Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 9 ZB 19.2064 – Beschluss vom 14.01.2021
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beklagte wendet sich mit Ihrem Zulassungsantrag gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. Juli 2019, mit dem der Bescheid der Beklagten vom 9. August 2018 über die Ausübung des Vorkaufsrechts am Grundstück FlNr. … Gemarkung O…… auf Anfechtungsklage der als Kläger auftretenden Käufer dieses Grundstücks sowie der Grundstücke FlNr. … und … Gemarkung O…… hin aufgehoben wurde. Das verfahrensgegenständliche Grundstück FlNr. …, für das im Grundbuch ein Sanierungsvermerk eingetragen ist, liegt innerhalb des Sanierungsgebiets „A……“ der Beklagten vom 16. Februar 1996.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Beklagte beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Beklagte innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Hieraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
1. Die Beklagte hat im Bescheid vom 9. August 2018 zur Ausübung des Vorkaufsrechts am Grundstück FlNr. … Gemarkung O…… als Zweck die Errichtung öffentlicher Quartiersparkplätze auf diesem Grundstück entsprechend der Sanierungssatzung und dem vom Büro M………………… GmbH im März 2011 erarbeiteten Entwicklungskonzept (im Folgenden: Entwicklungskonzept 2011) angegeben. Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ist die Ausübung des Vorkaufsrechts hier aber nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt (§ 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB), weil sie zum Zeitpunkt seiner Ausübung durch die Beklagte nicht der im Konzept erfolgten Konkretisierung der Sanierungsziele entspricht. Das dagegen gerichtete Vorbringen der Beklagten führt nicht zum Erfolg des Antrags auf Zulassung der Berufung.
a) In förmlich festgesetzten Sanierungsgebieten nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB muss sich die Ausübung des Vorkaufsrechts grundsätzlich an den konkreten Erfordernissen der Sanierung orientieren. Die Sanierungsziele müssen dabei nicht in der Sanierungssatzung selbst festgelegt sein. Sie können sich auch aus ihrer Begründung oder aus den Ergebnissen der vorbereitenden Untersuchungen ergeben. An die Konkretisierung dieser Ziele dürfen dabei bei Erlass der Sanierungssatzung nur relativ geringe Anforderungen gestellt werden. Doch werden die Anforderungen mit fortschreitendem Sanierungsverfahren höher. Die erforderliche Konkretisierung kann insbesondere in einem Sanierungsbebauungsplan, einem sonstigen Bebauungsplan oder sogar durch eine informelle städtebauliche Planung erfolgen. Ist dies geschehen, können die Sanierungsziele auch nach einem längeren Zeitraum die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2018 – 9 ZB 16.1068 – juris Rn. 6 m.w.N.). Hiervon ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen.
Nach der Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts ist es aufgrund des bis zum Bescheiderlass einzig als ausreichende Konkretisierung der Sanierungsziele in Betracht kommenden Entwicklungskonzepts vom März 2011 nicht gerechtfertigt, dieses mit seiner gesamten Fläche von 942 m² in Anspruch zu nehmen, da nach dem in der unter 6.03 des Entwicklungskonzepts 2011 in Bezug genommenen Abbildung 25 nur im südwestlichen Randbereich des Grundstücks FlNr. … sechs Parktaschen mit Zufahrt über die Straße A……… entstehen sollen und die Ausübung für einen Teilabschnitt des Grundstücks grundsätzlich möglich ist.
Dem setzt die Beklagte nichts Durchgreifendes entgegen. Zwar mag in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts bereits dann rechtfertigen, wenn damit die besonderen Maßnahmen unterstützt werden, die zur Beseitigung städtebaulicher Missstände erforderlich sind (SächsOVG, B.v. 14.4.2020 – 1 A 1041/19 – juris Rn. 20 m.w.N; BayVGH, B.v. 8.8.2008 – 15 ZB 07.2925 – juris Rn. 21; U.v. 9.3.2000 – 2 B 96.467 – juris Rn. 17; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2020, § 24 Rn. 70). Den breiten Einsatzmöglichkeiten des Sanierungsrechts entspricht ein umfassend anwendbares Vorkaufsrecht; es reicht aus, wenn die sanierungsrechtlichen Ziele zumindest befördert werden. Sein Einsatz muss sich aber im Einzelfall an den konkreten Erfordernissen der Sanierung orientieren (BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 B 13.2570 – juris Rn. 17; SächsOVG, B.v. 14.4.2020 – 1 A 1041/19 – juris Rn. 20 m.w.N.; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 24 Rn. 8, 22). Diese hat das Verwaltungsgericht im Hinblick darauf, dass es bei Fortschreiten des Sanierungsverfahrens einer zunehmenden Konkretisierung und qualifizierten Verfestigung der Sanierungsziele, d.h. der Entwicklung konkreter Vorstellungen zur Neugestaltung, zur Verbesserung bzw. zur Neuordnung des Sanierungsgebietes bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2018 – 9 ZB 16.1068 – juris Rn. 8, 17; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2020, § 24 Rn. 70; Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, a.a.O., § 142 Rn. 46), aber zu Recht allenfalls aus dem Entwicklungskonzept 2011 abzuleiten vermocht und insoweit nicht als tragfähig für die Ausübung des Vorkaufsrechts für das gesamte Grundstück angesehen. Das Entwicklungskonzept 2011 enthält nicht nur unter 5.05.1 für den Bereich der historischen Altstadt als städtebauliche Ziele und Maßnahmen u.a. die Vorhaltung von Parkplätzen auf öffentlichen Verkehrsflächen für Besucher und Anwohner sowie die Schaffung von Quartiersparkplätzen für Anwohner, sondern unter 6 (Räumliche Entwicklungsbereiche) entgegen dem Zulassungsvorbringen hierzu auch detaillierte Planungsvorstellungen in Form von sogenannten Rahmenplänen, insbesondere auch zur grundstücksgenauen Lage zu schaffender Parkplätze, worauf sich die Beklagte im Bescheid vom 9. August 2018 sogar ausdrücklich bezogen hat. Dem angefochtenen Bescheid ist als Anlage 1 die Sanierungssatzung vom 16. Februar 1996, wonach im festgelegten Sanierungsgebiet städtebaulichen Missständen durch verbessernde und umgestaltende Sanierungsmaßnahmen begegnet werden soll, und als Anlage 2 ein Plan beigefügt, der inhaltlich der Abbildung 25 für die Entwicklung des Bereichs 3 („K……straße …“) entspricht, auf die sich wiederum 6.03 des Entwicklungskonzepts 2011 bezieht, wonach als Maßnahmen im räumlichen „Entwicklungsbereich 3 K……straße …“ u.a. geordnete Stellplätze in der Nähe des Kindergartens und des Hauses der Musik sowie notwendige Stellplätze für den Baubestand und die zusätzlichen Gebäude im Blockinnenraum auf begrünten Quartiersparkplätzen geschaffen werden können. Der Plan unter Abbildung 25 sieht auf dem Grundstück Flnr. … an der südwestlichen Grundstücksgrenze insgesamt sechs Parkplätze vor, wobei sich der dargestellte westlichste Parkplatz hiervon zum Teil auf dem westlichen Nachbargrundstück und die Zuwegung zur Straße A……… sowie weitere zwölf Parkplätze auf südlich gelegenen Nachbargrundstücken befinden.
Soweit die Beklagte sich im Zulassungsverfahren erneut auf den Erläuterungsbericht des Büros M………………… GmbH aus dem Dezember 2018 beruft, mit dem die Sanierungsplanung dahingehend konkretisiert worden sei, dass nunmehr 21 Parkplätze auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung O…… sowie Grünflächen, Aufenthaltsorte in der Altstadt und ein Kinderspielplatz entstehen sollen, kann dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts wecken, weil die konkreten Erwägungen der Gemeinde im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts maßgeblich sind (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 9 ZB 15.2027 – juris Rn. 10; B.v. 24.4.2020 – 15 ZB 19.1987 – juris Rn. 17; B.v. 30.7.2018 – 9 ZB 16.1068 – juris Rn. 11). Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass bei anderer Betrachtungsweise die Ausübungs- und Ausschlussfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB unterlaufen werden könnte (vgl. VGH BW, U.v. 23.6.2015 – 8 S 1386/14 – juris Rn. 38). Es hat zudem zutreffend zugrunde gelegt, dass das Entwicklungskonzept 2011 noch eine wesentlich andere, insbesondere nicht das gesamte Grundstück einnehmende öffentliche Nutzung, als der Erläuterungsbericht 2018 vorsah, und zwar nur die Nutzung einer kleineren südlichen Teilfläche des streitgegenständlichen Grundstücks. Nach dem Erläuterungsbericht vom Dezember 2018 soll in diesem Teilbereich gerade keine Parkfläche, sondern eine Grünanlage entstehen. Mit alldem setzt sich die Beklagte im Rahmen ihres Zulassungsvorbringens nicht auseinander. Sie verweist lediglich darauf, dass im fraglichen Bereich auch schon nach dem Konzept von 2011 insgesamt 18 Parkplätze, wenn auch nur sechs auf dem streitgegenständlichen Grundstück, geschaffen werden sollten und die Regierung von Mittelfranken sowohl für den Erwerb des Grundstücks als auch für die Maßnahmen nach dem Erläuterungsbericht vom Dezember 2018 städtebauliche Fördermittel bewilligt habe.
Das Verwaltungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen – entgegen dem Beschwerdevorbringen – auch nicht unzutreffend zum Ausdruck gebracht, dass das Entwicklungskonzept 2011 eine Fortentwicklung verhindere und abschließend sei, worauf die Käufer trotz des eingetragenen Sanierungsvermerks im Grundbuch vertrauen dürften. Vielmehr ist es zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte sich an der mit dem Entwicklungskonzept 2011 mit diesem Detailierungsgrad zwar ggf. nicht notwendigen, so aber jedenfalls vorgenommenen weitreichenden Konkretisierung der Sanierungsziele, der nach dem Zulassungsvorbringen und der dazu vorgelegten Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Stadtrates O…… vom 17. Mai 2011 wohl auch vom Stadtrat zugestimmt wurde, im Fall ihrer Implementierung festhalten lassen muss (vgl. Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2020, § 142 Rn. 46), zumal die Möglichkeit bestanden hätte, das Entwicklungskonzept von 2011 an nachträgliche abweichende tatsächliche Entwicklungen oder Bedürfnisse anzupassen. Dementsprechend war die Beklagte durch das Entwicklungskonzept 2011 weder im Hinblick auf den von ihr speziell angeführten Erwerb der Grundstücke FlNr. … und … Gemarkung O…… daran gehindert, diese Grundstücke, anders als nach diesem Konzept vorgesehen, nach Abbruch der vorhandenen Gebäude für die Schaffung von Parkflächen zu nutzen, noch ist sie dies im Hinblick auf sonstige Anpassungen, etwa soweit die Umsetzungsmöglichkeiten der Sanierungsziele entsprechend dem Entwicklungskonzept 2011 von ihrer Verfügungsbefugnis über hierfür erforderliche Grundstücksflächen abhängen und sich diese nicht oder nicht absehbar realisieren lassen, weshalb Änderungen der Konzeption nötig werden. Dies macht aber eine vom Willen der Gemeindevertretung getragene und somit durch entsprechenden Beschluss verbindlich gewordene Fortschreibung oder Aktualisierung der konkreten Sanierungsziele als Grundlage für eine darauf gestützte Ausübung eines Vorkaufsrechts nicht entbehrlich (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2018 – 9 ZB 16.1068 – juris Rn. 11, 20).
2. Die Beklagte vermag mit ihrem Zulassungsvorbringen auch keine ernstlichen Zweifel daran zu wecken, dass das Verwaltungsgericht eine nur einen Teil des Grundstücks FlNr. … Gemarkung O…… betreffende Ausübung des Vorkaufsrechts entsprechend der nach dem Entwicklungskonzept 2011 geplanten Parkflächen und Zuwegung wegen fehlender Verhältnismäßigkeit bzw. Rechtsmissbrauchs ebenfalls nicht als durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt angesehen hat.
Das Verwaltungsgericht hat hierbei nicht nur darauf abgestellt, dass das westlich angrenzende Grundstück FlNr. … Gemarkung O……, über das die Zuwegung führen würde, in absehbarer Zeit nicht verfügbar ist, worauf die Beklagte ihre Argumentation stützt, sie müsse jede Gelegenheit zur Umsetzung ihrer Sanierungsziele nützen können. Es ist außerdem davon ausgegangen, dass die Beklagte das Konzept von 2011 mit sechs Parkplätzen im südlichen Bereich des Grundstücks FlNr. … offenkundig aufgegeben hat, wie das umgestaltete Konzept von 2018 und im Verfahren von der Beklagten noch vorgelegte Alternativplanungen verdeutlichten. Dieser Einschätzung wird von der Beklagten nicht widersprochen; sie wird mit dem gesamten Zulassungsvorbringen sogar gestützt.
3. Den weiteren Einwänden, dass die Kläger das streitgegenständliche Grundstück nur für wenige private Parkplätze und gewerbliche Freiflächen nutzen wollen und zudem nicht zwingend benötigen, was von den Klägern allerdings bestritten wird, muss nach alledem nicht mehr nachgegangen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts zur Anfechtungsklage gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts (vgl. B.v. 23.7.2019 und 14.4.2020), gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).