Ein Erbe schlug das Vermögen vor zwölf Jahren aus Furcht vor Schulden aus, nur um später 51.000 Euro zu entdecken. Trotz der späten Entdeckung stellte sich die Frage, ob eine vage Befürchtung die Anfechtung der Erbausschlagung wegen Irrtums rechtlich zulässt.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Kann man eine Erbausschlagung wegen Irrtums über die Überschuldung rückgängig machen?
- Was war genau passiert? Der Weg vom vermeintlichen Schuldenberg zum unerwarteten Vermögen
- Welche juristischen Prinzipien entscheiden über eine wirksame Anfechtung?
- Warum scheiterte der Neffe vor dem Oberlandesgericht?
- Was bedeutet das Urteil für Ihre Entscheidung, eine Erbschaft auszuschlagen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Kann ich eine einmal erklärte Erbausschlagung wegen Irrtums rückgängig machen?
- Wann gilt meine Fehleinschätzung als beachtlicher Eigenschaftsirrtum des Nachlasses?
- Wie lange ist die Frist zur Anfechtung der Erbausschlagung wegen Irrtums?
- Reicht die allgemeine Angst vor Überschuldung für die Anfechtung der Ausschlagung aus?
- Was muss ich über die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses beweisen können?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 3 W 63/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
- Datum: 01.07.2025
- Aktenzeichen: 3 W 63/25
- Verfahren: Beschwerdeverfahren in einer Nachlasssache
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Anfechtung, Nachlassverfahren
- Das Problem: Ein Erbe schlug die Erbschaft aus, weil er von einer Überschuldung ausging. Als er Jahre später vom tatsächlichen, positiven Nachlasswert erfuhr, focht er seine Ausschlagung an. Der nachrangige Erbe wehrte sich dagegen.
- Die Rechtsfrage: Kann eine Erbausschlagung erfolgreich rückgängig gemacht werden, wenn der Erbe meint, er habe sich über die Überschuldung des Nachlasses geirrt?
- Die Antwort: Nein. Der Erbe muss konkret belegen, dass er sich über bestimmte Vermögenswerte oder Schulden im Nachlass geirrt hat. Bloße pauschale Vermutungen, Befürchtungen oder Spekulationen reichen nicht aus, um die Ausschlagung zu beseitigen.
- Die Bedeutung: Wer seine Erbausschlagung wegen eines Irrtums über den Nachlass nachträglich anfechten will, muss konkrete Fakten übersehen haben oder falsch eingeschätzt haben. Die bloße Angst vor Schulden ist rechtlich irrelevant.
Kann man eine Erbausschlagung wegen Irrtums über die Überschuldung rückgängig machen?
Eine Erbschaft auszuschlagen ist oft eine Entscheidung unter Zeitdruck und Unsicherheit. Was aber, wenn sich Jahre später herausstellt, dass der vermeintliche Schuldenberg in Wahrheit ein beträchtliches Vermögen war? Ein Mann, der genau das erlebte, versuchte, seine Ausschlagung rückgängig zu machen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf musste in seinem Beschluss vom 1. Juli 2025 (Az.: 3 W 63/25) klären, unter welchen strengen Voraussetzungen ein solcher Schritt überhaupt möglich ist und warum vage Vermutungen über Schulden dafür nicht ausreichen.
Was war genau passiert? Der Weg vom vermeintlichen Schuldenberg zum unerwarteten Vermögen

Im Jahr 2012 verstarb ein Mann ohne Testament, geschieden und kinderlos. Nach der gesetzlichen Erbfolge wären seine nächsten Verwandten erbberechtigt gewesen. Seine Schwester war jedoch bereits verstorben, sodass ihr Sohn, der Neffe des Erblassers, an ihre Stelle trat.
Der Neffe stand vor einer schwierigen Entscheidung. Er kannte die finanzielle Situation seines Onkels nur oberflächlich, doch die Anzeichen waren beunruhigend. Das einzige nennenswerte Vermögen schien eine Immobilie zu sein, die jedoch durch ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für eine andere Person stark an Wert gemindert war. Zudem fand er Rechnungen eines Pay-TV-Anbieters, Mahnungen und Hinweise auf ein überzogenes Girokonto. Er wusste, dass sein Onkel keine nennenswerten Einkünfte hatte und ihm sogar ein Kredit verweigert worden war. Unter dem Eindruck, dass die Verbindlichkeiten den Wert des Hauses bei Weitem übersteigen würden, traf er eine folgerichtige Entscheidung: Im Oktober 2012 schlug er die Erbschaft für sich und seine drei minderjährigen Kinder notariell beglaubigt aus, um sich und seine Familie vor einer Schuldenübernahme zu schützen.
Da zunächst keine weiteren Erben ermittelt werden konnten, fiel das Erbe an den Staat. Die Sache schien erledigt.
Zwölf Jahre später, im Mai 2024, nahm der Fall eine überraschende Wendung. Eine professionelle Erben-Ermittlungsgesellschaft hatte weitere Verwandte ausfindig gemacht – sogenannte Erben dritter Ordnung. Einer dieser entfernten Verwandten beantragte beim Nachlassgericht einen Erbschein. In diesem Antrag tauchte eine Zahl auf, die alles veränderte: Der Wert des Nachlasses wurde auf rund 51.000 Euro beziffert.
Als der Neffe im Rahmen des Verfahrens von diesem unerwarteten Vermögen erfuhr, handelte er sofort. Im Juli 2024 erklärte er die Anfechtung seiner Ausschlagung von 2012. Seine Begründung: Er habe sich damals in einem fundamentalen Irrtum befunden. Er sei von einer massiven Überschuldung ausgegangen, doch nun zeige sich ein positives Vermögen.
Das zuständige Amtsgericht Oberhausen folgte seiner Argumentation zunächst. Es wertete den Irrtum des Neffen als rechtlich relevant und wies den Erbscheinsantrag des entfernten Verwandten zurück. Dieser legte jedoch Beschwerde ein, und so landete der Fall vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.
Welche juristischen Prinzipien entscheiden über eine wirksame Anfechtung?
Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, müssen wir zwei zentrale Begriffe des Erbrechts verstehen: die Ausschlagung und ihre Anfechtung.
Eine Erbausschlagung ist eine formelle Erklärung, mit der ein potenzieller Erbe auf sein Erbrecht verzichtet. Sie muss innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Kenntnis vom Erbfall gegenüber dem Nachlassgericht erklärt werden (§§ 1944, 1945 BGB). Mit einer wirksamen Ausschlagung wird man so behandelt, als hätte man zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt; das Erbe fällt der nächsten Person in der Erbfolge zu.
Doch was, wenn diese Entscheidung auf einer falschen Grundlage beruhte? Hier kommt die Anfechtung ins Spiel. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) erlaubt unter bestimmten Umständen, eine Willenserklärung – und eine Ausschlagung ist eine solche – nachträglich für unwirksam zu erklären. Im Erbrecht ist dafür vor allem der Irrtum über eine „Verkehrswesentliche Eigenschaft“ einer Sache relevant (§§ 1954 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB).
Eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist ein Merkmal, das einer Sache oder einem Recht dauerhaft anhaftet und für deren Wert oder Verwendbarkeit von entscheidender Bedeutung ist. Ein bloßer Irrtum über den Wert selbst oder ein reiner Motivirrtum reicht dafür nicht aus. Ein Motivirrtum liegt vor, wenn jemand zwar die Fakten kennt, aber aus falschen Beweggründen handelt. Beispiel: „Ich schlage aus, weil ich hoffe, Schulden zu vermeiden.“ Ein rechtlich relevanter Eigenschaftsirrtum liegt hingegen vor, wenn die Entscheidung auf einer falschen Vorstellung über die tatsächliche Beschaffenheit beruht. Beispiel: „Ich schlage aus, weil ich fälschlicherweise davon ausgehe, dass zum Nachlass eine massive Hypothekenschuld gehört, die es in Wahrheit gar nicht gibt.“
Die Kernfrage für das OLG Düsseldorf war also: Handelte es sich bei der Fehleinschätzung des Neffen um einen rechtlich relevanten Eigenschaftsirrtum oder nur um einen unbeachtlichen Motivirrtum?
Warum scheiterte der Neffe vor dem Oberlandesgericht?
Das Oberlandesgericht hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf und gab dem entfernten Verwandten recht. Die Anfechtung des Neffen sei unwirksam, seine Ausschlagung aus dem Jahr 2012 bleibe damit bestehen. Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit einer präzisen juristischen Abgrenzung, die für jeden potenziellen Erben von großer Bedeutung ist.
Argument des Neffen: Ein Irrtum über den Wert des Nachlasses
Der Neffe argumentierte, seine Vorstellung von einem überschuldeten Nachlass habe sich als falsch herausgestellt. Das Vorhandensein eines positiven Vermögens von 51.000 Euro sei der Beweis für seinen fundamentalen Irrtum. Er habe damals nicht bloß spekuliert, sondern seine Entscheidung auf konkrete Anhaltspunkte wie Rechnungen, Mahnungen und die wertgeminderte Immobilie gestützt. Das Amtsgericht war dieser Sichtweise gefolgt und hatte die Überschuldung als solche als verkehrswesentliche Eigenschaft eingestuft, über die sich der Neffe geirrt habe.
Argument des entfernten Verwandten: Bloße Spekulation statt konkreter Fehlvorstellung
Der entfernte Verwandte hielt dagegen: Der Neffe habe seine Entscheidung auf vage Vermutungen und allgemeine Befürchtungen gestützt, ohne den Nachlass gründlich zu prüfen. Er habe das Risiko einer Fehleinschätzung bewusst in Kauf genommen. Ein solches spekulatives Handeln könne nicht nachträglich durch eine Anfechtung korrigiert werden, nur weil sich die Spekulation als falsch erwiesen hat. Er forderte den Nachweis eines Irrtums über konkrete Fakten, nicht nur über eine allgemeine finanzielle Einschätzung.
Die entscheidende Abgrenzung des Gerichts: Zusammensetzung statt Überschuldung
Das OLG Düsseldorf schloss sich der Argumentation des entfernten Verwandten an und präzisierte einen entscheidenden juristischen Punkt: Die verkehrswesentliche Eigenschaft eines Nachlasses ist nicht die abstrakte Eigenschaft „Überschuldung“, sondern dessen konkrete Zusammensetzung.
Die Richter erklärten, dass die Überschuldung lediglich das Ergebnis einer Bewertung sei – eine Schlussfolgerung aus der Gegenüberstellung von Vermögen (Aktiva) und Schulden (Passiva). Ein anfechtbarer Irrtum nach § 119 Abs. 2 BGB muss sich aber auf die wertbildenden Faktoren selbst beziehen. Der Anfechtende muss also darlegen, über welche konkreten Nachlassgegenstände oder Verbindlichkeiten er sich geirrt hat.
Mögliche Beispiele für einen solchen Irrtum wären:
- Ein Erbe ging fälschlicherweise vom Vorhandensein einer hohen Darlehensschuld aus, die tatsächlich bereits getilgt war.
- Ein Erbe wusste nichts von einem wertvollen Aktiendepot oder einem Bankguthaben, das zum Nachlass gehörte.
Das Urteil: Ein unbeachtlicher Motivirrtum
Genau diesen Nachweis konnte der Neffe nicht erbringen. Auch auf Nachfrage des Gerichts konnte er keine konkreten Vermögenswerte benennen, die er übersehen hatte, oder konkrete Schulden, die er fälschlicherweise angenommen hatte. Sein Vortrag beschränkte sich auf allgemeine Sorgen: gefundene Mahnungen (ohne deren genaue Höhe und rechtliche Relevanz zu kennen), ein überzogenes Konto und die vage Annahme, die Immobilie sei wenig wert.
Das Gericht wertete dies als klassisches Beispiel für einen Motivirrtum. Der Neffe hatte ohne genaue Kenntnis der Fakten gehandelt, angetrieben von der Furcht vor Schulden. Er hat nicht aufgrund falscher Tatsachen entschieden, sondern aufgrund fehlender Tatsachen spekuliert. Eine Entscheidung, die auf einer solchen spekulativen Grundlage beruht, trägt der Erbe selbst. Die nachträgliche Erkenntnis, dass sich die Spekulation nicht bewahrheitet hat, begründet kein Recht zur Anfechtung. Die Ausschlagung von 2012 war und blieb somit wirksam.
Was bedeutet das Urteil für Ihre Entscheidung, eine Erbschaft auszuschlagen?
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist eine wichtige Lehre für jeden, der vor der Wahl steht, eine potenziell überschuldete Erbschaft anzunehmen oder auszuschlagen. Sie verdeutlicht, dass die Hürden für eine nachträgliche Korrektur dieser Entscheidung extrem hoch sind. Bloße Vermutungen oder eine allgemeine Furcht vor Schulden reichen nicht aus, um eine einmal erklärte Ausschlagung später wieder zu kippen.
Checkliste: Anfechtung einer Erbausschlagung wegen Irrtums – Was Sie beweisen müssen
Wenn Sie eine Ausschlagung anfechten wollen, weil Sie sich über den Zustand des Nachlasses geirrt haben, müssen Sie Folgendes darlegen und beweisen können:
- Konkrete Fakten, keine vagen Vermutungen: Sie müssen einen Irrtum über einen ganz bestimmten, realen Bestandteil des Nachlasses nachweisen. Es reicht nicht zu sagen: „Ich dachte, der Nachlass sei überschuldet.“
- Irrtum über Aktiva: Konnten Sie nachweisen, dass Sie von einem bestimmten, wertvollen Vermögensgegenstand (z. B. ein Sparbuch, eine Lebensversicherung, ein Grundstück) nichts wussten und bei Kenntnis anders entschieden hätten?
- Irrtum über Passiva: Können Sie belegen, dass Sie von einer bestimmten, erheblichen Schuld ausgingen (z. B. eine Hypothek, eine Steuerschuld), die sich später als nicht existent oder wesentlich geringer herausstellte?
- Keine reine Spekulation: Wenn Sie die Erbschaft ausgeschlagen haben, ohne sich um eine Aufklärung der Vermögensverhältnisse zu bemühen, wird ein Gericht Ihre Entscheidung als spekulativ und damit als Ihr eigenes Risiko werten. Der Versuch, Informationen zu beschaffen (z. B. durch Anfragen bei Banken, Einsicht in Unterlagen), ist entscheidend.
- Kausalität: Der nachgewiesene Irrtum muss der alleinige Grund für Ihre Ausschlagung gewesen sein. Hätten Sie bei Kenntnis der wahren Fakten die Erbschaft angenommen?
Dieses Urteil macht deutlich: Das Gesetz schützt nicht vor einer schlechten Spekulation, sondern nur vor einer Entscheidung, die auf einer nachweislich falschen Tatsachengrundlage beruhte.
Die Urteilslogik
Eine einmal erklärte Erbausschlagung lässt sich nur anfechten, wenn der Irrtum auf nachweislich falschen Fakten beruht, nicht auf bloßen Spekulationen oder allgemeinen Ängsten vor der Überschuldung.
- Nachlasszusammensetzung zählt, nicht die Wertsumme: Ein Erbe muss beweisen, dass er sich über konkrete Aktiva oder Passiva irrte, die den Nachlass bestimmen; die bloße Fehleinschätzung des Gesamtwerts oder die Annahme einer Überschuldung begründet allein kein Anfechtungsrecht.
- Spekulative Entscheidungen sind das eigene Risiko: Wer eine Erbschaft aus bloßer Furcht vor unbekannten Schulden und ohne vorherige genaue Klärung der Verhältnisse ausschlägt, trägt das volle Risiko dieses unbeachtlichen Motivirrtums.
Das Gesetz schützt nur vor einem Irrtum über die tatsächliche Beschaffenheit eines Rechtsgeschäfts, nicht aber vor einer schlechten spekulativen Entscheidung des Erben.
Benötigen Sie Hilfe?
Stehen Sie vor der Anfechtung einer Erbausschlagung wegen eines Irrtums über den Nachlasswert? Fordern Sie eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihrer Erfolgsaussichten an.
Experten Kommentar
Die Angst vor Schulden lässt viele Erben vorschnell handeln, gerade wenn die sechswöchige Frist drängt. Das OLG Düsseldorf zieht hier eine klare rote Linie: Ein bloßer Irrtum über die abstrakte Überschuldung des Nachlasses wird als unbeachtliche Spekulation gewertet. Wer die Anfechtung der Erbausschlagung erfolgreich durchsetzen will, muss beweisen, dass die Entscheidung auf einem Irrtum über konkrete, wertbildende Fakten beruhte – etwa über ein übersehenes Aktiendepot oder eine nicht existente Hypothek. Am Ende bedeutet dieses Urteil: Man muss vor der Ausschlagung genau hinschauen; das Gesetz schützt nicht vor einer schlechten Wette.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Kann ich eine einmal erklärte Erbausschlagung wegen Irrtums rückgängig machen?
Ja, eine Erbausschlagung lässt sich theoretisch rückgängig machen. Diese Rücknahme erfolgt über die Anfechtung, die allerdings extrem strenge Voraussetzungen erfüllen muss. Sie müssen beweisen, dass die ursprüngliche Entscheidung auf einem juristisch relevanten Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses beruhte (§§ 1954, 119 BGB). Ein reines Bedauern über eine spätere Wertsteigerung oder eine schlechte Spekulation reicht dafür nicht aus.
Die Ausschlagung gilt als bindende Willenserklärung, die nur bei einem Irrtum über eine „verkehrswesentliche Eigenschaft“ des Nachlasses anfechtbar ist. Diese Eigenschaft bezieht sich auf die konkrete Beschaffenheit von Vermögen und Schulden, nicht auf den abstrakten Gesamtwert. Gerichte wie das OLG Düsseldorf werten einen Irrtum, der lediglich aus der unbegründeten Furcht vor Schulden resultiert, als unbeachtlichen Motivirrtum. Das Gesetz schützt nicht vor einer schlechten Spekulation, sondern nur vor einer Entscheidung, die auf nachweislich falschen Tatsachengrundlagen beruhte.
Sie müssen konkret nachweisen, dass Sie sich über einen wesentlichen Bestandteil geirrt haben, etwa ein Ihnen unbekanntes Aktiendepot oder eine fälschlicherweise angenommene, bereits getilgte Schuld. Wer ohne gründliche Recherche ausschlägt, handelt spekulativ und trägt das Risiko der Fehleinschätzung selbst. Darüber hinaus müssen Sie die Anfechtungserklärung schnellstmöglich gegenüber dem Nachlassgericht abgeben. Die Frist beträgt in der Regel nur sechs Wochen, nachdem Sie den Irrtum entdeckt haben.
Wahren Sie die kurze Frist, indem Sie sofort einen Fachanwalt konsultieren und alle Nachweise für den kausalen Irrtum (Aktiva und Passiva) detailliert zusammentragen.
Wann gilt meine Fehleinschätzung als beachtlicher Eigenschaftsirrtum des Nachlasses?
Die Regel: Ihre Fehleinschätzung gilt nur dann als beachtlicher Eigenschaftsirrtum, wenn Sie sich über die konkreten Tatsachen geirrt haben, die den Wert des Nachlasses bestimmen. Gerichte unterscheiden strikt zwischen einem Irrtum über die Zusammensetzung des Vermögens und einem bloßen Irrtum über den abstrakten Gesamtwert. Konkret müssen Sie beweisen, dass Ihnen spezifische wertbildende Faktoren unbekannt waren.
Der juristisch entscheidende Punkt liegt in der Abgrenzung zum unbeachtlichen Motivirrtum. Der Irrtum muss sich direkt auf eine dem Nachlass dauerhaft anhaftende Eigenschaft beziehen, die für den Verkehr wesentlich ist. Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellte klar, dass die abstrakte Eigenschaft „Überschuldung“ lediglich das Ergebnis einer Bewertung ist. Der Anfechtungsgrund muss stattdessen die tatsächliche konkrete Zusammensetzung des Nachlasses betreffen.
Ein Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn Sie beispielsweise fälschlicherweise davon ausgingen, dass eine massive Hypothekenschuld noch existierte, obwohl sie bereits getilgt war. Oder Sie hatten keine Kenntnis von einem bedeutenden Aktiendepot oder einem hohen Bankguthaben. Wer jedoch nur aufgrund allgemeiner Befürchtungen vor Schulden ausschlägt, ohne die Fakten zu prüfen, begeht einen irrelevanten Motivirrtum. Dieses spekulative Handeln wird nicht durch das Gesetz geschützt.
Rekonstruieren Sie minutiös, welche konkreten Fakten Ihnen zur Zeit der Ausschlagung bekannt waren und welche entscheidenden Vermögenswerte Sie später entdeckten.
Wie lange ist die Frist zur Anfechtung der Erbausschlagung wegen Irrtums?
Die Frist zur Anfechtung einer Erbausschlagung ist extrem kurz und beträgt in der Regel nur sechs Wochen. Diese Frist beginnt, sobald Sie positive Kenntnis von dem Irrtumsgrund erhalten haben. Gemäß § 1954 Abs. 1 BGB muss die Anfechtungserklärung unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, gegenüber dem Nachlassgericht erfolgen. Ein langes Abwarten oder eigene Recherchen riskieren, dass Sie diese knappe Frist versäumen.
Der Gesetzgeber setzt hier bewusst eine sehr kurze Frist, um schnellstmöglich Rechtssicherheit über die Erbfolge herzustellen. Die Anfechtungsfrist startet nicht etwa mit dem Erbfall, sondern mit dem Moment, in dem Ihnen die tatsächlichen, irrtumsrelevanten Fakten bekannt werden. Das ist der Zeitpunkt, an dem Sie beweisen können, dass Sie von einem unerwarteten Vermögen oder einer nicht existenten Schuld erfahren haben. Die Erklärung müssen Sie gegenüber dem Nachlassgericht abgeben und notariell beurkunden lassen oder direkt zur Niederschrift des Gerichts erklären.
Die kurze Zeitspanne erfordert entschlossenes Handeln. Nehmen wir den Fall des Neffen: Er erfuhr im Mai 2024 von dem unerwarteten, positiven Vermögen und handelte sofort. Im Juli 2024 erklärte er die Anfechtung seiner Ausschlagung von 2012 und wahrte die Frist damit gerade noch. Eine verspätete Anfechtungserklärung macht die ursprüngliche Ausschlagung unwiderruflich wirksam, selbst wenn der Irrtum über die Vermögenslage tatsächlich vorlag.
Wahren Sie die sechswöchige Frist immer durch die sofortige notarielle Erklärung der Anfechtung, bevor Sie mit der detaillierten Beweissammlung beginnen.
Reicht die allgemeine Angst vor Überschuldung für die Anfechtung der Ausschlagung aus?
Nein, die allgemeine Angst vor Überschuldung oder vagen Befürchtungen reicht für die Anfechtung der Erbausschlagung in aller Regel nicht aus. Gerichte werten solche Entscheidungen als unbeachtlichen Motivirrtum. Dies bedeutet, Sie haben lediglich aus falschen Beweggründen gehandelt, statt sich über konkrete Tatsachen zu irren. Ein solcher Irrtum über das Motiv berechtigt nicht dazu, eine einmal getroffene Willenserklärung rückgängig zu machen.
Die Furcht vor Schulden ist juristisch gesehen nur ein bloßer Beweggrund (Motiv) für die Ausschlagung. Für eine Anfechtung muss der Irrtum sich jedoch auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses beziehen, also auf dessen konkrete Zusammensetzung aus Vermögen und Verbindlichkeiten. Wer ohne gründliche Prüfung allein aufgrund von Mahnungen oder überzogenen Konten ausschlägt, handelt spekulativ und trägt das Risiko einer Fehleinschätzung selbst.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellte klar, dass die abstrakte Eigenschaft „Überschuldung“ lediglich die Schlussfolgerung einer Bewertung ist und kein anfechtbarer Irrtum. Der Irrtum muss sich auf die tatsächliche Beschaffenheit des Nachlasses beziehen, zum Beispiel auf ein unbekanntes Aktiendepot oder eine fälschlicherweise angenommene, aber bereits getilgte Hypothek. Fehlen konkrete Anhaltspunkte, gilt die Ausschlagung als spekulativ.
Stellen Sie sich die Frage, ob Sie damals nachweislich versucht haben, Informationen zu beschaffen, und sammeln Sie diese Korrespondenz, um zu belegen, dass Ihre Ausschlagung nicht auf reiner Spekulation beruhte.
Was muss ich über die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses beweisen können?
Um eine Erbausschlagung erfolgreich anzufechten, müssen Sie nachweisen, dass sich Ihr Irrtum auf die tatsächliche konkrete Zusammensetzung des Nachlasses bezog. Sie beweisen einen Eigenschaftsirrtum, indem Sie spezifische, wertbildende Faktoren benennen, die Ihnen zum Zeitpunkt der Ausschlagung unbekannt waren. Die allgemeine Behauptung, man habe die Gesamtsumme falsch eingeschätzt, ist juristisch unzureichend.
Der Beweis muss sich auf entweder unbekannte Vermögenswerte (Aktiva) oder fälschlicherweise angenommene Verbindlichkeiten (Passiva) konzentrieren. Bei den Aktiva belegen Sie, dass Sie von einem wesentlichen Nachlassgegenstand keine Kenntnis hatten, beispielsweise von einem bis dahin unentdeckten Aktiendepot oder einer Lebensversicherung. Bezüglich der Passiva weisen Sie nach, dass eine von Ihnen angenommene, erhebliche Schuld tatsächlich nicht existierte oder bereits getilgt war, wie eine Hypothekenschuld auf einer Immobilie.
Wichtig ist der Nachweis der Kausalität. Ein Gericht prüft, ob die Kenntnis dieses realen Bestandteil des Nachlasses die Ausschlagung verhindert hätte. Hätten Sie von einem unerwarteten Guthaben von 51.000 Euro gewusst, wäre Ihre Entscheidung logischerweise anders ausgefallen. Das Gesetz schützt Sie nur vor einer Entscheidung, die auf einer nachweislich falschen Tatsachengrundlage beruhte, nicht vor dem Risiko einer schlechten Spekulation.
Erstellen Sie eine detaillierte Gegenüberstellung Ihrer damaligen Annahmen und der später entdeckten, kausalen Fakten, um den Irrtum für das Gericht sichtbar zu machen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Anfechtungsfrist
Die Anfechtungsfrist ist die gesetzlich festgelegte, sehr kurze Zeitspanne von in der Regel nur sechs Wochen, innerhalb derer man eine Willenserklärung, wie die Erbausschlagung, rückgängig machen muss. Der Gesetzgeber setzt diese knappe Frist, um schnellstmöglich Rechtssicherheit über die Erbfolge zu schaffen und endlose Unsicherheiten zu vermeiden.
Beispiel: Der Neffe musste die Anfechtung seiner Ausschlagung im Juli 2024 innerhalb von sechs Wochen erklären, nachdem er im Mai 2024 positive Kenntnis vom unerwarteten positiven Vermögen erhielt.
Eigenschaftsirrtum
Ein Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn sich der Erklärende über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Sache oder eines Rechts irrt, was juristisch die Anfechtung der Willenserklärung, etwa der Ausschlagung, berechtigt. Dieser Irrtum schützt den Bürger davor, dass eine Entscheidung auf einer nachweislich falschen Tatsachengrundlage beruht und sich damit massiv vom Gewollten unterscheidet.
Beispiel: Hätte der Neffe die Erbschaft nur deshalb ausgeschlagen, weil er irrtümlich eine bereits getilgte, massive Hypothekenschuld für existent hielt, wäre dies ein beachtlicher Eigenschaftsirrtum gewesen.
Erbausschlagung
Eine Erbausschlagung ist die formelle, notariell zu beglaubigende Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht, mit der ein potenzieller Erbe rechtswirksam auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet. Erben nutzen die Ausschlagung primär, um zu verhindern, dass sie für die Schulden des Erblassers haften müssen und wollen sich damit rechtlich absichern.
Beispiel: Im vorliegenden Fall schlug der Neffe die Erbschaft für sich und seine drei minderjährigen Kinder notariell beglaubigt aus, weil er befürchtete, das Erbe sei überschuldet.
Konkrete Zusammensetzung des Nachlasses
Juristen verstehen unter der konkreten Zusammensetzung des Nachlasses die Gesamtheit der wertbildenden Faktoren, also die spezifischen Aktiva (Vermögen) und Passiva (Schulden), aus denen das Erbe objektiv besteht. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat klargestellt, dass nur ein Irrtum über diese spezifischen Einzelbestandteile (zum Beispiel ein unbekanntes Depot) eine Anfechtung rechtfertigt, nicht aber ein Irrtum über den abstrakten Gesamtwert (Überschuldung).
Beispiel: Das Gericht forderte vom Neffen den Beweis, dass er sich über konkrete Nachlassgegenstände oder Verbindlichkeiten geirrt hatte, anstatt nur die allgemeine Überschuldung anzunehmen, um seine Anfechtung durchzusetzen.
Motivirrtum
Der Motivirrtum ist ein juristisch unbeachtlicher Irrtum, der lediglich die Beweggründe (das Motiv) der eigenen Entscheidung betrifft und deshalb nicht zur Anfechtung einer Willenserklärung berechtigt. Das Gesetz schützt nicht vor einer schlechten Spekulation oder Fehleinschätzung des zukünftigen Wertes, denn jeder Träger einer Entscheidung muss das Risiko seiner eigenen Motive tragen.
Beispiel: Da der Neffe lediglich aus der vagen Furcht vor Schulden ausgeschlagen hatte, ohne die Fakten gründlich zu prüfen, wertete das OLG Düsseldorf sein Vorgehen als irrelevanten Motivirrtum.
Verkehrswesentliche Eigenschaft
Eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist ein Merkmal, das einer Sache oder einem Recht dauerhaft anhaftet und dessen Wert oder Verwendbarkeit für den Rechtsverkehr von entscheidender Bedeutung ist. Dieses juristische Kriterium zieht die Grenze zwischen relevanten Tatsachenfehlern (Eigenschaftsirrtum) und irrelevanten Wert- oder Motivfehlern, um Klarheit im Geschäfts- und Rechts
Das vorliegende Urteil
OLG Düsseldorf – Az.: 3 W 63/25 – Beschluss vom 01.07.2025
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