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Grundbuchberichtigungsanspruch – nicht feststellbare Geschäftsunfähigkeit bei Auflassungserklärung

Rechtsprechung: Unklarheit bei der Geschäftsfähigkeit und Auswirkung auf die Grundbuchberichtigung

In einer entscheidenden Rechtsfrage hat das Oberlandesgericht Brandenburg (Az.: 5 U 158/19) am 23. Juli 2020 eine Berufung abgelehnt, die im Zusammenhang mit der Unfähigkeit eines Geschäftspartners und der daraus resultierenden Berichtigung des Grundbuchs stand. Im Fokus stand die schwierige Frage, ob eine Person beim Abschluss eines Rechtsgeschäfts geschäftsunfähig war, was rechtliche Auswirkungen auf die Auflassungserklärung und den Grundbuchberichtigungsanspruch hatte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 U 158/19 >>>

Untersuchung der Geschäftsfähigkeit und die Gerichtsentscheidung

Das Hauptproblem in diesem Fall war die Feststellung der Geschäftsfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Auflassungserklärung. Laut Gesetz ist eine Person, die aufgrund von Krankheit nicht in der Lage ist, ihre Handlungen zu verstehen und zu kontrollieren, als geschäftsunfähig einzustufen. Wenn die Geschäftsfähigkeit nicht festgestellt werden kann, wäre die Auflassungserklärung ungültig. Dies hätte zur Folge, dass der Grundbucheintrag korrigiert werden müsste. In diesem Fall wurde der Beweisantrag der Klägerin jedoch zurückgewiesen.

Bedeutung von Beweisführung und Sachverständigen

Eine wichtige Rolle spielte dabei die Beweisführung. In juristischen Prozessen kann das Gericht Sachverständige hinzuziehen, um technische oder wissenschaftliche Fragen zu klären. Diese können beispielsweise eine Einschätzung zur Geschäftsfähigkeit einer Person abgeben. Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin jedoch versäumt, den Sachverständigenbeweis rechtzeitig zu erbringen.

Verfahrensweise und Konsequenzen für die Klägerin

Dieser Verfahrensfehler hatte gravierende Konsequenzen. Die Klägerin blieb in ihrer Beweispflicht und konnte die notwendige Beweisaufnahme zur Klärung der Geschäftsfähigkeit nicht nachweisen. Damit blieb die Frage der Geschäftsfähigkeit offen, was zur Ablehnung des Grundbuchberichtigungsanspruchs führte.

Rolle des Gerichts bei Beweisführung und Urteilsfindung

Das Urteil unterstreicht die Rolle des Gerichts bei der Beweisführung. Während es das Gericht unterstützen kann, Sachverständige hinzuzuziehen, bleibt die Beweislast bei den Parteien. Wenn eine Partei keine ausreichenden Beweise erbringt, kann dies zu einer Ablehnung des Antrags führen, wie im vorliegenden Fall.

Durch die Analyse und das Urteil dieses Falles wurde die Notwendigkeit einer korrekten Beweisführung und die Rolle von Sachverständigen bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit in Rechtsangelegenheiten hervorgehoben, die eine Auswirkung auf die Grundbuchberichtigung haben könnten.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 5 U 158/19 – Urteil vom 23.07.2020

Die Berufung der Klägerin gegen das am 18. September 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leisten.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 68.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die am … 1943 geborene Klägerin begehrt von den Beklagten die Zustimmung zur Grundbuchberichtigung betreffend das Eigentum an einer Eigentumswohnung.

Die Klägerin war als Eigentümerin der im Klageantrag näher bezeichneten Eigentumswohnung in B… im Grundbuch eingetragen. Mit notarieller Urkunde vom 14. Oktober 2014 der Notarin H… in B… (UR Nr. SH (a…)/2014; Bl. 5 ff. d.A.) übertrug sie das Eigentum schenkweise an die Beklagte zu 1, ihre Nichte, und den Beklagten zu 2, deren Ehemann, zu je ½. In § 9 des Schenkungsvertrages behielt sich die Klägerin ein dingliches Wohnungsrecht auf Lebenszeit vor. Zudem vereinbarten die Parteien einen bedingten Rückübertragungsanspruch für den Fall des Vorversterbens des Beschenkten, der Zwangsvollstreckung in das Wohnungseigentum und bei grobem Undank. Der Rückübertragungsanspruch wurde durch eine Auflassungsvormerkung gesichert. Die Eintragung der Beklagten als Eigentümer im Grundbuch erfolgte am 18. Dezember 2014, ebenfalls die Eintragung des Wohnrechts und der Rückauflassungsvormerkung.

Die Klägerin hatte der Beklagten zu 1 bereits am 23. Oktober 2013 eine notariell beurkundete General- und Altersvorsorgevollmacht erteilt (Bl. 38 d.A.). Diese umfasste – unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB – die Vermögenssorge, die Gesundheitssorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Eine gleichlautende Vollmacht erteilte die Klägerin beiden Beklagten am Tage der Schenkung des Wohnungseigentums (UR Nr. SH (b…)/2014 der Notarin H…; Bl. 43 d.A.).

Aufgrund einer Anregung des Beklagten zu 2 ordnete das Amtsgericht Spandau die Betreuung des Klägerin an (Beschluss vom 10. März 2015; Bl. 35 d.A.). Grundlage war ein für das Betreuungsgericht erstelltes Gutachten der Ärztin G… F… vom 15. Januar 2018 (Bl. 25 ff. d.A.) nach Untersuchungen der Klägerin am 18. Dezember 2014 und 08. Januar 2015.

Die Klägerin, vertreten durch ihren Betreuer, hat die Beklagten auf Rückübertragung des Eigentums in Anspruch genommen. Hierzu hat sie behauptet, zum Zeitpunkt der Schenkung am 14. Oktober 2014 nicht geschäftsfähig gewesen zu sein, und sich zum Beweis auf das Gutachten im Betreuungsverfahren gestützt. Sie hat ferner die Ärztin G… F… als Zeugin benannt und beantragt, sie zu laden und zum Beweisthema zu befragen.

Die Klägerin hat zunächst beantragt, die Beklagten zu verurteilen, der Auflassung bezüglich der Übertragung des 129/10.000 Miteigentumsanteils an dem Grundstück Gebäude- und Freifläche F… 11, 11A, 11B, 13, 15, 17, 17A, 17B, 19, 21, Flur (X…) Flurstück 72 und Gebäude- und Freifläche F… 11, 11A, 11B, 13, 15, 17, 17A, 17B, 19, 21, Flurstück 69, verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung, im Aufteilungsplan mit Nr. 46 nebst Keller bezeichnet, sowie Sondernutzungsrecht an der Gartenfläche F 18, belegen in F… 17, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Spandau von S…, Blatt …, auf sie zuzustimmen und ihre Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch zu bewilligen.

Das Landgericht hat die Klage, da im Termin vom 05. Dezember 2018 für die Klägerin niemand erschienen war, durch Versäumnisurteil vom gleichen Tage abgewiesen. Gegen dieses der Klägerin am 17. Dezember 2018 zugestellte Versäumnisurteil hat die Klägerin durch einen am gleichen Tage eingegangenen Schriftsatz Einspruch eingelegt.

Die Klägerin hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 05. Dezember 2018 aufzuheben und nach dem oben wiedergegebenen Antrag zu erkennen.

Die Beklagten haben beantragt, das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten und die Klage abzuweisen.

Sie haben bestritten, dass die Klägerin zum 14. Oktober 2014 geschäftsunfähig gewesen sei. Sie haben gemeint, die Klägerin (wohl fälschlich bezeichnet als: die Beklagte) sei hierfür darlegungs- und beweisbelastet. Die Klägerin habe die Voraussetzungen nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt. Das Betreuungsgutachten der Gutachterin F… sei unzureichend, auch weil die Gutachterin keine Fachärztin sei. Die Klägerin habe mit der Schenkung der Wohnung ein länger geplantes Vorhaben in die Tat umgesetzt. Nachdem ihr Ehemann verstorben war, habe sich die Klägerin entschlossen, ihre Erbschaftangelegenheiten neu zu regeln und unter anderem die Beklagte zu 1 als Erbin eingesetzt (Testament vom 25. Oktober 2013; Bl. 71 d.A.). Die Klägerin habe das Vorhaben, der Beklagten zu 1 die Wohnung zu schenken, bereits anlässlich der Testamentserstellung mit der Notarin erörtert. Die Notarin habe die Klägerin anlässlich des Schenkungsvertrags auch im Einzelnen über Folgen aufgeklärt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben über die Frage, ob die Klägerin zum Schenkungszeitpunkt geschäftsfähig gewesen ist, durch Vernehmung der Zeuginnen H… und F…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 05. Juni (Bl. 114 ff. d.A.) und 28. August 2019 (Bl. 152 ff. d.A.) Bezug genommen.

Durch die angefochtene Entscheidung hat das Landgericht das Versäumnisurteil vom 05. Dezember 2018 aufrechterhalten und zur Begründung ausgeführt: Der Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs aus § 894 BGB bestehe nicht, weil das Grundbuch in Ansehung des Eigentums an der Wohnung nicht unrichtig sei. Die Klägerin habe das Wohnungseigentum wirksam an die Beklagten aufgelassen; denn sie habe den ihr obliegenden Nachweis nicht führen können, dass sie anlässlich der Übereignung geschäftsunfähig gewesen sei. Die Zeugin F… habe die Klägerin zum Auflassungszeitpunkt nicht gekannt und habe auch keine rückwirkende Beurteilung abgeben können. Die gegenbeweislich vernommene Zeugin H… habe nichts Abweichendes bekundet, sondern die Klägerin als geschäftsfähig wahrgenommen. Aus dem durch das Betreuungsgericht eingeholten Gutachten ließen sich keine Schlüsse auf die Geschäftsfähigkeit der Klägerin am 14. Oktober 2014 ziehen.

Gegen dieses ihr am 23. September 2019 Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die am 17. Oktober 2019 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen ist. Die Klägerin hat ihr Rechtsmittel mit am 22. November 2019 eingegangenem Schriftsatz begründet. Sie verfolgt (zunächst) ihr Begehren auf Zustimmung zur Auflassung weiter, rügt die Beweiswürdigung durch das Landgericht und führt aus: Die Zeugin F… habe für den Zeitpunkt der Exploration am 18. Dezember 2014 festgestellt, dass die Geschäftsfähigkeit der Klägerin für komplexe Sachverhalte eingeschränkt gewesen sei; dies beruhe auf einer hirnorganischen Erkrankung. Da das Kurzzeitgedächtnis der Klägerin völlig aufgehoben gewesen sei, könne man auch für den Zeitpunkt der Auflassung nicht von einer freien Willensbildung ausgehen. Dass die Notarin H… die Geschäftsunfähigkeit der Klägerin nicht bemerkt habe, beruhe auf einer nachlässigen Prüfung und dem Umstand, dass die Klägerin es verstanden habe vorzutäuschen, in vollem Umfang verständig zu sein. Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagten sich selbst schon einen Monat nach der Auflassung mit der Betreuungsanregung an das Amtsgericht Spandau gewandt hätten. Das Betreuungsgericht habe durch die Bestellung des Betreuers zum Ausdruck gebracht, die Klägerin habe am 14. Oktober 2014 nicht mehr wirksam eine Betreuungsvollmacht erteilen können; dies müsse dann auch für die Auflassung gelten.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 09. Juli 2020 hat die Klägerin sich zum Beweis ihrer Geschäftsunfähigkeit am 14. Oktober 2014 auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten bezogen. Das Landgericht habe sie verfahrensfehlerhaft auf das Fehlen eines solchen Beweisantritts nicht hingewiesen.

Die Klägerin beantragt (nunmehr), die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, der Berichtigung des Grundbuchs bezüglich der Übertragung des 129/10.000 Miteigentumsanteils an dem Grundstück Gebäude- und Freifläche F… 11, 11A, 11B, 13, 15, 17, 17A, 17B, 19, 21, Flur (X…) Flurstück 72 und Gebäude- und Freifläche F… 11, 11A, 11B, 13, 15, 17, 17A, 17B, 19, 21, Flurstück 69, verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung, im Aufteilungsplan mit Nr. 46 nebst Keller bezeichnet, sowie Sondernutzungsrecht an der Gartenfläche F 18, belegen in F… 17, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Spandau von S…, Blatt …, auf sie zuzustimmen und ihre Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch zu bewilligen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie rügen, die Klägerin habe die Zeugin F… in erster Instanz zu spät benannt und sei deshalb mit dieser ausgeschlossen. Die Diagnose einer Demenz habe keinerlei Indizwirkung für das Vorliegen der Geschäftsunfähigkeit. Rückschlüsse von einer Demenzdiagnose auf einen früheren Zeitpunkt seien ohnehin nur unter strengen Anforderungen zulässig, die hier nicht erfüllt seien.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Frist und Form (§§ 517, 519, 520 ZPO) eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet; das Landgericht hat die Klage im Ergebnis mit Recht abgewiesen.

1.

Es bedarf letztlich keiner Entscheidung, ob der auf „Zustimmung zur Auflassung“ gerichtete Klageantrag von vornherein dahin auszulegen war, dass die Klägerin die Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs nach § 894 BGB begehren wollte. Hieran können deshalb Zweifel bestehen, weil für eine solche Klage die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Berlin nach § 24 ZPO gegeben wäre. Gleichwohl hat das Landgericht das Klagebegehren ausweislich der Entscheidungsgründe als Berichtigungsklage nach § 894 BGB verstanden. Gegen diese inhaltlich zutreffende rechtliche Wertung wendet sich die Berufung nicht; vielmehr hat sie ihr Klagebegehren vor dem Senat klargestellt.

2.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs aus § 894 BGB, der einzigen hier in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, nicht zu. Voraussetzung dieses Anspruchs ist, dass das Grundbuch Rechte ausweist, die mit der tatsächlichen Rechtslage nicht in Übereinstimmung stehen. Eine solche Unrichtigkeit des Grundbuchs steht nicht fest.

Die im Rahmen des notariellen Schenkungsvertrages vom 14. Oktober 2014 von der Klägerin erklärte Auflassung an die Beklagten war wirksam. Es steht nicht fest, dass die Klägerin am 14. Oktober 2014 geschäftsunfähig und daher ihre Auflassungserklärung nichtig war (§§ 105 Abs. 1, 104 Nr. 2 BGB). Die Klägerin trifft für das Vorliegen ihrer Geschäftsunfähigkeit die volle Darlegungs- und Beweislast, weil die Geschäftsfähigkeit den Regelfall darstellt (Senat, Urteil vom 06. Dezember 2012, Az. 5 U 49/10 m.w.N.).

Ein Ausschluss der freien Willensbestimmung im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn der Erklärende nicht im Stande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer etwa vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach seinen gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich war, oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil der Erklärende fremden Einflüssen unterlag (BGH Urteil vom 20. Juni 1984, Az.: IVa ZR 206/82). Eine nur leichte Beeinflussbarkeit durch andere genügt nicht (BeckOK-Hau/Poseck § 104 RN 9 a.E.). Gemessen hieran hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sie zur Zeit der Auflassung am 14. Oktober 2014 in einem solchen Grade dement war, dass im vorgenannten Sinne von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann.

a.

Die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme ist unergiebig. Die Zeugin F… hat für den maßgeblichen Zeitpunkt keine Aussagen treffen können. Ihre Wahrnehmungen beschränken sich auf die beiden Besuche am 18. Dezember 2014 und 18. Januar 2015 und eine weitere Untersuchung im April 2018. Beim zweiten Termin vom 18. Januar 2015 habe sie Konzentrationsdefizite bei der Klägerin festgestellt. Komplexe Sachverhalte habe sie nicht adäquat beurteilen können. Gefragt nach einer „Rückwärtsprognose“ und ihrer Einschätzung der Geschäftsfähigkeit zum 14. Oktober 2014 hat die Zeugin geantwortet, dass sie das so nicht beantworten könne als Zeugin. Es könne sein, dass die Klägerin wegen ihrer Anpassung im Notartermin einfach ja gesagt habe und unterschrieben habe. Sie – die Zeugin – könne dazu aber nichts sagen. Auch die Aussage der gegenbeweislich benannten Zeugin H…, die Defizite in der geistigen Leistungsfähigkeit der Klägerin anlässlich des Beurkundungstermins nicht festgestellt habe, war unergiebig.

Zutreffend hat die Berufung erkannt, dass der Nachweis einer Geschäftsunfähigkeit der Klägerin am 14. Oktober 2014 im Wege einer „Rückwärtsprognose“ zu erbringen wäre. Anders als die Berufung meint, lässt sich eine solche „Rückwärtsprognose“ jedoch nicht auf Grundlage der Zeugenaussage F… oder der im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten, die für den hier maßgeblichen Zeitpunkt keine Aussage treffen, ableiten. Ebenso wenig lässt sich, wie die Berufung meint, aufgrund eines allgemeinen Erfahrungssatzes feststellen, dass die später festgestellte (Zeugin F…: beginnende) Demenz bereits am 14. Oktober 2014 eine Geschäftsfähigkeit der Klägerin ausschloss.

b.

Vielmehr wäre die Behauptung einer Geschäftsunfähigkeit am 14. Oktober 2014 durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu klären gewesen, in dessen Rahmen die Aussagen der Zeuginnen, aber auch die Befunde in den Gutachten F… für das Betreuungsgericht als Anknüpfungstatsachen für eine Bewertung hätten herangezogen werden können. Ein Sachverständigengutachten hat die Klägerin jedoch erstmals in der Verhandlung vor dem Senat angeboten. Hiermit ist die Klägerin in der Berufung ausgeschlossen (§ 531 Abs. 2 ZPO), weil der Senat nach § 529 Abs. 1 ZPO die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, konkrete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen nicht bestehen und der nun erstmals angebotene Sachverständigenbeweis nicht aufgrund eines Verfahrensmangels in erster Instanz nicht geltend gemacht worden ist (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

aa.

Das landgerichtliche Verfahren leidet nicht unter dem Mangel, die Klägerin nicht auf Fehlen des Beweisantritts „Sachverständigengutachten“ hingewiesen zu haben. Eine solche Hinweispflicht ergab sich nicht aus § 139 Abs. 2 ZPO. Hinweise nach § 139 Abs. 2 ZPO müssen nur dann und soweit erteilt werden, als sie erforderlich sind: Erforderlich im Sinne von § 139 Abs. 2 ZPO ist ein Hinweis, wenn für das Gericht erkennbar ist, dass eine oder beide Parteien einen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt übersehen oder für unerheblich gehalten haben. Die Hinweispflicht dient vor allem der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (BeckOK ZPO/von Selle, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 139 Rn. 35, 36). Eine Pflicht zum Hinweis besteht demgegenüber nicht, wenn bereits der Gegner den Gesichtspunkt angesprochen hat und die Partei daher die nötige Unterrichtung erhalten hat (MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, ZPO § 139 Rn. 45).

So liegt es hier:

Die Beklagten hatten bereits mit der Klageerwiderung auf die Beweislast der Klägerin für die von ihr behauptete Geschäftsunfähigkeit hingewiesen, im Übrigen für ihren Angriff gegen die Wertungen der Zeugin F… in den Betreuungsgutachten Sachverständigenbeweis angeboten. Diesen Hinweis hat die Klägerin durch Benennung der G… F… als Zeugin aufgegriffen. Im Rahmen ihrer Vernehmung hat die Zeugin auf die Frage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach einer „Rückwärtsprognose“ auf den Zeitpunkt der streitgegenständlichen Schenkung geantwortet, dass sie die Frage als Zeugin so nicht beantworten könne. Auch auf die weitere Nachfrage des Klägervertreters nach dem Notartermin antwortet die Zeugin, dass sie dazu nichts sagen könne.

Angesichts dessen war der Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, hinreichend bewusst, dass die Frage der Geschäftsfähigkeit am 14. Oktober 2014 entscheidungserheblich ist. Die Klägerin hat hierfür Zeugenbeweis angeboten. Dieser Zeugenbeweis war im Hinblick auf die entscheidungserhebliche Fragestellung erkennbar unergiebig, wie auch der Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, durch ihre wiederholte Nachfrage offenkundig bewusst war. Bereits deshalb musste sich der Klägerin das Angebot eines Sachverständigenbeweises aufdrängen, zumal die Zeugin F… deutlich gemacht hat, die Frage nach der „Rückwärtsprognose“ nicht „als Zeugin“ beantworten zu können. Angesichts dessen hat die Klägerin einen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt nicht für unerheblich gehalten; ebenso wenig konnte angesichts der Unergiebigkeit der Zeugenaussagen die zutreffende Beweiswürdigung des Landgerichts für die Klägerin überraschend sein. Eines Hinweises nach § 139 ZPO bedurfte es deshalb nicht.

bb.

Das Landgericht war auch nicht nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO verpflichtet, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann zwar das Gericht auch ohne Antrag des Beweispflichtigen die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Die Anordnung steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen. Durch die Möglichkeit, ein Gutachten von Amts wegen einzuholen, sind die Parteien aber nicht von ihrer Darlegungs- und Beweislast befreit. Dementsprechend ist ein Tatrichter, dem die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage fehlt und der davon absehen will, von Amts wegen gemäß § 144 ZPO sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen, grundsätzlich nur gehalten, die beweisbelastete Partei auf die Notwendigkeit eines Beweisantrags nach § 403 ZPO hinzuweisen (BGH Urteil vom 27. Februar 2019, Az. VIII ZR 255/17, Rn. 18, juris). Gleichwohl bestimmen grundsätzlich die Parteien, worüber und mit welchen Erkenntnismitteln Beweis erhoben werden soll. Danach obliegt es in erster Linie der beweisbelasteten Partei – hier der Klägerin – beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten, selbst darüber zu entscheiden, welche Beweismittel angeboten werden. Dies gilt insbesondere bei der Einholung eines grundsätzlich mit einem höheren Kostenaufwand verbundenen Sachverständigengutachtens (BGH a.a.O. Rn. 19). Daher ist auch im Anwendungsbereich von § 144 ZPO ein Hinweis auf die Notwendigkeit eines Beweisantrags keineswegs immer erforderlich. So wird schon aus der Nichtanordnung der Beweisaufnahme im Normalfall hinreichend deutlich, dass die Partei in ihrer Beweispflicht bleibt. Etwas anderes gilt, wenn die Partei darauf vertrauen darf, dass sie nicht beweisfällig bleibt. In diesem Fall muss das Gericht ihr gegenüber unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass es einen Beweisantrag für notwendig halte, weil nicht ohne Beweiserhebung zu ihren Gunsten entschieden werden könne und eine Beweisaufnahme nicht von Amts wegen angeordnet werde (BeckOK ZPO/von Selle, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 144 Rn. 8.1).

Schon aufgrund des klägerischen Vortrag zu den Untersuchungen der Klägerin, spätestens jedoch aufgrund der Zeugenaussagen F… vor dem Landgericht war offenkundig, dass die einzig dem Zeugenbeweis – auch eines sachverständigen Zeugen nach § 414 ZPO – zugängliche Klärung von wahrgenommenen Tatsachen oder Zuständen die im Raum stehende streitige Frage, ob die Klägerin bereits am 14. Oktober 2014 infolge Erkrankung geschäftsunfähig war, nicht klären kann. Dagegen ist es nicht Aufgabe des Zeugen – auch nicht des sachverständigen Zeugen –, aufgrund von Erfahrungssätzen oder besonderer Fachkenntnis Schlussfolgerungen aus einem bestehenden Sachverhalt zu ziehen oder dem Gericht Erfahrungssätze oder besondere Kenntnis in einem bestimmten Wissensgebiet zu vermitteln (BGH NJW 2007 S. 2122; BGH Urteil vom 9. Oktober 2013, Az. VIII ZR 224/12 Rn. 19 f.; Zöller-Greger ZPO 33. Aufl. Vor § 373 Rn. 1). Diese Aufgabe obliegt allein dem Sachverständigen. Ob deshalb die Fragestellung des Klägervertreters an Zeugin F… zu einer „Rückwärtsprognose“ bereits als unzulässig zurückzuweisen gewesen wäre (vgl. Zöller a.a.O. § 397 Rn. 3), bedarf keiner Entscheidung. Gleichwohl wäre das Landgericht im Falle eines für die Klägerin ergiebigen Ergebnisses der Zeugenaussage F… gehindert gewesen, diesen gutachterlichen Teil der Aussage zu verwerten, ohne nach entsprechendem Hinweis eine differenzierte Beweisanordnung – teilweise als (sachverständiger) Zeuge, teilweise als Sachverständiger – zu treffen (vgl. hierzu Ahrens in: Wieczorek/Schütze ZPO 4. Aufl. 2013, § 414 Sachverständige Zeugen). Eine solche Vorgehensweise des Landgerichts wäre ernsthaft in Betracht gekommen, da die Zeugin F… zutreffend darauf hingewiesen hatte, die Frage nach der „Rückwärtsprognose“ nicht „als Zeugin“ beantworten zu können. Indem das Landgericht angesichts dessen jedoch seine Beweisanordnung nicht vom Zeugenbeweis in einen Sachverständigenbeweis geändert oder ergänzt hat, war auch aus Sicht der Klägerin offenbar, dass das Landgericht einen Sachverständigenbeweis nicht nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO anordnen wird. Eines ausdrücklichen Hinweises des Landgerichts bedurfte es angesichts der für die Klägerin eindeutigen prozessualen Situation nicht.

3.

Die Nebenentscheidungen haben ihre Grundlage in §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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