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Erbscheinerteilungsverfahren – Vorlage einer Testamentskopie

Nichtauffindbarkeit Originalurkunde

Oberlandesgericht Naumburg – Az.: 2 Wx 60/11 – Beschluss vom 29.03.2012

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Wittenberg vom 18.07.2011 aufgehoben.

Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Wittenberg wird angewiesen, dem Antragsteller einen Erbschein mit dem folgenden Inhalt zu erteilen:

Der am 22.04.2001 in W. verstorbene O. Sch. ist von M. H. allein beerbt worden

II. Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.

Gründe

I.

Der am 22.04.2001 verstorbene Erblasser hat keine gesetzlichen Erben hinterlassen. Zu diesem Ergebnis gelangte der eingesetzte Nachlasspfleger, Rechtsanwalt W. G., in seinem für das Amtsgericht Wittenberg erstellten Abschlussbericht vom 24.08.2001. Der jetzige Antragsteller H. ist ein Neffe der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers, L. Sch. geb. B. .

Mit Schriftsatz vom 09.03.2011 reichte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers beim Nachlassgericht die Ablichtung eines handschriftlichen Testaments ein, das am 31.03.2011 eröffnet worden ist (Az.: 12 IV 137/11 AG Wittenberg). Das dem äußeren Anschein nach auf kariertem Papier geschriebene Testament hat folgenden Wortlaut:

„Testament

Mein letzter Wille

Zu meinem alleinigen Erben berufe ich

den 22. April 1996

 

O. “

Das Original des vorstehenden Testaments ist bis zum heutigen Tag nicht aufgefunden worden.

Gestützt auf die Ablichtung der letztwilligen Verfügung vom 22.04.1996, hat der Beteiligte M. H. am 03.05.2011 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist.

Das Amtsgericht – Nachlassgericht – hat den Antrag mit Beschluss vom 18.07.2011 zurückgewiesen. Zwar könne – so das erstinstanzliche Gericht – auch die Kopie eines Testaments zum Nachweis eines Erbrechts ausreichen. Dies setze allerdings voraus, dass zweifelsfrei feststehe, dass das Original tatsächlich vom Erblasser verfasst worden und der Verlust des Originals nicht auf einem Widerruf des Testaments, z.B. durch bewusste Vernichtung durch den Erblasser, zurückzuführen sei. Im vorliegenden Fall könne bereits die Urheberschaft des Originalschriftstücks nicht mit der erforderlichen Sicherheit geklärt werden, weil die Kopie auffällige Abweichungen bezüglich des Schriftbildes und der Musterung des verwendeten Papierblattes aufweise. Auch die Einholung eines graphologischen Gutachtens werde nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts beitragen; insofern fehle es an ausreichendem Schriftmaterial für Vergleichszwecke. Davon abgesehen stehe hier auch nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass der Erblasser das Original des Testaments lediglich verloren und nicht etwa seine letztwillige Verfügung bewusst durch Vernichtung der Originalurkunde widerrufen habe. Beide Alternativen seien gleichermaßen wahrscheinlich.

Gegen den ihm am 08.08.2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 22.08.2011, der noch am selben Tage beim Amtsgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt, mit der er seinen Antrag auf Erteilung des Erbscheins als Alleinerbe weiterverfolgt. Der Antragsteller hat sich darauf berufen, dass der Nachweis eines testamentarischen Erbrechts auch durch die Vorlage einer Kopie geführt werden könne. Die Authentizität der Kopie lasse sich sowohl mit Hilfe eines graphologischen Gutachtens als auch durch Vernehmung seiner als Zeugin benannten Ehefrau überprüfen. Bei Unauffindbarkeit der Testamentsurkunde im Original spreche auch keine Vermutung dafür, dass der Erblasser sie in Widerrufsabsicht vernichtet habe.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde in seinem Beschluss vom 30.08.2011 nicht abgeholfen und die Sache zunächst dem Landgericht Dessau-Roßlau zur Entscheidung vorgelegt, das die Akte durch Verfügung vom 08.09.2011 zuständigkeitshalber an das Oberlandesgericht weitergeleitet hat.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 17.02.2012 Beweis erhoben durch Vernehmung der Ehefrau des Beteiligten, M. H., als Zeugin. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom selben Tage Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers H. ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Der Antragsteller ist durch testamentarische Verfügung vom 22.04.1996 vom Erblasser zu dessen Alleinerben eingesetzt worden (§ 1937 BGB).

1. Gemäß §§ 2355, 2356 Abs. 1 S. 1 BGB ist zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird. Ist diese Urkunde nicht auffindbar, kommt der allgemein anerkannte Grundsatz zum Tragen, dass es die Wirksamkeit eines Testaments nicht berührt, wenn die Urkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet worden, verloren gegangen oder sonst nicht auffindbar ist. In so einem Fall können Errichtung und Inhalt des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln, auch durch Vorlage einer Kopie, bewiesen werden. An den Nachweis sind strenge Anforderungen zu stellen (st. Rspr., etwa KG, Beschluss v. 09.01.2007 – Az.: 1 W 188/06 -, FamRZ 2007, 1197; BayObLG, Beschluss v. 18.12.2002 – Az.: 1Z BR 105/02 -, FamRZ 2003, 1786, 1787; BayObLG, Beschluss v. 19.01.2001 – Az.: 1Z BR 126/00 -, FamRZ 2001, 1327, 1328; BayObLG, Beschluss v. 15.05.1990 – Az.: BReg. 1 a Z 15/90 -, FamRZ 1990, 1162, 1163; ; J. Mayer in MünchKomm, BGB, Bd. 9, 5. Aufl., § 2356, Rdn. 43, jeweils m.w.N.).

2. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller die Ablichtung eines Testaments des Erblassers vorgelegt. Aufgrund der eingehenden Vernehmung der Ehefrau des Beteiligten, M. H., als Zeugin ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass ein Originaltestament mit dem aus der Kopie ersichtlichen Inhalt von dem Erblasser am 22.04.1996 formgültig errichtet worden ist.

a) Die Zeugin H. hat bekundet, dass der Erblasser bei einem Krankenhausaufenthalt im Jahre 1996 die letztwillige Verfügung aufgesetzt habe. Sie – die Zeugin – und ihr Ehemann hätten den Erblasser im Krankenhaus besucht, nachdem er zu Hause mehrfach „umgefallen“ sei. Das habe ihn doch sehr bewegt. Der Erblasser habe sich von den Eheleuten H. seine Ledertasche geben lassen, aus der er dann einen karierten Block sowie einen Kugelschreiber entnommen habe. Er habe, auf dem Krankenbett sitzend, mit schwarzer Mine auf dem Block das Testament niedergeschrieben. Zwischendurch habe er immer wieder etwas erzählt, was aber mit dem Testament in keinem Zusammenhang gestanden habe. Insgesamt habe der Erblasser für die Niederschrift des Testaments schätzungsweise eine halbe Stunde benötigt. Anschließend habe er ihnen, den Eheleuten H., das Testament etwa mit den Worten übergeben: „Hier Jungsl hast du etwas“. Vor dem Besuch im Krankenhaus hätten sie von der Absicht des Erblassers nichts gewusst; die Aufsetzung des Testaments sei für sie „aus heiterem Himmel“ gekommen.

 

Das Testament sei ihnen – so die Zeugin weiter – in der Fassung übergeben worden, in der es sich jetzt in der Gerichtsakte befinde. Der Erblasser habe sie gebeten, eine Ablichtung der letztwilligen Verfügung anzufertigen und ihm das Original zurückzubringen, wenn er wieder zu Hause sei. Sie, die Zeugin, habe das Testament bei einem Fotokopierladen in W. kopiert. Die Ablichtung habe sie nicht selbst angefertigt, sondern das habe die Firma für sie getan; sie habe die Kopie lediglich bezahlt. Anschließend habe sie das Original des Testaments dem Erblasser zurückgegeben, als sie ohnehin bei ihm in der Wohnung gewesen sei. Sie könne nicht sagen, wo der Erblasser das Testament aufbewahrt habe.

Die Ablichtung des Testaments habe sie, die Zeugin, jahrelang in einem Kochbuch aufbewahrt. Nach dem Tode des Erblassers hätten sie und ihr Ehemann die Fotokopie zunächst nicht dem Nachlassgericht übergeben, weil ein entfernter Verwandter, Rechtsanwalt in R, ihrem Ehemann gesagt habe, dass er mit der Ablichtung keine Chance hätte. Irgendwann habe sie durch Zufall in einer Fernsehzeitschrift, in der Gerichtsurteile besprochen worden seien, gelesen, dass – wenn man eine solche Kopie habe – „das bei Gericht klären könne“. Sie, die Zeugin H., habe das dann ihrem Ehemann erklärt, der daraufhin zu seinem jetzigen Verfahrensbevollmächtigten gegangen sei.

b) Die Zeugin hat bei ihrer Vernehmung, ungeachtet des offenkundigen Interesses an der Erteilung des Erbscheins zugunsten ihres Ehemanns, einen glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck vermittelt. Ihre Schilderungen sind nachvollziehbar. Sie weisen darüber hinaus eine Reihe anschaulicher Details, wie etwa die jahrelange Aufbewahrung der Ablichtung des Testaments in einem Kochbuch, auf. Unsicherheiten oder Widersprüchlichkeiten in ihrer Aussage sind nur vereinzelt zutage getreten. So hat die Zeugin anfangs davon gesprochen, dass der Erblasser nach seinem 95. Geburtstag mehrfach „umgefallen“ und deshalb im Jahre 1996 in das Krankenhaus gekommen sei, was sie auf Nachfrage – angesichts des Geburtsjahres 1906 – korrigieren musste. Nach ihrer Aussage sind sie und ihr Ehemann von dem Erblasser um die Anfertigung einer Kopie des Testaments gebeten worden; gleichwohl hat die Zeugin die Anfertigung der Kopie im Verlaufe ihrer Vernehmung einmal als „so ein(en) Blitzgedanke(n) von mir“ bezeichnet. Diese Unstimmigkeiten betreffen jedoch am Rande des Geschehens liegende Umstände, die für den Senat keinen Zweifel an der Kernaussage der Zeugin begründen. Für die Bewertung von deren Glaubhaftigkeit ist nicht zuletzt auch die Erwägung maßgebend, dass die Zeugin und/ oder ihr Ehemann – wenn sie einen Erbschaftsbetrug beabsichtigt hätten – diese Absicht nicht erst nach nahezu 10 Jahren in die Tat umgesetzt hätten. Die Lektüre einer einschlägigen Gerichtsentscheidung in einer Fernsehzeitschrift konnte die Erinnerung an den Erbfall im Zweifel nur deshalb erneut wachrufen, weil die Eheleute tatsächlich eine vergleichbare Situation, wie sie der Gerichtsentscheidung zugrunde lag, selbst erlebt hatten.

3. Soweit das Nachlassgericht seinen Beschluss hilfsweise darauf gestützt hat, dass ein Widerruf des Testaments durch Vernichtung der Originalurkunde gemäß § 2255 BGB als Alternative „gleichrangig im Raum“ stehe, hat es die Verteilung der sog. Feststellungslast im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit verkannt. Deren Verteilung ist vom Inhalt der materiell-rechtlichen Regelungen abhängig. Danach hat derjenige, der für sich ein Erbrecht in Anspruch nimmt – hier der Antragsteller – die Last der Nichtfeststellbarkeit der rechtsbegründenden Tatsachen zu tragen. Hierzu gehören vor allem die Existenz und der Inhalt des Testaments, etwa in Abgrenzung zu einem Entwurf. Die Nichterweislichkeit rechtshindernder und rechtsvernichtender Tatsachen geht hingegen nicht zu seinen, des Testamentserben, Lasten, vielmehr hat insofern gegebenenfalls derjenige die Feststellungslast zu tragen, dem diese Tatsachen zugute kommen. Zu den rechtsvernichtenden Tatsachen gehört unter anderem auch der Widerruf eines nach Errichtung und Inhalt nachgewiesenen Testaments (allgem. M., etwa Hagena, § 2255, Rdn. 16, u. J. Mayer, § 2359, Rn. 13 ff., jeweils in MünchKomm, a.a.O.,; Seiler in Burandt/ Rojahn, Erbrecht, § 2359, Rn. 4 bis 6; Weidlich in Palandt, BGB, 71. Aufl., § 2358 Rn. 12 m.w.N.). Ist die Testamentsurkunde im Original nach dem Tode des Erblassers nicht auffindbar, begründet dies allerdings noch keine tatsächliche Vermutung oder einen Erfahrungssatz, dass das Testament durch den Erblasser vernichtet worden ist (s. BayObLG, Beschluss v. 21.02.2005 – Az.: 1Z BR 101/04 -, FamRZ 2005, 1866, 1867; OLG Zweibrücken, Beschluss v. 26.02.2001 – Az.: 3 W 272/00 -, FamRZ 2001, 1313, 1315; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.10.1993 – Az.: 3 Wx 443/93 – NJW-RR 1994, 142; Hagena in MünchKomm, a.a.O., § 2255, Rdn. 16). Weitere Anhaltspunkte für eine Vernichtung des Testaments vom 22.04.1996 durch den Erblasser – und damit für einen in diesem Fall zu vermutenden Widerruf der Erbeinsetzung des Antragstellers – sind im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG.

 

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