OLG Frankfurt – Az.: 20 W 102/19 – Beschluss vom 09.05.2019
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Das Grundbuchamt wird angewiesen, der Antragstellerin einen beglaubigten Grundbuchauszug der Abt. II des Wohnungsgrundbuchs von Stadt01, Blatt …, zu erteilen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin hat mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 13.02.2019 beim Grundbuchamt die Übersendung eines vollständigen Grundbuchauszugs der hier betroffenen Liegenschaft beantragt. Zur Begründung hat sie unter Vorlage entsprechender Urkunden in Fotokopie ausgeführt, Mieterin der im hiesigen Wohnungsgrundbuch verzeichneten Wohnung zu sein. Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.12.2018 sei ihr das Mietverhältnis von Erben ihrer vormaligen Vermieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt worden.
Nach vorangegangener Anfrage der Urkundsbeamtin und weiterem Schriftwechsel ist dem Verfahrensbevollmächtigten durch Verfügung vom 28.02.2019 ein Teil-Grundbuchauszug übersandt worden mit dem Bemerken, dass in Abt. II keine relevanten Eintragungen stehen würden. Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte mit Schreiben vom 07.03.2019 darauf verwiesen hatte, dass er selbst zu prüfen habe, ob Abt. II relevante Eintragungen enthalte, hat der Rechtspfleger beim Grundbuchamt durch Verfügung vom 12.03.2019 unter anderem mitgeteilt, dass der Grundbuchauszug für ein Wohnungseigentumsgrundbuch beantragt werde, auf dem in Abt. II eine Grunddienstbarkeit laste, die auf allen Wohnungsgrundbüchern dieses Grundstücks eingetragen sei. Da lediglich Rechte aus dem Eigentum geltend gemacht würden, hat er aufgegeben darzulegen, weshalb ein Auszug mit Abt. II für die Rechtsverfolgung notwendig sei. Der Verfahrensbevollmächtigte hat daraufhin mit seinem Schreiben vom 21.03.2019 etliche in Abt. II einzutragende Rechte bzw. Vermerke benannt, die den Ausspruch der Kündigung hätten einschränken könnten, und hat Rechtsausführungen gemacht.
Durch den angefochtenen Beschluss auf (Bl. 84 ff. der Akten), auf dessen Einzelheiten verwiesen wird, der Rechtspfleger beim Grundbuchamt den Antrag auf Erteilung eines Grundbuchauszugs mit den Eintragungen in Abt. II zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 18.04.2019, auf den letztendlich verwiesen wird, Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, das Grundbuchamt anzuweisen, bezüglich des betroffenen Grundbuchs die Abt. II des Grundbuchblatts als unbeglaubigten oder beglaubigten Auszug zu übermitteln, hilfsweise das Grundbuchamt anzuweisen, Auskunft darüber zu erteilen, ob in Abt. II folgende eigentumseinschränkende Rechte eingetragen seien, nämlich Nießbrauchsrecht zu Gunsten eines Dritten, Wohnungsrecht zu Gunsten eines Dritten, Zwangsversteigerungsvermerk, Zwangsverwaltungsvermerk.
Die Rechtspflegerin beim Grundbuchamt hat der Beschwerde mit Beschluss vom 19.04.2019 nicht abgeholfen und hat sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig.
Gemäß § 12c Abs. 1 Nr. 1 GBO ist zur Entscheidung über die Gestattung der Einsicht in das Grundbuch und die Erteilung von Grundbuchauszügen zunächst der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Grundbuchamtes berufen. Wird eine Änderung einer Entscheidung nach § 12c Abs. Nr. 1 GBO verlangt und abgelehnt, so hat hierüber im Wege der Erinnerung der Grundbuchrechtspfleger zu entscheiden, gegen dessen Entscheidung sodann nach § 12c Abs. 4 Satz 2 GBO die Beschwerde eröffnet ist (vgl. Demharter, GBO, 31. Aufl., § 12c Rz. 4, 11; Senat Rpfleger 2011, 430; Beschluss vom 03.09.2018, 20 W 171/18, zitiert nach juris).
Nachdem vorliegend das Ersuchen gegenüber der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Grundbuchamts teilweise erfolglos geblieben war, hat der Rechtspfleger beim Grundbuchamt über das Begehren ablehnend entschieden. Gegen diese Entscheidung ist jedenfalls die Beschwerde nach § 12c Abs. 4 Satz 2, 71, 73 GBO eröffnet, über die der Senat als Beschwerdegericht zu entscheiden hat, nachdem die Grundbuchrechtspflegerin gemäß §§ 72, 75 GBO nicht abgeholfen hat.
Die Beschwerde ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang erfolgreich.
Nach § 12 Abs. 1 GBO ist die Einsicht des Grundbuchs jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Ein solches berechtigtes Interesse im Sinne des § 12 Abs. 1 GBO liegt vor, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamts bzw. des an seine Stelle tretenden Beschwerdegerichts ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, das sich im Unterschied zum rechtlichen Interesse nicht auf ein bereits vorhandenes Recht oder konkretes Rechtsverhältnis stützen muss, sondern auch mit einem bloß tatsächlichen, insbesondere wirtschaftlichen Interesse begründet werden kann. Dabei bezweckt § 12 Abs. 1 GBO in erster Linie nicht einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine beschränkte Publizität des Grundbuchs ab. Diese geht einerseits über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff BGB hinaus. Andererseits genügt jedoch nicht jedes beliebige Interesse, vielmehr muss die Verfolgung unbefugter Zwecke oder reiner Neugier ausgeschlossen werden und die Kenntnis vom Grundbuchinhalt für den Antragsteller aus sachlichen Gründen für sein künftiges Handeln erheblich sein. Bei der hierbei gebotenen Abwägung ist zu berücksichtigen, dass die in ihrem informationellen Selbstbestimmungsrecht möglicherweise beeinträchtigten Berechtigten grundsätzlich vor der Gewährung der Grundbucheinsicht nicht angehört werden und ihnen von der obergerichtlichen Rechtsprechung auch kein Beschwerderecht gegen die Gewährung der Einsicht zugebilligt wird (so im Einzelnen Senat, Beschluss vom 03.09.2018, 20 W 171/18, mit vielfältigen Nachweisen).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse an der Einsicht auch in Abt. II des Grundbuchs glaubhaft gemacht.
Nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, wird Mietern ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zugestanden. Dabei wird davon ausgegangen, dass nach Abschluss des Mietvertrags die Einsichtnahme in der Regel nur noch beschränkt gewährt werden kann. So hat nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (vgl. NJW 1993, 1142, zitiert nach juris) der Mieter in der Regel ein berechtigtes Interesse an der Einsicht des Grundbuchs für das gemietete Anwesen, ausgenommen die Eintragungen in Abt. III. Letzteres wird hier auch nicht verlangt. Ansonsten wird in der veröffentlichten Rechtsprechung – was das Grundbuchamt hier erkennbar angenommen hat – davon ausgegangen, dass nach Abschluss des Mietvertrags die Einsichtnahme nur noch beschränkt in das Bestandsverzeichnis und die erste Abteilung bestehen soll (vgl. etwa OLG München FGPrax 2019, 3, Tz. 13 bei juris; OLG Düsseldorf FGPrax 2016, 251, Tz. 14 bei juris; LG Mannheim NJW 1992, 2492, Tz. 9 bei juris; vgl. auch Wilsch in BeckOK GBO, Stand: 01.03.2019, § 12 Rz. 68), wobei dort darauf abgestellt wird, dass damit dem Mieter ermöglicht werde, seiner Darlegungslast im Räumungsprozess, dem Vermieter stehe noch freier oder freiwerdender Wohnraum zur Verfügung, zu genügen (OLG München FGPrax 2019, 3, LG Mannheim NJW 1992, 2492; Wilsch a.a.O., § 12 Rz. 68).
Um Letzteres geht es hier ersichtlich nicht. Aus dem Vorbringen der Antragstellerin wird vielmehr deutlich, dass sie sich anhand der Grundbucheinsicht Informationen darüber verschaffen möchte, ob die die Eigenbedarfskündigung vom 23.12.2018 aussprechenden Personen kündigungsberechtigt sind bzw. waren. Hierfür dürfte zwar in der Regel die Einsicht in Abt. I des Grundbuchs, in der der jeweilige Eigentümer verzeichnet ist, hinreichend sein. Die Antragstellerin hat jedoch etliche in Abt. II einzutragende dingliche Rechte bzw. Vermerke benannt, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften (etwa §§ 567 BGB, 152 Abs. 2 ZVG; vgl. dazu Palandt/Weidenkaff, BGB, 78. Aufl., § 567 Rz. 3) dazu führen könnten, dass Rechte aus dem Mietverhältnis nach Überlassung der Mietsache an die Antragstellerin als Mieterin auf Dritte übergegangen sein könnten. Dies wiederum wäre für die Kündigungsberechtigung von Bedeutung. Ihr Interesse hat von daher durchaus einen Grundstücksbezug, der sich auch auf Eintragungen in Abt. II bezieht. Die Antragstellerin hat zwar konkrete Anhaltspunkte bzw. Verdachtsmomente, die für das Vorliegen eines solchen Rechts sprechen könnten, nicht dargelegt. Andererseits kann sie aber immerhin darauf verweisen, dass die die Eigenbedarfskündigung vom 23.12.2018 aussprechenden Personen nicht diejenigen sind, mit denen sie einen Mietvertrag abgeschlossen hatte, so dass mithin ein Wechsel auf Vermieterseite stattgefunden hat. Von daher kann ihr zur Überzeugung des Senats auch nicht ein berechtigtes Interesse abgesprochen werden, deren Kündigungsberechtigung umfassend zu überprüfen und zwar auch dahingehend, ob derartige Rechte im Grundbuch in Abt. II verzeichnet sind. Einer Darlegung eines konkreten im Grundbuch dort verzeichneten Rechts – wie vom Rechtspfleger beim Grundbuchamt in der Verfügung vom 12.03.2019 verlangt – bedarf es dabei nicht, da durch den Grundbuchauszug die Kenntnis darüber gerade erst vermittelt werden soll. Die von der Antragstellerin vorgebrachten sachlichen Gründe sind im obigen Sinne mithin hinreichend, um die Kenntnis vom Grundbuchstand für das künftige Handeln der Antragstellerin erheblich und die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen zu lassen.
Nachdem die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde die Erteilung eines unbeglaubigten oder beglaubigten Auszugs lediglich bezüglich Abt. II des betroffenen Grundbuchs beantragt, hat der Senat wie oben geschehen die Erteilung eines beglaubigten Teilauszugs auszusprechen. Dies beruht darauf, dass § 45 GBV seit jeher so verstanden wird, dass Abschriften eines Teils des Grundbuchblatts nur in beglaubigter Form zu erteilen sind (vgl. dazu im Einzelnen KG FGPrax 2016, 104; Kral in BeckOK GBO, a.a.O., § 12c Rz. 6; Keller in KEHE, Grundbuchrecht, 8. Aufl., § 45 GBV Rz. 1).
Auf den Hilfsantrag kommt es mithin nicht mehr an, abgesehen davon, dass die begehrte Auskunft durch die Verfügung des Rechtspflegers beim Grundbuchamt vom 12.03.2019 mit dem dortigen Verweis auf die in Abt. II noch eingetragene Grunddienstbarkeit der Sache nach ohnehin bereits erteilt ist.
Im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde bedarf es weder einer Entscheidung über die Kosten noch einer Wertfestsetzung. Auch eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst.