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Grunddienstbarkeit – Umfang Geh- und Fahrrecht – Bedarfssteigerung

OLG Karlsruhe – Az.: 12 U 34/20 – Urteil vom 21.07.2020

1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 06.02.2020, Az. 2 O 292/18, im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, über die Tiefgaragenzufahrt des Grundstücks Flurstück Nummer …/25 (H-Straße 15) in P den Zugang zu den Tanzschulräumen im Gebäude S-Straße 17 in P zu ermöglichen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Art und Weise der Nutzung einer Tiefgaragenzufahrt auf dem Grundstück der Kläger.

Die Kläger sind seit 2012 Eigentümer des Grundstücks Flst.-Nr. …/25 (H-Straße 15) in P. Bei dem Gebäude handelt es sich um ein Geschäftshaus, in dessen Untergeschoss sich eine Tiefgarage mit 25 Stellplätzen befindet. Das Gebäude wurde in den Jahren 2014/2015 fertiggestellt. Im Grundbuch ist zulasten des Grundstücks der Kläger folgende Grunddienstbarkeit eingetragen:

„Grunddienstbarkeit (Geh- und Fahrrecht – auch für Lkw (12 Tonnen) – sowie Nutzungsrecht an mindestens 25 Stellplätzen in der Tiefgarage im UG) für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Flurstück Nummer …/17, derzeit eingetragen im Grundbuch von P, Blatt Nr. … [… ])“.

Zum Zeitpunkt der Eintragung der Grunddienstbarkeit nutzten überwiegend Angestellte der auf dem Grundstück Flst.-Nr. …/17 tätigen Firma die Möglichkeit, mittels ausgegebener Schlüssel das Garagentor zu öffnen, ein Fahrzeug auf einem Tiefgaragenparkplatz abzustellen und sodann in die Räumlichkeiten der Firma zu gehen.

[Redaktionelle Ergänzung des Sachverhalts (nicht im Urteil, da für den Rechtsstreit ohne Belang): Die Tiefgarage erstreckt sich auch auf einen Teil des benachbarten Grundstücks …/16, zu dessen Gunsten ebenfalls ein Geh- und Fahrrecht im Grundbuch eingetragen ist.]

Die Beklagte ist nunmehr Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. …/17. Ihr Grundstück ist sowohl über die angrenzende G-Straße als auch über die angrenzende S-Straße zu erreichen. Das Gebäude auf dem Grundstück ist ein ehemaliges Fabrikgebäude, das nach einem Umbau anderweitig gewerblich genutzt wird. Die Beklagte hat das Grundstück zwischenzeitlich verkauft, zu einer Übergabe des Grundstücks an den Erwerber und einer Eintragung des Erwerbers im Grundbuch war es bis zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht gekommen, weil der Kaufpreis nicht vollständig gezahlt worden war.

Die Beklagte vermietete im Frühjahr 2018 Teile ihres auf dem Grundstück belegenen Gebäudes an eine Tanzschule („U School“). Die Räumlichkeiten der Tanzschule befinden sich in einem rückwärtigen Anbau, der wegen anderweitiger Nutzungen des restlichen Gebäudes weder von der S-Straße noch von der anliegenden G-Straße betreten werden kann. Der Publikumsverkehr zu und von der Tanzschule erfolgt seit Frühjahr 2018 über die Zufahrt zur Tiefgarage, also über das Grundstück der Kläger. Der Mieter der Beklagten brachte am Eingangsbereich ein Geschäftsschild an. Die neben dem Garagentor vorhandene Tür war bis Frühjahr 2018 auf der Außenseite mit einem Knauf ausgestattet, der eine Öffnung nur mit Schlüssel erlaubte. Die Beklagte oder ihr Mieter tauschte den Knauf gegen eine Klinke aus, der nunmehr von außen den jederzeitigen Zugang auch ohne Schlüssel ermöglicht.

Eine Klingel oder ein Türöffner, der die Öffnung der Tür durch die Beklagte bzw. ihren Mieter ermöglichen würde, ist nicht vorhanden.

Die Kläger haben vorgetragen: Diese Nutzung führe zu erheblichen Beeinträchtigungen. Das Garagentor werde regelmäßig geöffnet und im offenen Zustand fixiert, so dass ungehinderter Publikumsverkehr möglich sei. Auch komme es im Bereich der Tür regelmäßig zu Beschädigungen, die darauf beruhten, dass versucht werde, die Tür und das Tor offenzuhalten. Im Bereich der Garagenzufahrt hielten sich regelmäßig größere Menschenansammlungen auf, was Gefahren berge. Darüber hinaus verschafften sich regelmäßig Unberechtigte Zutritt zum Bürogebäude auf dem Klägergrundstück. Da für die Tiefgarage ein zweiter Fluchtweg vorhanden sein müsse, führe dieser über das Treppenhaus des Gebäudes, so dass es Unberechtigten möglich sei, über den freien Zugang in die Tiefgarage und von dort in das Treppenhaus des Gebäudes zu gelangen. Auch an der Tür zum Treppenhaus in der Tiefgarage sei es bereits zu Beschädigungen gekommen. Die Beklagte als Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. …/17 könne es regeln, ob Publikumsverkehr über die Zufahrt stattfinde oder nicht.

Die Kläger haben beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, nach jeder Inanspruchnahme des Geh- und Fahrrechts auf der Tiefgaragenzufahrt des Grundstücks Flurstück Nummer …/25 (H-Straße 15) in P, das Zufahrtstor zur Tiefgarage unverzüglich zu schließen oder schließen lassen,

2. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, über die Tiefgaragenzufahrt aus Ziffer 1 Publikumsverkehr zu eröffnen, der nicht mit der Nutzung der 25 Tiefgaragenstellplätze oder dem Zutritt zum Grundstück …/16 im Zusammenhang steht, insbesondere nicht den Zugang zu Tanzschulräumen im Gebäude S-Straße 17 in P. über die Tiefgaragenzufahrt zu ermöglichen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 586,40 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.09.2018 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen: Die Personen, die zur Tanzschule gingen, seien Berechtigte hinsichtlich des bestehenden Geh- und Fahrrechts. Sie seien auch zur Nutzung der Stellplätze berechtigt. Die Beklagte bzw. ihre Mitarbeiter hätten das Tor zu keinem Zeitpunkt blockiert. Die Mitarbeiter der Beklagten schlössen das Tor stets ab. Auch werde zu keinem Zeitpunkt Publikumsverkehr über die Tiefgarageneinfahrt eröffnet, der nicht mit der Nutzung der Tiefgaragenplätze oder dem Zutritt zum Gebäude auf dem Flurstück Nr. …/16 im Zusammenhang stehe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der mit dem Klageantrag zu Ziff. 1 geltend gemachte Unterlassungsanspruch stehe den Klägern nicht zu. Es sei weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beklagte oder ihre Mitarbeiter nach Nutzung der Zufahrt zur Tiefgarage das Tor nicht geschlossen hätten. Die Kläger seien aufgrund des umfassenden Geh- und Fahrrechts zudem verpflichtet, die von ihnen als beeinträchtigend empfundene Nutzung des Tiefgaragentores und der dort befindlichen Tür zu dulden. Das im Grundbuch zugunsten des Eigentümers des Beklagtengrundstücks eingetragene Geh- und Fahrrecht sei, was sich u.a. aus dem Wortlaut der Eintragung ergebe, nicht mit der Nutzung eines der 25 Stellplätze in der Tiefgarage im UG verknüpft, sondern davon losgelöst. Auch unter Berücksichtigung der schonenden Ausübung (§ 1020 BGB) bestehe der von den Klägern geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht. Bereits bei Eintragung der Grunddienstbarkeit sei es nicht fernliegend gewesen, dass das ehemalige Fabrikgebäude auf dem Beklagtengrundstück in Innenstadtlage anders gewerblich genutzt werden könnte. Hinzu komme, dass der Mieter der Beklagten in der gegenwärtigen Ausgestaltung der Nutzung des Gebäudes der Beklagten keine Möglichkeit habe, seinen Kunden anderweitig Zugang zu seinen Räumlichkeiten zu verschaffen als über die Torzufahrt auf dem Grundstück der Kläger. Eine Verpflichtung der Beklagten und ihrer Mieter, die Tür außerhalb der Öffnungszeiten der Tanzschule verschlossen zu halten, sei weder eingeklagt, noch lägen die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vor, etwa in Form einer von der Beklagten bzw. dem Mieter zu bedienenden Türöffnung. Da das Geh- und Fahrrecht unbeschränkt für den Eigentümer des Beklagtengrundstücks eingetragen sei, stehe den Klägern auch nicht der mit dem Klageantrag zu Ziff. 2 geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, die wie folgt begründet wird: Die Dienstbarkeit sehe nach ihrem Wortlaut von vornherein keine ausschließlich Nutzung der Tiefgarage durch die Beklagte vor, was sich u.a. aus der Formulierung „mitbenutzt“ ergebe. Aus dem Zusammenhang der Bestellung und der notariellen Urkunde sei unter Berücksichtigung des beiliegenden Planes deutlich zu erkennen, dass Zweck der Dienstbarkeit die Andienung der Stellplätze und des Hofes sei, während das Gehrecht nur eine dienende Funktion gegenüber dem Fahrrecht habe. Auch nach den örtlichen Verhältnissen sei für jeden Besucher einsichtig, dass der Tiefgaragenbereich nicht für einen Publikumsverkehr und eine Fußgängernutzung vorgesehen sei. Das Landgericht habe auch nicht gewürdigt, dass die Nutzung durch die Tanzschule nachträglich erfolgt sei. Diese Erweiterung der Nutzung durch eine Tanzschule in einem früheren Fabrikgebäude mit Büronutzung könne man nicht mehr als eine der Art nach gleichbleibende Benutzung des Grundstücks ansehen und diese sei auch nicht für den objektiven Betrachter vorhersehbar. Die Steigerung der Nutzung beruhe auf einer willkürlichen Maßnahme der Beklagten, nämlich auf ihrer Entscheidung, das umfangreiche Gebäude mit zwei Eingängen so zu gestalten, dass dort ein Zugang zu der Tanzschule über die normalen Hauszugänge nicht mehr möglich sei. Jedenfalls widerspreche die Nutzung den Grundsätzen einer schonenden Ausübung nach § 1020 BGB. Schließlich sei auch der Grundsatz der Verkehrssicherungspflicht nicht berücksichtigt worden. Zum Kursende entstehe hier eine Situation, in der die Teilnehmer und ihre Angehörigen sich im Bereich der Tiefgaragenzufahrt aufhielten auch durch den Anhalteverkehr auf der H-Straße, die ein Halten von Fahrzeugen hier nicht erlaube, führe das zu echten Missständen.

Die Klägerin beantragt: Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 06.02.2020 (2 O 292/18) wird abgeändert und die Beklagte wird verurteilt

a) nach jeder Inanspruchnahme des Geh- und Fahrrechts auf der Tiefgaragenzufahrt des Grundstücks Flurstück Nummer …/25 (H-Straße 15) in P. das Zufahrtstor zur Tiefgarage unverzüglich zu schließen oder schließen zu lassen;

b) es zu unterlassen, über die Tiefgaragenzufahrt aus Z. 1 Publikumsverkehr zu eröffnen, der nicht mit der Nutzung der 25 Tiefgaragenstellplätze oder dem Zutritt zum Grundstück …/16 im Zusammenhang steht, insbesondere nicht den Zugang zu Tanzschulräumen im Gebäude S-Straße 17 in P. über die Tiefgaragenzufahrt zu ermöglichen.

c) an die Kläger 586,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.09.2018 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt dazu vor: Die Einheiten des herrschenden Grundstücks seien schon immer gewerblich genutzt worden. Auch ein Zugang durch die eingeräumte Grunddienstbarkeit sei schon anfänglich geschaffen worden. Diese Grundstücksnutzung habe die Beklagte nicht geändert.

Ergänzend wird, soweit der Senat keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig und hat im tenorierten Umfang Erfolg.

1. Der mit Klageantrag zu Ziff. 2 geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht den Klägern nur insoweit zu, als sie sich gegen die Nutzung der Tiefgaragenzufahrt für den Zugang zu den Tanzschulräumen wenden. Demgegenüber können die Kläger von der Beklagten nicht die generelle Unterbindung von Publikumsverkehr verlangen, der nicht mit der Nutzung der 25 Tiefgaragenstellplätze oder dem Zutritt zum Grundstück …/16 im Zusammenhang steht.

a) Zur Ermittlung des Inhalts der Dienstbarkeit ist vorrangig auf Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der in Bezug genommenen (§ 874 BGB) Eintragungsbewilligung abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Umstände außerhalb dieser Urkunden dürfen insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (st. Rspr, BGH, Urteil vom 08.02.2002 – V ZR 252/00, juris Rn. 10; Urteil vom 03.07.1992 – V ZR 218/91, juris Rn. 9; Urteil vom 14.0.1978 – V ZR 119/76, juris Rn. 11; jeweils m.w.N.). Zwar können die Verhältnisse der beteiligten Grundstücke, insbesondere Lage und Verwendungsart des herrschenden Grundstücks, Hinweise für die Auslegung des Eingetragenen geben. Dies wird vor allem der Fall sein, soweit das Eingetragene der Deutung bedarf und die äußeren Umstände dem Text eindeutig und offenkundig zu einem bestimmten Inhalt verhelfen. Nicht zulässig ist es dagegen, dem eingetragenen Inhalt der Dienstbarkeit aufgrund von Schlussfolgerungen, zu denen die Lage der Grundstücke Anlass gab, einen veränderten Inhalt zu verschaffen (BGH, Urteil vom 08.02.2002 aaO Rn. 12).

b) Nach diesen Grundsätzen kann der Auslegung der Klägerseite, das Gehrecht sei dem Fahrrecht funktionell untergeordnet und nicht unabhängig von der Nutzung der 25 Tiefgaragenstellplätze eingeräumt, nicht gefolgt werden. Diese Auslegung lässt sich mit dem Wortlaut der Dienstbarkeit und der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung nicht in Einklang bringen. Der Inhalt der Grunddienstbarkeit ist durch die Eintragungsbewilligung unter § 9 Ziff. 4 a) des notariellen Kaufvertrags vom 12.12.2012 präzisiert. Nach der Eintragungsbewilligung wurde das Recht eingeräumt, das belastete Grundstück „zum Befahren und Begehen mitzubenutzen“, wobei klargestellt wurde, dass das Fahrrecht auch das Befahren mit Lkw umfasst. Darüber hinaus („ferner“) wurde das Recht eingeräumt, „die mindestens 25 Stellplätze in der Tiefgarage im UG mietfrei und zeitlich unbegrenzt zu benutzen“. Bereits durch diese Formulierung ist klargestellt, dass das generelle Geh- und Fahrrecht von dem Recht zur Nutzung der 25 Stellplätze unabhängig sein soll. Zutreffend verweist das Landgericht darauf, dass auch die Erstreckung des Fahrrechts auf Lkw gegen eine Abhängigkeit des Geh- und Fahrrechts von der Nutzung der Tiefgaragenstellplätze spricht, da diese Stellplätze für Lkw ohnehin nicht nutzbar sind.

c) Im Hinblick auf diesen weiten Umfang des Geh- und Fahrrechts kann der Beklagten auch nicht generell untersagt werden, über die Zufahrt Publikumsverkehr zu eröffnen, der nicht mit der Nutzung der Tiefgaragenstellplätze oder mit dem Zutritt zum Grundstück …/16 im Zusammenhang steht. Jedoch ist die Nutzung der Tiefgaragenzufahrt für Publikumsverkehr zu der im rückwärtigen Bereich des Beklagtengrundstücks eingerichteten Tanzschule von der Grunddienstbarkeit nicht umfasst.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt der Umfang einer Dienstbarkeit, insbesondere wenn sie zeitlich nicht begrenzt ist, nicht von vornherein für alle Zeiten fest, sondern ist wandelbar: Entscheidend sind nicht die augenblickliche Art der Benutzung des herrschenden Grundstücks zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung, sondern sein allgemeiner, der Verkehrsauffassung entsprechender und für jedermann ersichtlicher Charakter und das jeweilige Bedürfnis, in diesem Rahmen von der Dienstbarkeit, etwa einem Wegerecht, Gebrauch zu machen. Dementsprechend kann sich der Dienstbarkeitsumfang ändern, insbesondere mit einer Bedarfssteigerung wachsen; die Grunddienstbarkeit ist also bezüglich ihrer Ausübung weniger fest umrissen als viele andere Rechte und auf Veränderung angelegt. Voraussetzung für die Umfangserweiterung ist jedoch, dass sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung des herrschenden Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht voraussehbare und willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen ist (BGH, Urteil vom 21.05.1971 – V ZR 8/69, juris Rn. 17; Urteil vom 25.04.1975 – V ZR 185/73, juris Rn. 8; Urteil vom 18.07.2014 – V ZR 151/13, juris Rn. 7).

Da ein dingliches Wegerecht dem Interesse des herrschenden Grundstücks und nicht bloß dem persönlichen Vorteil seines jeweiligen Eigentümers zu dienen bestimmt ist, kann es, sofern der Bestellungsakt nichts Gegenteiliges ergibt, auch von dritten Personen ausgeübt werden, die zu dem Eigentümer in besonderen Beziehungen stehen, insbesondere von seinen Hausgenossen, Besuchern und Kunden, von Mietern, Pächtern und dergleichen (BGH, Urteil vom 21.05.1971 aaO Rn. 16; Urteil vom 04.12.2015 – V ZR 22/15, juris Rn. 47). Das gilt allerdings nur, soweit dadurch nicht der Umfang der Grunddienstbarkeit in unzulässiger Weise erweitert wird (BGH, Urteil vom 04.12.2015 aaO).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist eine Nutzung der Tiefgaragenzufahrt für Publikumsverkehr im Hinblick auf den weiten Umfang der Dienstbarkeit und den Charakter des mit einem ehemaligen Fabrikgebäude bebauten und bereits bei Bestellung der Dienstbarkeit gewerblichen genutzten Beklagtengrundstücks nicht von vornherein ausgeschlossen.

Insoweit kommt es nicht entscheidend darauf an, dass an der Tür in dem Tor zur Tiefgarage ursprünglich ein Türknauf angebracht war, so dass sie nur mit Schlüssel zu öffnen war. Maßgeblich für die Nutzungsbefugnisse, die eine Grunddienstbarkeit gewährt, ist nicht die im Zeitpunkt der Bestellung gerade ausgeübte Nutzungsart; vielmehr kommt es auf den allgemeinen, der Verkehrsauffassung entsprechenden und äußerlich für jedermann ersichtlichen Charakter des betreffenden Grundstücks sowie auf das Bedürfnis, von dem Wegerecht in diesem Rahmen Gebrauch zu machen, an (BGH, Urteil vom 04.12.2015 – V ZR 22/15, juris Rn. 48 m.w.N). Ist der Inhalt eines auf Dauer eingeräumten Wegerechts – wie hier – nach dem Wortlaut der Grundbucheintragung oder der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung ohne Einschränkung als Recht zum Gehen und Fahren beschrieben, muss aus dem Wortlaut der Bewilligung zunächst auf einen von der Nutzungsart des herrschenden Grundstücks unabhängigen Umfang der Dienstbarkeit geschlossen werden (BGH, Urteil vom 26.10.1984 – V ZR 67/83, BGHZ 92, 351, juris Rn 13 Urteil vom 30.09.1994 – V ZR 1/94, juris Rn. 10). Es bedarf eindeutiger Anhaltspunkte, um annehmen zu können, das Wegerecht sei auf die Benutzung zu einem bestimmten Zweck beschränkt. Aus der Nutzung des herrschenden Grundstücks zur Zeit der Bestellung der Dienstbarkeit kann eine solche Beschränkung nur hergeleitet werden, wenn ein unbefangener Betrachter unter Berücksichtigung des Grundbuchinhalts und aller zu seiner Auslegung verwertbaren Umstände daraus den eindeutigen Schluss auf eine entsprechende Einschränkung ziehen würde (BGH, Urteil vom 26.10.1984 aaO). Ein solch eindeutiger Schluss war unter Berücksichtigung des Grundbuchinhalts und der ohne weiteres erkennbaren Umstände nicht möglich. Dass bei Bestellung der Grunddienstbarkeit die Firma Lauer als damalige Eigentümerin des Beklagtengrundstück – so der unbestrittene Vortrag der Kläger – die Zufahrt nur für ihre Angestellten genutzt hat, welche mit einem Schlüssel das Tor geöffnet hatten, steht daher einer Bedarfssteigerung und einer dadurch bedingten Erweiterung des Umfangs der Grunddienstbarkeit für eine mit Publikumsverkehr verbundene Nutzung nicht von vornherein entgegen. Auch eine etwaige mit einer solchen Nutzung verbundene Gefahr für das Bürogebäude der Kläger, das über einen Fluchtweg aus der Tiefgarage zugänglich ist, war bei Bestellung der Dienstbarkeit nicht ohne weiteres erkennbar und ist daher nicht geeignet, den Umfang der Dienstbarkeit zu begrenzen.

cc) Dagegen führt die Nutzung allein des rückwärtigen Gebäudeteils auf dem Beklagtengrundstück für den Betrieb einer Tanzschule zu einer nicht vorhersehbaren und willkürlichen Benutzungsänderung.

Die An- bzw. Umbaumaßnahmen auf dem Beklagtengrundstück und die Nutzung allein des rückwärtigen Gebäudeteils für einen mit Publikumsverkehr verbundenen Betrieb war zum Zeitpunkt der Bestellung der Dienstbarkeit nicht vorhersehbar. Ursprünglich wurden das ehemalige Fabrikgebäude und das Gewerbegebäude auf dem Beklagtengrundstück in einer Weise genutzt, dass der Zugang von der G- bzw. der S-Straße aus gewährleistet und die Nutzung der streitgegenständlichen Zufahrt daher im Wesentlichen zum Parken von Kraftfahrzeugen auf den von der Grunddienstbarkeit umfassten Stellplätzen im UG des Bürogebäudes auf dem Klägergrundstück erforderlich war. Bei der Teilung des Gebäudes durch bauliche Umgestaltung und der Vermietung des rückwärtigen, allein über das Klägergrundstück zugänglichen Gebäudeteils an einen Tanzschulenbetreiber handelt es sich um eine willkürliche Änderung der Benutzungsart, die dazu führt, dass die Zufahrt zur Tiefgarage für die Kunden der Tanzschule während deren Öffnungszeiten ständig zugänglich sein muss.

Zwar hat nach den örtlichen Verhältnissen bei Bestellung der Dienstbarkeit das Geh- und Fahrrecht die Befugnis eingeschlossen, über die Toreinfahrt auch in den hinteren Bereich des Beklagtengrundstücks zu gelangen. Die Nutzungsänderung bedingt aber zwangsläufig eine intensivere Inanspruchnahme des dienenden Grundstücks, weil der Publikumsverkehr nunmehr ausschließlich über die streitgegenständliche Zufahrt stattfinden muss, während zuvor der Zugang zu den Gebäuden auf dem Beklagtengrundstück auch über die Eingänge an der G-Straße und/oder der S-Straße gewährleistet war. Dementsprechend hat auch die Beklagte nicht in Abrede gestellt, dass durch die Tanzschule der Personenkreis, der die Zufahrt bzw. den Zugang über das Grundstück der Kläger nutzt, gewachsen ist.

d) Der Anspruch, es zu unterlassen, über die Tiefgaragenzufahrt den Zugang zu den Tanzschulräumen zu eröffnen, richtet sich gegen die Beklagte als Störerin.

Für Störungshandlungen seines Mieters kann der Eigentümer nach § 1004 BGB nur verantwortlich gemacht werden, wenn er dem Mieter den Gebrauch seiner Sache mit der Erlaubnis zu den störenden Handlungen überlassen hat oder wenn er es unterlässt, den Mieter von dem nach dem Mietvertrag unerlaubten, fremdes Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch der Mietsache abzuhalten (BGH, Urteil vom 27.01.2006 – V ZR 26/05, juris Rn. 5; Urteil vom 07.04.2000 – V ZR 39/99, juris Rn. 12). Auch unter den vorgenannten Voraussetzungen scheidet eine Haftung aus § 1004 Abs. 1 BGB aus, wenn feststeht, dass der Kläger einen ihm zuerkannten Unterlassungsanspruch unter keinen Umständen durchzusetzen vermag; allerdings ist es ausreichend, dass die Möglichkeit, auf dem Verhandlungsweg der Verurteilung des Vermieters aus § 1004 Abs. 1 BGB Rechnung zu tragen, nicht ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 07.04.2000 aaO Rn. 13).

Daran gemessen ist die Beklagte als Störerin verantwortlich. Sie hat die Räumlichkeiten im rückwärtigen Bereich ihres Gebäudes nach baulicher Trennung an den Betreiber einer Tanzschule vermietet in dem Wissen, dass ein Zugang für die Kunden der Tanzschule zu diesem rückwärtigen Bereich nur über die streitgegenständliche Tiefgaragenzufahrt möglich ist. Auf diese Weise hat sie an der Entstehung der Störung und – durch das Festhalten am Mietvertrag – auch an ihrer Aufrechterhaltung mitgewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 11.11.1966 – V ZR 191/13, juris Rn. 28). Dass eine Erfüllung der Unterlassungspflicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht.

2. Soweit die Kläger geltend machen, die Beklagte sei verpflichtet, nach jeder Inanspruchnahme des Geh- und Fahrrechts das Zufahrtstor zur Tiefgarage unverzüglich zu schließen oder schließen zu lassen (Klageantrag zu Ziff. 1) steht ihr ein Unterlassungsanspruch, der über die Untersagung des Zugangs zu den Tanzschulräumen hinausgeht, nicht zu. Soweit die behauptete Störung durch das Tanzschulpublikum verursacht wird, ist der mit dem Klageantrag zu Ziff. 1 geltend gemachte Anspruch als ein Minus in dem Anspruch, den Zugang zu den Tanzschulräumen über die Tiefgaragenzufahrt zu unterbinden, enthalten. Soweit die Kläger die Störung auf andere Personen, insbesondere auf Mitarbeiter der Beklagten, zurückführen, fehlt es dagegen an der für einen Anspruch aus § 1004 i.V.m. § 1020 BGB erforderlichen Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr.

a) Gemäß § 1020 Satz 1 BGB hat der Berechtigte bei der Ausübung einer Grunddienstbarkeit das Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstücks tunlichst zu schonen. Verstößt er gegen diese Pflicht, stellt dies eine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB dar (BGH, Versäumnisurteil vom 23.01.2015 – V ZR 184/14, juris Rn 9; Urteil vom 19.09.2008 – V ZR 164/07, juris Rn. 20). Ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Pflicht zur schonenden Ausübung setzt indes voraus, dass Wiederholungsgefahr gegeben ist oder die erste Verletzung unmittelbar bevorsteht (Staudinger/Weber, BGB, Stand 2017 § 1020 Rn. 9; MünchKomm-BGB/Mohr, 8. Aufl. § 1020 Rn. 7).

b) Eine Wiederholungsgefahr ist von den Klägern lediglich im Zusammenhang mit der Nutzung der Tanzschule dargetan. So hat sie selbst dargelegt, dass erst seit Eröffnung der Tanzschule das Garagentor regelmäßig offenbleibe und fixiert werde, damit ungehinderter Publikumsverkehr möglich sei. Auch die weiteren behaupteten Beeinträchtigungen – insb. Beschädigungen und Gefahren durch Menschenansammlungen – führen die Kläger auf die Tanzschule zurück und haben keine Anhaltspunkte für die Annahme vorgetragen, diese Beeinträchtigungen würden durch Mitarbeiter der Beklagten verursacht. Die Beklagte hat ihrerseits behauptet, ihre Mitarbeiter und Repräsentanten würden das Zufahrtstor zur Tiefgarage immer verschließen.

3. Ein Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten besteht nicht, ergibt sich insbesondere nicht aus Verzug (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB). Dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt der Beauftragung der anwaltlichen Vertreter der Kläger bereits in Verzug befand, ist nicht dargelegt. Soweit die Kläger vortragen, die Beklagte sei bereits vor dem Anwaltsschreiben vom 10.08.2018 von den Klägern auf die Missstände aufmerksam gemacht und um Abhilfe gebeten worden, ergibt sich daraus weder eine Mahnung (§ 286 Abs. 1 BGB) noch eine ernsthafte und endgültige Weigerung der Beklagten, den Forderungen der Kläger nachzukommen (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dabei wurde berücksichtigt, dass die Kläger ihr primäres Ziel, den mit der Tanzschule verbundenen Publikumsverkehr und die dadurch bedingten Beeinträchtigungen ihres Grundstücks zu unterbinden, erreicht, andererseits aber mit den Klageanträgen, insbesondere mit dem weit formulierten Antrag zu Ziff. 2, nicht in vollem Umfang Erfolg hatten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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