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Aufklärungspflicht bei Neuanlage von Grundbuchblättern

OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 223/18 – Beschluss vom 31.03.2020

Die Sache wird unter Aufhebung des Nichtabhilfe- und Vorlagebeschlusses des Grundbuchamtes vom 22. Okt. 2018 zur erneuten Behandlung und Entscheidung über die Anregung zur Eintragung eines Amtswiderspruches unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates an das Grundbuchamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Im Jahre 2015 wurde beantragt, für das Grundstück Gemarkung M… Flur 1 Flurstück 96 ein Grundbuchblatt neu anzulegen.

Nach dem Auszug aus dem Liegenschaftskataster hatte das Grundstück eine Fläche von 2.947 qm mit tatsächlicher Nutzung von 190 qm als Ackerland und von 2.757 qm als Wirtschaftsweg.

Aufgrund dieses Antrags erließ das Grundbuchamt … am 2. Okt. 2015 ein Aufgebot, das es den Eigentümern der anliegenden Grundstücke und dem Land Nordrhein-Westfalen bekanntmachte.

Am 20. Juni 2016 bildete das Katasteramt durch Zerlegung aus dem Flurstück 96 die Flurstücke 1218 (1.135 qm) und 1219 (1.812 qm). Daraufhin wurde der ursprüngliche Antrag auf Neuanlegung des Grundbuchblattes für das Flurstück 96 für das (neue) Flurstück 1219 gestellt.

Hierzu teilte das Grundbuchamt mit Schreiben vom 28. Nov. 2016 mit, bei diesem Grundstück handele es sich um einen Wirtschaftsweg (Traktorenweg), dessen Anlieger die Antragsteller seien, die den Weg auch als Wirtschaftsweg zu ihren Feldern nutzten. Die Stadt … habe nach Anhörung keine Bedenken, die Antragsteller als Eigentümer einzutragen. Öffentliches Interesse werde nicht geltend gemacht. Da das Grundbuchamt nach Würdigung aller Beweismittel weder den Eigentümer nach § 123 Nr. 1 GBO noch den Eigenbesitzer nach § 123 Nr. 2 GBO habe ermitteln können bzw. dieser sein Eigentum nicht glaubhaft gemacht habe, sei diejenige Person als Eigentümer einzutragen, deren Eigentum dem Grundbuchamt am wahrscheinlichsten erscheine. Dies sei nach Würdigung aller Umstände einer der beiden Antragsteller. Dementsprechend legte das Grundbuchamt am 7. April 2017 für das ungebuchte Flurstück 1219 ein neues Grundbuchblatt an, indem es das Flurstück im Grundbuch von M… Blatt 72 unter laufender Nummer 49 buchte.

Das Katasteramt bildete am 13. Nov. 2017 durch Zerlegung aus dem Flurstück 1218 die Flurstücke 1222 (730 qm) und 1223 (405 qm), Letzteres mit tatsächlicher Nutzung von 192 qm als Ackerland und von 213 qm als Wirtschaftsweg.

Am 12. Dez. 2017 beantragte der Beteiligte zu 1, ihn als Eigentümer dieses bislang ungebuchten Flurstücks einzutragen. Er sei Eigentümer der beiderseits anliegenden Grundstücke; der Weg verlaufe heute schon im westlichen Teil über sein Grundstück.

Das Grundbuchamt hat einen Auszug aus dem Liegenschaftskataster, der Flurkarte und ein Anliegerverzeichnis angefordert und den Antrag mit Verfügung vom 19. Jan. 2018 dem Land Nordrhein-Westfalen, der Stadt …, den Beteiligten zu 4 und in der Stadt … öffentlich bekanntgemacht.

Nach Durchführung eines Ortstermins und einer Anhörung aller Beteiligten hat es angekündigt, unter Würdigung aller Sachvorträge sei der wahrscheinlichste Eigentümer der Beteiligte zu 1 zu 6.055/10.000 Anteil und die Beteiligten zu 2 bis 4 zu je 1.315/10.000 Anteil. Der Beteiligte zu 1 nutze 192 qm Ackerland ausschließlich und sei daher insoweit Eigenbesitzer; die verbleibenden 213 qm würden von allen Beteiligten als Weg genutzt, diese seien folglich insoweit zu gleichen Teilen Eigenbesitzer.

Dem hat der Beteiligte zu 1 widersprochen und vorsorglich schon vor einer Grundbucheintragung beantragt, gem. §§ 125, 53 GBO einen Widerspruch einzutragen.

Am 19. Okt. 2018 hat das Grundbuchamt für das Flurstück 1223 im Grundbuch von M… Blatt 1028 neu angelegt und die Beteiligten wie angekündigt als Miteigentümer eingetragen.

Durch weiteren Beschluss vom 22. Okt. 2018 hat es der Beschwerde des Beteiligten zu 1 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Beteiligte zu 1 hat – nach Zugang des Nichtabhilfebeschlusses – erklärt, er halte seine Beschwerde selbstverständlich aufrecht. Er beanstandet „Befremdlichkeiten“ in beiden Verfahren zur Neuanlegung der Grundbuchblätter.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Grundakten des vorliegenden verfahrens und der beigezogenen Grundakten zu Blatt 72 des Grundbuchs von M… Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Anregung einen Amtswiderspruch einzutragen ist gem. §§ 125 Satz 2, 53 Abs. 1 Satz 1 GBO zulässig.

Es mag dahinstehen, dass das Grundbuchamt schon vor – wirksamer – Einlegung der Beschwerde den Nichtabhilfe- und Vorlagebeschluss erlassen hat. Denn der Beteiligte zu 1 hat nach der Neuanlegung des Grundbuchblattes an seiner Beschwerde festgehalten und es ist nicht zu erwarten, dass das Grundbuchamt eine abweichende Entscheidung treffen würde.

In der Sache führt die Beschwerde des Beteiligten zu 1 zur Aufhebung des Nichtabhilfe- und Vorlagebeschlusses vom 22. Okt. 2018 und zur Zurückverweisung der Sache an das Grundbuchamt. Das Grundbuchamt wird über die Anregung zur Eintragung eines Amtswiderspruches unter Beachtung der im folgenden dargelegten Rechtsauffassung des Senates erneut zu entscheiden haben.

Die nachträgliche Anlegung von Grundbuchblättern ist im sechsten Abschnitt in den §§ 116 ff GBO geregelt. § 116 GBO bestimmt, dass ein Grundbuchblatt – unbeschadet des § 3 Abs. 2 bis 9 GBO – von Amts wegen anzulegen ist. Nach Feststellung der Bestandsdaten aus dem Liegenschaftskataster hat das Grundbuchamt zur Feststellung des Eigentümers nach § 118 GBO von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die geeigneten Beweise zu erheben. Dazu kann es entweder ein Aufgebot erlassen, § 119 GBO, oder es hat die bevorstehende Blattanlegung nach § 122 GBO anzukündigen. Wer als Eigentümer eingetragen werden darf, ist in § 123 GBO geregelt.

Hier hat das Grundbuchamt die ihm obliegende Aufklärungspflicht sowohl im Anlegungsverfahren als auch im Abhilfeverfahren bei der Entscheidung über die Eintragung eines Amtswiderspruches verletzt. Zwar hat es einen Auszug aus Liegenschaftskataster, aus der Flurkarte und ein Anliegerverzeichnis angefordert, einen Ortstermin durchgeführt und die heutigen Eigentümer der Anliegergrundstücke angehört. Damit hat es aber dem Amtsermittlungsgrundsatz nicht hinreichend Rechnung getragen. Zum einen hat es damit andere Aufklärungsmöglichkeiten außer Betracht gelassen; zum anderen hätte es sich nicht mit der Anforderung der Unterlagen zum Flurstück 1223 begnügen dürfen, sondern insbesondere die für das ursprüngliche Flurstück 96 maßgeblichen Umstände aufzuklären gehabt.

Das hier in Rede stehende Flurstück 1223 ist vom Katasteramt am 13. Nov. 2017 durch Zerlegung aus dem Flurstück 1218 in die Flurstücke 1222 und 1223 gebildet worden. Das Flurstück 1218 wiederum ist entstanden am 20. Juni 2016 durch Zerlegung des Flurstücks 96 in die Flurstücke 1218 und 1219. Für die Feststellung des Eigentums an dem hier in Rede stehenden Flurstück 1223 kommt es daher auf die Eigentumsverhältnisse an dem ursprünglichen Flurstück 96 an.

Im Auszug des Liegenschaftskatasters ist zwar vermerkt, „im Grundbuch nicht gebucht“ und „nicht ermittelte Eigentümer“ (so auch im Anliegerverzeichnis). Es ist aber nicht ersichtlich, ob und inwieweit das Grundbuchamt geprüft und ermittelt hat, ob das Flurstück 96 tatsächlich noch kein Grundbuchblatt erhalten hatte. Der Frage, wie es zu der Eintragung „nicht ermittelte Eigentümer“ gekommen ist, ist das Grundbuchamt nach Aktenlage nicht nachgegangen. Der Senat hat bereits in einer früheren Entscheidung zum Umfang der Amtsermittlungspflichten im Verfahren der Neuanlegung eines Grundbuchblattes für eine (Anlieger-)Wegefläche (Beschluss vom 18. Dez. 1996 – 3 Wx 186/96, BeckRS 1997, 00990) eingehend dargelegt, dass und welche Ermittlungen in Betracht kommen und auch geboten sind, so z.B. Nachfragen beim Katasteramt und die Bitte um Vorlage aller vorhandenen Unterlagen für das Zustandekommen der entsprechenden Eintragung. Flurstück und Grundbuchgrundstück sind nicht notwendig identisch. Ein Grundbuchgrundstück kann aus mehreren Flurstücken bestehen; ein Anliegerweg kann ein Flurstück bilden, ohne ein selbständiges Grundstück zu sein, und kann Flächen mehrerer Grundbuchgrundstücke enthalten (Senat, a.a.O.; Demharter, GBO, § 2, 18 m.N.). Wenn der Weg über die Grenze bereits gebuchter Grundstücke geführt und durch Einbeziehung von Teilflächen dieser Grundstücke gebildet worden ist, wären die Wegeteilflächen – bis zur Wegmitte – eigentumsrechtlich unselbständige Bestandteile der jeweils angrenzenden Grundstücke auch dann geblieben, wenn der Weg eine eigene Flurstücksnummer erhalten hat. Der Frage, wie das Flurstück 96 im Kataster eingetragen worden ist und wann und aus welchem Grund der Vermerk „nicht ermittelte Eigentümer“ aufgenommen worden und zu erklären ist, ist nachzugehen. Ob ein lückenloser Nachweis der Entstehung der Parzelle 96 wirklich nicht mehr möglich ist, kann erst aufgrund von weiteren Nachforschungen beim Katasteramt – auch in dessen Archiv – und nach Durchsicht und Prüfung der Grundakten für alle Anliegergrundstücke beurteilt werden (Senat, a.a.O.).

Weiter hat der Senat in der genannten Entscheidung, an der er nach Prüfung festhält, ausgeführt, es könne, falls eine Beurteilung als unselbständige Bestandteile ausscheide, auch im Zusammenhang mit der Ermittlung der „wahrscheinlichsten Eigentümer“ (§123 Nr. 3 GBO) könne nicht ohne weiteres auf die derzeitige Grundbuchlage abgestellt werden. Zu ermitteln sei vielmehr, wer bei Anlegung des Grundbuchs „wahrscheinlichster“ Eigentümer gewesen sei, weil nach Anlegung des Grundbuchs ein rechtsgeschäftlicher Eigentumswechsel an nicht gebuchten Grundstücken, der sich auch insoweit nur noch nach dem BGB durch Auflassung und Eintragung habe vollziehen können, außerhalb des Grundbuchs nicht mehr möglich gewesen sei. Diejenigen Eigentümer der Angrenzergrundstücke, die ihr Grundstückseigentum nach Anlegung des Grundbuchs rechtsgeschäftlich erworben haben, hätten dabei (Mit-)Eigentum an einer ungebuchten Wegefläche nicht ohne weiteres miterworben haben können. Auch für diesen Fall sei somit die Unrichtigkeit der Neueintragung im Sinne von § 53 GBO derzeit nicht unwahrscheinlich.

Hat mithin das Grundbuchamt nach derzeitigem Stand die Neuanlegung des Grundbuchblattes unter Verletzung der Aufklärungspflicht vorgenommen, liegt darin einerseits eine Gesetzesverletzung im Sinne von § 53 GBO (Keller in: Keller/Munzig, KEHE Grundbuchrecht – Kommentar, 8. Aufl. 2019, § 53 + 125, jeweils RdNr. 4; Holzer in: BeckOK GBO, Stand: 15.12.2019, § 125, 13). Anderseits stellt dies grundbuchverfahrensrechtlich einen Verfahrensfehler dar. Dieser führt dazu, dass derzeit weder festgestellt werden, dass die Eintragung – dennoch – der materiellen Rechtslage entspricht, noch dass dies nicht der Fall ist, mit anderen Worten die weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 53 GBO nicht beurteilt werden kann. Das rechtfertigt die Zurückverweisung der Sache an das Grundbuchamt zur weiteren Behandlung und Entscheidung.

Eine Kostenentscheidung durch den Senat ist nicht veranlasst.

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