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Notar – Hinweis auf die steuerrechtlichen Folgen des beurkundeten Geschäfts

LG Köln – Az.: 5 O 171/19 – Urteil vom 29.09.2020

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 48.972,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2019 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Mit Urkunde des Notars B vom 10.08.2007 erwarb die Klägerin eine Eigentumswohnung in Köln zum Preis von 105.000,– EUR zzgl. 10.000,– EUR für die mitverkaufte Küche und Einbauschränke.

Am 19.07.2017 beurkundete der Beklagte einen Vertrag, mit dem die Klägerin die Wohnung zum Preis von 220.000,– EUR an ihre vorherigen Mieter, die Zeugen L und S verkaufte. Dabei wurde unter anderem die Klausel in Ziffer VIII. vorgelesen, die lautete: „Der Notar hat keine steuerliche Beratung vorgenommen; er hat lediglich auf die Steuerpflicht privater Veräußerungsgeschäfte innerhalb von 10 Jahren hingewiesen.“

Mit Bescheid vom 15.02.2019 setzte das Finanzamt L1 für das Jahr 2017 Einkommensteuern in Höhe von insgesamt 49.978,53 EUR gegen die Klägerin fest, die hiergegen keinen Einspruch einlegte. Dabei wurden wegen des innerhalb von 10 Jahren erfolgten Verkaufs der Wohnung Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 112.576,– EUR zugrunde gelegt.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe ihn betreffende Amtspflichten verletzt. Sie hat zunächst behauptet, er habe die Passage aus Ziffer VIII. recht zügig vorgelesen, dabei aber nicht darauf hingewiesen, dass sich diese Frist als Zeitraum zwischen dem Datum der Beurkundung des Kaufs des Objekts und demjenigen der Beurkundung seines Verkaufs berechnete und folglich knapp noch nicht abgelaufen gewesen sei. Hierüber habe der Beklagte auch während der weiteren Beurkundung kein Wort mehr verloren.

Sie behauptet nunmehr, der Beklagte habe hinsichtlich der Steuerpflichtigkeit privater Veräußerungsgeschäfte nicht darauf hingewiesen, dass sich der 10-Jahres-Zeitraum auf die Daten der Kaufverträge beziehe, was ihr gerade nicht bekannt gewesen sei. Er habe im Gegenteil davon gesprochen, dass die Klägerin eine „Punktlandung“ hingelegt habe. Hierdurch sei die Klägerin in ihrer Annahme bestärkt worden und habe angenommen, in Bezug auf die 10-Jahres-Frist alles richtig gemacht zu haben; sonst hätte sie an dieser Stelle nachgefragt und im Falle einer für sie ungünstigen Auskunft die Beurkundung noch abgebrochen.

Die Klägerin behauptet weiter, der Beklagte habe während des Beurkundungsvorgangs ein sehr emotionales Telefonat geführt, in dessen Verlauf der Gesprächspartner auf der anderen Seite aufgelegt habe. Sie vermute, dass dies mit der Teilung der Kanzlei wenige Tage zuvor zusammengehangen habe und es offenbar diesbezüglich Unstimmigkeiten gegeben habe. Es stehe deshalb zu vermuten, dass der Beklagte während der fraglichen Beurkundung unkonzentriert gewesen sei und sich deshalb so schnell wie möglich „durchgekämpft“ habe.

Hätte der Beklagte darauf hingewiesen, dass im konkreten Fall bei Beurkundung am konkreten Tag die Spekulationssteuer anfiele, hätte dies dazu geführt, dass die Klägerin den Verkauf bzw. die Beurkundung um drei Wochen verschoben hätte, wodurch die Steuer nicht mehr angefallen wäre und wozu auch die Käufer bereit gewesen wären. Das Datum der Beurkundung des Kaufvertrages habe der Beklagte aus dem ihm vorliegenden Grundbuchauszug ersehen können, mithin auch, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der 10-Jahres-Zeitraum zum Zeitpunkt der Beurkundung des Verkaufs noch nicht abgelaufen gewesen sei. Aus dem Umstand, dass im Grundbuch lediglich eine Belastung von 35.000,– EUR eingetragen gewesen sei, habe der Beklagte zudem den Schluss ziehen müssen, dass die Klägerin die Wohnung seinerzeit zu einem Preis erheblich unter ihrem Wert erworben hatte.

Im Zeitpunkt der Beurkundung sei die Klägerin steuerlich nicht beraten gewesen. Ihren Steuerberater habe sie erst im April 2018 hinzugezogen, der die Einkommensteuererklärung für 2017 erstellt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Rückabwicklung des Vertrages, wie ein Anruf beim Notariat des Beklagten ergeben habe, nicht mehr möglich gewesen.

Aufgrund der Besteuerung des Spekulationsgewinns habe die Klägerin 48.972,05 EUR mehr Einkommensteuer zahlen müssen. Der Steuerberater habe in Verhandlungen mit der Finanzverwaltung eine Einigung bezüglich der Anschaffungskosten erzielt; der steuerpflichtige Betrag habe damit letztlich bei 112.576,– EUR gelegen. Weitere Rechtsmittel hätten keine Aussicht auf Erfolg versprochen.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 49.982,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2019 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er behauptet, es entspreche seiner üblichen Praxis, nach dem Verlesen des Hinweises auf eine eventuelle Steuerpflicht eine Pause einzulegen und den Passus kurz zu erläutern. Diese Erläuterung leite er mit den Worten ein: „Das bedeutet“ und erkläre anschließend, dass der Gewinn aus dem Verkauf zu versteuern sei. Er verwende in diesem Zusammenhang alternativ den Begriff „Einkommensteuergesetz“, „Spekulationssteuer“ oder „Einkommensteuer“. Anschließend pausiere er die Beurkundung noch einmal kurz, um den Beteiligten die Möglichkeit zu Nachfragen zu eröffnen. Wenn hiervon kein Gebrauch gemacht werde, fahre der Beklagte mit der Beurkundung fort, während derer sämtlichen Beteiligten auch Kopien des zu beurkundenden Kaufvertrages zum Mitlesen vorlägen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass ihn keine Pflicht zu einer weitergehenden Belehrung getroffen habe. Weder habe er positive Kenntnis davon besessen, dass die Klägerin die Wohnung innerhalb der Spekulationsfrist erworben hatte und die Anschaffungskosten unter dem Verkaufspreis lagen, noch sei er zu weiteren Nachforschungen verpflichtet gewesen, insbesondere nicht hinsichtlich der für die Besteuerung ebenfalls relevanten Renovierungskosten. Wenn er – insbesondere aufgrund des Grundbuchauszuges – Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, dass der Verkauf knapp vor Ablauf der 10-Jahres-Frist erfolgte, hätte er gerade nicht von einer „Punktlandung“ gesprochen, sondern der Klägerin empfohlen, die Beurkundung um den noch verbleibenden Zeitraum von knapp drei Wochen zu verschieben.

Auch eine erweiterte Belehrungspflicht sei nicht anzunehmen, da der Klägerin die Möglichkeit der Versteuerung eines Spekulationsgewinns bekannt gewesen sei oder zumindest hätte bekannt sein müssen. Jedenfalls hätte sie den Beklagten im Vorfeld ansprechen oder noch während der Beurkundung nachhaken können.

Wenn der Beklagte zur Frage der Steuerpflichtigkeit keine Aussage getroffen hätte, wäre der Vertrag ebenso geschlossen worden, weshalb es an der erforderlichen Kausalität fehle.

Des Weiteren habe es die Klägerin versäumt, gegen den Steuerbescheid vorzugehen, und ihr sei ein Mitverschulden anzulasten, weil der Kaufvertrag hätte wieder aufgehoben und sodann nach Ablauf der 10-Jahres-Frist neu geschlossen werden können, wodurch deutlich geringere Kosten entstanden wären als der nunmehr eingeklagte Steuerschaden. Weiterhin beanstandet der Beklagte die Schadenshöhe, und er ist der Ansicht, der Klägerin stehe eine anderweitige Ersatzmöglichkeit zu, weil nach ihrem Vortrag eine Haftung ihres Steuerberaters in Betracht komme.

Anlässlich eines später erfolgten Anrufs der Klägerin habe der bei dem Beklagten tätige Zeuge S1 mitgeteilt, dass man möglicherweise daraus „Honig saugen“ könne, wenn die zur Wirksamkeit des Vertrages erforderliche Verwalterzustimmung nach Ablauf des 10-Jahres-Zeitraums erklärt worden sei. Eine mögliche Aufhebung des Vertrages sei nicht Gegenstand der Telefonate gewesen. Diese wäre im April 2018 auch noch unproblematisch möglich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 24.09.2019. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 11.02.2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im erkannten Umfang begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Schadenersatz aus § 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO.

Durch seine Äußerung im Beurkundungstermin vom 19.07.2017, auf die Klägerin träfe die Steuerpflicht für Veräußerungsgewinne aus privaten Grundstücksgeschäften nicht zu, hat der Beklagte eine ihn treffende Amtspflicht verletzt.

Zwar ist der Notar regelmäßig nicht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BeurkG aufgrund seiner Pflicht zur Rechtsbelehrung oder seiner allgemeinen Betreuungspflicht aus § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO gehalten, auf steuerrechtliche Folgen des beurkundeten Geschäfts hinzuweisen. Denn diese gehören typischerweise nicht zum Inhalt eines Kaufvertrages selbst, sondern ergeben sich kraft Gesetzes als Folgen daraus. Eine sichere Beurteilung der steuerlichen Folgen wird dem Notar allein aufgrund der Beurkundung ebenso wenig möglich sein wie die Klärung der für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Der Notar ist nicht verpflichtet, Tatsachen zu ermitteln, die für das mögliche Eingreifen von Steuertatbeständen von Bedeutung sein können. Im Bedarfsfalle müssen sich die Beteiligten über Steuerfragen von Fachkräften gesondert beraten lassen. Jedoch kann eine erweiterte Belehrungspflicht im Hinblick auf eine in besonderen Umständen des Einzelfalls wurzelnde, den Beteiligten unbewusste steuerliche Gefahrenlage bestehen, wenn der Notar diese erkennt oder zumindest erkennen kann. Inhalt und Umfang der Belehrungspflicht hängen davon ab, wie konkret der Notar die drohenden steuerlichen Folgen kennt. Kennt er sie positiv, muss er davor warnen. Kennt er sie zwar nicht, muss er aber annehmen, dass das geplante Geschäft von allen Beteiligten wegen mangelnder Kenntnis der Rechtslage nicht erkannte und nicht gewollte steuerliche Auswirkungen haben könnte, muss er empfehlen, die steuerliche Seite von einem Fachmann überprüfen zu lassen. Der Umfang der Belehrungspflicht richtet sich auch danach, ob die Beteiligten einer notariellen Beurkundung geschäftsgewandt und einschlägig beraten sind (BGH, Urteil vom 20. September 2007 – III ZR 33/07 -, Rn. 10 m.w.N., juris). Das gilt insbesondere für das Entstehen der sogenannten Spekulationssteuer (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – IX ZR 203/94 -, Rn. 10 m.w.N., juris). Auf die Möglichkeit der Versteuerung eines Spekulationsgewinns (§ 2 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 4 EStG), die den Rechtssuchenden weithin unbekannt ist, muss der Notar grundsätzlich hinweisen, wenn er vor oder während der Beurkundung des Kaufvertrages davon Kenntnis erhält, dass der Verkäufer das Grundstück vor weniger als zwei Jahren erworben hat  u n d  die Anschaffungskosten unter dem Verkaufspreis liegen (BGH, Urteil vom 10. November 1988 – IX ZR 31/88 -, Rn. 10, juris). Auch kann ein objektiver Anlass für die Besorgnis, ein Beteiligter habe das Risiko der Steuerpflichtigkeit nicht erkannt, darin liegen, dass der Notar hiernach gefragt wird (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – IX ZR 203/94 -, Rn. 11, juris).

Es konnte dahinstehen, ob für den Beklagten vorliegend Anlass zu einer ungefragten Information oder gar Warnung der Klägerin bestand, der die grundsätzliche Steuerpflichtigkeit privater Veräußerungserlöse aus Immobiliengeschäften unstreitig bekannt war, oder ob er die Klägerin zusätzlich darüber aufklären musste, dass es darauf ankam, ob zwischen den für Anschaffung und Veräußerung maßgeblichen Zeitpunkten des jeweiligen Verpflichtungsgeschäfts (vgl. Haug/Zimmermann, Die Amtshaftung des Notars, 4. Aufl., Rn. 561) mehr als zehn Jahre lagen.

Ebenso wenig kam es für die Entscheidung darauf an, ob der Beklagte im vorliegenden Fall Kenntnis von den Umständen hatte, aufgrund derer der von der Klägerin beabsichtigte Vertrag eine Steuerpflichtigkeit des Veräußerungserlöses nach sich zog, und ob er verpflichtet war, sich diese Kenntnis zu verschaffen, insbesondere durch Einsichtnahme in das Grundbuch (vgl. auch hierzu BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – IX ZR 203/94 -, Rn. 13f., juris).

Auch ohne eine allgemeine Pflicht zur Belehrung über steuerrechtliche Fragen kann sich eine solche daraus ergeben, dass der Notar im Zusammenhang mit dem beurkundeten Rechtsgeschäft über steuerrechtliche Fragen berät und dabei eine unrichtige, unklare oder nicht erkennbar unvollständige Auskunft erteilt (BGH, Urteil vom 05. November 1982 – V ZR 217/81 -, Rn. 15 m.w.N.; Urteil vom 20. September 2007 – III ZR 33/07 -, Rn. 16, juris).

So liegt der Fall hier. Unstreitig hatte der Beklagte in den von ihm entworfenen und beurkundeten Vertrag den Passus aufgenommen: „Der Notar hat keine steuerliche Beratung vorgenommen; er hat lediglich auf die Steuerpflicht privater Veräußerungsgeschäfte innerhalb von 10 Jahren hingewiesen.“ Darüber hinaus hat er nach eigenem Bekunden standardmäßig eine Erläuterung dahingehend vorgenommen, dass er die Vertragsparteien bzw. die Klägerin darüber informiert habe, dass unter den gesetzlichen Voraussetzungen eine Steuerpflichtigkeit zum persönlichen Einkommenssteuersatz anfallen könne.

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zudem zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagte an dieser Stelle von sich aus eine Bemerkung getätigt hat, wonach die Klägerin von der Steuerpflichtigkeit nicht betroffen sei. Dies haben die Zeugen S und L übereinstimmend glaubhaft bekundet.

Nach der Aussage der Zeugin S hat der Beklagte die Klägerin nach dem Verlesen der die Steuerpflicht betreffenden Passage darauf hingewiesen, dass die Klägerin von der Steuer befreit sei. Sinngemäß habe der Beklagte geäußert, das würde die Klägerin nicht betreffen, weil die Frist ja abgelaufen sei.

Der Zeuge L hat bekundet, der Beklagte habe im Zusammenhang mit der Verlesung des Hinweises bezüglich der Spekulationssteuer sinngemäß gegenüber der Klägerin geäußert: „Das trifft ja dann auf sie nicht zu.“ Weiter sei ein Verweis darauf erfolgt, dass das Datum des Verkaufs der Wohnung außerhalb der Zehnjahresfrist liegen würde. Die Klägerin habe hier nicht etwa nachgefragt, sondern der Beklagte habe die Äußerung von sich aus getätigt.

Auch wenn sich beide Zeugen nicht erinnern konnten, dass – wie von der Klägerin behauptet – der prägnante Begriff „Punktlandung“ gefallen war, so waren die Aussagen doch detailreich und lebensnah und frei von inneren sowie Widersprüchen zueinander. Es spricht auch nicht gegen die Glaubhaftigkeit, dass sich beide Zeugen noch an diesen für sie unwichtigen Punkt erinnerten. Insbesondere die Zeugin S hat dies plausibel damit erklärt, dass es für sie als Französin neu gewesen sei, dass es in Deutschland eine Steuer auf Erlöse aus Grundstücksverkäufen gebe, was sie auf dem Nachhauseweg noch mit dem Zeugen L erörtert habe. Dieser hatte insgesamt eine recht präzise Erinnerung an die Verhandlungen, was angesichts der mit dem Wohnungskauf verbundenen wirtschaftlichen Bedeutung auch nachvollziehbar ist.

Die Zeugenaussagen sind auch nicht durch die Aussage des als Partei vernommenen Beklagten erschüttert worden. Dieser hatte an die fragliche Beurkundung keine konkrete Erinnerung mehr. Soweit er seine übliche Vorgehensweise geschildert hat, stand dies nicht im Widerspruch zu den Bekundungen der Zeugen S und L . Ob es an der Stelle betreffend die Steuerpflicht zu einer Diskussion gekommen war, wusste der Zeuge nicht mehr. Dass er in diesem Fall weiter in die Thematik eingestiegen wäre, mag sein, schließt aber nicht aus, dass der Beklagte zuvor die von den Zeugen wiedergegebene Äußerung getätigt hatte, aufgrund derer es für die Klägerin dann gerade keinen Anlass zu weiteren Nachfragen gab.

Dass die so erteilte Auskunft falsch war, weil zwischen der Beurkundung des Ankaufs- und des Verkaufsgeschäftes noch keine zehn Jahre verstrichen waren, ist zwischen den Parteien letztlich unstreitig geblieben.

Dem Beklagten fällt auch ein Verschulden zur Last, denn hinsichtlich der die Steuerpflicht begründenden Tatsachen und der Unkenntnis des Gefährdeten genügt entsprechend der allgemeinen Grundsätze auch fahrlässige Unkenntnis des Notars (Staudinger/Hertel (2017) Beurkundungsgesetz, Rn. 516 m.w.N.). Die fehlerhafte Auskunft lässt sich nur damit begründen, dass der Beklagte die ihm zur Verfügung stehenden Informationen und Unterlagen nicht sorgfältig genug daraufhin ausgewertet hat, ob der Zehnjahreszeitraum bereits abgelaufen war, oder er hat die Aussage zur nicht bestehenden Steuerpflichtigkeit gänzlich „ins Blaue hinein“ getroffen.

Die Pflichtverletzung ist kausal für den der Klägerin entstandenen Schaden geworden. Als „Schaden“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kommt auch das Entstehen einer Steuerpflicht in Betracht (BGH, Urteil vom 05. November 1982 – V ZR 217/81 -, Rn. 15 m.w.N., juris).

Hat sich der Beklagte in dem Sinne geäußert, für die Klägerin träfe der Hinweis auf die Spekulationssteuer nicht zu, konnte und durfte sie dies vom objektiven Empfängerhorizont so verstehen, dass der Beklagte die Frage anhand der ihm vorliegenden Informationen geprüft und aufgrund seiner – gegenüber der Klägerin überlegenen – Sachkunde verneint hatte.

Hätte der Beklagte die Äußerung nicht getätigt, hätte die Klägerin diesbezüglich nochmals nachgefragt, was die Verpflichtung des Beklagten nach sich gezogen hätte, eine zutreffende Auskunft zu erteilen oder aber darauf zu verweisen, dass er die Frage nicht beantworten könne und die Klägerin sich anderweitig beraten lassen müsse. In beiden Fällen wäre der Kaufvertrag am 19.07.2017 nicht beurkundet worden. Dass der Vertrag auch ohne die fehlerhafte Aussage des Beklagten zustande gekommen wäre, kann ausgeschlossen werden.

Insofern bedurfte es letztlich keiner Entscheidung, welche Partei insofern die Beweislast trägt, wenngleich die Kammer der Ansicht ist, dass die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens für die Klägerin streitet. Danach ist derjenige, der Beratungspflichten verletzt, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre.

Der Zweck von Aufklärungspflichten, die dazu bestimmt sind, den Vertragsgegner zu einer eigenen Entschließung über Maßnahmen zu bewegen, durch die ihm möglicherweise Schaden droht, besteht auch darin, Klarheit darüber zu schaffen, ob der Vertragsgegner, wenn ihm das jeweilige Risiko in seiner ganzen Tragweite bewusst gemacht wird, trotzdem an der ins Auge gefassten Maßnahme festhalten, oder ob er von ihr Abstand nehmen will. Die Aufklärung soll also gerade die in Fällen dieser Art häufig auftretende Beweisnot beseitigen, die darin besteht, dass sich nachträglich nur schwer mit der erforderlichen Zuverlässigkeit beurteilen lässt, wie der Betroffene bei rechtzeitiger Kenntnis von etwaigen schadendrohenden Umständen gehandelt hätte. Dem vorzubeugen, ist einer der Zwecke der Pflicht zur Aufklärung (BGH, Urteil vom 05. Juli 1973 – VII ZR 12/73 -, BGHZ 61, 118-124, Rn. 19).

Dem Ersatzberechtigten wäre wenig damit gedient, wenn er seinen Vertragsgegner zwar an sich aus schuldhafter Verletzung einer solchen Hinweispflicht in Anspruch nehmen könnte, aber regelmäßig daran scheitern würde, dass er den meist schwer zu führenden Beweis nicht erbringen konnte, wie er auf den Hinweis reagiert hätte, wenn er gegeben worden wäre. Der Aufklärungspflichtige dagegen hätte nicht viel zu befürchten, wenn er bei Verletzung seiner Hinweispflicht sich darauf zurückziehen dürfte, dass kaum zu beweisen sei, was der andere Teil auf den Hinweis hin getan hätte. Damit würde der mit der Aufklärungspflicht verfolgte Schutzzweck verfehlt. Die besondere Interessenlage der beteiligten Vertragspartner erfordert deshalb, dass in diesen Fällen derjenige, der die vertragliche Hinweispflicht verletzt, auch das Risiko der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs zumindest insoweit trägt, als in Frage steht, wie der andere Teil gehandelt hätte, wenn er pflichtgemäß ins Bild gesetzt worden wäre (BGH, Urteil vom 05. Juli 1973 – VII ZR 12/73 -, BGHZ 61, 118-124, Rn. 20 m.w.N.).

Diese Erwägungen lassen sich ohne weiteres auf den vorliegenden Fall einer überobligatorischen, aber unzutreffenden Auskunft übertragen, denn auch hier befindet sich die Klägerin in einer typischen Beweisnot bezüglich ihres Verhaltens bei unterstellt zutreffender oder zumindest unterbliebener fehlerhafter Auskunft.

Die Gegenansicht wird damit begründet, dass selbst im Falle eines pflichtwidrig unterbliebenen Hinweises nicht zwingend davon auszugehen sei, dass die Beurkundung bei pflichtgemäßer Belehrung verschoben worden wäre. Der Anfall der Steuer lasse nicht den Schluss zu, dass die Verschiebung die einzig vernünftige Handlungsweise für den Veräußerer wäre. Vielmehr könne das Geschäft trotz Besteuerung durchaus sinnvoll sein. Daher habe der Anspruchsteller im Haftungsprozess darzulegen und zu beweisen, dass er die Beurkundung bei einem Hinweis des Notars auf den möglichen Anfall von Spekulationssteuer verschoben hätte (Haug/Zimmermann, Die Amtshaftung des Notars, 4. Aufl., Rn. 562).

Dies überzeugt jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall nicht, in dem die Beurkundung des Verkaufs lediglich um drei Wochen hätte verschoben werden müssen, um den Anfall der Steuerbelastung zu vermeiden, zumal kein Anhaltspunkt dafür besteht, warum der Kaufvertrag bereits am 19.07.2017 abgeschlossen werden musste. Eine finanzielle Notlage der Klägerin ist nicht dargetan, und die Käufer, die die Wohnung ohnehin schon bewohnten, wären nach eigenem Bekunden zu der kurzen Verschiebung bereit gewesen.

Selbst wenn jedoch davon ausgegangen wird, die Klägerin müsste den Kausalitätsbeweis führen, hält die Kammer ihre Aussage für überzeugend, wonach sie im Beurkundungstermin nach dem Verlesen der Passage betreffend die Steuerpflichtigkeit von Veräußerungserlösen nochmals nachgefragt hätte, hätte der Beklagte nicht von sich aus die betreffende Äußerung getätigt. Es handelte sich um eine Thematik, die der Klägerin allgemein bekannt war, und sie hatte sich diesbezüglich seinerzeit nicht anderweitig beraten lassen. Dass sie trotz der ihr bereits vorab seitens des Büros des Beklagten erteilten Informationen diesen im Beurkundungstermin „sicherheitshalber“ nochmals persönlich befragt hätte, erscheint angesichts dessen, dass seit dem Kauf der Wohnung noch keine ganzen zehn Jahre vergangen waren, sowie des mit der Steuerbelastung verbundenen hohen Risikos absolut plausibel.

Der Beklagte kann sich nicht auf § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO berufen. Das Bestehen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit als negative Anspruchsvoraussetzung ist zwar von dem Anspruchsteller auszuräumen (BeckOK BNotO/Schramm, 3. Ed. 1.8.2020, BNotO § 19  Rn. 142). Die Klägerin hat indessen substantiiert vorgetragen, warum sie erst ab April 2018 die Unterstützung eines Steuerberaters in Anspruch genommen hat, während sie vorher ihre Steuererklärungen selbst angefertigt hat. Dem ist der Beklagte nicht erheblich entgegen getreten. Einfaches Bestreiten genügt insofern nicht mehr; es hätte zumindest der Darlegung bedurft, aufgrund welcher Umstände davon auszugehen sei, dass die Klägerin auch schon im Vorfeld des in Rede stehenden Grundstücksverkaufs steuerlich beraten war. Ohne nähere Angaben stellt sich das diesbezügliche Vorbringen des Beklagten als spekulativ dar.

Entsprechend verhält es sich, soweit sich der Beklagte auf den Haftungsausschluss des § 839 Abs. 3 BGB beruft, der über § 19 Abs. 1 Satz 3 BNotO auch für die Notarhaftung gilt (BeckOK BNotO/Schramm, 3. Ed. 1.8.2020, BNotO § 19  Rn. 146). Welchen Erfolg die Klägerin mit Rechtsbehelfen gegen den Steuerbescheid für 2017 hätte erzielen können, wird nicht konkret mitgeteilt, obwohl sie sämtliche Steuerunterlagen vorgelegt hatte.

Ob daneben noch Raum für eine Anwendung des § 254 BGB war (vgl. BeckOK BNotO/Schramm, 3. Ed. 1.8.2020, BNotO § 19  Rn. 147), konnte erneut dahinstehen. Der Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, auf welche Weise der eingetretene Schaden noch hätte beseitigt oder zumindest verringert werden können. Insbesondere ist nicht dargetan, dass die Erwerber an einer nachträglichen Aufhebung des Kaufvertrages mit anschließendem Neuabschluss mitgewirkt hätten.

Die mit den Schriftsätzen vom 25.05. und 17.07.2020 vorgelegte Schadensberechnung, die auf einem Vergleich zwischen den Vermögenslagen mit und ohne das schädigende Ereignis beruht, hält die Kammer für schlüssig. In welchen Punkten diese unrichtig sein soll, hat der Beklagte danach nicht mehr erheblich vorgetragen. Dass bei dem Verkauf einer Eigentumswohnung 10.000,– EUR auf eine mitverkaufte Einbauküche und Einbauschränke entfallen, ist jedenfalls nicht unrealistisch, so dass dieser Betrag nicht dem Anschaffungspreis hinzuzurechnen war. Die weiteren 8.117,– EUR wirkten sich sogar schadensmindernd aus, und die Erwerbsnebenkosten sind unstreitig geblieben. Für die Richtigkeit spricht schließlich auch, dass der Betrag von 112.576,– EUR vom Finanzamt im Rahmen der Prüfung der Einkommensteuererklärung anerkannt worden ist.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.

Streitwert: 49.982,17 EUR

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