LG Rostock – Az.: 1 S 139/15 – Urteil vom 24.11.2016
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 03.07.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Güstrow abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.735,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Erstattung einer unter Vorbehalt erfolgten Zahlung (Überweisung) sowie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Die Beklagte war Eigentümerin eines aus sechs Flurstücken (Flurstücke Nr. 136, 137, 138, 139, 140 und 141 der Flur 43, Gemarkung Güstrow) bestehenden Grundstücks. Nach Einholung eines Gutachtens zum Wert des damals noch mit (abbruchreifen) Gebäuden bebauten Grundstücks schrieb die Beklagte die Flurstücke öffentlich zum Verkauf aus. Im von der Beklagten eingeholten Verkehrswertgutachten (Anlage K 3, Bl. 20 ff. d.A.) heißt es, das Grundstück befinde sich im innerstädtischen Gebiet, das als Wohngebiet ausgewiesen sei; das bereits parzellierte und für eine Einfamilienhausbebauung vorgesehene Grundstück befinde sich in einer Eigenheimsiedlung.
Die Klägerin erwarb im Ergebnis des Ausschreibungsverfahrens von der Beklagten die Flurstücke 136 (mit einer Größe von 596 m2), 137 (mit einer Größe von 547 m2) und 138 (mit einer Größe von 521 m2) mit notariellem Vertrag vom 21.05.2014 (UR 700/2014 des Notars B. in Güstrow, Anlage K 1, Bl. 8 ff. d.A.) zu einem Gesamtpreis von 103.168,00 €. Dem Kaufpreis für die drei Grundstücke lag jeweils ein Preis je Quadratmeter in Höhe von 62,00 € zu Grunde.
In § 6 des Kaufvertrages (Anlage K 1, Bl. 8 ff. d.A.) heißt es:
„… 5. Sollte der Käufer das heute gekaufte Grundstück in unbebautem Zustand innerhalb von fünf Jahren ab der heutigen Beurkundung weiterveräußern, wird er verpflichtet, den durch ihn erzielten Mehrerlös an die B.- Stadt abzuführen, wobei jedoch die durch den Käufer getätigten Investitionen einschließlich gezahlter Zinsen in Abzug zu bringen sind.
6. …“
Diese Vereinbarung wird von der Beklagten seit vielen Jahren in einer Vielzahl ihrer Verträge verwendet.
Die Klägerin veräußerte eines der von ihr erworbenen Flurstücke mit notariellem Vertrag vom 09.10.2014 an einen Dritterwerber weiter und erzielte hierfür einen Kaufpreis von 67,00 € je Quadratmeter. Die Beklagte forderte die Klägerin hiernach auf, den Mehrerlös in Höhe von 2.735,00 € (67,– € – 62,– € = 5,– € x 547 m2) auszugleichen.
Die Klägerin überwies den geforderten Betrag am 05.12.2014 unter Vorbehalt an die Beklagte und fordert diese Summe mit ihrer Klage zurück. Sie macht geltend, die AGB-Klausel in § 6 Ziffer 5 des notariellen Vertrages vom 21.05.2014 sei unwirksam, so dass der Beklagten kein Anspruch auf einen Mehrerlös zustehe.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und ist – wie die Klägerin – der Auffassung, § 6 Ziffer 5 des notariellen Vertrages sei gemäß §§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Es bestünden bereits Bedenken gegen das Transparenzgebot. Zudem werde durch die getroffenen Regelung einseitig und unangemessen zum Nachteil der Klägerin in die vertraglich bindende Preisregelung eingegriffen und damit vom kaufrechtlichen Grundsatz des § 433 Abs. 2 BGB abgewichen. Die Beklagte habe auch keine Gründe dargetan, die die Klausel im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung als angemessen erscheinen lasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der ergangenen Entscheidung wird auf das angegriffene Urteil (Bl. 82 ff. d.A.) verwiesen.
Die Beklagte hat gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens die erstinstanzlich beantragte Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die Klägerin verteidigt das Urteil.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Klägerin stehen die von ihr verfolgten Ansprüche nicht zu. Die Beklagte ist durch die aufgrund der Überweisung der Klägerin erfolgte Gutschrift über 2.735,– € nicht zu Unrecht im Sinne von §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 BGB bereichert. Die Leistung der Klägerin hat ihren Rechtsgrund in der Vertragsbestimmung in § 6 Ziffer 5 des notariellen Vertrages vom 21.05.2014. Mangels Bestehens eines Verzuges oder einer Pflichtverletzung der Beklagten (durch die Aufforderung zum Ausgleich des erzielten Mehrerlöses) kann die Klägerin auch die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht beanspruchen. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die oben genannte Vertragsbestimmung selbst als Allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten wirksam.
1.
Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob der vorliegende Kaufvertrag als sog. städtebaulicher Vertrag gem. § 11 BauGB (in der Fassung vom 11.06.2013) zu qualifizieren ist und ob er deshalb nur einer Angemessenheitskontrolle im Sinne von § 11 Abs. 2 BauGB unterliegt oder ob die Wirksamkeit seiner einzelnen Bestimmungen – sofern es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 305 BGB handelt – auch am strengeren Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu messen sind (zu dieser Frage vgl. u.a. OLG Celle, Urteil vom 29. Mai 2008 – 8 U 239/07 m.w.N.). Denn auch eine Inhaltskontrolle der streitigen als sog. „Preisnebenabrede“ zu verstehenden Mehrerlösklausel in § 6 Ziff. 5 des Kaufvertrages gem. §§ 305 BGB führt zum Ergebnis, dass sie wirksam ist.
2.
Die Klausel ist nicht überraschend (§ 305c Abs. 1 BGB)
Ein überraschender Charakter im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB kommt einer Klausel zu, wenn sie von den Erwartungen eines vertragstypischen Durchschnittskunden deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (BGH, Urteil vom 19. Mai 2016 – III ZR 274/15 –, Rn. 23).
Ein Überraschungscharakter im vorgenannten Sinn kann der Klausel nicht beigemessen werden. Eine Klausel zur verpflichtenden Abführung eines Mehrerlöses ist in notariellen Kaufverträgen mit der öffentlichen Hand gerichtsbekannt durchaus üblich. Im Handelsverkehr kann sie als bekannt vorausgesetzt werden.
Unerheblich ist daher, ob der Vortrag der Beklagten zutrifft, die Klägerin habe den Vertragsentwurf über einen längeren Zeitraum prüfen können und zudem mit ihr – der Beklagten – in den vorangegangenen Jahren schon mehrere Grundstückskaufverträge abgeschlossen, die diese Klausel ebenfalls enthalten hätten.
3.
Die Klausel ist auch nicht intransparent (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragsgegners auch daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist daher nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Der Verwender muss folglich einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Der Vertragspartner soll andererseits ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen können, damit er nicht von deren Durchsetzung abgehalten wird. Bei der Bewertung der Transparenz einer Vertragsklausel ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Dabei sind Allgemeine Geschäftsbedingungen nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 29. April 2015 – VIII ZR 104/14).
Ausgehend hiervon ist eine Mehrerlösklausel, wie sie hier in Rede steht, hinreichend transparent. Sie ist mit ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen zur Überzeugung der Kammer klar und deutlich formuliert. Ein verständiger Vertragspartner hat keinen Zweifel daran, wie sich der Mehrerlös berechnet, nämlich als Differenz zwischen Erwerbspreis und Weiterverkaufspreis jeweils berechnet nach Quadratmeterpreis ohne Nebenkosten (u.a. Notar- und Grundbuchkosten; Grunderwerbssteuer etc.). Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hat anklingen lassen, durch die ihr entstandenen Nebenkosten sei bei ihr kein Mehrerlös angefallen, spielt dies keine Rolle. Soweit die Klausel es dem Käufer erlaubt, dem Mehrerlös die von ihm „getätigten Investitionen einschließlich gezahlter Zinsen“ entgegenzusetzen, ist auch diese Bestimmung ausreichend verständlich. Jeder Beteiligte wird unter „Investition“ die Maßnahmen in das Grundstück verstehen, die eine Wertsteigerung des Grundstücks bedingen bzw. bedingen können. In Abzug zu bringen sind die Kosten, die der Käufer für die Investition aufgebracht hat, was schon dadurch deutlich wird, dass sie „einschließlich gezahlter Zinsen“ berücksichtigungsfähig sein sollen. Ein Verständnis dahin, dass nicht auf die Wertsteigerung des Grundstücks abzustellen ist und auf den hierdurch ermöglichten Mehrerlös, findet keinen Anklang in der Klausel.
4.
Die Wirksamkeit der vorliegenden Vereinbarung zur Mehrerlösabführung unterliegt nach Auffassung der Kammer schließlich auch keinen Bedenken im Hinblick auf § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Beklagte wird durch sie nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Allerdings stellt die Klausel eine für die Klägerin nachteilige Modifikation der mit dem Kaufvertrag verbundenen Rechte und Pflichten der Kaufvertragsparteien dar. Jeder Kauf zielt aus der Sicht des Käufers darauf ab, für den Kaufpreis uneingeschränktes Eigentum an der Kaufsache zu erlangen. Hiermit verbunden ist auf der einen Seite nicht nur das Risiko, die Sache so verwenden und gebrauchen zu können, wie der Käufer es sich vorgestellt hat. Ebenso muss der Käufer den Nachteil hinnehmen, der mit einem Wertverlust der Kaufsache verbunden ist unabhängig davon, ob dies auf der Marktentwicklung beruht oder einer Beschädigung der Kaufsache. Auf der anderen Seite sollen ihm auch alle mit dem Eigentum an der Sache verbundenen Vorteile gebühren. Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben soll er über die Kaufsache nach Belieben verfügen und sie insbesondere weiterveräußern können und dürfen. Etwaige Wertsteigerungen der Kaufsache infolge der Marktentwicklung sollen ihm zustehen.
Eine Mehrerlösklausel der vorliegenden Art greift in dieses Gefüge zu Lasten des Käufers ein, weil sie seine Freiheit tangiert, das Grundstück allein für eigene Rechnung veräußern zu können. Er muss es hinnehmen, dass der Verkäufer für die Geltungsdauer der Mehrerlösklausel den mit einem Weiterverkauf verbundenen Gewinn abschöpft, mag dieser auf der Marktentwicklung beruhen, einer guten Kaufpreisverhandlung oder schlicht Zufall.
Eine derart nachteilige Modifikation stellt nur dann keine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 BGB dar, wenn ihr ein Interesse des Verkäufers gegenübersteht, das gerechtfertigt und schützenswert ist. Ein solches Interesse billigt die Kammer der Beklagten in Bezug auf die vorliegende Mehrerlösklausel zu, jedenfalls unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei der Klägerin um einen Kaufmann handelt. Dabei geht die Kammer davon aus, dass die Klausel auch den Fall erfasst, dass das Grundstück – wie im vorliegenden Fall – mindestens zum Marktpreis erworben worden ist. Die Beklagte hat mit dem Verkauf des Grundstücks (neben zwei weiteren Flurstücken) an die Klägerin ersichtlich städtebauliche und planerische Zwecke verfolgt. Der Klägerin sollte der Erwerb der Flurstücke zum Verkehrswert ermöglicht werden, um sie einer zeitnahen Bebauung und Wohnnutzung zuzuführen. Hierfür spricht neben der bauplanungsrechtlichen Lage der Flurstücke auch der Umstand, dass in § 4 des Vertrages (Beleihungsvollmacht) ausgeführt ist, dass der Käufer beabsichtige, für die Begleichung des Kaufpreises als auch seine vorgesehenen Baumaßnahmen einen Kredit in Anspruch zu nehmen. Dieser Zweck der Mehrerlösklausel der Beklagten ist im Hinblick auf die Knappheit von Wohnraum und bebauungsfähigen Grundstücken in zentraler Stadtlage anerkennenswert und zu berücksichtigen.
Diesen Zweck gilt es aus Sicht der Beklagten – soweit möglich und zulässig – abzusichern durch Vertragsklauseln, die eine Spekulation mit dem Grundstück unattraktiv machen. Insbesondere gilt es zu vermeiden, dass der Erwerber das Grundstück nur deshalb erwirbt, um es eine Zeit lang „liegenzulassen“, um es sodann zu einem infolge der Marktentwicklung möglichen höheren Preis zu veräußern. In der Praxis haben sich insofern sog. Mehrerlösklauseln bewährt. Allerdings müssen diese Mehrerlösklauseln – da die Beklagte als Kommune im Privatrechtsverkehr sowohl dem Gleichheitsgrundsatz unterliegt als auch dem Übermaßverbot – zeitlich begrenzt sein und dürfen den Käufer nicht unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Risiken aussetzen. Diesen Maßgaben genügt die Mehrerlösklausel, weil ihre Geltungsdauer auf 5 Jahre beschränkt ist und weil sie sicherstellt, dass die Klägerin als Käuferin etwaige Investitionen in das Grundstück – für sie günstig – nach den angefallenen Kosten nebst aufgelaufener Zinsen gegenrechnen darf.
5.
Da die Mehrerlösabführungsvereinbarung unter diesem Aspekt die Klägerin in ihren Verwendungsmöglichkeiten mit dem weiterveräußerten Flurstück nicht unangemessen benachteiligt, verstößt sie auch nicht gegen die guten Sitten (§ 138 BGB).
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO sind gegeben.
Die streitgegenständliche Frage der Wirksamkeit einer Mehrerlösabführungsklausel hat über den vorliegenden Fall hinaus grundsätzliche Bedeutung, was auch der Inhalt des von der Klägerin vorgelegten Gutachtens des Deutschen Notarinstituts (Anlage K 8, Bl. 73 ff. d.A.) belegt. Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Wirksamkeit der hier vorliegenden Mehrerlösklausel ist – soweit der Kammer bekannt – bisher nicht ergangen. Die Entscheidungen zu sog. „Einheimischen-Modellen“ als auch zu Nachbewertungs- und Abführungsklauseln in Verträgen nach der Wiedervereinigung sind vorliegend nicht einschlägig und nicht ohne weiteres auf Fälle der vorliegenden Art übertragbar.