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Kann man eine Erbverzichtserklärung widerrufen oder rückgängig machen?

Die kurze Antwort: Nein, eine Erbverzichtserklärung kann nicht einseitig widerrufen werden. Möglich sind jedoch ein Aufhebungsvertrag mit Zustimmung beider Parteien, eine Anfechtung bei Irrtum oder Täuschung nach §§ 119, 123 BGB (nur zu Lebzeiten des Erblassers) oder die Feststellung der Unwirksamkeit bei Formfehlern. Wichtige Zeitgrenze: maximal 10 Jahre nach Vertragsschluss gemäß § 124 Abs. 3 BGB.

Wer einmal eine Erbverzichtserklärung unterschrieben hat, steht später oft vor der Frage: Lässt sich diese Entscheidung wieder rückgängig machen? Die Rechtslage ist hier eindeutig, aber es gibt wichtige Ausnahmen und Alternativen, die Betroffene kennen sollten.

Eine notariell beurkundete Erbverzichtserklärung nach § 2346 BGB stellt einen bindenden Vertrag zwischen Erblasser und verzichtendem Erben dar. Anders als bei vielen anderen Verträgen gibt es hier kein allgemeines Widerrufsrecht. Das Gesetz sieht diese Bindungswirkung bewusst vor, um Rechtssicherheit in der Erbfolge zu gewährleisten.

Dennoch bestehen in bestimmten Situationen Möglichkeiten, sich von einem Erbverzicht zu lösen. Die notarielle Beurkundung nach § 2348 BGB ist dabei von besonderer Bedeutung, da der Notar beide Parteien über die rechtlichen Folgen aufklären und vor übereilten Entscheidungen schützen soll.

Das Wichtigste in Kürze

Die Rechtslage beim Widerruf von Erbverzichtserklärungen lässt sich in wenigen Punkten zusammenfassen:

  • Einseitiger Widerruf ist ausgeschlossen. Ein rechtswirksam abgeschlossener Erbverzichtsvertrag kann nicht einseitig zurückgenommen werden. Dies gilt auch dann, wenn sich die persönlichen oder finanziellen Verhältnisse später ändern.
  • Aufhebungsvertrag bei Einvernehmen möglich. Sind sich beide Parteien einig, kann der Erbverzicht durch einen neuen, notariell beurkundeten Aufhebungsvertrag beseitigt werden. Dies ist jedoch nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich.
  • Anfechtung nur bei schwerwiegenden Gründen. Eine Anfechtung nach §§ 119, 123 BGB kommt nur bei Irrtum, arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung in Betracht. Auch hier gilt: nur zu Lebzeiten des Erblassers.
  • Strenge Fristen beachten. Anfechtung wegen Irrtums muss unverzüglich nach Kenntnis erfolgen, wegen Täuschung binnen einem Jahr nach Kenntnis. Absolute Grenze: 10 Jahre nach Vertragsschluss nach § 124 Abs. 3 BGB.
  • Notarielle Form zwingend erforderlich. Sowohl Aufhebungsverträge als auch Anfechtungserklärungen müssen notariell beurkundet werden, um rechtswirksam zu sein.
Zwei Personen in Anzügen sitzen sich an einem Tisch gegenüber und führen ein Gespräch in einem modernen Büro
Eine vertrauensvolle Beratungssituation zwischen Anwalt und Mandant verdeutlicht die Bedeutung fachkundiger Unterstützung bei komplexen erbrechtlichen Fragen (Symbolbild: Ideogram).

Wann ist ein Erbverzicht nicht widerrufbar?

Die Bindungswirkung einer Erbverzichtserklärung ist vom Gesetzgeber bewusst stark ausgestaltet. Sobald der Vertrag ordnungsgemäß zustande gekommen ist, entsteht eine rechtliche Situation, die nur unter engen Voraussetzungen wieder verändert werden kann. In vielen Fällen ist ein Widerruf definitiv ausgeschlossen.

Fiktives Praxis-Beispiel zum Verständnis

Familie Schmidt steht vor einem typischen Problem: Vor 12 Jahren erklärte Sohn Thomas (damals 25) gegenüber seinem Vater einen notariellen Erbverzicht und erhielt dafür 50.000 Euro. Heute, nach dem Tod des Vaters, stellt Thomas fest, dass der Nachlass 800.000 Euro beträgt. Sein gesetzlicher Erbteil hätte 400.000 Euro betragen. Thomas möchte den Erbverzicht anfechten – doch das ist nicht mehr möglich: Die 10-Jahres-Frist ist abgelaufen, der Vater ist verstorben, und der Vertrag war ordnungsgemäß beurkundet worden.

Dieser Fall zeigt die drei häufigsten Situationen, in denen ein Erbverzicht endgültig bindend ist: bei Ablauf der gesetzlichen Fristen, nach dem Tod des Erblassers und bei ordnungsgemäß abgeschlossenen Verträgen ohne rechtliche Mängel. Die Rechtsprechung lässt hier bewusst wenig Spielraum, um die Rechtssicherheit in der Erbfolge zu gewährleisten.

Drei Wege zur Aufhebung einer Erbverzichtserklärung

Trotz der grundsätzlich starken Bindungswirkung kennt das Gesetz mehrere Möglichkeiten, wie sich Betroffene von einem Erbverzicht lösen können. Entscheidend ist dabei, welcher Weg im konkreten Fall rechtlich gangbar ist.

  • Aufhebungsvertrag bei Einvernehmen beider Parteien – Der häufigste und sicherste Weg, wenn Erblasser und Verzichtender gemeinsam die Rückabwicklung wünschen
  • Anfechtung wegen Irrtum, Täuschung oder Drohung – Möglich bei schwerwiegenden Mängeln beim ursprünglichen Vertragsschluss nach §§ 119, 123 BGB
  • Feststellung der Unwirksamkeit von Anfang an – Wenn der Vertrag bereits bei Abschluss rechtliche Mängel aufwies, etwa bei Formfehlern oder Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB

Jeder dieser Wege unterliegt eigenen rechtlichen Voraussetzungen und Fristen. Während der Aufhebungsvertrag die Zustimmung beider Seiten erfordert, können Anfechtung und Unwirksamkeit auch einseitig geltend gemacht werden – allerdings nur bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestände.

Drei Männer sitzen an einem runden Tisch in einem Büro und führen ein ernstes Gespräch
Generationenübergreifende Beratung hilft dabei, erbrechtliche Entscheidungen wie einen Erbverzicht gemeinsam und durchdacht zu treffen (Symbolbild: Ideogram).

Anfechtungsfristen und Voraussetzungen

Die Fristen für eine Anfechtung sind kurz bemessen und beginnen oft erst mit der Kenntnis der relevanten Umstände zu laufen. Wer eine Anfechtung erwägt, sollte daher schnell handeln und sich rechtlich beraten lassen.

AnfechtungsgrundFristVoraussetzungenRechtsgrundlage
Irrtum über wesentliche Umständeunverzüglichab Kenntnis des Irrtums§ 119 BGB
Arglistige Täuschung1 Jahrab Kenntnis der Täuschung§ 123 BGB
Widerrechtliche Drohung1 Jahrab Ende der Zwangslage§ 123 BGB
Absolute Ausschlussfrist10 Jahreab Vertragsschluss§ 124 Abs. 3 BGB

Besonders tückisch ist die Frist bei Irrtümern: „Unverzüglich“ bedeutet ohne schuldhaftes Zögern, in der Regel binnen weniger Wochen nach Kenntniserlangung. Bei Täuschung oder Drohung bleibt dagegen ein Jahr Zeit. Nach Ablauf von zehn Jahren seit Vertragsschluss ist jede Anfechtung ausgeschlossen – unabhängig davon, wann der Anfechtungsgrund bekannt wurde. Die herrschende Rechtsprechung lässt zudem eine Anfechtung nach dem Tod des Erblassers nicht mehr zu.

Schritt-für-Schritt: Erbverzichtserklärung widerrufen

Wer einen Erbverzicht rückgängig machen möchte, sollte systematisch vorgehen. Übereiltes Handeln kann ebenso schädlich sein wie zu langes Zögern. Ein strukturiertes Vorgehen hilft dabei, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.

Schritt 1: Rechtslage prüfen lassen

Zunächst muss geklärt werden, ob überhaupt noch Handlungsmöglichkeiten bestehen. Dabei sind der ursprüngliche Erbverzichtsvertrag, die seither verstrichene Zeit und die aktuellen Umstände zu bewerten. Lebt der Erblasser noch? Sind die Anfechtungsfristen abgelaufen? Liegt ein Anfechtungsgrund vor?

Schritt 2: Anfechtungsgrund dokumentieren

Sofern eine Anfechtung in Betracht kommt, müssen die relevanten Umstände sorgfältig dokumentiert werden. Bei einem Irrtum über den Nachlasswert sind beispielsweise die damals bekannten und die heute bekannten Vermögenswerte gegenüberzustellen. Bei Täuschung sind Beweise für die falschen Angaben zu sammeln.

Schritt 3: Fristen im Blick behalten

Die Anfechtungsfristen sind strikt einzuhalten. Wer einen Irrtum erkannt hat, sollte unverzüglich handeln. Bei Täuschung oder Drohung bleibt ein Jahr ab Kenntniserlangung. In jedem Fall ist die absolute Zehn-Jahres-Grenze zu beachten.

Schritt 4: Notartermin vereinbaren

Sowohl eine Anfechtungserklärung als auch ein Aufhebungsvertrag müssen notariell beurkundet werden. Der Notar prüft die Voraussetzungen und klärt über die rechtlichen Folgen auf. Bei einem Aufhebungsvertrag müssen beide Parteien anwesend sein.

Schritt 5: Rechtswirksame Erklärung abgeben

fechtung wird mit der notariellen Beurkundung rechtswirksam. Bei erfolgreicher Anfechtung leben die ursprünglichen Erb- und Pflichtteilsrechte wieder auf. Gleichzeitig muss eine eventuell erhaltene Abfindung zurückerstattet werden.

Dieser strukturierte Ablauf zeigt, dass eine Rückabwicklung eines Erbverzichts durchaus möglich ist – aber nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen und bei Einhaltung der gesetzlichen Fristen.

Person in Anzug steht nachdenklich am Fenster mit der Hand am Kinn
Die Entscheidung über einen Erbverzicht erfordert sorgfältige Überlegung aller rechtlichen und persönlichen Aspekte (Symbolbild: Ideogram).

Alternative Lösungswege nach dem Erbfall

Auch wenn eine direkte Anfechtung des Erbverzichts nach dem Tod des Erblassers nicht mehr möglich ist, bestehen unter Umständen andere rechtliche Ansprüche. Diese können zwar den Erbverzicht nicht rückgängig machen, aber immerhin einen finanziellen Ausgleich schaffen.

Zur Veranschaulichung ein konstruierter Fall

Frau Weber hatte 2010 gegenüber ihrem Vater auf das Erbe verzichtet, nachdem dieser ihr versicherte, sein Vermögen betrage nur etwa 100.000 Euro. Als Abfindung erhielt sie 30.000 Euro. Nach dem Tod des Vaters 2023 stellte sich heraus: Der Nachlass betrug tatsächlich 600.000 Euro. Eine Anfechtung ist nicht mehr möglich – der Vater ist tot und die 10-Jahres-Frist abgelaufen. Dennoch kann Frau Weber Schadensersatz von den Erben verlangen: Sie wurde arglistig über den wahren Vermögenswert getäuscht. Das Gericht sprach ihr 150.000 Euro als Differenz zwischen angemessener Abfindung und tatsächlich erhaltener Summe zu.

Dieser Fall zeigt drei wichtige alternative Anspruchsgrundlagen: Schadensersatzansprüche nach § 280 BGB wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungs­pflichten, Bereicherungsansprüche nach § 812 BGB wegen ungerechtfertigter Vermögensverschiebung und Ansprüche aus culpa in contrahendo bei Verletzung der Sorgfaltspflichten beim Vertragsschluss. Diese Ansprüche richten sich gegen die Erben als Nachlassverbindlichkeit und können auch nach dem Erbfall noch geltend gemacht werden – allerdings unterliegen sie der dreijährigen Verjährung nach § 195 BGB.

Fazit: rechtliche Unterstützung hilfreich

Die verschiedenen Möglichkeiten zeigen: Die Rechtslage rund um Erbverzichtserklärungen ist vielschichtig und hängt stark von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Anfechtungsfristen, Beweisanforderungen und die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Anspruchsgrundlagen erfordern eine sorgfältige rechtliche Bewertung. Daher ist es in der Regel ratsam, sich frühzeitig fachkundige Unterstützung zu holen, um alle rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen und die bestmögliche Strategie zu entwickeln.

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Ein Glossar hilft dabei, juristische Fachbegriffe rund um die Testamentseröffnung verständlich zu erklären und Unsicherheiten zu beseitigen (Symbolbild: Ideogram / fiktives Buch).

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt

  • Kostet eine Anfechtung oder ein Aufhebungsvertrag Geld?
    Ja, beide Verfahren erfordern eine notarielle Beurkundung, die nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz abgerechnet wird. Die Kosten richten sich nach dem Geschäftswert und liegen meist im dreistelligen bis niedrigen vierstelligen Bereich.
  • Was passiert mit einer bereits erhaltenen Abfindung?
    Bei erfolgreicher Anfechtung muss die Abfindung grundsätzlich zurückerstattet werden, da die Rechtsgrundlage für die Zahlung entfällt. Dies ergibt sich aus dem Bereicherungsrecht nach § 812 BGB.
  • Können auch die Erben nach dem Tod des Erblassers noch gegen einen Erbverzicht vorgehen?
    Grundsätzlich nein. Die Anfechtung eines Erbverzichts ist nach herrschender Rechtsprechung nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich. Erben können jedoch prüfen lassen, ob der Verzichtsvertrag von Anfang an unwirksam war.
  • Kann ein minderjähriges Kind einen Erbverzicht erklären?
    Nur mit Zustimmung der gesetzlichen Vertreter und Genehmigung des Familiengerichts nach § 1822 Nr. 3 BGB. Diese strengen Voraussetzungen sollen Minderjährige vor nachteiligen Entscheidungen schützen.
  • Gibt es einen Unterschied zwischen Erbverzicht und Pflichtteilsverzicht?
    Ja, beim Erbverzicht nach § 2346 BGB wird auf das gesamte gesetzliche Erbrecht einschließlich Pflichtteil verzichtet. Der Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB beschränkt sich nur auf den Pflichtteil, lässt aber das gesetzliche Erbrecht bestehen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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