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Auflassungserklärung über noch auszumessenden Grundstücksteil nach Vermessung

OLG München – Az.: 20 U 2232/15 – Urteil vom 06.07.2016

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 13. Mai 2015, Az. 72 O 2196/14, aufgehoben. Die Beklagten werden verurteilt, folgende Willenserklärung abzugeben:

„Wir sind uns mit der Klägerin darüber einig, dass das Eigentum an dem Grundstück, Gemarkung S., Flurstück Nr. …004/4, Nähe mit 1.615 qm, vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts L. für S., auf uns übergeht. Wir bewilligen unsere Eintragung in das Grundbuch als Eigentümer.“

2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Verfahren wird – auch unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Landshut vom 13. Mai 2015 – auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, die Auflassungserklärung der Klägerin bezüglich eines bestimmten Grundstücks entgegenzunehmen.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 11. Dezember 2012, UrNr. S1909/2012 des Notars S. (K1, K 9) haben die Beklagten von der Klägerin ein im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch herauszumessendes, in der der Kaufvertragsurkunde beigefügten Anlage 1 gelb eingezeichnetes Teilstück des im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücks FlNr. …004 Gemarkung S. Bahnlinie N. St. V.-L., welches nach der Parteivorstellung eine Größe von ca. 1.748 qm aufweisen würde, erworben (§ 2 Ziffer 1 des Kaufvertrages K 1, K 9). Ausweislich der Anlage 1 zur Kaufvertragsurkunde umfasste die gelb schraffierte Fläche insbesondere einen Streifen entlang der bestehenden Grundstücksgrenze zu dem im Eigentum des Beklagten zu 2 stehenden Grundstück FlNr. …736. Gemäß § 2 Ziffer 2 des Kaufvertrags wurde der Notar angewiesen, die Vermessung einschließlich der Abmarkung des verkauften Grundstücks unverzüglich beim zuständigen Vermessungsamt zu beantragen. Die Vermessung und Gesamtabmarkung ist am 15. März 2013 erfolgt (K 3). Da sich die Beklagten geweigert haben, das Abmarkungsprotokoll zu unterzeichnen, wurde gemäß Art. 17 Abs. 2 Abmarkungsgesetz ein Abmarkungsbescheid (K 4) erteilt sowie der Fortführungsnachweis 376 mit Rücksicht auf die Zerlegung des Flurstücks …004 (K 6). Das von den Beklagten kaufvertraglich erworbene Grundstück führt nunmehr die Bezeichnung Gemarkung S., Flurstück …004/4, Nähe B.straße und misst 1.615 qm. Die Beklagten haben den gemäß § 3 Ziffer 1 vereinbarten Kaufpreis in Höhe von € 100.000,00 an die Klägerin bezahlt.

In § 19 Ziffer 1 des Kaufvertrages wird bestimmt: „Verkäufer und Käufer verpflichten sich, unverzüglich nach Vorliegen des katasterlichen Fortführungsnachweises die Messungsanerkennung für den Kaufgegenstand gemäß § 2 Ziffer 1 vorzunehmen und die Auflassung zu diesem Vertrag zu erklären und entgegenzunehmen, sofern der Kaufpreis nebst etwaigen Verzugszinsen bezahlt ist. Hierzu erteilt der Käufer dem Verkäufer bzw. dessen Bevollmächtigten unwiderruflich und unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB die Vollmacht, in seinem Namen die Auflassung zu erklären und entgegenzunehmen und bei der Errichtung der Nachtragsurkunde (Messungsanerkennung und Auflassung) für sämtliche Beteiligte alles zu tun, zu erklären und zu beantragen, was zum Vollzug der Urkunde erforderlich und zweckdienlich erscheint, ferner alle in dieser Urkunde bestellten Rechte am Kaufgegenstand zur Eintragung zu bewilligen.“

Die Beklagten haben sich geweigert, die Vermessung anzuerkennen und gegenüber dem Vermessungsamt diverse Einwendungen erhoben, welche dieses durch Schreiben vom 17. März 2013 zurückgewiesen hat (K 5). Gegen die Abmarkung haben sie Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erhoben, die durch rechtskräftiges Urteil vom 15. Januar 2015 abgewiesen worden ist (Anlage zu Bl. 75 d.A.). In diesem Urteil ist festgehalten, dass über das Begehren der hiesigen Beklagten auf Neuvermessung des Grenzverlaufs zwischen den Grundstücken 736/1 und 1004 bereits mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. Oktober 2007 (Az. RN 7 K 06.628), soweit vermessungsrechtlich und öffentlich rechtlich relevant, entschieden worden sei. Die Grundstücksgrenzen stünden bestandskräftig fest. Es liege auch ein einwandfreier Katasternachweis vor und die Voraussetzungen für die Abmarkung nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 iVm Abs. 2 AbmG. Die Abmarkung sei antragsgemäß erfolgt. Ein Deckvergleich des aktuellen Katasterauszugs auf Transparentpapier im Maßstab 1:1000 mit den früheren Ausschnitten zeige, dass der hiesige Beklagte zu 2 niemals südlich des bestrittenen Grenzverlaufs eine Fläche in seinem Eigentum gehabt habe. Gegenstand des Kaufvertrags sei auch nicht ein Kauf bis zum „wahren Grenzverlauf“, sondern bis zur im aktuellen Katasterauszug derzeit dargestellten Grenze gewesen.

Die Klägerin hat vor dem Landgericht vorgetragen, dass die Beklagten durch wiederholte telefonische und schriftliche Vorsprache beim Notar wie etwa mit Schreiben vom 13. Juli 2014 (K 10) und bei Ämtern den Vollzug der Notarsurkunde zu verhindern suchten. Der Notar habe in Reaktion auf dieses Verhalten der Beklagten darauf hingewiesen, dass er die Beurkundung nur bei einvernehmlichem Handeln der Beteiligten vornehmen könne (Anlage zu Bl. 56/57). Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass aufgrund der grundlosen Weigerung der Beklagten, die Vermessung anzuerkennen, der dingliche Vollzug nicht möglich sei, weshalb der Klageweg habe beschritten werden müssen. Die Klägerin habe ein Interesse daran, die Angelegenheit auch grundbuchlich abzuschließen.

Die Beklagten haben geltend gemacht, dass – worauf sie gegenüber verschiedenen Stellen mindestens seit 2007 hinweisen würden – der im Grundbuch wiedergegebene Grenzverlauf unzutreffend sei. Der Teilbereich des herausgemessenen Flurstücks …004/4, der auf der ehemaligen Z.straße verlaufe, gehöre in Wahrheit zum Grundstück Fl.Nr. …736 des Beklagten zu 2, nicht zu dem Grundstück Fl.Nr. …004. Sie haben behauptet, dass beim Verkauf des Grundstücks Fl.Nr. …736 an die Mutter des Beklagten zu 2 im Jahr 1953 das Grundbuch nicht richtig geführt und die in Wahrheit von der Mutter des Beklagten zu 2 gekaufte Straßenteilfläche fehlerhaft nicht der von ihr gekauften Fläche zugeschrieben worden sei. Da deshalb auch die im Nachgang des jetzigen Kaufs stattgehabte Vermessung fehlerhaft sei, bestehe keine Verpflichtung zur Messungsanerkennung. Im Übrigen stehe es der Klägerin frei, von der unwiderruflichen Vollmacht gemäß § 9 Ziffer 1 des Kaufvertrags Gebrauch zu machen. Der Klage fehle schon aus diesem Grund das Rechtsschutzbedürfnis.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.

Mit Endurteil vom 13. Mai 2015 hat das Landgericht die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass die Klägerin die Möglichkeit habe, von der unwiderruflich erteilten und von den Beklagten im Prozess nicht in Frage gestellten Vollmacht Gebrauch zu machen. Die in der Anlage zur Kaufvertragsurkunde gelb schraffierte Fläche umfasse eindeutig auch die streitige Fläche, welche über die ehemalige Ziegeleistraße verläuft. Der Klägerin stehe deshalb ein schnellerer und leichterer Weg als die Klage zur Verfügung um die Entgegennahme der Auflassungserklärung und die grundbuchliche Vollziehung  zu erreichen. Damit fehle der Klage das Rechtsschutzbedürfnis.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung erstrebt die Klägerin zuletzt die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe der begehrten Willenserklärung. Sie macht unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags weiterhin geltend, dass angesichts dessen, dass die Beklagten gegenüber Notar und Behörden vehement den Grenzverlauf bestritten, die in der Kaufvertragsurkunde erteilte Vollmacht nicht zum Ziel führe, weshalb Rechtsschutzbedürfnis für die Klage bestehe. Zwar habe der Notar unter dem Eindruck des erstinstanzlichen Urteils eine Nachtragsurkunde mit Messungsanerkennung und Auflassung erstellt. Allerdings habe das Amtsgericht Landshut – Grundbuchamt – mit Zwischenverfügung vom 15. September 2015 (Anlage 6) Zweifel am Fortbestand der Vollmacht angemeldet, weshalb das Notariat den Eintragungsantrag zur Vermeidung negativer Kostenfolgen zurückgenommen habe. Die erstinstanzlichen Ausführungen der Beklagten zur Berechtigung der Klägerin, die Auflassungserklärung entgegenzunehmen, seien widersprüchlich.

Die Beklagten verteidigen das angegriffene Urteil und beantragen die Zurückweisung der Berufung. Dass die Klägerin im Nachgang zum erstinstanzlichen Urteil von der Vollmacht Gebrauch habe machen können, bestätige, dass die Klage von Anfang an unnötig gewesen sei. Das Schreiben des Grundbuchamtes habe nichts mit dem Verhalten der Beklagten zu tun. Allerdings habe bei den Beklagten ein Umdenken stattgefunden. Sie legten nunmehr Wert darauf, dass die Vermessungsproblematik und die Eigentumsverhältnisse im vorliegenden Rechtsstreit aufgeklärt würden, weshalb die Vollmacht aus der notariellen Urkunde nicht mehr fortgelten solle.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2016 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin war auch in der Sache erfolgreich. Das Urteil des Landgerichts war aufzuheben und die Beklagten antragsgemäß zur Abgabe der begehrten Willenserklärung zu verurteilen.

1. Die Klage ist zulässig, insbesondere hat die Klägerin trotz der im notariellen Kaufvertrag erklärten „unwiderruflichen Vollmacht“ ein Rechtsschutzbedürfnis für ihre Klage. Für das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen, mithin auch des Rechtsschutzbedürfnisses kommt es auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung an (Zöller, ZPO, Vor § 253 Rn. 9 mwN). Mag das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses im Verlauf des Verfahrens auch zunächst zweifelhaft gewesen sein, haben die Beklagten aber jedenfalls mit Anwaltsschriftsatz vom 12. April 2016 (Bl. 183 ff., 186) vorgetragen, dass die erteilte Vollmacht zurückgezogen werde. Damit steht der Klägerin unzweifelhaft kein einfacherer Weg als die hiesige Klage zur Verfügung, ihr Ziel der dinglichen Rechtsänderung zu erreichen. Nunmehr steht fest, dass von der Vollmacht nicht ohne weiteres Gebrauch gemacht werden kann. Vielmehr wäre vorher in einem anderen Rechtsstreit zu klären, ob die Beklagten die „unwiderruflich“ erklärte Vollmacht widerrufen konnten.

2. Die Verpflichtung der Beklagten, die begehrte Willenserklärung abzugeben, ergibt sich – wie auch die Beklagten nicht bestreiten – aus dem zwischen den Parteien geschlossenen notariellen Kaufvertrag (dort insbesondere § 19) vom 11. Dezember 2012.

Gründe, die der Wirksamkeit des Kaufvertrags entgegenstehen würden, sind – nachdem jedenfalls den Beklagten unstreitig weit vor Vertragsschluss bekannt war, dass der Kaufgegenstand auch eine Teilfläche umfasste, die nach ihrem Dafürhalten im Alleineigentum des Beklagten zu 2 stand – nicht ersichtlich. Insbesondere Irrtum oder Dissens scheiden aus.

Dass die Beklagten die Richtigkeit der Vermessung bestreiten und die Messungsanerkennung verweigern, ändert an der vertraglich eingegangenen Verpflichtung zur Entgegennahme der Auflassungserklärung nichts. Dass die Straßenfläche entlang der Bestandsgrenze Kaufgegenstand war, ist im hiesigen Verfahren unstreitig geblieben. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dient eine Messungsanerkennung allein dazu, die Identität der unvermessen verkauften Teilfläche und des bei der Teilungsvermessung neu gebildeten Flurstücks zu bestätigen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2015, V ZB 181/14, juris). Diese Identität bestreiten die Beklagten nicht. Damit sind Einwände gegen das Vermessungsergebnis, die eine Verpflichtung zur dinglichen Rechtsänderung hindern würden, ausgeschlossen. Die materiellen Einwände der Beklagten sind für hiesiges Verfahren nicht relevant.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO festgesetzt.

 

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