OLG München – Az.: 34 Wx 132/10 – Beschluss vom 13.01.2011
Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 2. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligte hat am 16.7.2009 beim Grundbuchamt um Einsicht in das Grundbuch hinsichtlich eines bestimmten bebauten Grundstücks nachgesucht mit der Begründung, ihr am 12.11.1939 verstorbener Großvater mütterlicherseits, Johann B., sei damals der Eigentümer gewesen. Nach dessen Tod sei das Anwesen an seine zweite Ehefrau übergegangen und die drei ehelichen Kinder aus der ersten Ehe, u.a. ihre Mutter, seien leer ausgegangen. Sie vermute, dass es sich damals um einen Betrug gehandelt habe. Sie wolle endlich klären, wie der damalige Gesamtbesitz in die Hände der jetzigen – ihr namentlich bekannten – Eigentümer gelangt sei.
Der Urkundsbeamte des Grundbuchamts hat der Beteiligten mit Schreiben vom 14.8.2009 mitgeteilt, ihrem Einsichtsgesuch in die Grundakte könne nicht entsprochen werden. Ergänzend wurde ihr mitgeteilt, dass im historischen Grundbuch als Eigentümerin nach dem Tod ihres Großvaters mütterlicherseits unter dem 9.3.1940 die zweite Ehefrau desselben als Alleineigentümerin und Anerbin aufgrund Erbfolge laut Ehe- und Erbvertrag vom 8.1.1918 und Protokoll des Amtsgerichts R. vom 10.1.1940 eingetragen worden sei. Aufgrund einer Korrespondenz mit dem Nachlassgericht sei der verstorbenen Mutter der Beteiligten spätestens Anfang 1989 die Erbfolge bekannt gewesen.
Das als Erinnerung vom 24.8.2009 behandelte Schreiben hat der Grundbuchrichter mit Beschluss vom 14.9.2009 zurückgewiesen, der Beschwerde vom 2.10.2009 hat das Landgericht mit Beschluss vom 2.2.2010 nicht stattgegeben. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten, die zunächst eigenhändig und sodann am 25.10.2010 zu Protokoll des Rechtspflegers des Beschwerdegerichts eingelegt wurde. Diese macht im Wesentlichen geltend, aus dem Erbfall noch unverjährte Ansprüche gegen den derzeit eingetragenen Eigentümer zu besitzen. Die damalige Grundbucheintragung beruhe auf betrügerischem Vorgehen. Ihr sei zugetragen worden, dass der Eigentumsübergang nicht auf Erbfolge, sondern auf Bestimmung durch den Gemeindevorsteher beruht habe. Ihre Mutter sei im Übrigen nicht in der Lage gewesen, Pflichtteilsansprüche gegen die damals als Eigentümerin eingetragene Witwe des Erblassers geltend zu machen.
II.
Der Senat hat auf der Grundlage des bis 1.9.2009 geltenden Verfahrensrechts zu entscheiden (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG), weil der verfahrenseinleitende Antrag auf Grundbucheinsicht vor diesem Zeitpunkt gestellt wurde.
Die statthafte und im Übrigen zu Rechtspflegerprotokoll auch zulässig eingelegte weitere Beschwerde (§ 78 GBO a.F., § 80 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 73 GBO) hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Der Beteiligten stehe kein Einsichtsrecht zu. Ein berechtigtes Interesse habe jeder, dem ein Recht am Grundstück oder an einem Grundstücksrecht zustehe, mag er nun als Berechtigter eingetragen sein oder nicht. Nach diesen Grundsätzen sei zunächst festzustellen, dass der Beteiligten selbst kein Recht am Grundstück zustehe. Die Beteiligte trage selbst vor, dass das Anwesen nach dem Tod des Großvaters an dessen zweite Ehefrau übergegangen sei. Dies decke sich mit der Mitteilung des Grundbuchamts vom 14.8.2009.
Soweit die Beteiligte sich darauf berufe, die drei Kinder aus der ersten Ehe des Erblassers seien hinsichtlich ihrer erbrechtlichen Ansprüche übergangen worden, so könne zwar grundsätzlich auch ein wirtschaftliches Interesse einen Anspruch auf Grundbucheinsicht begründen. Vorliegend sei jedoch zu berücksichtigen, dass die gegenständliche Erbfolge im Jahre 1940 erfolgt sei. Angesichts der mittlerweile vergangenen 70 Jahre seien etwaige Ansprüche verjährt, könnten nicht mehr geltend gemacht werden und daher auch kein wirtschaftliches Interesse an einer Grundbucheinsicht begründen.
2. Im Ergebnis hält dies rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Nach § 12 Abs. 1 GBO ist die Einsicht in das Grundbuch jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. In gleicher Weise gilt dies für Urkunden, auf die im Grundbuch zur Ergänzung der Eintragung Bezug genommen wird. Über § 46 Abs. 1 GBV erstreckt sich das Einsichtsrecht im selben Umfang auf die Grundakten. Das berechtigte Interesse ist umfassender als das rechtliche Interesse. Es ist gegeben, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamts ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, wobei auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse das Recht auf Grundbucheinsicht begründen kann (vgl. etwa BayObLG Rpfleger 1998, 338; DNotZ 1999, 739; KG Rpfleger 2004, 346).
Das berechtigte Interesse des Antragstellers ist gegen das Interesse des Eigentümers abzuwägen, eine Einsicht in das Grundbuch und in die Grundakten zu verhindern. Dieses Interesse bedarf umso mehr einer sorgfältigen Prüfung, als der Eigentümer in der Regel vor der Gewährung von Einsicht nicht gehört wird und ihm gegen die Gewährung kein Beschwerderecht zusteht. Das Grundbuchamt ist deshalb gehalten, das Vorliegen eines berechtigten Interesses in jedem Einzelfall genau nachzuprüfen, um Einsichtnahmen zu verhindern, durch die das schutzwürdige Interesse Eingetragener verletzt werden könnte, Unbefugten keinen Einblick in ihre Rechts- und Vermögensverhältnisse zu gewähren (etwa BayObLG DNotZ 1999, 739).
b) In Anwendung dieser Grundsätze hat das Landgericht die Einsichtnahme über die bereits erteilten Auskünfte hinaus zu Recht verweigert. Zwar ist im Grundsatz das berechtigte Interesse eines Pflichtteilsberechtigten anerkannt, wenn er nach dem Tod des im Grundbuch eingetragenen Erblassers seine erbrechtlichen Ansprüche prüfen will. Das gilt auch, wenn inzwischen der Erbe als Rechtsnachfolger eingetragen ist (KG Rpfleger 2004, 346; Meikel/Böttcher GBO 10. Aufl. § 12 Rn. 45). Im Prinzip kommt auch der Erbe eines Pflichtteilsberechtigten in Betracht, weil der Anspruch vererblich ist (vgl. § 2317 Abs. 2 BGB). Das gilt jedoch nicht ausnahmslos, weil es im Einzelfall auch auf eine konkrete Abwägung ankommt.
(1) Ansprüche aus dem damaligen Erbfall nach Johann B. kommen allenfalls gegen den Erben bzw. dessen Abkömmlinge in Betracht. Dazu bringt die Grundbucheinsicht keinen weiteren Erkenntnisgewinn, zumal der Beteiligten bereits bekannt ist, dass die Stiefmutter im Rahmen der Erbfolge am 9.3.1940 im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen worden ist. Ihre Behauptung, der Eigentumsübergang beruhe nicht auf Erbfolge, entbehrt jeglicher Tatsachengrundlage. Soweit ein Interesse an der maßgeblichen Eintragungsgrundlage zu bejahen ist, hat dem das Grundbuchamt durch die Auskunft vom 14.8.2009 genügt.
(2) Der Mutter der Beteiligten waren als Tochter des Erblassers seit vielen Jahren sowohl der Erbfall wie auch der Umstand bekannt, dass sie von der Erbfolge ausgeschlossen war. Dann bedarf es aber besonderer Darlegung, wenn im Einzelfall nahezu 70 Jahre nach dem Erbfall Antrag auf Grundbucheinsicht wegen möglicher Pflichtteilsansprüche gestellt wird. Für die ernsthafte Absicht eines rechtlichen Handelns gegen potentielle Schuldner (vgl. Meikel/Böttcher § 12 Rn. 8) spricht nach derart langem Zeitablauf nichts. Zwar kann die vom Landgericht angesprochene Verjährungsfrage dafür nicht unmittelbar den Ausschlag geben, weil auch für die Ermittlung von Ansprüchen, deren Durchsetzung die Verjährung entgegenstehen könnte, ein berechtigtes Interesse durchaus gegeben sein kann. Jedoch war schon der historische Gesetzgeber darauf bedacht, dass die Frage, ob Pflichtteilsansprüche erhoben werden und deshalb Verschiebungen in der Verteilung des Nachlasses zu erwarten sind, nicht zu lange in der Schwebe ist (vgl. RGZ 135, 231/235). Erfahrungsgemäß gestaltet sich die Nachlassfeststellung erst geraume Zeit nach dem Erbfall als schwierig, wenn nicht gar als unmöglich. Deshalb verjährt der Pflichtteilsanspruch in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Pflichtteilsberechtigte von dem Eintritt des Erbfalls und von der ihn beeinträchtigenden Verfügung Kenntnis erlangt, und ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in 30 Jahren von dem Eintritt des Erbfalls an (§ 2332 Abs. 1 BGB a.F., jetzt §§ 195, 199 Abs. 3a BGB). Alternativ lässt sich auch ein Interesse wirtschaftlicher oder tatsächlicher Natur, welches im Einzelfall ausreichend sein kann, angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr bejahen. Allein persönliche Motive, etwa familiärer Art, erlauben eine Grundbucheinsicht nicht. Hinzu kommt, dass bloße Verdachtsmomente wie die, es sei seinerzeit nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, ohne konkretisierende Anhaltspunkte ein Recht auf Einsichtnahme nicht begründen können (BayObLG DNotZ 1999, 739; Hügel/Wilsch GBO 2. Aufl. § 12 Rn. 69).
(3) Das Kammergericht bejaht zwar für einen Pflichtteilsberechtigten nach dem Erbfall „in der Regel“ ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht (KG Rpfleger 2004, 346). Dort ging es aber in einem wesentlich engeren zeitlichen Zusammenhang um die Prüfung konkreter erbrechtlicher Ansprüche, deren Geltendmachung davon abhing, wer als Erbe im Grundbuch eingetragen war und welchen Wert das Grundstück hatte. Während der erste Umstand der Beteiligten ohnehin bekannt ist, ist eine Erkenntnis zum zweiten Punkt, unabhängig von der nach Sachlage nicht mehr möglichen Feststellung des Nachlasses als solchen, auch über eine aktuelle Grundbucheinsicht praktisch nicht zu gewinnen.
c) Dass die Kosten des Beschwerdeverfahrens – in Betracht kommen hier nur Gerichtsgebühren – von der Beteiligten zu tragen sind, ergibt sich zwar nicht aus der vom Landgericht herangezogenen Bestimmung des § 91 ZPO, wohl aber unmittelbar aus dem Gesetz, nämlich § 131 Abs. 1 Nr. 1 KostO (a.F.) i.V.m. § 2 Nr. 1 KostO. Die getroffene Wertfestsetzung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, beruht allerdings nicht auf § 3 ZPO, sondern auf § 131 Abs. 2 KostO (a.F.) i.V.m. § 30 Abs. 1 KostO.
3. Eine Kostenentscheidung für die Rechtsbeschwerdeinstanz ist nicht veranlasst; die Kostenfolge ergibt sich aus dem Gesetz (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 KostO a.F.).