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Grundbuchlöschung eines Nacherbenvermerks

OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 125/21 – Beschluss vom 06.09.2021

I. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts Langenfeld vom 26. Mai 2021 (MO-8392-9) aufgehoben.

Das Amtsgericht wird angewiesen, den Antrag des Notars … vom 9. Juni 2020 auf Löschung des Nacherbenvermerks unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

II. Die dem Beteiligten zu 1. in der Beschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Auslagen fallen dem Beteiligten zu 2. zur Last. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

IV. Der Beschwerdewert wird auf 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1. erstrebt die Löschung des Nacherbenvermerks, der in Abteilung II Nr. 5 des Grundbuchs von …, zugunsten der Beteiligten zu 2. und zu 3. eingetragen ist. Dem Löschungsantrag liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Beteiligten zu 2. und zu 3. sind Nacherben nach dem Tod ihres Vaters … Dessen zwischenzeitlich ebenfalls verstorbene Ehefrau … (nachfolgend: Erblasserin) war befreite Vorerbin ihres Ehemannes. Die Eheleute waren hälftige Miteigentümer einer neu errichteten, 90 qm großen Eigentumswohnung im Hause …, die sie im Jahr 2004 zum Preis von 209.900 Euro erworben hatten.

Mit notariellem Kaufvertrag des Notars … vom 28. Januar 2015 (UR-Nr. …) hat der Beteiligte zu 1. von der Erblasserin die vorgenannte Eigentumswohnung zu Eigentum erworben, und zwar deren eigenen Miteigentumsanteil schenkweise und den unter die befreite Vorerbschaft fallenden Miteigentumsanteil gegen Zahlung eines Barkaufpreises von 100.000 Euro. Jener Kaufpreis war in Höhe eines Betrages von 50.000 Euro zur Ablösung eines auf dem Wohnungseigentum noch eingetragenen Grundpfandrechts zu entrichten und im Übrigen in monatlichen Raten von 900 Euro zu zahlen. Der Notarvertrag sieht darüber hinaus ein lebenslanges Wohnungsrecht der Erblasserin an den Räumen der Eigentumswohnung vor.

Der Beteiligte zu 1. hat unter Vorlage eines D…-Wertgutachtens, das den Verkehrswert des Wohnungseigentums zum 28. Januar 2015 unbelastet auf 191.000 Euro und unter Berücksichtigung des eingeräumten Wohnungsrechts auf 105.000 Euro veranschlagt, die Löschung des Nacherbenvermerks beantragt. Die Beteiligten zu 2. und 3. sind dem entgegen getreten. Sie verweisen auf ein von ihnen eingeholtes Wertgutachten des Sachverständigen V…, das den unbelasteten Verkehrswert der Eigentumswohnung und eines Tiefgaragen-Stellplatzes auf 258.000 Euro beziffert. Sie sind der Auffassung, das Wohnungseigentum sei unter Wert veräußert worden und deshalb nicht aus der Nacherbschaft frei geworden.

Das Amtsgericht hat den Löschungsantrag zurückgewiesen. Es hat seiner Beurteilung das Wertgutachten V… zugrunde gelegt und den – unstreitig nicht der Nacherbschaft unterfallenden – Garagenplatz mit 5.000 Euro in Abzug gebracht. Dementsprechend hat es den Verkehrswert des verkauften Miteigentumsanteil auf 126.500 Euro (258.000 Euro abzüglich 5.000 Euro : 2 = 126.500 Euro) veranschlagt. Gegengerechnet hat das Amtsgericht den hälftigen Betrag zur Ablösung des Grundpfandrechts (= 25.000 Euro), die zweite Kaufpreisrate (= 50.000 Euro) in voller Höhe sowie den hälftigen Wert des Wohnungsrechts mit 40.000 Euro, mithin einen Betrag von insgesamt 115.000 Euro. Aufgrund der rechnerisch verbleibenden Differenz zwischen dem Verkehrswert (126.500 Euro) und den Leistungen des Beteiligten zu 1. (115.000 Euro) in Höhe von 11.500 Euro hat es angenommen, dass der hälftige Miteigentumsanteil nicht zu einem marktüblichen Preis an den Beteiligten zu 1. verkauft worden sei.

Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 1. mit seiner Beschwerde, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Der Rechtsbehelf hat Erfolg.

Das Amtsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass der Beteiligte zu 1. den unter die Vorerbschaft fallenden hälftigen Miteigentumsanteil nicht entgeltlich erworben habe und dieser deshalb nicht von der Nacherbenbindung frei geworden sei. Bei der zutreffenden rechtlichen Beurteilung liegen die Voraussetzungen für die Löschung des Nacherbenvermerks vor. Das Grundbuchamt darf daher den Löschungsantrag des Beteiligten zu 1. nicht mangels nachgewiesener Entgeltlichkeit zurückweisen. Von einer Weisung, den Nacherbenvermerk zu löschen, sieht der Senat ab, weil er eine zwischenzeitliche Änderung der Grundbuchlage nicht ausschließen kann.

A. Durch Löschung des Nacherbenvermerks berichtigt werden kann das Grundbuch, wenn entweder derjenige sie bewilligt, dessen Recht von der Löschung betroffen ist (§ 19 i.V.m. § 22 Abs. 1 GBO) oder wenn – was vorliegend alleine in Betracht kommt – die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird (§ 22 Abs. 1 GBO). An den Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs sind strenge Anforderungen zu stellen. Der Antragsteller hat nicht nur darzutun, dass das Grundbuch hinsichtlich der derzeitigen Eintragung unrichtig ist; er hat vielmehr darüber hinaus alle ernsthaft in Frage kommenden Möglichkeiten auszuräumen, die der beantragten Löschung entgegenstehen könnten. Ein gewisser Grad von Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Soweit es nicht um bei dem Grundbuchamt offenkundig bekannte Umstände geht, ist der Nachweis der Unrichtigkeit in der Form des § 29 Abs. 1 GBO, mithin durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden, zu führen.

1. Geht es – wie im Entscheidungsfall – um die Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Immobilie durch den befreiten Nacherben, kommt es für die Unrichtigkeit des im Grundbuch eingetragenen Nacherbenvermerks darauf an, ob der Grundbesitz vom Vorerben entgeltlich übertragen worden ist. Nach §§ 2136, 2113 Abs. 1 und 2 BGB ist der befreite Vorerbe nämlich befugt, entgeltlich über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen. Eine solche Verfügung ist dem Nacherben gegenüber auch dann wirksam, wenn er ihr nicht zugestimmt hat, mit der weiteren Konsequenz, dass die Immobilie mit dem Vollzug der von dem Vorerben erklärten Auflassung wirksam und endgültig aus dem Nachlass ausscheidet und der Nacherbenvermerk im Grundbuch zu löschen ist. Anstelle des vom Vorerben veräußerten Grundstücks fällt die im Grundstückskaufvertrag vereinbarte Gegenleistung des Käufers in den Nachlass. Ist sie beim Tod des Vorerben noch (ganz oder teilweise) in dessen Vermögen vorhanden, steht sie den Nacherben zu.

2. Ob die Veräußerung entgeltlich war, d.h. ihr eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand, hat das Grundbuchamt ohne Bindung an die Beweisvorschrift des § 29 Abs. 1 GBO an Hand aller Umstände frei zu würdigen (zu Allem: OLG Rostock, Beschluss vom 25.7.2016, 3 W 136/13; OLG München, Beschluss vom 5.7.2013, 34 Wx 191/13; BayObLG, Beschluss vom 30.1.1991, BReg 2 Z 1/91 m.w.N.). Die Entgeltlichkeit der Verfügung des Vorerben kann regelmäßig nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden. Deshalb sind unter Berücksichtigung der natürlichen Gegebenheiten die gesamten Umstände des Falles unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob die Entgeltlichkeit im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO offenkundig ist. Dabei können auch Wahrscheinlichkeitserwägungen angestellt werden, die sich auf allgemeine Erfahrungssätze stützen. Der Offenkundigkeit sind solche Fälle gleichzustellen, in denen die Unentgeltlichkeit durch die Natur der Sache oder die Sachlage ausgeschlossen wird. An den Nachweis der Entgeltlichkeit dürfen nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden (OLG Rostock, Beschluss vom 25.7.2016, 3 W 136/13; OLG Hamm, Beschluss vom 21. Mai 1996, 15 W 109/96). Sie ist zu bejahen, wenn die dafür maßgebenden Beweggründe im Einzelnen angegeben werden und verständlich sowie der Wirklichkeit gerecht werdend erscheinen, und wenn begründete Zweifel an der Pflichtmäßigkeit der Handlung nicht ersichtlich sind (Demharter, Grundbuchordnung, 31. Aufl. 2018, § 51 Rn. 42.2, § 52 Rn. 23 m.w.N.).

Auch wenn dem Grundbuchamt bei der Prüfung der Entgeltlichkeit einer Verfügung des befreiten Vorerben damit eine erweiterte tatsächliche Prüfungsmöglichkeit zusteht, beschränkt sich seine Prüfung nach allgemeinen Grundsätzen auf die ihm vorgelegten Eintragungsunterlagen und sonstige offenkundige Tatsachen. Das Verfahren über einen Grundbuchberichtigungsantrag nach § 22 Abs. 1 GBO ist ein Antragsverfahren der Grundbuchordnung. Die für die Feststellung der Unrichtigkeit des Grundbuchs erforderlichen Tatsachen müssen deshalb von dem Antragsteller nachgewiesen werden. Reichen die vorgelegten Unterlagen für den Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs nicht aus, kann die begehrte Grundbuchberichtigung auf dieser Grundlage nicht vorgenommen werden. Dem Grundbuchamt – und demzufolge auch dem Beschwerdegericht – ist es verwehrt, eigene Ermittlungen und Beweiserhebungen vorzunehmen (OLG Hamm, Beschluss vom 21.5.1996, 15 W 109/96 m.w.N.).

B. Bei dieser rechtlichen Ausgangslage kann die Löschung des streitgegenständlichen Nacherbenvermerks nicht mit dem Argument der fehlenden Entgeltlichkeit versagt werden.

1. Der Erfolg des zur Entscheidung stehenden Löschungsantrags hängt davon ab, ob die Erblasserin den hälftigen Miteigentumsanteil ihres vorverstorbenen Ehemannes entgeltlich an den Beteiligten zu 1. veräußert hat. Es kommt demgegenüber nicht darauf an, ob – wie der Beteiligte zu 2. in Zweifel zieht – der Beteiligte zu 1. den vollen Kaufpreis an die Erblasserin entrichtet hat. Sollte dies nicht der Fall sein, stünde der restliche Kaufpreisanspruch den Nacherben zu. Eine restliche Kaufpreisschuld des Beteiligten zu 1. würde indes nichts an der Tatsache ändern, dass der auf den Beteiligten zu 1. entgeltlich übertragene hälftige Miteigentumsanteil mit wirksamer Auflassung von der Nacherbenbindung frei geworden ist. Aus Rechtsgründen kommt es für die Löschung des Nacherbenvermerks ebenso wenig auf die zahlreichen weiteren Gesichtspunkte – etwa zur Bedürftigkeit der Erblasserin, den Überlegungen der Eheleute … hinsichtlich einer etwaigen Pflichtteilsanforderung oder den Zeitpunkt der Antragstellung zur Löschung des Nacherbenvermerks – an, die der Beteiligte zu 2. im Beschwerdeverfahren vorträgt. Das liegt nach den vorstehenden rechtlichen Ausführungen auf der Hand und bedarf keiner näheren Darlegung.

2. Der Beteiligte zu 1. hat den hälftigen Miteigentumsanteil von der Erblasserin in vollem Umfang entgeltlich erworben.

a) Die entgegenstehende Beurteilung des Amtsgerichts kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Grundbuchamt die Entgeltlichkeit auf der Grundlage des von dem Beteiligten vorgelegten Privatgutachtens V… und nicht – wie es rechtlich geboten gewesen wäre – anhand des vom Beteiligten zu 1. mit seinem Löschungsantrag eingereichten D…-Gutachtens beurteilt hat. Es ist vorstehend ausgeführt worden, dass der Antragsteller des Löschungsantrags die für die Feststellung der Unrichtigkeit des Grundbuchs erforderlichen Tatsachen nachweisen muss und weder dem Grundbuchamt noch dem Beschwerdegericht eigene Ermittlungsbefugnisse zustehen. Dementsprechend ist im Streitfall alleine zu prüfen, ob das von dem Beteiligten zu 1. vorgelegte D…-Wertgutachten die Entgeltlichkeit des von der Erblasserin getätigten Übertragungsgeschäfts nachweist. Das von den Beteiligten vorgelegte Privatgutachten V… ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung alleine bei der Frage zu berücksichtigen, ob es die Beweiskraft des D…-Gutachtens derart erschüttert, dass unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles von einer gleichwertigen Gegenleistung des Beteiligten zu 1. nicht ausgegangen werden kann.

b) Das ist nicht der Fall.

aa) Das D…-Gutachten beziffert den Wert der in Rede stehenden Eigentumswohnung im Hause … zum 28. Januar 2015 ohne eine Berücksichtigung des für die Erblasserin eingetragenen lebenslangen Wohnungsrechts nachvollziehbar auf 191.000 Euro. Dagegen bestehen keine durchgreifenden Bedenken.

(1) Zweifel an der Objektivität und Fachkunde des D…-Sachverständigen sind nicht angezeigt. Sie werden weder von den Beteiligten zu 2. und zu 3. geltend gemacht noch sind sie sonst ersichtlich.

(2) Der D…-Schätzwert basiert auf dem Ergebnis einer Ertragswertberechnung. Das ist nachvollziehbar und wird auch von dem Privatgutachten V… als solches nicht in Frage gestellt.

(3) Unter Anwendung der einschlägigen Bestimmungen in den §§ 17 bis 20 ImmoWertV hat der D…-Gutachter einen Ertragswert der Eigentumswohnung in Höhe von 162.667 Euro und einen Bodenwert von 27.945 Euro ermittelt. Die Richtigkeit dieser Vorgehensweise wird von dem Privatgutachter des Beteiligten zu 2. gleichfalls nicht bezweifelt.

Das Privatgutachten V… kommt allerdings zu einem höheren Ertragswert von 254.000 Euro, weil es einen Tiefgaragenplatz in die Bewertung einbezieht, ferner höhere Verwaltungskosten in Ansatz bringt, nämlich statt des in Anlage 1 der Ertragswertrichtlinie vorgesehenen Modellwerts von 280 Euro Kosten in Höhe von 355 Euro, und schließlich einen Liegenschaftszins von 3,2 % anstelle der im D…-Gutachten angesetzten 4,0 % in die Berechnung einstellt. Die diesbezüglichen Abweichungen ziehen die Beweiskraft des D…-Gutachtens nicht in Zweifel.

(3.1) Der Ertragswert eines Tiefgaragenplatzes muss richtigerweise außer Betracht bleiben, weil der Beteiligte zu 1. im Januar 2015 lediglich den hälftigen Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung – ohne Tiefgaragenplatz – erworben hat. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der Tiefgaragenplatz im Januar 2015 nicht dem Sondereigentum zugeordnet und deshalb auch nicht Gegenstand des Kaufvertrages vom 28. Januar 2015. Der Beteiligte zu 1. hat den Stellplatz vielmehr erst im Jahr 2017 durch gesonderten Vertrag zum Preis von 15.000 Euro von der Erblasserin erworben.

(3.2) Der Ansatz von Verwalterkosten in Höhe von 280 Euro jährlich ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Er entspricht der Ertragswertrichtlinie, die nach ihrer Ziffer 1 (1) die Ermittlung des Ertrags- und Verkehrswertes von Grundstücken nach einheitlichen und marktgerechten Grundsätzen sicherstellen soll und die in der Präambel von Anlage 1 betont, dass mit den ausgewiesenen Modellwerten plausible und für die Gutachterausschüsse handhabbare Werte vorgegeben werden sollen, um die Auswertung der Kaufpreise und die Ermittlung der Liegenschaftszinssätze nach einheitlichen Standards zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht fehlerhaft, wenn der Ertragswert einer Eigentumswohnung unter Ansatz der vom Verordnungsgeber vorgeschlagenen Modellwerte ermittelt wird. Die Berücksichtigung der Modellwerte schafft im Gegenteil eine Vergleichbarkeit bei der Auswertung der Kaufpreise und Zinssätze.

Im Übrigen ist die in Rede stehende Betragsdifferenz von 75 Euro pro Jahr (355 Euro – 280 Euro) angesichts eines Immobilienwertes von 191.000 Euro (oder mehr) viel zu gering, als dass sie bei vernünftiger Betrachtung irgendeinen relevanten Einfluss auf die Frage besitzt, ob die Erblasserin den hälftigen Miteigentumsanteil entgeltlich an den Beteiligten zu 1. übertragen hat.

(3.3) Die Überzeugungskraft des D…-Gutachtens wird ferner nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Privatgutachter V… den Liegenschaftszins mit lediglich 3,2 % veranschlagt hat. Denn die Abweichung vom D…-Gutachten bleibt ohne eine nachvollziehbare Begründung. Das Privatgutachten V… beschränkt sich auf die substanzlose Aussage, dass unter

„… Einbezug der vorhandenen Gegebenheiten … beim Ertragswert ein modifizierter Liegenschaftszins in Höhe von 3,2 % im Rahmen der vom Gutachterausschuss angegebenen Standardabweichung … sachverständig angenommen“

werde. Der Satz gibt nicht ansatzweise Aufschluss, welche konkreten objektspezifischen Eigenschaften der verkauften Eigentumswohnung aufgrund welcher Erwägungen in welchem jeweiligen Umfang die angenommene erhebliche Abweichung vom Durchschnittswert rechtfertigen sollen. Gleiches gilt für den Hinweis des Privatsachverständigen am Ende seines Gutachtens, dass er die wertrelevanten Parameter wie Mieten, Liegenschaftszinssatz und Vergleichspreise in einem ausführlichen Telefonat mit der Geschäftsstelle des Gutachterausschusses des Kreises … erörtert und plausibilisiert habe. Auch diese Bemerkung ist inhaltsleer und lässt nicht erkennen, welche Fragen mit welchem Ergebnis erörtert worden sein sollen und durch welche Informationen der Privatsachverständige seine Einschätzung plausibilisiert haben will.

Es kommt Folgendes hinzu: Eine entgeltliche Veräußerung liegt nicht erst dann vor, wenn der Vorerbe denjenigen Kaufpreis vereinbart hat, der sich unter Anwendung der im Einzelfall sachgerechten Wertermittlungsmethode maximal vertreten lässt. Wie dargelegt, kommt es für die Entgeltlichkeit der Veräußerung alleine darauf an, ob die Parteien eine gleichwertige Gegenleistung vereinbart haben, was wiederum davon abhängt, ob bei Würdigung aller Umstände des Falles unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung und einschlägiger Wahrscheinlichkeitserwägungen berechtigte Zweifel an der Pflichtgemäßheit der Übertragung bestehen. Solche Zweifel ergeben sich im Allgemeinen – und so auch hier – nicht alleine aus dem Umstand, dass verschiedene Wertgutachten zu unterschiedlichen Schätzpreisen gelangen. Es gibt nicht den einen angemessenen Preis für eine bestimmte Immobilie. Die Wertermittlung hängt vielmehr von wertbildenden Parametern ab, die der Gutachter mit einem eigenen Beurteilungsspielraum einzuschätzen und zu bewerten hat. Beim Ertragswertverfahren ist der ermittelte Ertragswert beispielsweise von der Höhe des angesetzten Liegenschaftszinssatzes abhängig. Im Entscheidungsfall liegt dieser nach den Angaben des Gutachterausschusses für Grundstückswerte des Kreises … bei der Objektart „Eigentumswohnung“ und für das Jahr 2015 bei 4,2 % mit einer Standardabweichung von +/- 1,21 % (Seite 20 des D…-Gutachtens, GA 52). Welcher Zinssatz im konkreten Einzelfall anzusetzen ist, bestimmt sich nach den objektspezifischen Eigenschaften des Bewertungsobjektes und unterliegt der Beurteilung des Sachverständigen. Gleiches gilt für das Vergleichswertverfahren. So liegt im Streitfall der Quadratmeterpreis bei Verkäufen von Wohnungseigentum in … nach dem V…-Gutachten zwischen 1.580 Euro und 3.680 Euro sowie im Mittelwert bei 2.750 Euro, und es hängt von der Bewertung des Sachverständigen ab, ob und gegebenenfalls welcher Preis pro Quadratmeter Wohnfläche sich daraus für das streitbefangene Objekt ableiten lässt. Schon aus der Natur einer solchen Wertschätzung folgt, dass es weder im Ertragswert- noch im Vergleichswertverfahren den einen richtigen Immobilienpreis, sondern eine ganze Bandbreite angemessener und damit auch vertretbarer Preise gibt, die allesamt keine begründeten Zweifel an der Entgeltlichkeit des begutachteten Veräußerungsvorgangs wecken. Das muss auch aus Rechtsgründen gelten. Der befreite Vorerbe könnte rechtssicher so gut wie nie von seiner gesetzlichen Befugnis zur entgeltlichen Verfügung über eine in den Nachlass gefallene Immobilie Gebrauch machen, wenn er befürchten müsste, dass die Veräußerung später mit dem Argument angegriffen werden kann, der Wert der Immobilie werde von einem anderen Gutachter höher als angenommen veranschlagt. Angesichts dieser Erwägungen ist es schon im Ausgangspunkt verfehlt, wenn der Beteiligte zu 2. reklamiert, die teilweise Unentgeltlichkeit folge im Entscheidungsfall aus der Tatsache, dass der eigene Privatgutachter einen höheren Verkehrswert geschätzt habe als der D…-Gutachter.

(3.4) Ohne Erfolg bleibt schließlich, dass der Privatgutachter V… im Rahmen des Vergleichswertverfahrens auf der Grundlage eines durchschnittlichen Quadratmeterpreises von 2.750 Euro für die Eigentumswohnung der Erblasserin einen Quadratmeterpreis von 2.850 Euro veranschlagt hat. Der Gutachter führt dazu aus:

„Aufgrund der ruhigen Lage des Bewertungsobjektes zwischen der Innenstadt und dem Rhein, der Struktur des Gesamtobjektes mit 2 x 6 Wohneinheiten als auch wegen der guten Ausstattung der Wohnung mit Terrasse und eigenem südwestorientiertem Gartenanteil, Tiefgaragenstellplatz, Aufzug, zwei Bädern etc. wird ein Vergleichswert von 2.850,00 €/qm Wohnfläche wertmäßig berücksichtigt.“

Diese Einschätzung mag bei isolierter und oberflächlicher Betrachtung plausibel erscheinen, weil sich rein rechnerisch ein Verkehrswert von 256.500 Euro (2.850 Euro x 90 qm) ergibt. Bei näherer Prüfung tragen die Ausführungen des Privatgutachters indes nicht die Feststellung, dass der im D…-Gutachten geschätzte niedrigere Verkehrswert nicht zutreffend – d.h. nicht vertretbar – sein kann.

(a) Bereits die Aussagekraft des mit 2.750 Euro angesetzten durchschnittlichen Verkaufspreises ist äußerst fragwürdig. Der Privatgutachter V… hat in sein Vergleichswertverfahren lediglich vier Veräußerungsvorgänge aus den Jahren 2000 bis 2012 einbezogen. Diese Verkäufe betreffen ganz unterschiedliche Verkaufsobjekte. Zwei Veräußerungen beziehen sich jeweils auf eine Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche zwischen 51 und 80 qm, zwei weitere Veräußerungen auf Wohnungseigentum mit einer Wohnfläche von über 80 qm. Die dabei erzielten Verkaufspreise reichen von 1.580 Euro bis 3.680 Euro pro Quadratmeter. Diese enorme Preisspanne legt den dringenden Verdacht nahe, dass in das Vergleichswertverfahren die Verkaufserlöse von Eigentumswohnungen eingeflossen sind, die nach Größe, Alter und/oder Ausstattung grundverschieden waren. Es liegt auf der Hand, dass der aus den vier Verkäufen gebildete ungewichtete Durchschnittspreis von 2.750 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche nicht geeignet ist, einen verlässlichen Aufschluss über den Verkehrswert der 90 qm großen Eigentumswohnung der Erblasserin zum Stichtag Ende Januar 2015 zu geben.

(b) Es kommt hinzu, dass das Privatgutachten V… keinerlei Ausführungen dazu enthält, inwieweit die Vergleichswertbetrachtung geeignet sein soll, den nach dem Ertragswertverfahren zugrunde zu legenden Verkehrswert zu modifizieren. Da der nach dem Ertragswertverfahren geschätzte Wert der Eigentumswohnung der Erblasserin dem D…-Gutachten folgend auf 191.000 Euro zu veranschlagen ist, weil das Gutachten V… jene Wertschätzung nicht ernsthaft in Frage stellt, drängt sich die Frage auf, mit welchen Erwägungen gleichwohl dem auf sehr schmaler und zweifelhafter Datenbasis ermittelten Verkehrswert nach dem Vergleichswertverfahren in Höhe von 256.500 Euro der Vorrang gebühren soll. Dazu schweigt das Privatgutachten Witte.

Nach alledem ist durch das D…-Gutachten ein Verkehrswert von 191.000 Euro nachgewiesen.

bb) Unter Berücksichtigung des der Erblasserin eingeräumten lebenslangen Wohnungsrechts reduziert sich der Verkehrswert der Eigentumswohnung auf 105.000 Euro. Auch insoweit ist dem D…-Gutachten zu folgen.

Das der Erblasserin eingeräumte lebenslange Wohnungsrecht belastet sowohl den von der Erblasserin überlassenen eigenen Miteigentumsanteil als auch den an den Beteiligten zu 1. verkauften Miteigentumsanteil. Es mindert den Verkehrswert der gesamten Eigentumswohnung und ist mit dem im D…-Gutachten ausgewiesenen Betrag von (gerundet) 86.000 Euro in Ansatz zu bringen. Gegen diesen Schätzwert erhebt auch der Privatgutachter V… keine Einwände.

Maßgeblich ist demgegenüber nicht – wie das Amtsgericht meint – der von den Parteien im notariellen Übertragungsvertrag vom 28. Januar 2015 veranschlagte Wert der dinglichen Belastung in Höhe von hochgerechnet 80.000 Euro (8.000 Euro x 10 Jahre statistische Lebenserwartung). Die Unentgeltlichkeit der Verfügung über den verkauften Miteigentumsanteil – und demzufolge auch der dafür maßgebliche Wert der Eigentumswohnung – beurteilen sich nach objektiven Kriterien und nicht nach den Wertvorstellungen der Parteien.

Freilich ist der Wertansatz der Vertragsparteien im Entscheidungsfall ein gewichtiges Indiz für ihren Willen zu einer entgeltlichen Verfügung. Denn er kommt dem Jahre später gutachtlich ermittelten Wert des Wohnungsrechts sehr nahe.

cc) Auf den vom Beteiligten zu 1. käuflich erworbenen hälftigen Miteigentumsanteil entfällt somit ein Wert von 52.500 Euro (105.000 Euro : 2). Die im notariellen Übertragungsvertrag vom 28. Januar 2015 übernommene Gegenleistung übersteigt diesen Betrag.

(1) Der Beteiligte zu 1. hat sich verpflichtet, das auf dem Grundbesitz mit einem Betrag von 50.000 Euro lastende Grundpfandrecht abzulösen. Da die Eigentumswohnung als solche – und nicht nur der unter die Vorerbschaft fallende hälftige Miteigentumsanteil – mit jenem Recht belastet war, hat der Beteiligte zu 1. die Ablösung des Grundpfandrechts zu gleichen Teilen als Gegenleistung für die Übertragung der beiden Miteigentumshälften übernommen. In Höhe von jeweils 25.000 Euro war die Ablöseverpflichtung Teil seiner Kaufpreisschuld und Gegenleistung für den (ansonsten schenkweise) überlassenen eigenen Miteigentumsanteil der Erblasserin. Im Zusammenhang mit dem Erwerb der erbrechtlich gebundenen Miteigentumshälfte hat der Beteiligte zu 1. somit eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von 25.000 Euro übernommen.

(2) Darüber hinaus hatte er weitere 50.000 Euro an die Erblasserin in monatlichen Raten von 900 Euro zu zahlen. Insgesamt belief sich die Kaufpreisschuld des Beteiligten zu 1. damit auf 75.000 Euro. Sie übersteigt den Wert des hälftigen Miteigentumsanteils.

Infolge dessen bestehen keine begründeten Zweifel an der Entgeltlichkeit der streitgegenständlichen Veräußerung.

III.

Die Entscheidung über die Erstattung der außergerichtlichen Auslagen ergeht in entsprechender Anwendung des § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Es entspricht der Billigkeit, dass der im Verfahren mit seinem Standpunkt unterlegene Beteiligte zu 2. dem Beteiligten zu 1. seine in der Beschwerdeinstanz angefallenen notwendigen Auslagen erstattet. Den Beteiligten zu 3. trifft demgegenüber keine Kostenlast, weil er sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt hat.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 GBO) liegen nicht vor.

Die Wertfestsetzung für das Verfahren der Beschwerde beruht auf §§ 51 Abs. 2, 61 GNotKG. Der Senat hat einen aktuellen Verkehrswert der streitbefangenen Eigentumswohnung von 200.000 € zugrunde gelegt und das Interesse des Beteiligten zu 1. an der Löschung des Nacherbenvermerks als einer Verfügungsbeschränkung auf 30 % des Wertes der mit dem Nacherbenvermerk belasteten Miteigentumshälfte veranschlagt.

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