OLG Frankfurt – Az.: 26 U 65/21 – Beschluss vom 26.11.2021
In dem Rechtsstreit weist der Senat auf seine Absicht hin, die Berufung der Beklagten gegen das am 3. September 2021 verkündete Teilurteil der 30. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 21. Dezember 2021.
Gründe
I. Der Senat ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Beschlussentscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen. Insbesondere erachtet er die Berufung als offensichtlich unbegründet (1 und 2) und hält eine mündliche Verhandlung nicht für geboten (3).
1. Die Parteien streiten u. a. um einen Anspruch der Klägerin auf Herausgabe einer notariellen Vollmachtsurkunde.
Bei der Klägerin handelt es sich um die Mutter der Beklagten. Der Ehemann der Klägerin und Vater der Beklagten ist am XX.XX.2019 verstorben. Die Beklagte ist kinderlos. Die Klägerin hat eine weitere Tochter, die Zeugin A. Diese hat vier volljährige Kinder.
Am 12. September 2017 schenkten die Klägerin und ihr Ehemann ihren vier Enkelkindern jeweils € 100.000,-. Am 25. November 2019 überwies die Klägerin der Zeugin A einen Betrag in Höhe von € 35.000,-.
Unter dem 3. Dezember 2019 regte die Zeugin A beim Amtsgericht Stadt1 an, für die Klägerin eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis „alle Angelegenheiten einschließlich Postangelegenheiten“ einzurichten (BI. 1 der Betreuungsakten zum Aktenzeichen …).
Am 19. Dezember 2019 erteilte die Klägerin der Beklagten bei der Notarin B mit Amtssitz in Stadt2 eine „Generalvollmacht mit Altersvorsorgevollmacht“.
Mit dieser Vollmacht wurde die Beklagte berechtigt, „sämtliche Angelegenheiten“ der Klägerin wahrzunehmen. Die Beklagte war danach befugt, für die Klägerin „in gesetzlicher Weise ohne Einschränkung jede rechtliche bedeutsame Handlung vorzunehmen“, die von der Klägerin und ihr gegenüber nach dem Gesetz wahrgenommen werden könnte, und zwar mit derselben Wirkung, wie wenn die Klägerin selbst gehandelt hätte. Die Beklagte wurde zudem von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Die Vollmacht „ist stets widerruflich“. Sie „gilt nur, wenn die Bevollmächtigte eine Ausfertigung der Vollmacht vorlegen kann“.
Die Notarin nahm in die notarielle Urkunde den Satz auf, dass sie sich durch die mit der Klägerin geführte „ausführliche Erörterung“ vergewissert habe, dass die Klägerin „voll geschäftsfähig“ sei.
Wegen des näheren Inhalts der Vollmachtsurkunde wird auf die von der Beklagten als Anlage B 1 zu den Akten gereichte Kopie der Urkunde Nr. … der Notarin B Bezug genommen (BI. 31 ff. d. A.).
Am 7. Februar 2020 und am 4. März 2020 nahm die Beklagte insgesamt drei Abhebungen vom Girokonto der Klägerin vor. Es handelt sich um Einzelbeträge in Höhe von € 100.000,- am 7. Februar 2020, von € 7.000,- am 4. März 2020 und von € 43.000,- ebenfalls am 4. März 2020.
Unter dem 5. März 2020 stellte die Klägerin eine Quittung über den Erhalt eines Betrages in Höhe von € 52.000,- „in bar“ aus (Anlage B 2, Bl. 37 d. A.).
Am 10. März 2020 ließ die Beklagte bei dem Notar C in Stadt2 einen Grundstücksübergabevertrag ohne Auflassung notariell beurkunden (Urkundenrolle Nr. …). Dabei handelte sie sowohl im eigenen Namen als auch – aufgrund der Vollmacht vom 19. Dezember 2019 – für die Klägerin. Gegenstand des Grundstücksübergabevertrages war die unentgeltliche unbedingte Übertragung eines halben Miteigentumsanteils an dem Grundstück Straße1 in Stadt2-Stadtteil1 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Unter dem 27. März 2020 wurde bei der Grundbuchabteilung des Amtsgerichts Stadt1 – eine entsprechende Auflassungsvormerkung eingetragen.
Unter dem 11. März 2020 erstattete der Zeuge D im Betreuungsverfahren … (Amtsgericht Stadt1) ein Gutachten (Bl. 166 ff. d. A. des Verfahrens …). Er diagnostizierte eine dementielle Symptomatik bei der Klägerin (S. 11) und führte aus, dass sie für alltagsfähige Geschäfte durchaus als geschäftsfähig anzusehen sei, nicht jedoch für „die Bewältigung der anstehenden Aufgaben zur Klärung des Nachlasses“ (S. 14).
Mit Beschluss vom 18. März 2020 bestellte das Amtsgericht Stadt1 durch eine einstweilige Anordnung Rechtsanwalt E, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin im hiesigen Verfahren, zum vorläufigen Betreuer der Klägerin mit dem Aufgabenkreis „Vermögenssorge einschließlich Immobilienangelegenheiten, Postangelegenheiten sowie den Widerruf von Vollmachten“. Das Amtsgericht führte u. a. aus, dass die Klägerin aufgrund einer Krankheit bzw. Behinderung nicht in der Lage sei, ihre näher beschriebenen Angelegenheiten selbst zu besorgen. Mit einem Aufschub sei eine Gefahr für die Betroffene verbunden (Bl. 196 ff. d. A. des Verfahrens …).
Noch am gleichen Tag widerrief der vorläufige Betreuer der Klägerin die Vollmachten, die der Beklagten erteilt worden waren, und forderte sie unter Fristsetzung bis zum 31. März 2020 auf, das Original der Vollmacht nebst Abschriften an ihn als gesetzlichen Vertreter herauszugeben. Eine Herausgabe erfolgte jedoch nicht.
Mit Schreiben vom 30. März 2020 forderte der vorläufige Betreuer der Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 3. April 2020 zur Rückzahlung der ausgezahlten € 150.000,- auf. Mit Schreiben vom 28. April 2020 forderte der vorläufige Betreuer der Klägerin sodann die Beklagte zur Zustimmung zur Löschung der am 27. März 2020 eingetragenen Auflassungsvormerkung auf. Beide Aufforderungen blieben ohne Erfolg.
Mit Beschluss vom 2. September 2020 bestellte das Amtsgericht Stadt1 den vorläufigen Betreuer zum Betreuer (Bl. 410 ff. d. A. des Verfahrens …).
Die Klägerin behauptet, sie sei zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht am 19. Dezember 2019 infolge ihrer Erkrankung bereits geschäftsunfähig gewesen. Auch bei der Erteilung der Quittung am 5. März 2020 sei sie nicht in der Lage gewesen, die Bedeutung der Erklärung einzuordnen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
1. Originale und/oder Abschriften der unter dem 19. Dezember 2019 zu Urkundenrolle Nr. … der Notarin B, Stadt2 beurkundeten notariellen Vollmacht an Herrn Rechtsanwalt E als gesetzlichen Vertreter der Klägerin herauszugeben;
2. € 150.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4. April 2020 zu zahlen;
3. die Zustimmung zur Löschung der am 27. März 2020 im Grundbuch von Stadtteil1, BI. … der Grundstücke „Straße1, Stadt2″ (Flur …, Flurstück … und …) eingetragenen Auflassungsvormerkung zu erteilen; und
4. weitere € 15.655,88 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, es habe zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht am 19. Dezember 2019 keinen Anlass gegeben, an der Geschäftsfähigkeit der Klägerin zu zweifeln. Die drei Bargeldauszahlungen seien im Einverständnis mit und auf Anordnung der Klägerin erfolgt. Sie habe die Beklagte informiert, dass sie und ihr Mann an jedes Ihrer Enkelkinder ein Betrag in Höhe von € 100.000,- als Schenkung übergeben habe. Die Beklagte habe einen ebenso hohen Betrag erhalten sollen. Deshalb habe die Beklagte der Klägerin absprachegemäß einen Betrag von € 52.000,- übergeben und den Rest für sich behalten.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen.
Nach Vernehmung der Zeugen F, D, B, G, H, I, J und A hat das Landgericht mit dem angegriffenen Teilurteil vom 3. September 2021 die Beklagte verurteilt, Originale und/oder Abschriften der unter dem 19. Dezember 2019 zu Urkundenrolle Nr. … der Notarin B, Stadt2, beurkundeten notariellen Vollmacht an Rechtsanwalt E als gesetzlichen Vertreter der Klägerin herauszugeben.
Zur Begründung hat das Landgericht u. a. ausgeführt, die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde vom 19. Dezember 2019 aus § 175 BGB, wobei dieser Anspruch sowohl die Originale als auch Abschriften hiervon umfasse.
§ 175 BGB gebe dem Vollmachtgeber einen Anspruch auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde nach dem Erlöschen der Vollmacht. Voraussetzung für das Bestehen des Anspruchs sei das Erlöschen der Vollmacht. Der Vollmacht könne insbesondere durch ihren Widerruf erlöschen (§ 168 Satz 2 BGB). Dies sei im Streitfall infolge des Widerrufs durch den vorläufigen Betreuer am 18. März 2020 geschehen.
Der vorläufige Betreuer habe in seinem Schreiben an die Beklagte als gesetzlicher Vertreter der Klägerin erklärt, mit sofortiger Wirkung Vollmachten gleich welcher Art zu widerrufen, die der Beklagten erteilt worden seien. Davon sei auch die notarielle Vollmacht vom 19. Dezember 2019 umfasst. Dass diese nicht explizit bezeichnet worden sei, sei unschädlich.
Der – zum damaligen Zeitpunkt – vorläufige Betreuer der Klägerin sei zum Widerruf berechtigt gewesen. Zwar könne ein Betreuer eine Vorsorgevollmacht nur widerrufen, wenn ihm diese Befugnis als eigenständiger Aufgabenkreis ausdrücklich zugewiesen sei. Das Amtsgericht Stadt1 – Betreuungsgericht – habe den vorläufigen Betreuer im Beschluss vom 18. März 2020 ausdrücklich zum Widerruf von Vollmachten ermächtigt und dies in den Aufgabenkreis des Betreuers aufgenommen.
Die Beklagte könne gegen den Widerruf der Vollmacht durch den Betreuer der Klägerin im Streitfall nicht mit Erfolg einwenden, die Bestellung zum Betreuer durch das Amtsgericht sei fehlerhaft gewesen, da die Betreuung nicht erforderlich sei, soweit Angelegenheiten der betroffenen Person durch einen Bevollmächtigten oder durch andere Hilfen ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden könnten, § 1896 Abs. 2 BGB.
Dies folge im Ergebnis aus den Rechten des Bevollmächtigten im Falle des Widerrufs einer Vollmacht durch den Betreuer. Eine eigene Beschwerde speziell gegen den Widerruf der Vollmacht habe der Bevollmächtigte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das angegriffene Teilurteil vom 3. September 2021 (Bl. 252 ff. d. A.) verwiesen.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigen am 9. September 2021 (Bl. 261a d. A.) zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem hier am 8. Oktober 2021 eingegangenen Anwaltsschriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt (Bl. 266 ff. d. A.). Die Beklagte hat die Berufung mit Anwaltsschriftsatz vom 2. November 2021 (Bl. 279 ff. d. A.), der hier noch am selben Tage eingegangen ist, begründet.
Mit der Berufung rügt die Beklagte u. a., das Landgericht habe sich mit der Verteidigung der Beklagten, das Herausgabeverlangen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich, nicht beschäftigt.
Als die Zeugin A und Rechtsanwalt E gegenüber dem Betreuungsgericht die Einrichtung einer Betreuung und die Bestellung des Kollegen E zum Betreuer beantragt hätten, hätten sie bewusst verschwiegen, dass die Klägerin der Beklagten unter dem 19. Dezember 2019 eine Generalvollmacht erteilt hatte, so dass der Einrichtung einer Betreuung der in § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB verankerte Subsidiaritätsgedanken entgegengestanden habe. Die Einrichtung einer Betreuung und die Bestellung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zum vorläufigen Betreuer seien einzig und allein darauf zurückzuführen, dass dem Betreuungsrichter zum Zeitpunkt der Bestellung das Vorliegen einer Generalvollmacht weder von der Schwester der Beklagten noch von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt worden sei. Das Nachlassgericht sei somit über das Fehlen einer Generalvollmacht getäuscht worden, um die Einrichtung einer Betreuung zu ermöglichen.
Hätte der Betreuungsrichter Kenntnis von der Existenz einer Vorsorgevollmacht gehabt, hätte er – so die Beklagte weiter – die Betreuung der Klägerin nicht angeordnet. Die Beklagte könne sich daher auf die Unwirksamkeit der Betreuerbestellung auch im hiesigen Verfahren berufen. Da das Betreuungsgericht getäuscht worden sei, sei das geltend gemachte Herausgabeverlangen zu Händen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtsmissbräuchlich und widerspreche dem tatsächlichen Willen der heute noch geschäftsfähigen Klägerin.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe als deren Betreuer nicht in deren Interesse, sondern ausschließlich auf Weisung der Zeugin A gehandelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung der Beklagten wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 2. November 2021 (Bl. 279 ff. d. A.) verwiesen.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Teilurteil abzuändern und die Klage zu Ziffer 1 der Klageschrift vom 28. Mai 2020 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Teilurteil des Landgerichts. Wegen der Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 23. November 2021 Bezug genommen (Bl. 294 ff. d. A.).
Die Betreuungsakte der Klägerin des Amtsgerichts Stadt1, Az. …) liegt dem Senat vor.
2. Die zulässige Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
a. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).
b. In der Sache beruht das angefochtene Urteil jedoch weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 514 Abs. 1 ZPO).
Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klageantrag 1 der Klägerin zulässig und begründet ist.
Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, ist die Vollmacht der Beklagten durch den von dem damals vorläufigen Betreuer erklärten Widerruf vom 18. März 2020 erloschen (§ 168 Satz 2 BGB).
Der vorläufige Betreuer hat in seinem Schreiben an die Beklagte als gesetzlicher Vertreter der Klägerin erklärt, mit sofortiger Wirkung Vollmachten gleich welcher Art zu widerrufen, die der Beklagten erteilt worden seien. Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass diese Formulierung auch die notarielle Vollmacht vom 19. Dezember 2019 umfasst.
Zutreffend ist auch die Beurteilung des Landgerichts, dass der – zum damaligen Zeitpunkt – vorläufige Betreuer der Klägerin zum Widerruf berechtigt gewesen ist. Zwar kann ein Betreuer eine Vorsorgevollmacht nur widerrufen, wenn ihm diese Befugnis als eigenständiger Aufgabenkreis ausdrücklich zugewiesen sei. Das Amtsgericht Stadt1 – Betreuungsgericht – hat den vorläufigen Betreuer im Beschluss vom 18. März 2020 jedoch ausdrücklich zum Widerruf von Vollmachten ermächtigt und dies in den Aufgabenkreis des Betreuers aufgenommen.
Ob dieser Beschluss des Amtsgerichts vom 18. März 2020 gegen § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB verstieß oder nicht, ist für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Belang.
Ist nämlich ein Beschluss ungerechtfertigt, durch den jemand die Fähigkeit oder die Befugnis erlangt, ein Rechtsgeschäft vorzunehmen oder eine Willenserklärung entgegenzunehmen, hat die Aufhebung des Beschlusses auf die Wirksamkeit der inzwischen von ihm oder ihm gegenüber vorgenommenen Rechtsgeschäfte keinen Einfluss, soweit der Beschluss nicht von Anfang an unwirksam ist (§ 47 FamFG). Diese Norm schützt das Vertrauen im Rechtsverkehr auf den Bestand einer wirksam gewordenen Gerichtsentscheidung (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28.07.2015 – XII ZB 674/14 -, NJW 2015, 3572, 3573; Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 47 FamFG, Rdnr. 1; Fuchs/Sitzmann, in: Kroiß/Siede (Hrsg.), FamFG, 2. Aufl. 2018, § 47, Rdnr. 2). Anders als etwa im Falle des § 1698a Abs. 1 Satz 2 BGB kommt es dabei auf einen guten Glauben des anderen Teils nicht an; dieser wird selbst dann geschützt, wenn er die etwaigen Mängel des Beschlusses kennt (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.10.2016 – 20 UF 81/15 -, NJW 2017, 415, 417; Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 47 FamFG, Rdnr. 1).
Vor diesem Hintergrund geht die zentrale Argumentationslinie der Beklagten, der Beschluss des Amtsgerichts über die Einrichtung der vorläufigen Betreuung sei wegen des Verstoßes gegen den Subsidiaritätsgrundsatz (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB) rechtswidrig, ins Leere. Denn entscheidend ist allein, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 18. März 2020 nicht von Anfang an unwirksam war. Ob er rechtswidrig ist oder nicht, lässt nach § 47 FamFG die Wirksamkeit des Vollmachtwiderrufs selbst dann unberührt, wenn der Beschluss später – anders als im Streitfall – aufgehoben werden sollte.
Die Beklagte wird durch diese gesetzliche Regelung auch nicht rechtsschutzlos gestellt. Durch den Widerruf der Vorsorgevollmacht entfällt nämlich nicht die Vertretungsmacht des Vorsorgebevollmächtigten nach § 303 Abs. 4 FamFG. Diese Vertretungsmacht endet erst mit dem Abschluss des Verfahrens über die Rechtmäßigkeit der Betreuerbestellung oder wenn dieses nicht mehr in zulässiger Weise eingeleitet oder weiterverfolgt werden kann (s. BGH, Beschluss vom 28.07.2015 – XII ZB 674/14 -, NJW 2015, 3572, 3574; Beschluss vom 08.07.2020 – XII ZB 68/20 -, NJW-RR 2020, 1075, 1076). Da dem Bevollmächtigten durch die Befugnis, im Namen des Betroffenen Beschwerde einzulegen, gerade die Überprüfung der Betreuerbestellung ermöglicht werden soll, steht der Widerruf der Vollmacht durch einen Betreuer dem Beschwerderecht nicht entgegen (s. BGH, Beschluss vom 28.07.2015 – XII ZB 674/14 -, NJW 2015, 3572, 3574). Die Beklagte hätte daher hier trotz des Widerrufs der Vorsorgevollmacht innerhalb der Beschwerdefrist im Namen der Klägerin Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 18. März 2020 einlegen können. Dies hat sie indes nicht getan. Nach einer etwaigen Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 18. März 2020 hätte dann die Klägerin – ihre Geschäftsfähigkeit vorausgesetzt – der Beklagten erneut eine Vorsorgevollmacht mit Altersvorsorgevollmacht erteilen können.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass überdies die zentrale These der Beklagten – hätte der Betreuungsrichter Kenntnis von der Existenz einer Vorsorgevollmacht gehabt, hätte er die Betreuung der Klägerin nicht angeordnet – ganz offensichtlich falsch ist. Aus den Senat vorliegenden Betreuungsakten ergibt sich vielmehr, dass dem Amtsgericht Stadt1 am Tag der Beschlussfassung (18. März 2020) positiv bekannt war, dass eine Generalvollmacht mit Altersvorsorgevollmacht und Betreuungs- und Patientenverfügung existiert. Auf die Existenz der entsprechenden notariellen Vollmacht vom 19. Dezember 2019 hatte Rechtsanwalt K das Amtsgericht Stadt1 mit Anwaltsschriftsatz vom 5. März 2020 nicht nur explizit hingewiesen, sondern zudem auch noch eine Abschrift der Vollmachtsurkunde seinem Schriftsatz beigefügt (Bl. 108 ff. d. A. des Verfahrens …). Von einer Täuschung des Betreuungsgerichts über die Existenz einer Generalvollmacht mit Altersvorsorgevollmacht kann nach alledem keine Rede sein.
3. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen vor. Die Beurteilung, dass eine Berufung offensichtlich unbegründet ist, setzt nicht voraus, dass ihre Unbegründetheit auf der Hand liegt; sie kann auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.09.1990 – 2 BvE 2/90 -, BVerfGE 82, 316, 319 f.; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.04.2018 – 8 U 108/17 -, juris; Beschluss vom 26.11.2018 – 8 U 168/17 -, juris; Beschluss vom 25.11.2013 – 18 U 1/13 -, juris).
Nach der Funktion des Verfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO ist eine erneute mündliche Verhandlung nur dann geboten, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine umfassend neue rechtliche Würdigung gestützt wird und diese mit den Parteivertretern im schriftlichen Verfahren nicht sachgerecht erörtert werden kann (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 02.03.2012 – I-20 U 228/11 -, VersR 2013, 604; OLG Koblenz, Beschluss vom 16.02.2012 – 10 U 817/11 -, juris; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.11.2013 – 18 U 1/13 -, juris; Wöstmann, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 9. Aufl. 2021, § 522, Rdnr. 12.1). Eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hingegen reicht nicht, um eine mündliche Verhandlung als geboten anzusehen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.04.2018 – 8 U 108/17 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 16.02.2012 – 10 U 817/11 -, juris; Wöstmann, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 9. Aufl. 2021, § 522, Rdnr. 12.1). Im Streitfall ist eine Erörterung der Sach- und Rechtslage im schriftlichen Verfahren ohne Weiteres möglich.
Nach alledem rät der Senat der Beklagten, zur Vermeidung weiterer unnötiger Kosten der Berufung eine Zurücknahme derselben ernsthaft in Betracht zu ziehen. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Neuem Sachvortrag setzt die Zivilprozessordnung enge Grenzen.
II. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf € 1.837.090,33 festzusetzen. Der Streitwert für eine Klage auf Herausgabe einer widerrufenen Vollmachtsurkunde richtet sich nach § 3 ZPO (vgl. etwa OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.04.2019 – 8 W 9/19 -, juris; Greger, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 3, Rdnr. 16.92 – Stichwort „Vollmacht“). Im Rahmen der konkreten Bemessung sind in erster Linie der Umfang der Vollmacht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – Xa ZR 81/09 -, juris) und der Wert des von der Vollmacht betroffenen Vermögens maßgebend, da diese Faktoren den wirtschaftlichen Wert einer Vollmacht bestimmen (vgl. dazu näher OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.04.2019 – 8 W 9/19 -, juris; KG, Beschluss vom 29.05.1970 – 1 W 1272770 -, WM 1970, 1305). Dieses Vermögen ist nach der Mitteilung des Amtsgerichts gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 22. Oktober 2020 (s. Bl. 470 des Verfahrens …) auf einen Betrag in Höhe von € 1.837.090,33 zu schätzen.