OLG München – Az.: 34 Wx 287/16 – Beschluss vom 17.10.2016
I. Die Beschwerde des Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pfaffenhofen a. d. Ilm – Grundbuchamt – vom 1. Juli 2016 wird zurückgewiesen.
II. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Beteiligte war Gläubiger einer am 3.3.2014 im Grundbuch am Anteil eines damaligen Miteigentümers eingetragenen Zwangssicherungshypothek über 46.977,49 € zuzüglich Zinsen. Das Recht wurde am 26.11.2014 gelöscht. Bewilligt hatte dies der Beteiligte zu notarieller Urkunde vom 20.8.2014.
Mit Schriftsätzen vom 30.9.2015 und 1.2.2016 bat der anwaltlich vertretene Beteiligte um Erteilung eines aktuellen Grundbuchauszugs samt Voreintragungen sowie Mitübersendung des Kaufvertrags zwischen den beiden Erwerbern als Käufern und den seinerzeitigen Eigentümern als Verkäufer. Es werde geprüft, ob dem Beteiligten, der gezwungenermaßen die Zwangshypothek habe löschen lassen, gegen die damals beauftragte Inkassofirma Schadensersatzansprüche wegen Schlechtleistung zustünden. Hierzu müsse die grundbuchrechtliche Historie nachvollzogen werden.
Der Urkundsbeamte des Grundbuchamts hat am 12.10.2015 und 17.2.2016 die Einsichtsanträge unter Hinweis auf die vom Beteiligten erteilte Löschungsbewilligung abgelehnt. Der Beteiligte sei somit kein Berechtigter mehr.
Hiergegen richtete sich das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel vom 7.3.2016. Dieses hat die Rechtspflegerin als Erinnerung behandelt und am 1.7.2016 zurückgewiesen. Ein berechtigtes Interesse des Antragstellers sei nicht erkennbar, weil diesem bereits detailliertere Informationen über die erfolgte Auszahlung des Kaufpreises auf die einzelnen Gläubiger bekannt seien, als sich aus dem Kaufvertrag ergebe. Das Geheimhaltungsinteresse des neuen Eigentümers wiege schwerer als die Prüfung möglicher Schadensersatzansprüche unter den damaligen Beteiligten, zumal eine wirksame Löschungsbewilligung abgegeben worden sei.
Der Beschwerde vom 4.8.2016 hat das Grundbuchamt mit Beschluss vom 27.9.2016 nicht abgeholfen.
Ergänzend bringt der Beteiligte noch vor, dass er im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche gegen die damals beauftragte Inkassofirma darauf angewiesen sei, die ihm gegenüber gemachten Angaben der neuen Eigentümer darauf zu überprüfen, an wen der Kaufpreis geflossen sei. Dazu müsse er den Kaufvertrag einsehen. Im Übrigen gehe es nicht um Schadensersatzansprüche gegen den jetzigen Eigentümer oder damaligen Käufer, sondern gegenüber einer Inkassofirma, die möglicherweise unzureichende Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt habe. Insofern sei kein sein Durchsetzungsinteresse überwiegendes Geheimhaltungsinteresse des Eigentümers erkennbar.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Gegen die im Erinnerungsverfahren ergangene ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers (§ 3 Nr. 1 Buchst. h RPflG) über die beantragte Grundbucheinsicht ist die Beschwerde nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 71 Abs. 1 GBO i. V. m. § 12c Abs. 4 Satz 2 GBO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig durch Einreichung der anwaltlichen Beschwerdeschrift beim Oberlandesgericht erhoben (§ 73 GBO, § 10 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Mit seinem Rechtsmittel behauptet der Antragsteller ein eigenes rechtliches Interesse an der Einsicht in das Grundbuch (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO) sowie die Grundakten (vgl. § 46 Abs. 1 GBV), so dass eine Beschwerdebefugnis zu bejahen ist.
2. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet.
a) Ein berechtigtes Interesse i. S. v. § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO besteht nicht nur, wenn dieses rechtlicher Natur ist, namentlich dem Antragsteller am Grundstück (aktuell) ein Recht zusteht (vgl. Demharter GBO 30. Aufl. § 12 Rn. 8; Hügel/Wilsch GBO 3. Aufl. § 12 Rn. 4), sondern schon dann, wenn ein anerkennungswürdiges berechtigtes Interesse wirtschaftlicher oder tatsächlicher Art vorliegt (Demharter § 12 Rn. 9; Hügel/Wilsch § 12 Rn. 5; etwa Senat vom 9.2.2015, 34 Wx 43/15 = NJW 2015, 1891). Jedoch ist zu beachten, dass sich der Regelungszweck der Norm gerade auf eine Einsicht wegen einer zu erwartenden Teilnahme am Rechtsverkehr im Zusammenhang mit im Grundbuch dokumentierten Rechtsverhältnissen bezieht (KG OLGRspr. 29, 391/392; vgl. BVerfG NJW 2001, 503/504). Denn das Einsichtsrecht ist begrifflich mit dem materiellen Publizitätsgrundsatz des Grundbuchs verklammert (Böhringer Rpfleger 1987, 181/191); dies erfordert grundsätzlich – abgesehen von Sonderfällen wie dem des Einsichtsrechts der Presse (vgl. BVerfG NJW 2001, 503/504; BGH NJW-RR 2011, 1651) – ein gerade hierauf bezogenes Interesse. Das gilt erst recht für die „erweiterte“ Einsicht in die Grundakten nach § 12 Abs. 3 GBO, § 46 Abs. 1 GBV (vgl. OLG Oldenburg FGPrax 2014, 18; OLG Dresden Rpfleger 2010, 209), die auf eine Kenntniserlangung etwa von der Höhe eines Kaufpreises oder von Modalitäten der Kaufpreiszahlung an den Verkäufer oder an Dritte im Zusammenhang mit Freistellungsverpflichtungen abzielt. Denn derartige Daten gehören nicht zum eigentlichen Grundbuchinhalt, dessen Publizität § 12 Abs. 1 GBO sicherstellt (OLG Oldenburg FGPrax 2014, 18; OLG Dresden Rpfleger 2010, 209/210; OLG Stuttgart FGPrax 2010, 324; KG NJW-RR 2004, 1316). Erforderlich ist in diesen Fällen eine strenge Prüfung des berechtigten Interesses (OLG Oldenburg, OLG Dresden, OLG Stuttgart und KG, je a. a. O.), weil das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Kaufvertragsparteien berührt ist, deren Beteiligung (Anhörung) im Einsichtsverfahren nicht stattfindet (Hügel/ Wilsch § 12 Rn. 25).
b) Nach diesen Grundsätzen kann Einsicht hier nicht gewährt werden.
aa) Der Antragsteller ist nach Abgabe der Löschungsbewilligung und anschließender Löschung nicht mehr als Hypothekengläubiger im Grundbuch eingetragen. Deshalb hat er kein „originäres“ Einsichtsrecht, wie dies für dinglich Berechtigte besteht (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 GBV; Meikel/Böttcher GBO 11. Aufl. § 12 Rn. 21; Holzer/Kramer Grundbuchrecht 2. Aufl. 2. Teil Rn. 154).
Als früherer Berechtigter hat der Beteiligte nicht allein deswegen ein anerkennenswertes berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme (OLG Düsseldorf MDR 2015, 1290/1291; Hügel/Wilsch § 12 Rn. 5 und 92).
bb) Ein berechtigtes (wirtschaftliches) Einsichtsinteresse kann jedoch fortbestehen, wenn es um Ansprüche gegen einen vormals eingetragenen Berechtigten geht (OLG Oldenburg FGPrax 2014, 18; Hügel/Wilsch § 12 Rn. 60 und 92).
Darum geht es hier aber nicht. Denn die Einsichtnahme soll explizit nicht der Durchsetzung von Ansprüchen gegen aktuelle oder frühere Eigentümer dienen. Vielmehr erhofft sich der Antragsteller aus dem Grundbuch Informationen, die einen möglichen Schadensersatzanspruch gegen ein – nicht in einer Beziehung zum Grundstück stehendes – Inkassounternehmen untermauern sollen, das er seinen Angaben zufolge im Zusammenhang mit der zwangsweisen Beitreibung von Forderungen gegen einen der ehemaligen Eigentümer beauftragt hatte.
cc) Für die Gewinnung derartiger vom Zweck des Grundbuchs losgelöster Informationen ist das Einsichtsrecht in § 12 GBO nicht geschaffen. Denn die Vorschrift eröffnet die Einsicht zunächst bei einer zu erwartenden Teilnahme am Rechtsverkehr im Zusammenhang mit im Grundbuch dokumentierten Rechtsverhältnissen (KG OLGRspr. 29, 391/392; BVerfG NJW 2001, 503/504). Diese Beschränkung, nämlich die Notwendigkeit rechtlicher Beziehungen zu einer am Grundstück berechtigten Person, besteht jedenfalls außerhalb des Rechts der Presse fort (Holzer/Kramer Rn. 149; siehe auch Maaß in Bauer/von Oefele GBO 3. Aufl. § 12 Rn. 1). An einem Bezug zu dem im Grundbuch Verlautbarten fehlt es hier, weil die begehrte Einsichtnahme im Wesentlichen darauf abzielt, sich allgemeine Informationen zu beschaffen, die einen Schadensersatzanspruch gegen einen Dritten im Zusammenhang mit einem Auftragsverhältnis verifizieren sollen und wozu sich der Antragsteller insbesondere aus einer zu den Grundakten gelangten Urkunde (Kaufvertrag unter Dritten) Informationen erhofft. Zum Grundstück als solchem haben diese keinen Bezug. Denn die Zahlung des Kaufpreises an vorrangig berechtigte Gläubiger statt an den Schuldner – dessen Kaufpreisanspruch offenbar gepfändet war – hat mit den im Grundbuch dokumentierten Verhältnissen am Grundstück nichts zu tun. Es mag zwar zweckmäßig und nachvollziehbar sein, sich über die Grundakten Informationen zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen Personen beschaffen zu wollen, die in keiner rechtlichen Beziehung zum Grundstück stehen. Jedoch ist das Grundbuch keine allgemeine Auskunftei (KEHE/Keller GBO 7. Aufl. § 12 Rn. 2; Böhringer DNotZ 2014, 16/17). Erforderlich für die Berechtigung zur Einsichtnahme ist vielmehr regelmäßig ein beabsichtigtes Handeln in Bezug auf das im Buch Verlautbarte.
dd) Selbst wenn Grundbucheinsicht bereits dann in Frage käme, wenn sachliche Gründe vorgetragen sind, die die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen (Demharter § 12 Rn. 7 m. w. N.), scheitert das Einsichtsgesuch hier an der Interessenabwägung, die namentlich mit Rücksicht auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der eingetragenen Berechtigten vorzunehmen ist (statt aller: OLG Oldenburg FGPrax 2014, 18).
Dabei fällt ins Gewicht, dass das Einsichtsinteresse keinen Grundstücksbezug hat, sondern der Überprüfung von Schadensersatzansprüchen des nicht eingetragenen Beteiligten gegen einen nicht eingetragenen Dritten dient. Ein verständiges Interesse der Eingetragenen, nicht durch Vertragseinsicht Kaufpreis- und Zahlungsmodalitäten für „Drittzwecke“ offenzulegen, ist aber naheliegend. Der Beteiligte verfügt zudem durch die Drittschuldnerauskunft vom 30.7.2014 über Informationen, deren Richtigkeit ihm teils selbst bekannt ist – etwa die der Hypothek vorgehende Eigentumsvormerkung oder sein damaliger Rang (Abt. III/5) als Hypothekengläubiger – oder die er nur unspezifisch in Frage stellt. Selbst wenn er nur durch die begehrte Einsicht in der Lage wäre, vermeintliche – im Übrigen nicht durch konkreten und nachvollziehbaren Vortrag (vgl. OLG Düsseldorf MDR 2015, 1290/1291) dargelegte, sondern nur allgemein in den Raum gestellte – Ansprüche gegen das mit der Forderungsbeitreibung beauftragte Inkassounternehmen durchzusetzen, würde dies nicht ohne Weiteres dazu legitimieren, Einblick in die Rechtsverhältnisse Dritter zu nehmen.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; denn die Kostenfolge ergibt sich aus dem Gesetz (§ 22 Abs. 1 GNotKG).
Den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens (vgl. § 61 Abs. 1, § 79 Abs. 1 GNotKG) bestimmt der Senat nach dem Wert der vom Antragsteller durch die Einsichtnahme erhofften Informationen für seine Schadensersatzklage. Mangels genügender Anhaltspunkte wird der Auffangwert des § 36 Abs. 3 GNotKG angesetzt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 GBO) liegen nicht vor.