechtliche Befugnis vermitteln.

Zusammengefasst lässt sich festhalten: Je höher die Kapitalbeteiligung des Geschäftsführers nach einer Anteilsübertragung, desto eher ist von einer selbstständigen und sozialversicherungsfreien Tätigkeit auszugehen.

Liegt hingegen eine geringe oder gar keine Kapitalbeteiligung vor, deutet dies auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis und damit auf Sozialversicherungspflicht hin.

Die sozialversicherungsrechtliche Bewertung muss stets im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände erfolgen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG (Beurkundungsgesetz): Der Paragraph regelt die Belehrungspflicht des Notars, der die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts aufklären muss. Dies bezieht sich auf die direkten rechtlichen Wirkungen des beurkundeten Geschäfts und ist im Kontext des Falles zentral, da der Notar nicht über sozialversicherungsrechtliche oder steuerrechtliche Folgen aufklären musste.
  • § 19 Abs. 1 BNotO (Bundesnotarordnung): Definiert die allgemeinen Pflichten eines Notars, einschließlich der Haftung für Schäden durch Pflichtverletzungen. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass keine Pflichtverletzung vorlag, da die Belehrungspflicht nicht die sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen umfasste.
  • § 249 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Diese Paragraphen definieren die allgemeinen Grundsätze des Schadensersatzrechts, die relevant sind, wenn es um die Frage der Haftung und möglichen Schadensersatz geht. Im Kontext dieses Falles wurde kein Anspruch auf Schadensersatz anerkannt, da keine Pflichtverletzung vorlag.
  • § 421 BGB, § 1922 BGB: Betreffen die Übertragung von Rechten und Pflichten bei Erbfällen und sind relevant für die Haftung der Erben des Notars. Die Beklagten in diesem Fall waren die Erben des Notars, was die Anwendbarkeit dieser Vorschriften begründet.
  • § 115 Abs. 1 Nr. 3 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) analog: Dies betrifft die Haftung von Versicherern unter bestimmten Umständen und wurde analog angewandt, um die Haftung der Berufshaftpflichtversicherung des Notars zu bewerten.
  • § 256 Abs. 1 ZPO (Zivilprozessordnung): Regelt das Feststellungsinteresse, das für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage erforderlich ist. Es wurde festgestellt, dass ein Feststellungsinteresse vorlag, insbesondere zur Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.


Das vorliegende Urteil

LG Bremen – Az.: 4 O 124/23 – Urteil vom 16.02.2024

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Feststellung eines möglichen Schadensersatzanspruches aus Notarhaftung.

Die Beklagten zu 1) bis 3) sind die Erben des 2021 verstorbenen Notars Dr. X (nachfolgend: „Notar“), die Beklagte zu 4) ist die Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Berufshaftpflichtversicherung des Notars.

Die Klägerin ist ein Familienunternehmen in Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren drei Geschäftsführer auch die alleinigen Gesellschafter sind: A und B halten jeweils 40 % der Geschäftsanteile, ihr Sohn C hält die verbleibenden 20 %.

Im Jahr 2002 waren A und B noch die alleinigen Gesellschafter sowie Geschäftsführer der Klägerin und hielten jeweils 50 % der Geschäftsanteile. Sie suchten den Notar auf, um nach einer Kapitalerhöhung jeweils 10 % ihrer Geschäftsanteile auf ihren Sohn C zu übertragen. Der entsprechende Übertragungsvertrag wurde am 21.08.2002 durch den Notar beurkundet (Bl. 10 d. A.). Im Zusammenhang mit der am selben Tag beurkundeten Kapitalerhöhung wurde C Einzelprokura erteilt. Am 09.05.2006 wurde er dann per Gesellschafterbeschluss zum weiteren Geschäftsführer der Klägerin bestellt.

Im Jahr 2019 kam es bei der Klägerin zu einer Betriebsprüfung. Als Folge daraus setzte die Deutsche Rentenversicherung per Bescheid vom 11.10.2019 (Bl. 31 d. A., nachfolgend: „Bescheid“) eine Nachforderung gegen die Klägerin i.H.v. EUR 159.567,24 fest. Streitgegenständlich sind allein die Nachzahlungsbeträge der Geschäftsführer A und B i.H.v. EUR 77.860,44. Die Nachforderung wurde in dem Bescheid damit begründet, dass A und B seit dem 01.05.2006 als Gesellschafter-Geschäftsführer in eine abhängige Beschäftigung mit entsprechender Sozialversicherungspflicht einzuordnen seien.

Die Klägerin hat gegen den Bescheid Widerspruch und anschließend Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht Hannover erhoben. Das erstinstanzliche Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Die Beklagten erheben die Einrede der Verjährung.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Notar über die Möglichkeit eines sozialversicherungsrechtlichen Statuswechsels bei der Beurkundung der Anteilsübertragung hätte aufklären müssen. Sie behauptet, dass A und B bei entsprechender Belehrung ihre Geschäftsanteile nicht auf ihren Sohn C übertragen hätten.

Mit der Klageschrift vom 25.01.2023 hatte die Klägerin zunächst beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, an sie EUR 106.378,16 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klageerhebung zu zahlen, für den Fall, dass ihre Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht Hannover (Az.: S 6 BA 42/20) und weitergehenden Instanzen erfolglos bleibt,

2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, sie von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung freizustellen,

3. hilfsweise, festzustellen, dass Beklagten an sie Kosten außergerichtlicher Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.584,09 zu erstatten haben.

Mit Schriftsatz vom 14.02.2023 hat die Klägerin die Klage geändert und beantragt nunmehr,

1. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, an sie EUR 77.860,44 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klageerhebung zu zahlen, für den Fall, dass ihre Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht Hannover (Az.: S 6 BA 42/20) und weitergehenden Instanzen erfolglos bleibt,

2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, sie von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung freizustellen,

3. hilfsweise, festzustellen, dass Beklagten an sie Kosten außergerichtlicher Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.584,09 zu erstatten haben.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Ansicht, dass keine Belehrungspflicht des Notars über sozialversicherungsrechtliche Folgen bestanden hätte. Zudem sei nicht Anteilsübertragung im Jahr 2002 allein ursächlich für die Nachforderung der Deutschen Rentenversicherung, sondern erst die Umgestaltung des Geschäftsführerverhältnisses im Jahr 2006.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlage verwiesen.

Die am 25.0.2023 bei Gericht eingegangene Klage ist den Beklagten am 20.02.2023 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Klage ist zulässig.

Die Kammer hat den Feststellungsantrag zu 1) gemäß § 133 BGB analog dahingehend ausgelegt, dass die Klägerin den Beklagten bzw. dem Notar als pflichtwidriges Handeln, welches Grundlage der Haftung ist, vorwirft, es unterlassen zu haben, sie über die Möglichkeit eines sozialversicherungsrechtlichen Statuswechsels bei der Beurkundung der Anteilsübertragung im Jahr 2002 belehrt zur haben. Aus dieser Pflichtverletzung soll ihr, der Klägerin, der entstandene bzw. entstehende Schaden ersetzt werden. Die Kammer ist der Auffassung, dass sich im Fall der geltend gemachten Notarhaftung der Feststellungsantrag nicht allein auf die Schadensfolgen beziehen darf, sondern eine Verknüpfung zu der vorgeworfenen Pflichtverletzung unerlässlich ist. Da sich die vorgeworfenen Pflichtverletzungen der Klagebegründung zweifelsfrei entnehmen lassen, war der Antrag – wie geschehen – auszulegen.

Die Reduzierung des genannten Betrages im Antrag zu 1) war als Teilrücknahme i.S.d § 269 ZPO auszulegen (§ 133 BGB analog).

Das nach § 256 Abs. 1 ZPO für eine Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Es besteht stets zum Zwecke der Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, die wegen des Grundsatzes der Schadenseinheit auch bzgl. noch nicht eingetretener, aber für Sachkundige vorhersehbarer Folgen droht (Zöller/ Greger, 35. Aufl. 2024, ZPO § 256 Rn. 20). Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage greift vorliegend wegen der des laufenden Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht (vgl. Zöller/ Greger, 35. Aufl. 2024, ZPO § 256 Rn. 25.10).

Bei der Möglichkeit von Schäden aufgrund einer Haftung aufgrund fehlerhafter notarieller Tätigkeit handelt es sich um sogenannte doppelrelevante Tatsachen. Ist eine Tatsache streitig, die sowohl zulässigkeits- wie anspruchsbegründend ist, d.h. eine doppelrelevante Tatsache, ist für die Prüfung der Zulässigkeit allein auf den Parteivortrag der Klagepartei abzustellen (so im Ergebnis auch bei BGH, Urteil vom 10.11.1997, Az.: II ZR 336/96, NJW 1998, 1230; BGH, Urteil vom 25.11.1993, Az.: IX ZR 32/93, MDR 1994, 1240).

II.

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 19 Abs. 1 BNotO i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG, §§ 249 ff. BGB, § 421 BGB, § 1922 BGB, § 115 Abs. 1 Nr. 3 VVG analog.

1.

Es fehlt schon an der nach § 19 Abs. 1 BNotO S. 1 BNotO erforderlichen Pflichtverletzung des Notars.

Es liegt keine Verletzung der notariellen Belehrungspflicht nach § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG vor.

Ein Notar ist gem. § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG verpflichtet, die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren. Die Belehrung über die rechtliche Tragweite besteht dabei in der Belehrung, ob und unter welchen Voraussetzungen der erstrebte rechtliche Erfolg eintritt und welche unmittelbaren Rechtswirkungen sich an diesen knüpfen (Winkler, 21. Aufl. 2023, BeurkG § 17 Rn. 289 m.w.N.). Die Belehrungspflicht gilt dabei in ihrem Umfang nicht unbeschränkt. So besteht nach ganz h.M. keine Belehrungspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Tragweite des Rechtsgeschäfts (Haug/Zimmermann, Die Amtshaftung des Notars, 4. Aufl. 2018, B. Rn. 518; Winkler BeurkG, 21. Aufl. 2023, BeurkG § 17 Rn. 324 m.w.N.) und ihrer steuerrechtlichen Folgen (BGH, Urteil vom 20.09.2007, Az.: III ZR 33/07, NJW 2008, 1085; Haug/Zimmermann, Die Amtshaftung des Notars, 4. Aufl. 2018, B. Rn. 520; Winkler BeurkG, 21. Aufl. 2023, BeurkG § 17 Rn. 366 m.w.N.). Nach der h.M. sind auch die sozial-(versicherungs-)rechtlichen Folgen von der Belehrungspflicht nicht umfasst (Winkler, 21. Aufl. 2023, BeurkG § 17 Rn. 374; BeckOK BeurkG/Köther, 9. Ed. 01.09.2023, BeurkG § 17 Rn. 35; BeckOGK BeurkG/Regler, Stand: 01.10.2023, BeurkG § 17 Rn. 88; Mayer, DNotZ 2008, 672, 686).

Vor diesem Hintergrund schuldete der Notar entgegen der Ansicht der Klägerin bei der Beurkundung der Geschäftsanteilsübertragung keine Belehrung über die die Möglichkeit eines sozialversicherungsrechtlichen Statuswechsels der übertragenden Gesellschafter. Die unmittelbaren Rechtswirkungen des Geschäfts beschränken sich auf das Eigentum an den Geschäftsanteilen und die gesellschaftsrechtlichen Folgen für die Gesellschafter. Sozialversicherungsrechtliche wie auch steuerrechtliche Auswirkungen ergeben sich dagegen als mittelbare Folgen kraft Gesetz und sind nicht Inhalt des Rechtsgeschäfts selbst (vgl. für steuerliche Folgen: Winkler BeurkG, 21. Aufl. 2023, BeurkG § 17 Rn. 366).

Zudem durften weder die Klägerin noch die an der Anteilsübertragung beteiligten Gesellschafter berechtigter Weise eine weitergehende Beratung von dem Notar erwarten. Die Gesellschafter der Klägerin haben den Notar wegen einer einfachen Anteilsübertragung aufgesucht und keine umfassende Beratung zu Gestaltungsmöglichkeiten und Folgen einer Aufnahme des Sohns und Anteilserwerbers C in das elterliche Familienunternehmen verlangt. In einem solchen Fall beschränkt sich die Beratungspflicht des Notars auf das oben dargestellte Standardrepertoire. Denn eine darüber hinausgehende Beratung im Bereich von steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen gehört gerade nicht zum Kernbereich der Tätigkeit eines Notars. Eine Beratungstätigkeit in diesem Zusammenhang wäre eine freiwillige Zusatzaufgabe, die besondere Kenntnisse erfordern würde, insbesondere zur Vermeidung von Haftungsrisiken (vgl. Hauschild/Kallrath/Wachter Notar-HdB, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 48, § 6 Rn. 8). Für die dem Sozialversicherungsrecht fachlich näheren Steuerberater statuiert die obergerichtliche Rechtsprechung keine Pflicht zu einer umfassenden sozialversicherungsrechtlichen Beratung, sondern verlangt „nur“ ein Problembewusstsein in einigen Spezialbereichen, z.B. bezüglich der sozialversicherungsrechtlichen Stellung von Gesellschafter-Geschäftsführern und in diesem Zusammenhang eine Kenntnis des grundsätzlichen Abgrenzungsmaßstabes des BSG (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2004, Az.: IX ZR 246/02, NJW-RR 2004, 1358; OLG Hamm, Urteil vom 08.04.2022, Az.: 25 U 42/20, DStRE 2022, 1465; Freitag/Meixner, DStR 2023, 659, 661). Für einen Notar kann mit Blick auf seinen Kompetenzbereich ein solches Problembewusstsein und eine damit verbundene (Neben-)Pflicht nicht verlangt werden.

Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen die aus § 14 Abs. 1 BNotO hergeleitete erweiterte bzw. betreuende Belehrungspflicht oder notarielle Warnpflicht vor.

Die erweiterte bzw. betreuende Belehrungspflicht oder notarielle Warnpflicht setzt voraus, dass einem Beteiligten ein Schaden droht, dieser Beteiligte sich dessen aus tatsächlichen oder auch rechtlichen Gründen nicht bewusst ist und sich diese Umstände aus der rechtlichen Gestaltung der Urkunde oder der geplanten Art ihrer Abwicklung ergeben (Haug/Zimmermann, Die Amtshaftung des Notars, 4. Aufl. 2018, B. Rn. 555; BeckOGK/Regler, Stand: 01.10.2023, BeurkG § 17 Rn. 100 m.w.N.). Die drohende Gefährdung muss dem Notar dabei nicht bekannt sein, es genügt, wenn sie nach den Umständen nahe liegt (Haug/Zimmermann, Die Amtshaftung des Notars, 4. Aufl. 2018, B. Rn. 556; BGH, Urteil vom 27.05.1993, Az.: IX ZR 66/92, DNotZ 1994, 485). Ähnlich wie bei der Beratungspflicht betreffend steuerliche Folgen ist auch für die sozialrechtlichen Folgen von einem Ausnahmecharakter auszugehen, der nur bei besonderen Umständen des Einzelfalls greift (vgl. Haug/Zimmermann, Die Amtshaftung des Notars, 4. Aufl. 2018, B. Rn. 560).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Da, wie oben dargestellt, schon grundsätzlich die sozialversicherungsrechtlichen Folgen nicht in die Belehrungspflicht des Notars fallen, kann allein das abstrakte Risiko eines sozialversicherungsrechtlichen Statuswechsels nach einer Anteilsübertragung keine dahingehende Erweiterung rechtfertigen. Die Übertragung von Geschäftsanteilen durch einen Gesellschafter-Geschäftsführer, der dadurch weniger als 50 % der gesamten Geschäftsanteile im Anschluss hält, führt nicht automatisch zu einem sozialversicherungsrechtlichen Statuswechsel. Vielmehr sind, wie auch in der ausführlichen Begründung des Bescheids dargestellt, die für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung maßgebenden, das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Neben der Rechtsmacht, maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft zu nehmen, sind insbesondere die Bestimmungen von Gesellschaftsvertrag und Geschäftsführer-Anstellungsvertrag entscheidend. So kann beispielsweise eine im Gesellschaftsvertrag vereinbarte umfassende Sperrminorität des Gesellschafter-Geschäftsführers ausnahmsweise eine Einordnung als Selbstständigen begründen, selbst wenn dieser weniger als 50 % der Gesellschaftsanteile hält (Seite 4 des Bescheids). Es spricht darüber hinaus gegen die Annahme einer Warnpflicht, dass all diese Umstände schon außerhalb der streitgegenständlichen Urkunde liegen, welche sich ausschließlich mit der Übertragung von Geschäftsanteilen befasst und die Gestaltung der Geschäftsführung unmittelbar nicht berührt. Für die Gesellschafter-Geschäftsführer A und B stellt die Deutsche Rentenversicherung in ihrer sozialversicherungsrechtlichen Würdigung auf Seite 5 des Bescheids zudem auf den 01.05.2006 als Stichtag ab, also auf den Zeitpunkt, indem der Sohn C zum Geschäftsführer bestellt wurde. Die damit zum Zeitpunkt der Beurkundung im August 2002 verbundenen zukünftigen Eventualitäten und die zeitliche Zäsur schließen eine Ausdehnung der notariellen Belehrungspflicht im vorliegenden Fall aus.

Mangels notarieller Pflichtverletzung konnte die Kammer die weiteren streitigen Punkte zwischen den Parteien (Aktivlegitimation, Passivlegitimation, Kausalität, Schaden, Anwendbarkeit von § 115 Abs. 1 Nr. 3 VVG analog) dahinstehen lassen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

2.

Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf die mit den Feststellungsanträgen zu 2) und (hilfsweise) zu 3) als Nebenforderung geltend gemachten vorprozessualen Rechtsanwaltskosten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 269 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

IV.

Der Streitwert wird gemäß §§ 43, 48 GKG, §§ 3 ff. ZPO

für den Zeitraum vom 25.01.2023 (Anhängigkeit) bis zum 14.02.2024 auf EUR 85.102,53 (= 80% des genannten Betrages im Feststellungsantrag zu 1)) und

für den Zeitraum ab dem 14.02.2024 (Eingang der Antragsänderung) auf EUR 62.288,35 (= 80% des genannten Betrages im Feststellungsantrag zu 1))

festgesetzt.

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