In einem Berliner Testament wurde die spätere Ex-Schwiegertochter als Ersatzerbin eingesetzt. Obwohl sie keinen familiären Status mehr hatte, musste das Gericht prüfen, ob die Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbeneinsetzung die Witwe dennoch bindet.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Bindung an die Schwiegertochter? Warum ein neues Testament trotz alter Versprechen gültig sein kann
- Was war der Auslöser des Erbstreits?
- Welche erbrechtlichen Regeln entscheiden über die Bindung an ein Testament?
- Warum war die Mutter nicht an das alte Testament gebunden?
- Was bedeutet das Urteil für Ihr eigenes gemeinschaftliches Testament?
- Die Urteilslogik
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Bin ich als Witwe an die Schlusserben im Berliner Testament noch gebunden?
- Wann bindet die Einsetzung meiner Schwiegertochter als Ersatzerbin im Testament?
- Wie muss ich mein gemeinschaftliches Testament formulieren, um Bindungen zu vermeiden?
- Was passiert mit der Ersatzerben-Regelung, wenn sich mein Kind scheiden lässt?
- Wie wird das notwendige Nahestehen von Schwiegerkindern im Erbrecht nachgewiesen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 3 W 79/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Brandenburg
- Datum: 04.07.2025
- Aktenzeichen: 3 W 79/24
- Verfahren: Erbscheinsverfahren (Beschwerde)
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Testamentsrecht
- Das Problem: Ein Ehepaar hatte in einem gemeinschaftlichen Testament ihren Sohn und dessen Ehefrau als Ersatzerbin eingesetzt. Nach dem Tod ihres Mannes errichtete die überlebende Ehefrau ein neues Einzeltestament, das andere Personen begünstigte. Es stritten die neue Partnerin des verstorbenen Sohnes und dessen geschiedene Ehefrau um das Erbe.
- Die Rechtsfrage: War die verstorbene Frau durch ihr altes Gemeinschaftliches Testament daran gebunden, die Ehefrau ihres verstorbenen Sohnes als Ersatzerbin einzusetzen?
- Die Antwort: Nein. Die überlebende Ehefrau war in diesem Punkt nicht an das gemeinschaftliche Testament gebunden. Die Einsetzung der Schwiegertochter als Ersatzerbin war nicht wechselbezüglich. Das spätere Einzeltestament der Erblasserin war daher wirksam.
- Die Bedeutung: Die typische Bindungswirkung eines Berliner Testaments auf die Schlusserbeneinsetzung gilt nicht automatisch für nicht verwandte Ersatzerben. Für eine bindende Einsetzung nicht verwandter Schwiegerkinder muss ein besonderes, über das normale Maß hinausgehendes Näheverhältnis bewiesen werden.
Bindung an die Schwiegertochter? Warum ein neues Testament trotz alter Versprechen gültig sein kann
Ein gemeinschaftliches Testament, oft als „Berliner Testament“ bekannt, soll für Klarheit und Sicherheit sorgen. Doch was passiert, wenn sich das Leben dramatisch ändert und die im Testament bedachten Personen nicht mehr die gleichen sind wie Jahrzehnte zuvor? In einem bemerkenswerten Fall musste das Oberlandesgericht Brandenburg am 4. Juli 2025 (Az. 3 W 79/24) entscheiden, ob eine Witwe an die Einsetzung ihrer ehemaligen Schwiegertochter als Ersatzerbin gebunden war oder ob sie die Erbfolge durch ein neues, eigenes Testament frei gestalten durfte. Die Entscheidung beleuchtet einen entscheidenden juristischen Mechanismus im Erbrecht: die sogenannte Wechselbezüglichkeit einer Ersatzerbeneinsetzung und die Frage, wann ein Versprechen im Testament auch nach dem Tod des Partners noch bindet.
Was war der Auslöser des Erbstreits?
Die Geschichte beginnt am 20. Dezember 1994. Ein Ehepaar errichtet ein notarielles gemeinschaftliches Testament. Ihre Regelung ist klassisch: Zuerst setzen sie sich gegenseitig als alleinige Erben ein. Nach dem Tod des länger lebenden Partners soll ihr gemeinsamer Sohn alles erben. Für den Fall, dass der Sohn vor ihnen versterben sollte, treffen sie eine weitere Vorkehrung: Ersatzerbin soll „dessen Ehefrau“ werden, die namentlich im Testament genannt wird.

Fünf Jahre später, 1999, verstirbt der Ehemann. Seine Frau wird, wie im Testament vorgesehen, Alleinerbin. Doch das Familiengefüge, das 1994 die Grundlage des Testaments bildete, beginnt sich zu verändern. Im Jahr 2000 trennt sich der Sohn von seiner Ehefrau, der im Testament benannten Ersatzerbin. Er geht eine neue, langjährige Beziehung mit einer anderen Frau ein. 2018, als die Mutter bereits hochbetagt ist, verfasst sie ein neues, handschriftliches Einzeltestament. Darin widerruft sie alle früheren Verfügungen und setzt die neue Lebensgefährtin ihres Sohnes sowie deren eigenen Sohn als ihre Erben zu gleichen Teilen ein. Ein Jahr später, 2019, verstirbt ihr Sohn und damit der ursprünglich vorgesehene Schlusserbe.
Nach dem Tod der Mutter beantragt die neue Lebensgefährtin des Sohnes einen Erbschein auf Grundlage des Testaments von 2018. Doch die ehemalige Schwiegertochter, die Ersatzerbin aus dem Testament von 1994, legt Widerspruch ein. Sie ist der Überzeugung, dass die Mutter gar nicht berechtigt war, ein neues Testament zu verfassen. Ihre Einsetzung als Ersatzerbin sei damals mit dem verstorbenen Ehemann so fest vereinbart worden, dass die Witwe daran für immer gebunden war. Das Amtsgericht gibt ihr zunächst recht und weist den Antrag auf den neuen Erbschein zurück. Dagegen legt die neue Lebensgefährtin Beschwerde ein, und der Fall landet vor dem Oberlandesgericht Brandenburg.
Welche erbrechtlichen Regeln entscheiden über die Bindung an ein Testament?
Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, müssen Sie das zentrale Konzept des gemeinschaftlichen Testaments verstehen: die Wechselbezüglichkeit. Sie ist der juristische Klebstoff, der die Verfügungen zweier Ehepartner miteinander verbindet.
Eine Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament ist laut § 2270 Abs. 1 BGB dann wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre. Es handelt sich um ein Geben und Nehmen: „Ich setze dich zum Alleinerben ein, weil du dafür sorgst, dass nach deinem Tod unser gemeinsames Kind erbt.“
Die besondere Brisanz entfaltet diese Regelung nach dem Tod des ersten Ehepartners. Denn eine wechselbezügliche Verfügung kann der überlebende Partner grundsätzlich nicht mehr einseitig ändern oder widerrufen (§ 2271 Abs. 2 BGB). Damit soll das Vertrauen des zuerst Versterbenden geschützt werden, dass sein letzter Wille auch wirklich umgesetzt wird.
Oftmals ist in Testamenten aber nicht ausdrücklich vermerkt, welche Regelung wechselbezüglich sein soll und welche nicht. Für diesen Fall hilft das Gesetz mit einer Auslegungsregel in § 2270 Abs. 2 BGB: Im Zweifel wird eine Wechselbezüglichkeit angenommen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn eine Person bedacht wird, die dem anderen Ehegatten besonders nahesteht (z. B. Kinder, Enkel oder Geschwister). Genau auf diese Regel stützte sich die ehemalige Schwiegertochter.
Warum war die Mutter nicht an das alte Testament gebunden?
Das Oberlandesgericht Brandenburg sah den Fall anders als die Vorinstanz und entschied, dass das neue Testament der Mutter aus dem Jahr 2018 gültig ist. Die Begründung der Richter ist eine präzise juristische Analyse, die sich auf mehrere Kernargumente stützt.
Muss jede Regelung in einem Testament wechselbezüglich sein?
Das Gericht stellte zunächst klar, dass nicht das gesamte Testament als ein untrennbares Ganzes betrachtet werden darf. Stattdessen muss für jede einzelne Verfügung – die Einsetzung des Ehepartners, die Einsetzung des Sohnes und die Einsetzung der Ersatzerbin – separat geprüft werden, ob eine wechselbezügliche Bindung gewollt war.
Die Einsetzung des gemeinsamen Sohnes als Schlusserbe, so die Richter, war unzweifelhaft wechselbezüglich. Dies ist der typische Fall eines Berliner Testaments und wird durch die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB gestützt. Der Vater hätte seine Frau nicht zur Alleinerbin gemacht, wenn er nicht darauf vertraut hätte, dass sie den gemeinsamen Sohn als Schlusserben einsetzt.
Die entscheidende Frage war jedoch, ob diese Bindung automatisch auch für die Ersatzerbin, also die damalige Schwiegertochter, galt. Hier verneinte das Gericht. Die Einsetzung eines Ersatzerben ist eine eigenständige Verfügung, deren Bindungswirkung gesondert bewertet werden muss.
Wie eng muss die Beziehung zur Schwiegertochter für eine Bindung sein?
Die ehemalige Schwiegertochter argumentierte, sie habe ihren Schwiegereltern „nahegestanden“ im Sinne des Gesetzes. Als Beleg führte sie erhebliche Investitionen in das Familiengrundstück in den 80er und 90er Jahren sowie Pflegeleistungen für den Schwiegervater an.
Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Der Begriff des „Nahestehens“ in § 2270 Abs. 2 BGB wird von der Rechtsprechung bei Personen, die nicht eng verwandt sind (wie Schwiegerkinder), sehr eng und zurückhaltend ausgelegt. Es reicht nicht aus, ein gutes familiäres Verhältnis zu haben. Es müssten außergewöhnlich enge persönliche Bindungen nachgewiesen werden, die den Schluss zulassen, dass die Schwiegereltern die Schwiegertochter quasi wie ein eigenes Kind bedenken wollten – und zwar unabhängig von ihrer Ehe mit dem Sohn. Solche besonderen Umstände sah das Gericht hier nicht als erwiesen an.
Welche Rolle spielte die Formulierung „dessen Ehefrau“?
Ein zentraler Anhaltspunkt für die Richter war die genaue Wortwahl im Testament von 1994. Dort wurde die Ersatzerbin als „dessen Ehefrau … (Vorname) (Nachname)“ bezeichnet. Das Gericht interpretierte dies so, dass ihre Einsetzung primär auf ihrer damaligen Rolle als Ehefrau des Sohnes beruhte und nicht auf einer eigenständigen, persönlichen Beziehung zu den Schwiegereltern.
Die Bezeichnung „Ehefrau“ ist aus juristischer Sicht ein sogenannter „Gattungsbegriff„. Er beschreibt eine Funktion, keine unveränderliche persönliche Eigenschaft. Hätten die Schwiegereltern eine unbedingte, persönliche Bindung an die Schwiegertochter ausdrücken wollen, hätten sie eine andere Formulierung wählen können, zum Beispiel „unsere liebe Schwiegertochter“ oder einfach nur ihren Namen ohne den Bezug zum Sohn. Die gewählte Formulierung sprach für das Gericht also eher gegen einen Willen, die überlebende Ehefrau für alle Zeiten an diese Person zu binden, selbst wenn die Ehe mit dem Sohn zerbricht.
Zählten die Investitionen und Pflegeleistungen der Schwiegertochter nicht?
Das Gericht würdigte zwar die von der ehemaligen Schwiegertochter vorgetragenen Leistungen, sah darin aber keinen Grund für eine testamentarische Bindung. Der entscheidende Zeitpunkt für die Auslegung des Testaments ist der Moment seiner Errichtung, also das Jahr 1994. Aus dem Testament selbst ergab sich kein Hinweis darauf, dass die Einsetzung als Ersatzerbin eine Gegenleistung oder ein Dankeschön für die früheren Investitionen sein sollte. Der primäre Wille der testierenden Eheleute war es, ihr Vermögen zunächst dem überlebenden Partner und dann ihrem Sohn zukommen zu lassen. Die Regelung zur Ersatzerbin war lediglich eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall des Vorversterbens des Sohnes und nicht der zentrale Beweggrund für das Testament.
Da die Einsetzung der ehemaligen Schwiegertochter als Ersatzerbin somit nicht wechselbezüglich war, erlosch die Bindung der Mutter an diese Verfügung mit dem Tod ihres Mannes nicht. Sie behielt ihre Testierfreiheit und konnte die Erbfolge wirksam durch ihr neues Testament von 2018 ändern.
Was bedeutet das Urteil für Ihr eigenes gemeinschaftliches Testament?
Die Entscheidung des OLG Brandenburg ist eine wichtige Mahnung, bei der Abfassung eines gemeinschaftlichen Testaments höchste Sorgfalt walten zu lassen. Unklare Formulierungen können Jahrzehnte später zu erbitterten Erbstreitigkeiten führen. Die folgende Checkliste hilft Ihnen, die Bindungswirkung Ihres Testaments präzise zu steuern.
Checkliste: So vermeiden Sie Unklarheiten in Ihrem gemeinschaftlichen Testament
- ☐ Eindeutige Anordnung zur Bindung treffen: Legen Sie ausdrücklich fest, welche Verfügungen wechselbezüglich und damit nach dem ersten Todesfall bindend sein sollen und welche nicht. Ein Satz wie „Die Einsetzung unseres Sohnes X als Schlusserbe soll wechselbezüglich sein“ schafft Klarheit.
- ☐ Ersatzerben gezielt bedenken: Regeln Sie nicht nur, wer Erbe wird, sondern auch, was gelten soll, wenn diese Person wegfällt. Fragen Sie sich: Soll der überlebende Partner an die Einsetzung dieses Ersatzerben gebunden sein oder soll er hier frei neu entscheiden dürfen? Schreiben Sie die Antwort explizit ins Testament.
- ☐ Vorsicht bei angeheirateten Personen: Wenn Sie Schwiegerkinder oder Partner Ihrer Kinder bedenken, formulieren Sie präzise.
- Wenn die Person selbst gemeint ist: Verwenden Sie den vollen Namen und eine Formulierung wie „unsere Schwiegertochter Frau Y“, um die persönliche Beziehung zu betonen.
- Wenn nur die Rolle gemeint ist: Eine Formulierung wie „die damalige Ehefrau unseres Sohnes“ kann (wie der Fall zeigt) als nicht bindend ausgelegt werden. Klären Sie, was Sie wirklich wollen.
- ☐ Motive für Zuwendungen erklären: Wenn eine Erbeinsetzung ein Dankeschön für besondere Pflegeleistungen oder finanzielle Unterstützung sein soll, schreiben Sie dies als Motiv in das Testament. Das hilft Gerichten später bei der Auslegung Ihres wahren Willens.
- ☐ Testament regelmäßig überprüfen: Familiäre Verhältnisse ändern sich durch Scheidung, neue Partnerschaften oder Todesfälle. Überprüfen Sie Ihr gemeinschaftliches Testament alle paar Jahre und passen Sie es an, solange beide Partner noch leben und testierfähig sind.
Die Urteilslogik
Die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments endet, wenn die Einsetzung eines Ersatzerben nicht als wechselseitige Gegenleistung der Ehegatten, sondern als bloße Vorsichtsmaßnahme gewollt war.
- Einzelprüfung der Bindungswirkung: Wechselbezügliche Verfügungen binden den Überlebenden unwiderruflich; Gerichte müssen diese Bindungswirkung jedoch für jede einzelne Anordnung im Testament, auch für die Ersatzerbeneinsetzung, gesondert nachweisen.
- Restriktive Auslegung des Nahestehens: Die gesetzliche Vermutung der Wechselbezüglichkeit greift bei Personen außerhalb der direkten Verwandtschaft, wie Schwiegerkindern, nur, wenn der Erblasser eine außergewöhnlich enge, eigenständige persönliche Bindung nachweisen kann, die über das übliche familiäre Verhältnis hinausgeht.
- Funktionale versus personale Bezeichnung: Die Verwendung funktionaler Gattungsbegriffe („dessen Ehefrau“) bei der Ersatzerbeneinsetzung indiziert, dass die Verfügung primär an die jeweilige Rolle und nicht an die unveränderliche Person gebunden ist, was gegen eine unwiderrufliche Testierbindung des überlebenden Ehepartners spricht.
Erblasser steuern die Bindung an ihre Verfügungen durch präzise Formulierungen, denn Unklarheit kann die Testierfreiheit des überlebenden Partners wiederherstellen.
Experten Kommentar
Manche glauben, eine einmal getroffene Vereinbarung im Berliner Testament bindet für alle Ewigkeit – selbst wenn das Familienleben komplett andere Wege geht. Dieses Urteil zieht eine klare Grenze: Die Einsetzung der Schwiegertochter als Ersatzerbin bindet den überlebenden Ehepartner nur, wenn der zuerst Verstorbene eine eigenständige, vom Sohn unabhängige, tiefe Bindung an sie zur Bedingung gemacht hat. Die bloße Rolle „dessen Ehefrau“ reichte hier nicht aus, um die Witwe nach der Scheidung an die alte Verfügung zu fesseln. Es ist eine wichtige Bestätigung der Testierfreiheit, die es erlaubt, auf radikale familiäre Veränderungen wie Scheidung oder neue Partnerschaften reagieren zu können. Wer absolute Sicherheit will, muss die Wechselbezüglichkeit im Testament haarscharf festlegen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Bin ich als Witwe an die Schlusserben im Berliner Testament noch gebunden?
Die Regel: Die Bindung an den Schlusserben, meist Ihr gemeinsames Kind, bleibt nach dem Tod Ihres Ehepartners fast immer bestehen. Diese Verfügung ist juristisch wechselbezüglich und kann nach Eintritt des Erbfalls nicht mehr einseitig geändert werden (§ 2271 Abs. 2 BGB). Ihre Freiheit als Überlebende ist damit stark eingeschränkt, da die Verfügungen der Ehepartner untrennbar miteinander verbunden sind.
Die Wechselbezüglichkeit dient dem Schutz des zuerst verstorbenen Partners. Er hat Sie zur Alleinerbin eingesetzt, weil er im Gegenzug darauf vertraute, dass Sie das gemeinsame Kind als Letzterben bestimmen. Diese Bindungswirkung entsteht mit dem Tod des Partners. Jedes spätere Testament, das Ihr Kind als Erben ausschließen würde, wäre unwirksam. Die Einsetzung des gemeinsamen Sohnes als Schlusserbe ist der typische Fall eines Berliner Testaments.
Anders sieht es bei der Einsetzung von Ersatzerben aus, etwa wenn eine Schwiegertochter bedacht wurde. Hier muss die Bindung nicht automatisch gelten. Die Gerichte prüfen jede Verfügung separat, um festzustellen, ob sie wirklich wechselbezüglich gewollt war. Bei nicht-verwandten Personen muss dafür eine außergewöhnlich enge, persönliche Nähe nachgewiesen werden. Nur dann ist die Bindung unumstößlich, selbst wenn sich die familiären Verhältnisse Jahre später grundlegend ändern.
Suchen Sie das Original des gemeinschaftlichen Testaments und prüfen Sie sofort, ob eine Klausel Ihnen als Überlebendem ausdrücklich die Befugnis zur Änderung einräumt.
Wann bindet die Einsetzung meiner Schwiegertochter als Ersatzerbin im Testament?
Die Einsetzung Ihrer Schwiegertochter als Ersatzerbin bindet den überlebenden Ehepartner nur in sehr seltenen Fällen. Die Bindung (Wechselbezüglichkeit) entsteht nur, wenn die Schwiegereltern diese Zuwendung unabhängig von der Ehe mit dem Sohn wünschten. Dazu brauchen Sie entweder eine explizite Anweisung im Testament oder den Nachweis außergewöhnlich enger, persönlicher Bindungen.
Das Gesetz (§ 2270 Abs. 2 BGB) geht bei der Regelung von Ersatzerben grundsätzlich nicht von einer automatischen Bindung aus. Gerichte legen den juristischen Begriff des Nahestehens bei angeheirateten Personen sehr restriktiv aus, da sie keine direkten Abkömmlinge sind. Es genügt nicht, ein gutes familiäres Verhältnis zu pflegen. Es müssen vielmehr Bindungen vorliegen, die der Beziehung zu einem eigenen Kind gleichkommen, um die Wechselbezüglichkeit festzustellen. Ohne diesen Nachweis behält der überlebende Partner seine Testierfreiheit.
Konkret zeigte das Oberlandesgericht Brandenburg, dass selbst erhebliche Investitionen in das Familiengrundstück oder langjährige Pflegeleistungen für die Schwiegereltern nicht ausreichen. Solche Taten gelten nicht als Beweis für die bindende Verfügung, wenn das Motiv nicht ausdrücklich im Testament verankert ist. Wurde die Person im Testament lediglich als „dessen Ehefrau“ bezeichnet, interpretieren Richter dies zudem oft als reinen Gattungsbegriff. Das spricht stark gegen einen Willen zur unbedingten, persönlichen Bindung, die über die Dauer der Ehe hinausgeht.
Prüfen Sie die exakte Formulierung im Testament: Wurden Sie namentlich und persönlich oder lediglich über Ihre Rolle als Ehepartnerin eingesetzt?
Wie muss ich mein gemeinschaftliches Testament formulieren, um Bindungen zu vermeiden?
Um dem überlebenden Partner volle Freiheit zu geben, müssen Sie die Wechselbezüglichkeit bei Verfügungen zugunsten Dritter ausdrücklich ausschließen. Diese Bindungswirkung entsteht nicht automatisch, muss aber präventiv durch klare Formulierungen unterbunden werden. Legen Sie explizit fest, welche Regelungen nach dem ersten Todesfall änderbar bleiben.
Das Gesetz vermutet bei engen Verhältnissen oft eine Bindung, damit der Wille des zuerst Versterbenden gewahrt bleibt. Diese gesetzliche Auslegungsregel müssen Sie durch eine gegenteilige, unmissverständliche Anordnung entkräften. Nehmen wir an, Sie möchten Ihren Schwiegerkindern keine unbedingte Bindung gewähren. Fügen Sie dann konkret den Satz ein: „Die Einsetzung des Ersatzerben X soll NICHT wechselbezüglich sein.“ Dadurch verhindern Sie, dass ein Gericht später aufgrund einer fehlenden Regelung die Bindung annimmt.
Nutzen Sie präzise Motivklauseln, um die Gründe für eine Zuwendung zu dokumentieren. Erklären Sie beispielsweise, dass eine Zuwendung an die Schwiegertochter nur aufgrund der intakten Ehe mit dem Sohn erfolgt. Wollen Sie nur die Rolle und nicht die konkrete Person bedenken, verwenden Sie neutrale Funktionsbegriffe anstelle emotionaler Benennungen. Vermeiden Sie die schlichte Verwendung des standardisierten Berliner Testaments, ohne die Bindungswirkung individuell zu regeln.
Implementieren Sie in Ihren Entwurf den Satz: „Der überlebende Ehegatte soll in der Lage sein, die Ersatzerbeneinsetzung frei zu ändern oder zu widerrufen“, um die Testierfreiheit zu sichern.
Was passiert mit der Ersatzerben-Regelung, wenn sich mein Kind scheiden lässt?
Die Scheidung Ihres Kindes hebt die Einsetzung des geschiedenen Partners als Ersatzerben im gemeinschaftlichen Testament nicht automatisch auf. Entscheidend für die Gültigkeit ist die juristische Auslegung, ob die Zuwendung nur wegen der Rolle als Ehepartner gewollt war oder ob eine unabhängige wechselbezügliche Bindung zu dieser Person bestand. Die Bindungswirkung an diese Verfügung entsteht bereits mit dem Tod des zuerst verstorbenen Elternteils. Nur wenn die Einsetzung nicht zwingend bindend war, darf der überlebende Elternteil die geschiedene Person nachträglich ausschließen.
Haben Sie die Schwiegertochter oder den Schwiegersohn namentlich und zugleich mit der Funktionsbezeichnung „dessen Ehefrau“ eingesetzt, spricht dies stark für eine an die Ehe geknüpfte Verfügung. Das Oberlandesgericht Brandenburg interpretierte eine solche Formulierung so, dass die Erbeinsetzung primär auf der damaligen Rolle als Ehepartner des Kindes beruhte. Fehlt in diesem Fall eine unbedingte, persönliche Nähe zur Schwiegerfamilie, wird diese Regelung oft durch die Scheidung hinfällig, da der Zweck der Zuwendung entfallen ist.
Wurde der Ex-Partner hingegen namentlich und ohne klaren Funktionsbezug eingesetzt, muss das Gericht eine unabhängige Bindung klären (sogenanntes Nahestehen). Wird die Ersatzerbeneinsetzung als nicht wechselbezüglich bewertet, besitzt der überlebende Elternteil die volle Testierfreiheit. Er kann dann ein neues Testament errichten und den ehemaligen Schwiegerkind explizit von der Erbfolge ausschließen. Existierte jedoch eine zwingende Bindung, bleibt der geschiedene Partner Ersatzerbe, solange keine Scheidungsklausel greift.
Ist Ihr Ehepartner noch am Leben, widerrufen Sie das gemeinschaftliche Testament sofort gemeinsam und schließen die geschiedene Person explizit aus allen Verfügungen aus.
Wie wird das notwendige Nahestehen von Schwiegerkindern im Erbrecht nachgewiesen?
Der Nachweis des notwendigen „Nahestehens“ bei Schwiegerkindern ist juristisch extrem schwierig, wenn es darum geht, die Wechselbezüglichkeit einer Verfügung zu belegen. Gerichte verlangen den Nachweis einer Bindung, die weit über das normale familiäre Miteinander hinausgeht und fast dem Verhältnis zu einem eigenen Kind gleicht. Normale alltägliche Unterstützung, wie Pflege oder finanzielle Leistungen, reicht allein nicht aus, um eine testamentarische Bindung des überlebenden Partners zu erzwingen.
Die zentrale Aufgabe besteht darin, den ursprünglichen Willen des zuerst verstorbenen Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu belegen. Wenn der Partner die Schwiegertochter bedacht hat, muss nachgewiesen werden, dass diese Zuwendung die Gegenleistung für die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute war. Fehlt eine solche explizite Verknüpfung im Testament, geht das Gericht bei nicht verwandten Personen nicht automatisch von einer bindenden Verfügung aus (§ 2270 Abs. 2 BGB).
Konkret: Auch erhebliche Investitionen in das Familiengrundstück oder langjährige Pflegeleistungen dienen nicht automatisch als Beweis für die juristische Bindungswirkung. Wenn die Testierenden das Engagement nicht als Motivklausel im Testament verankert hatten, interpretieren Richter diese Taten als reinen Akt familiärer Hilfe. Die Beweisführung muss sich daher auf die Intensität der persönlichen Beziehung stützen, die unabhängig von der intakten Ehe des Kindes bestand.
Suchen Sie gezielt nach schriftlichen Belegen (Notizen, Briefe, E-Mails) des verstorbenen Schwiegerelternteils, die den expliziten Wunsch einer persönlichen und dauerhaften Absicherung bezeugen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Ersatzerbin
Eine Ersatzerbin ist die Person, die im Testament vorsorglich benannt wird, falls der ursprünglich vorgesehene Erbe (etwa der Sohn) vor dem Erbfall verstirbt oder die Erbschaft ablehnt.
Durch die Einsetzung eines Ersatzerben stellen die Testierenden sicher, dass die gewünschte Erbfolge auch dann eintritt, wenn die primär bedachte Person ausfällt. Das Gesetz vermeidet so, dass in diesem Fall die gesetzliche Erbfolge in Kraft tritt.
Beispiel: Die ehemalige Schwiegertochter trat in diesem Fall als Ersatzerbin auf, weil der Haupterbe, der Sohn, bereits vor seiner Mutter verstorben war.
Gattungsbegriff
Juristen verstehen unter einem Gattungsbegriff eine Bezeichnung in einem Testament, die sich primär auf eine wechselnde Funktion oder eine Rolle (wie „Ehefrau“) bezieht, statt eine bestimmte Person als unveränderliche Eigenschaft festzulegen.
Diese Art der Formulierung signalisiert Gerichten oft, dass die Zuwendung an die Fortdauer der Rolle geknüpft ist. Entfällt diese Funktion, etwa durch Scheidung, kann der ursprüngliche Zweck der testamentarischen Verfügung entfallen, was die Bindungswirkung schwächt.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Brandenburg bewertete die Bezeichnung „dessen Ehefrau“ als Gattungsbegriff, was gegen eine unbedingte, persönliche Bindung der Schwiegermutter an die Schwiegertochter sprach.
Gemeinschaftliches Testament
Das Gemeinschaftliche Testament ist eine besondere Form der Verfügung von Todes wegen, die ausschließlich Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner gemeinsam errichten, um ihre Erbfolge aufeinander abgestimmt festzulegen.
Ehepartner nutzen dieses rechtliche Instrument, um sich gegenseitig abzusichern und zugleich verbindliche Regelungen für den Nachlass nach dem Tod des länger Lebenden zu treffen, wodurch die Testierfreiheit des Überlebenden oft stark eingeschränkt wird.
Beispiel: Das Ehepaar im vorliegenden Fall errichtete 1994 ein notarielles Gemeinschaftliches Testament, um sich gegenseitig als Alleinerben und ihren Sohn als Schlusserben einzusetzen.
Schlusserbe
Als Schlusserbe bezeichnen Juristen die Person, die in einem gemeinschaftlichen Testament als Erbe des zuletzt versterbenden Ehepartners eingesetzt wird, nachdem der erste Ehepartner bereits verstorben ist.
Die Benennung des Schlusserben, typischerweise das gemeinsame Kind, ist das zentrale Element des sogenannten Berliner Testaments und soll das gemeinsame Vermögen in die gewünschte Erbfolge lenken.
Beispiel: Obwohl der Sohn ursprünglich als Schlusserbe eingesetzt war, musste die Mutter nach seinem Vorversterben klären, ob sie an die Einsetzung der Ersatzerbin gebunden war.
Testierfreiheit
Die Testierfreiheit ist das grundlegende Recht jeder Person in Deutschland, ihren letzten Willen frei und ohne Zwang durch die Errichtung eines Testaments zu bestimmen (geregelt in § 1937 BGB).
Das Gesetz schützt das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über sein Vermögen nach dem Tod. Dieses Recht kann jedoch durch bindende, wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament stark eingeschränkt werden.
Beispiel: Die Witwe nutzte ihre verbliebene Testierfreiheit, um 2018 ein neues Testament zu verfassen, da die Einsetzung der ehemaligen Schwiegertochter nicht wechselbezüglich war.
Wechselbezüglichkeit
Wechselbezüglichkeit ist die juristische Eigenschaft von Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament, die besagt, dass eine Regelung nicht ohne die andere getroffen worden wäre und sie sich somit gegenseitig bedingen.
Diese Regelung in § 2270 BGB schützt das Vertrauen des zuerst versterbenden Partners, indem sie dem Überlebenden verbietet, diese Verfügungen nachträglich einseitig zu widerrufen oder zu ändern, wodurch eine zwingende Bindungswirkung entsteht.
Beispiel: Hätte das Gericht die Wechselbezüglichkeit der Einsetzung der ehemaligen Schwiegertochter festgestellt, wäre das neue Einzeltestament der Witwe unwirksam gewesen, da sie ihre Verfügung nicht mehr ändern durfte.
Das vorliegende Urteil
OLG Brandenburg – Az.: 3 W 79/24 – Beschluss vom 4.7.2025
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